(Gegenwind 236, Mai 2008)

Flüchtlingsunterkunft des Landes in Neumünster

Wie im Gefängnis?

Das Versorgungsgebäude, hinter der Fensterfront befindet sich der Speisesaal
Das Versorgungsgebäude, hinter der Fensterfront befindet sich der Speisesaal

Der Gegenwind besucht Flüchtlingsunterkunft am 10. April
"Die Bewohner können die Unterkunft jederzeit verlassen. Es gibt hier einen Wachdienst am Tor, aber niemand ist hier eingesperrt", erklärt uns Ulf Döhring, der Leiter des Landesamtes, in der 500 Plätze umfassenden Landesunterkunft für Flüchtlinge und Aufnahmestelle für Aussiedler in Neumünster.

"Es ist hier wie in einem Gefängnis", sagt uns einige Stunden spätere ein Flüchtling, der in der Unterkunft lebt. Beide haben Recht, beide aus ihrer Sicht.

Am 10. Oktober 1937 wurde die Scholz-Kaserne in Neumünster eingeweiht und Standort des 66. Artillerie-Regiments. Nach dem Krieg zogen US-amerikanische und polnische Einheiten in die Kaserne, die 1957 der noch jungen Bundeswehr übergeben wurde. Sie wurde Standort der 6. Panzerdivision, die 1957 gegründet und 1997 aufgelöst wurde. In diesem Jahr räumte die Bundeswehr die Kaserne, sie wurde ans Land Schleswig-Holstein vermietet, das dort das Landesamt für Ausländerangelegenheiten mit der Aufnahmestelle für Aussiedler und einer Landes-Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende unterbrachte.

Die Aufnahme von Ausländerinnen und Ausländern sowie Aussiedlern ist gesetzlich geregelt. Jedes Bundesland muss eine Unterkunft mit mindestens 500 Plätzen vorhalten, Schleswig-Holstein hat zwei derartige Lager. Während Flüchtlinge, die einen Asylantrag stellen, bis zu drei Monaten in der Erstaufnahmeeinrichtung (Schleswig-Holstein: Kaserne in Lübeck) bleiben müssen, werden Aussiedler in der Regel nach wenigen Tagen, maximal zwei Wochen an ihren ersten Wohnsitz umverteilt.

In Neumünster werden Asylantragsteller untergebracht, wenn ihr Drei-Monats-Aufenthalt in Lübeck vorüber ist, ihr Asylantrag aber nicht genehmigt wurde. Das Bundesamt lehnt in der Lübecker Außenstelle fast alle Anträge ab, die Flüchtlinge selbst müssen dagegen vor dem Verwaltungsgericht Schleswig klagen. Doch während sie vor einigen Jahren noch während der laufenden Klage in einen Kreis umverteilt wurden, geschieht das zur Zeit selten: Die Zahl der Flüchtlinge, die Deutschland und Schleswig-Holstein erreichen, ist stark zurückgegangen. Egal, wo sie sich melden, sie werden gleichmäßig über die Bundesländer verteilt, 3,2 Prozent kommen nach Schleswig-Holstein. Waren es vor fünf Jahren noch mehrere Tausend pro Jahr, meldeten sich 2007 nur noch rund 480 Flüchtlinge. Dazu kamen rund 200 Aussiedler. Außerdem werden in Neumünster Ausländer aufgenommen, die ohne Papiere oder ohne Aufenthaltserlaubnis aufgegriffen werden. Auch das sind nur wenige Dutzend im Jahr.

Flüchtlinge, deren Asyl anerkannt wird, können die Unterkunft verlassen und eine Wohnung anmieten. Ebenso werden, so erläuterte uns das Landesamt, Flüchtlinge auf Kreise verteilt, die krank sind oder nahe Familienangehörige (Ehegatten) hier wohnen haben. Die übrigen blieben früher höchstens ein Jahr in der großen Unterkunft, jetzt bleiben sie durchschnittlich ein Jahr. Durchschnittlich bedeutet: Einige bleiben Wochen, viele aber Jahre dort.

Zukunft der Großunterkünfte

Die aktuellen Zahlen zeigen: Zwei Großunterkünfte mit jeweils bis zu 500 Plätzen sind für Schleswig-Holstein zu viel, es sei denn, das Land nimmt freiwillig Flüchtlinge auf, wie es die skandinavischen Nachbarn zum Teil tun. So überlegt man, die ältere Unterkunft in Lübeck oder die relativ neuere in Neumünster zu schließen. Die Lübecker Kaserne gehört dem Land, die Neumünsteraner ist nur gemietet - dennoch will man lieber die Lübecker Unterkunft schließen.

Das würde bedeutet, dass im nächsten Jahr die Aufnahme von Flüchtlingen, Asylbewerbern, Aussiedlern und Personen ohne Papiere in Neumünster stattfindet, wohin auch die schleswig-holsteinische Außenstelle des Bundesamtes umziehen würde.

Das Landesamt organisiert die Ausreise

Auch am Ende des Aufenthaltes bekommen es viele Ausländerinnen und Ausländer mit dem Landesamt zu tun.

Die Aufenthaltsdauer in der Unterkunft hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich verlängert, parallel zu den zurückgehenden Zahlen von Ankommenden. Für viele Asylsuchende bedeutet das inzwischen, dass sie von der Ankunft bis zur Ausreise in den beiden Unterkünften in Lübeck und Neumünster untergebracht sind, also die ganze Zeit nicht am normalen Leben in Deutschland teilnehmen, keine deutschen Nachbarn haben, wenig Kontakte knüpfen können. Dazu kommt, dass die meisten Kinder eine von zwei klassenübergreifenden Schulgruppen innerhalb der Kaserne besuchen, also auch wenig Gelegenheit haben, Kinder außerhalb der Unterkunft kennen zu lernen. Das macht es leichter, diese Menschen nach verlorener Gerichtsverhandlung davon zu überzeugen, dass sie in Deutschland keine Chance haben und lieber freiwillig das Land verlassen sollen, auch eine Abschiebung ist einfacher.

Darüber hinaus organisiert das Landesamt auch auf Anfrage einzelner Ausländerbehörden die Besorgung von Papieren, das Landesamt koordiniert die Vergabe von Haftplätzen für die Abschiebehaft, das Landesamt bucht Flüge und organisiert auch sogenannte Botschaftsvorführungen, bei denen meist mehrere Ausländerinnen oder Ausländer einem oder mehreren Vertretern verschiedener Staaten vorgeführt werden, um die Staatsangehörigkeit zu verifizieren.

Seit 2006 können auch AusländerInnen, die schon lange in Schleswig-Holstein leben, aber kein Aufenthaltsrecht haben, von den Ausländerbehörden ans Landesamt überstellt werden: Sie verlieren praktisch Wohnung und Sozialhilfe, müssen wieder in die Kaserne einziehen und bekommen dort vermittelt, dass sie keine Chance auf einen weiteren Aufenthalt in Deutschland haben. Das betrifft Menschen, denen die Ausländerbehörde zu Recht oder Unrecht unterstellt, sie hätten einen falschen Namen angegeben oder sonstige falsche Angaben gemacht - und mit Druck, so die Hoffnung der Behörden, ließe sich eine Kooperation erzwingen. Hier sind die Zahlen der Menschen, die in die sogenannte "Gemeinschaftsunterkunft für Ausreisepflichtige" eingewiesen wurden, sehr gering geblieben. Bei unserem Besuch schätzte der Landesamts-Leiter sie auf 30 bis 40 Personen im Jahr, und zwar ausschließlich Alleinstehende.

Bedingungen der Unterbringung

Das Landesamt für Ausländerangelegenheiten soll, das erwartet das Innenministerium, abgelehnte Asylbewerber dazu bewegen, freiwillig auszureisen. An einer Integration besteht kein Interesse. Viele Forderungen von Flüchtlingen selbst und ihren Unterstützern, die Unterbringungs-Bedingungen zu verbessern, würden bei einer Erfüllung diese Aufgabe erschweren - Ralf Stegner sagte als Innenminister mehrmals eindeutig, man wolle die Verhältnisse in den Unterkünften so gestalten, dass sich die Flüchtlinge keine falschen Hoffnungen machten, sie könnten bleiben.

Andererseits streitet das Landesamt vehement Vorwürfe ab, die das 2007 bestehende "Komitee" von Flüchtlingen öffentlich erhob, so zum Beispiel, bei akuten Krankheiten oder vergleichbaren Notfällen würden Rettungsdienste erst verzögert benachrichtigt. Das, so Ulf Döhring deutlich, wäre nicht der Fall, Rettungswagen würden genauso wie Polizei oder Feuerwehr im Notfall sofort kommen.

Andere Forderungen kollidieren mit bundesweit geltenden Gesetzen, die bei der Aufnahme und der Unterbringung in solchen Unterkünften als Regel vorsehen, dass den Flüchtlingen Zimmer, Essen und Kleidung gestellt wird, sie aber keine Sozialhilfe erhalten. Monatlich bekommen sie etwas mehr als 40 Euro Taschengeld, für jedes Kind 20 Euro.

Auch die Gesundheitsversorgung ist per Gesetz beschränkt auf die Behandlung akuter Schmerzen, darüber hinausgehende Behandlungen werden im Einzelfall genehmigt oder eben abgelehnt. Hier gingen die Darstellung des Landesamtes und die Vorwürfe der Flüchtlinge schon in den letzten Jahren weit auseinander, und in diesem Jahr war es nicht anders. Während das Landesamt betont, jeden Einzelfall ernsthaft zu prüfen, werfen viele Flüchtlinge der Behörde vor, keine geeignete Behandlung zu erhalten. Noch öfter wird der Vorwurf erhoben, durch die Verweigerung von DolmetscherInnen wäre die Verständigung nicht möglich - weder die Schilderung der Leiden von Seiten der Flüchtlinge noch eine Erläuterung der Behandlung durch den Arzt.

Einige Kinder, die in der Lerngruppe innerhalb der Unterkunft besonders hervorstechen, werden in "normalen" Schulen angemeldet.

Die Flüchtlinge, die in der Unterkunft im Haart untergebracht sind, haben wie alle Flüchtlinge eine "Residenzpflicht", das heißt sie dürfen in diesem Falle den kleinsten Kreis Schleswig-Holsteins nur mit Erlaubnis des Landesamtes verlassen. Diese Erlaubnis erteilt das Landesamt für sieben Tage im Monat - eine Regelung, die gegenüber der früheren Praxis liberaler ist, aber einigen Flüchtlingen natürlich nicht reicht. Auch das ist ein Konflikt, der notwendigerweise entsteht, weil es überhaupt das System von Gemeinschaftsunterkünften, Lagern eben gibt.

Flüchtlingsversammlung

Ulf Döhring (links) und Ralf Krause vom Landesamt
Ulf Döhring (links) und Ralf Krause vom Landesamt

Als Gegenwind haben wir natürlich den Vorteil, dass wir einen solchen Besuch mit vielen Dolmetscherinnen und Dolmetschern zusammen machen. So konnten wir uns mit Flüchtlingen auf Tschetschenisch, Russisch, Armenisch, Arabisch, Englisch, Albanisch, Serbokroatisch, Farsi und Dari (Persisch), Sorani und Kurmanci (Kurdisch) und Türkisch unterhalten. Rund 60 Flüchtlinge kamen zu unserer Versammlung, einige sprachen auch Deutsch.

Informationen

Klage geführt worden zunächst über den Mangel an Informationen. Die Asylsuchenden werden von Lübeck nach Neumünster gebracht, sie wissen häufig nicht warum und für welche Zeit. Vor allem beklagen viele, dass sie keine Informationen über ihr Asylverfahren haben oder bekommen können, sie können sich nur unzureichend mit Anwälten verständigen. Einige bekommen Informationen von anderen Flüchtlingen, andere sind auf Gerüchte angewiesen - dass das Landesamt keinen Einfluss auf das Asylverfahren oder die Wartezeit auf eine gerichtliche Entscheidung hat, ist vielen nicht klar.

Die Flüchtlinge, die unsere Versammlung besuchten, waren teils einige Monate in Deutschland, andere aber seit vier oder fünf Jahren, ein Libanese gar seit 11 Jahren. Einige waren schon auf Kreise verteilt worden, hatten eine Wohnung, waren jetzt aber zurückverteilt worden. Die Zusammenhänge sind ihnen oft nicht klar, es fehlt eine systematische Beratung mit professionellen Dolmetscherinnen und Dolmetschern.

Landesamt

Das Landesamt und seine Angestellten werden überwiegend negativ beurteilt - wobei die Klagen sich vor allem auf die dort wahrgenommenen Aufgaben beziehen, hat das Landesamt doch oft die Aufgabe, den Aufenthalt in Deutschland zu beenden. Viel zu selten, so die meisten, ist das Landesamt allerdings bereit, den Stand des Verfahrens mit Hilfe von DolmetscherInnen verständlich zu erklären. Viel zu oft erhalten Flüchtlinge allgemeine Absagen, es gäbe nichts Neues, man könne nichts sagen.

Dieses Warten ohne Informationen stresst viele Flüchtlinge. Deshalb wird die ganze Einrichtung, das Lager, wie ein Gefängnis empfunden. Man kann zwar die Unterkunft verlassen, aber nicht die Situation.

Zimmer

Die Frage nach der Unterbringung beantworteten die meisten Flüchtlinge mit Klagen über die Probleme von Großunterkünften insgesamt: Der unterschiedliche Tagesrhythmus von Eltern mit Kindern, die früh ins Bett gehen, und jungen Leuten, die auch mal tief in der Nacht zusammen feiern, schafft einen permanenten Stress in allen Häusern. Dazu kommt, dass das Management vom Roten Kreuz, das für die Unterbringung und Versorgung selbst zuständig ist, als zu unflexibel empfunden wird.

Eine Mutter beklagte sich, sie wäre mit fremden Männern zusammen untergebracht, die ihre Tochter belästigten. Nichtraucher drangen mit ihrem Wunsch nicht durch, mit anderen Nichtrauchern zusammen untergebracht zu werden, sie müssen den Zigarettenrauch der Zimmergenossen ertragen.

Sanitäre Anlagen

Die häufigste Klage ist nach wie vor, dass bei den Duschen eine Geschlechtertrennung fehlt oder von Männern gegenüber Frauen nicht eingehalten wird. Außerdem wird beklagt, dass die Reinigung unzureichend ist - sei es, dass zu selten gereinigt wird, sei es, dass sich Mitbewohner wenig rücksichtsvoll verhalten.

Massiv wurde Angst geäußert, dass viele Kinder durch die unhygienischen Zustände - unabhängig von deren Ursachen - krank werden. Einzelne zeigten uns ärztliche Stellungnahmen, die Erkrankungen von Kindern auf die Unterbringung zurückführten.

Beklagt wurde schließlich auch, dass Duschen und Toiletten häufig kaputt sind. Auch hier schwankten die Einschätzungen, ob die Rücksichtslosigkeit einiger Mitbewohner oder zu wenige Reparaturen der Hauptgrund hierfür seien.

Kleidung

Beklagt wurde, dass nur gebrachte Kleidung ausgegeben wird, die man sich nicht aussuchen kann. Außerdem wurde bemängelt, dass öfter Bettwäsche ausgegeben wird, die schon benutzt ist und zwischendurch nicht gewaschen wird.

Auf dem Gelände gibt es keinen Friseur für Männer, und das Taschengeld reicht nicht aus, zu einem Friseur in der Stadt zu gehen.

Essen

Das Essen wird, ebenfalls in einer Großunterkunft nicht überraschend, als eintönig empfunden. Zu oft wiederholen sich die Menue-Folgen, zu wenig frisches Obst und Gemüse wird angeboten. Zwischenmahlzeiten gibt es überhaupt nicht, ebenso fehlt ein Angebot an Getränken. Leitungswasser und das knappe Taschengeld sind die einzigen Möglichkeiten für diejenigen, die keine Verwandten vor Ort haben, die ihnen Lebensmittel schenken.

Die Essenszeiten sind entsprechend den Arbeitszeiten im Betreuungsverband geregelt, nicht entsprechend den Bedürfnissen der Flüchtlinge. So wird nach wie vor beklagt, dass das Abendessen viel zu früh angesetzt ist, nämlich um 18 Uhr. Die meisten sind es gewohnt, später am Abend zu essen, und haben Probleme, die lange Zeit bis zum Frühstück durchzuhalten.

Gesundheit

Das größte Problem bei der Gesundheitsversorgung ist häufig die Unmöglichkeit, sich zu verständigen. Außer bei schweren Problemen stehen keine DolmetscherInnen zur Verfügung, und weder beim Hausarzt auf dem Gelände noch bei der Überweisung zu Fachärzten können die Flüchtlinge ihre Probleme ausreichend vorbringen.

Das Landesamt, so wurde uns auch von dort bestätigt, versucht vordringlich, die Flüchtlinge dazu anzuhalten, Bekannte oder ältere Kinder mit zur Behandlung zu nehmen, die zumindest ein bisschen Deutsch können. Allerdings teilte das Landesamt auch mit, die Dolmetsch-Kosten seien in den letzten Jahren stark gestiegen - dennoch bleiben viele Flüchtlinge, das zeigten die Beschwerden auf unserer Versammlung, meistens ohne Dolmetscher, wenn sie gesundheitliche Probleme haben.

Beratung ist nötig!

Natürlich wurde die Anwesendheit einer solchen Besuchergruppe von vielen auch genutzt, Fragen zu ihrer persönlichen Situation, zu einzelnen Problemen zu stellen. Hier zeigt sich, dass eine regelmäßige Beratung mit täglicher Anwesendheit von Dolmetscherinnen und Dolmetschern dringend nötig ist.

Ein Besuch vom Gegenwind kann einmal pro Jahr ganz bescheiden einen Finger in die Wunde legen. Heilen kann er sie nicht.

Reinhard Pohl

Zur Startseite Hinweise zu Haftung, Urheberrecht und Datenschutz Kontakt/Impressum