(Gegenwind 269, Februar 2011)

Yana Movchan

Yana Movchan aus der Ukraine:

„Ich bin in einer russischen Familie aufgewachsen.”

Gegenwind:

Welche Muttersprache hast Du?

Yana Movchan:

Ich komme aus der Ukraine. Die Frage nach der Muttersprache ist schwierig. Ich bin in einer russischen Familie aufgewachsen, bis zum 6. Schuljahr bin ich in eine russische Schule gegangen. Ab 1991 wurde alles ins Ukrainische verändert, und meinen Abschluss am Gymnasium habe ich in der ukrainischen Sprache gemacht, und das Studium an der Universität habe ich auch auf Ukrainisch abgeschlossen. Ich spreche Russisch und Ukrainisch gleich gut, die Frage nach der Muttersprache ist insofern schwierig. Meine privaten Sachen erledige ich meistens auf Russisch.

Gegenwind:

Wenn Du Deine Mutter anrufst - wie sprichst Du mit ihr?

Yana Movchan:

Mit meiner Mutter spreche ich eine komische Mischsprache, teilweise Russisch, teilweise Ukrainisch.

Gegenwind:

Welche Stellung hatte das Ukrainische in der Ukraine zur Zeit der Sowjetunion?

Yana Movchan:

Das war nicht eindeutig geregelt. Im Osten und im Zentrum der Ukraine wurde mehr Russisch gesprochen, die Amtssprache war auch Russisch. In der Westukraine war das Ukrainische immer ganz stark vertreten. Dort gab es auch in der Zeit der Sowjetunion vor allem ukrainische Fernsehsender, nicht viele russische Sendungen, und auch Bücher und Zeitungen waren auf Ukrainisch. Auch auf der Straße wurde dort meistens Ukrainisch gesprochen.

Gegenwind:

War das Ukrainische vom Staat immer als eigene Sprache anerkannt?

Yana Movchan:

Ja, das war immer als eigene Sprache anerkannt.

Gegenwind:

Was passierte 1991? Die Ukraine wurde unabhängig. Wie hat die Regierung über die Sprachen entschieden?

Yana Movchan:

Es wurde ein Gesetz verabschiedet, nach dem Ukrainisch zur Amtssprache wurde. Ich weiß nicht genau, wie vorher der offizielle Status der Sprache war, aber Russisch war vorher auf jeden Fall die erste Amtssprache. Der Staat wurde von Moskau aus regiert, alle wichtigen Unterlagen waren auf Russisch. Seit 1991 ist Ukrainisch Amtssprache, und viele Schulen und Universitäten wurden auf Ukrainisch umgestellt.

Gegenwind:

Funktionierte das? Konnten alle Lehrer und Behördenmitarbeiter ausreichend Ukrainisch?

Yana Movchan:

Das war und ist ein sehr großes Problem. Natürlich konnten nicht alle Lehrer Ukrainisch. Vorher war die Mehrzahl der Schulen russisch. Viele hatten ihr Leben lang auf Russisch gelernt, studiert und gearbeitet, da kann man sich nicht von heute auf morgen umstellen. Auch in den Schulen wurden die Sprachen viel gemischt. Da ich in einer russischen Schule studierte, gab es nach der Umstellung ins Ukrainische kaum Lehrbücher auf Ukrainisch. Aber es gab auch an anderen Schulen zuerst keine Bücher. Wir bekamen Unterricht auf Ukrainisch, aber wir hatten nur russische Schulbücher, zumindest für sechs oder sieben Jahre nach der Unabhängigkeit. Wir haben auch in Naturwissenschaften viele Begriffe wie im Diktat auf Ukrainisch aufgeschrieben, diese Begriffe hatten wir nur in unseren Heften. Wir hatten viele Lehrer, die einfach Russen waren, dort aufgewachsen und studiert. Die haben es bis heute schwer, sie sprechen immer noch Ukrainisch mit russischen Akzent. Man hat sich aber Mühe gegeben.

Gegenwind:

Gab es von der russischen Minderheit organisierten Widerstand gegen die Einführung des Ukrainischen als Amtssprache?

Yana Movchan:

Ich weiß das nicht genau. In dieser Zeit war alles sehr schwer, die politische Situation war unklar, die Leute hatten kein Geld, es gab eine hohe Inflation. Viele Leute haben sich einfach für die Sprache nicht interessiert, weil sie andere Probleme hatten.

Gegenwind:

Wie ist die Situation heute? Wird Russisch und Ukrainisch nebeneinander benutzt?

Yana Movchan:

Eigentlich ist Ukrainisch Amtssprache, das ist dann die Sprache der Behörden und Gerichte. Aber die Leute sprechen teilweise, vor allem im Osten, bis heute noch Russisch. Auf der Straße hört man dort viel Russisch, und auch auf der Krim spricht man überwiegend Russisch. Die haben auch noch russische Schulen, die es im Zentrum der Ukraine kaum noch gibt. Hier gibt es nur noch einzelne russische Klassen. Im Parlament wird jetzt diskutiert, ob und wie Russisch wieder als zweite Amtssprache eingeführt werden kann. Das ist aber auch schwierig, und noch ist nicht klar, ob das Gesetz zustande kommt.

Gegenwind:

Kennst Du andere Sprachen, die in der Ukraine gesprochen werden?

Yana Movchan:

Ja. Bei uns spricht man auch andere Sprachen, zum Beispiel Krim-Tatarisch. Aber es wird nicht viel über Sprachen und Sprachgesetze diskutiert, weder im Parlament noch in der Presse. Die politische Situation ist sehr schwierig, man diskutiert über Russland und die EU, man diskutiert kaum über Sprachen.

Gegenwind:

Was wünscht Du Dir für eine Regelung?

Yana Movchan:

Ich finde Eindeutigkeit am besten. Es gab 15 Jahre der Umsetzung von einer Sprache zur anderen. Um die Sprache zu wechseln, muss das Land sehr viel Geld ausgeben - für Sprachkurse, für Wörterbücher, für wirklich gute Grammatiken. Es hat 15 Jahre gedauert, die Normen für die Sprache auszuarbeiten, damit man wirklich weiß, was ist richtig, was ist falsch. In der Ukraine existierte das alles noch nicht. Man streitet bis heute in der Ost- und Westukraine über die Normen der ukrainischen Sprache. Es ist bis heute nicht alles festgelegt. Erst nach fünfzehn Jahren sind die ersten einigermaßen guten Wörterbücher erschienen oder ukrainische Grammatiken. Erst jetzt gibt es eine Rechtschreibung. In den Unterlagen von früher, auch in Unterlagen von Behörden, findet man heute sehr viele Fehler. Es wäre sehr schwer, jetzt wieder die Sprache zu wechseln oder eine zusätzliche Amtssprache einzuführen. Jetzt kommen die ersten Kinder oder Jugendlichen von der Schule, die die gesamte Schulzeit mit ukrainischen Schulbüchern absolviert haben - die können doch jetzt nicht wieder auf Russisch umschalten. Dann hätten wir jahrelang Unterlagen, Bücher und Zeitschriften mit Fehlern im Russischen. Es wäre gut, wenn es eindeutig ist und das Ukrainische die Amtssprache in der Ukraine bleibt. Man darf nur die anderen Sprachen nicht vergessen, sie auch berücksichtigen. Russisch wird in vielen Familien gesprochen, und für alle, die eine slawische Sprache sprechen, ist Russisch viel leichter zu lernen als Englisch. Sie hätten es damals nicht vollständig vertreiben dürfen. Russisch wurde auch als erste Fremdsprache in den Schulen vom Englischen abgelöst, das war übertrieben. Aber wenn man jetzt wieder etwas ändert, sollte man das behutsam machen. Aber der Staat hat die Aufgabe, auch Sprachen der Minderheiten zu schützen, ich bin für eine ausgewogene Sprachenpolitik.

Interview: Reinhard Pohl

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