(Gegenwind 297, Juni 2013)

Fahndungsaufruf

NSU-Prozess in München:

„Es wird eine zähe, langsame Beweisaufnahme”

In München hat der NSU-Prozess begonnen. Der Rechtsanwalt Alexander Hoffmann aus Kiel hat an allen bisherigen Verhandlungstagen teilgenommen. Wir haben uns deshalb mit ihm zum Interview verabredet.

Gegenwind:

Du bist als Rechtsanwalt am NSU-Prozess in München beteiligt. Welche Funktion erfüllt Du dort?

Alexander Hoffmann:

Ich bin Nebenklägervertreter für eine Frau, die Opfer des Bombenanschlages in der Kölner Keupstraße im Jahre 2004 war.

Gegenwind:

In der Presse wurde ja relativ ausführlich das Auftreten der Angeklagten analysiert. Außerdem ging es um die Verzögerung durch die Anträge der Verteidigung. Teilweise gab es auch Empörung über diese Anträge. Wie beurteilst Du den Start dieses Prozesses?

Alexander Hoffmann:

Ich kann die Reaktion der Presse nicht verstehen und auch nicht die Aufregung über die Anträge der Verteidigung. Die Anträge der Verteidigung waren klar, teilweise bekannt, sie waren in längeren Schriftwechseln teilweise angekündigt worden. Es gab ganz konkrete Fragen, über die sich die Verteidigung teilweise schon im Vorfeld beklagt hat. Es ging zum Beispiel um die Durchsuchung der Anwälte, Verteidiger wie Nebenklägervertreter, vor Betreten des Gerichtssaales. Es war klar, dass solche eine Frage dann auch in Antragsform zu Prozessbeginn auftauchen würde. Die Verzögerung, die aufgetreten ist, war aber nicht den Anträgen der Verteidigung geschuldet, sondern beruhte darauf, wie das Gericht damit umgegangen ist. Das Gericht hätte weder nach den Problemen mit der Presseakkreditierung noch nach den Anträgen der Verteidigung jeweils wochenlang unterbrechen müssen. Das Gericht hätte einfach flott weiter verhandeln können. Die langen Unterbrechungen waren nicht notwendig.

Gegenwind:

Jetzt erwarten viele von den Nebenklägern, also den Opfern oder Hinterbliebenen von Opfern, Informationen darüber, warum der NSU so lange morden konnte. Kann ein Strafprozess wie dieser solche Erwartungen erfüllen?

Alexander Hoffmann:

Das ist natürlich problematisch, denn diese Hoffnung beziehungsweise die Erwartung speist sich ja nicht nur aus der Tatsache, dass hier eine Anklage vorliegt, sondern ist darin begründet, dass dies vermutlich die letzte Chance sein wird, bestimmte Antworten zu erhalten. Wir sehen, dass selbst die Untersuchungsausschüsse viele Antworten nicht erhalten haben, obwohl diese weitreichende Möglichkeiten haben, da ihre Untersuchungsthemen deutlich weiter gefasst sind als die hier vorliegende Anklageschrift. Wir sehen, dass auch die politische Diskussion zu wenig Aufklärung geführt hat. Jetzt ist der Prozess eben eine, vielleicht die letzte Möglichkeit, Fragen zu stellen. Grundsätzlich ist ein Strafprozess wie dieser, der sich ja an einer eng gefassten Anklageschrift abarbeitet, dazu nicht besonders gut geeignet. Als Nebenklägervertreter werden wir aber auch die kleine Chance, die dieser Prozess uns bietet, nutzen und versuchen, möglichst viele Informationen zu bekommen und die Herausgabe von Dokumenten zu erzwingen.

Gegenwind:

Du beschäftigst Dich ja insbesondere mit dem Anschlag in der Keupstraße. Wenn man sich diesen Anschlag anguckt, dann scheint es ja für die Polizei kein unlösbares Verbrechen gewesen zu sein. Die Täter sind durch eine Kamera gelaufen auf dem Weg zum Anschlag, und der Bauplan der Bombe war auch aus Internet-Vorlagen bekannt. Hätte die Polizei die Täter nicht normalerweise identifizieren und festnehmen müssen?

Alexander Hoffmann:

Eine Antwort auf diese Frage will ich so pauschal nicht geben. Was icht aber sagen kann ist, dass die Polizei die Täter ausschließlich im Umfeld und unter den Bewohnern der Keupstraße gesucht hat. Das hat sicherlich die Aufklärung des Verbrechens und die Suche nach den tatsächlichen Tätern erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Ich bin mir zum heutigen Zeitpunkt nicht sicher, welche Möglichkeiten die Polizei in Köln tatsächlich hatte, dem NSU auf die Schliche zu kommen, jedenfalls ohne Hilfe von anderen Stellen. Und es gab keine entsprechende Hilfe, zum Beispiel vom Bundesamt und den Landesämtern für Verfassungsschutz. Aber so weit kam man ja auch gar nicht. Die Polizei hat unter Argumentationshilfe von Innenminister Schily von Anfang an eine neonazistische, faschistische, rassistische Motivation ausgeschlossen und ausschließlich im Umfeld der Bewohner gesucht. Damit konnten sie gar nicht den tatsächlichen Tätern auf die Spur kommen.

Gegenwind:

Es gab ja auch damals keine öffentlichkeitswirksamen Aktionen zum Beispiel der Antifa-Szene oder von Migrantenorganisationen. Haben die sich von diesen öffentlichen Äußerungen einschüchtern oder beeinflussen lassen?

Alexander Hoffmann:

Meines Wissens nach stimmt das so nicht. Es gab an verschiedenen Orten Demonstrationen von antifaschistischen und antirassistischen Initiativen und migrantischen Gruppen. Es gab auch über diese gesamten Jahre immer wieder eine Thematisierung. Aber tatsächlich ist es so, dass die als „sichere Erkenntnisse” vorgetragenen angeblichen Ermittlungsergebnisse doch Wirkung gezeigt haben. Wenn die Polizei, das Innenministerium und andere Ämter sich hinstellen und behaupten, genau zu wissen, aus welchem Kreis eine Straftat begangen wird - hier wurde ja längere Zeit noch behauptet, man wisse, es sei eine Täterin, was sich später als Panne herausstellte - dann ist es natürlich auch für antirassistische und antifaschistische Initiativen sehr schwierig, dagegen an zu argumentieren. Problematisch ist allerdings, dass wir alle nicht realisiert haben, welch unglaubliche Verunsicherung die Morde und der polizeiliche Umgang damit bei der migrantischen Bevölkerung ausgelöst hat, und damit nicht adäquat umgegangen sind.

Gegenwind:

Jetzt hat der Vorsitzende am OLG den Prozess über die nächsten zwei Jahre geplant. Worauf müssen wir uns, worauf können wir uns einstellen? Bisher hatte die Öffentlichkeit ja auf schnellere Informationen gehofft.

Alexander Hoffmann:

Dieser Prozess wird eine sehr langfristige Angelegenheit. Bisher hat der Vorsitzende bis zum kommenden Januar Verhandlungstermine anberaumt. Er hat mitgeteilt, er rechne damit, dass der Prozess vielleicht zwei Jahre dauert. Aber es wird jetzt eine langwierige Beweisaufnahme, die bisherige Beweisaufnahme ist bis Ende Oktober schon benannt mit Zeugen, das wird sich mit Sicherheit noch hinauszögern. Schnelle Antworten wird es hier nicht geben. Die einzigen, die uns schnelle Antworten geben könnten, sind im Moment die Angeklagten, sind bestimmte Zeugen, die in gewissen Abständen jetzt kommen werden. Ich könnte mir vorstellen, dass die meisten Zeugen, soweit sie aus der Nazi-Szene sind, von ihrem Recht, die Aussage zu verweigern, Gebrauch machen werden. Es werden vermutlich nur zwei Angeklagte offen aussagen, auf Fragen antworten, und selbst das ist noch nicht klar. Ich denke, Anfang Juni werden wie einige Informationen bekommen, die jedenfalls der Öffentlichkeit bisher noch nicht bekannt waren, und dann wird es einfach eine zähe, langsame Beweisaufnahme. Ich befürchte, dass das auch dazu führen wird, dass das Interesse der Öffentlichkeit dann erst einmal einschläft.

Gegenwind:

Welche Möglichkeiten hat denn ein einzelner Nebenklagevertreter? Ihr seid ja insgesamt ungefähr fünfzig Anwälte, die sich größtenteils vorher nicht kannten und noch nie zusammengearbeitet haben.

Alexander Hoffmann:

Der einzelne Nebenklägervertreter hat die meisten der Rechte, die auch eine Verteidigerin oder ein Verteidiger hat. Wir können Beweisanträge stellen, wir können Stellungnahmen abgeben, wir können Angeklagte und Zeugen befragen. Wir haben all diese Möglichkeiten. Es ist auch so, dass einige der Nebenklägervertreterinnen und -vertreter zusammenarbeiten. Insofern haben wir schon erhebliche Möglichkeiten, in dem Prozess wirksam zu werden. Das Problem ist, dass der Prozess bestimmt wird durch die Anklage. Wir können nur Anträge stellen, Fragen stellen, die darauf abzielen, die Anklagevorwürfe zu belegen. Die Anklage selbst geht von einer kleinen und relativ isolierten terroristischen Vereinigung „NSU” aus. Das bedeutet beispielsweise, dass es uns nicht leicht fallen wird, den weiteren Unterstützerkreis des NSU aufzuklären. Die weiteren Unterstützer und Unterstützerinnen sind ja auch in diesem Verfahren nicht angeklagt.

Gegenwind:

Nun gab es Diskussionen, dass sich insbesondere aus der Keupstraße noch weitere Opfer melden, als Nebenkläger ins Verfahren wollen und auch Berichte über Anwälte, die weitere Opfer suchen. Kann das das Verfahren erschweren oder für die Abtrennung des Anschlages in der Keupstraße sorgen?

Alexander Hoffmann:

Es ist so: Wenn sich noch eine größere Zahl von Nebenklägern meldet und am Verfahren teilnehmen will, besteht die realistische Gefahr, dass das Verfahren Keupstraße eingestellt wird. In dem Moment, in dem die Anzahl der Nebenkläger und ihrer Vertreter so groß wird, dass der Saal nicht mehr ausreicht, wird man dieses Verfahren einstellen. Man muss sich dabei klar machen: Das Verfahren kann dann erst fortgeführt werden, wenn in dem jetzt laufenden Verfahren in München ein Urteil gesprochen ist, und dann wird es kein zweites Verfahren mehr geben. Man kann sicher davon ausgehen, dass in einem solchen Fall der Verfahrensteil Keupstraße einfach eingestellt wird. Ich hoffe, dass die Pressemeldungen dazu jetzt dazu führen, dass sehr vorsichtig agiert wird. Man darf aber nicht nur die Nebenklägervertreter beschuldigen, sich wichtig zu machen und ein „Geschäft” machen zu wollen. Tatsächlich ist es so, dass in der Keupstraße viele Menschen nicht rechtzeitig und nicht gut genug informiert worden sind. Es gibt dort Leute, die beim Anschlag 2004 verletzt worden sind, aber bis heute von staatlicher Seite nicht aufgeklärt worden sind, welche Rechte sie haben. Das führt unter Umständen auch zu Schwierigkeiten, die für den Prozess schädlich sein können. Das Gerichte wusste das aber von vornherein, es hat trotzdem einen Saal gewählt, der dann vielleicht zu klein ist. Das Gericht hätte sehen müssen, dass dieser Saal nicht für alle Eventualitäten ausreicht. Für meine Mandantin und alle anderen Betroffenen wäre es sehr, sehr bitter, wenn der Verfahrensteil Keupstraße abgetrennt werden würde. Dies wäre eine Entscheidung des Gerichts, von da ab gegen die Opfer des Naziterrors zu verhandeln.

Gegenwind:

Vielen Dank!

Interview: Reinhard Pohl

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