(Gegenwind 394, Juli 2021)

Täterspuren suchen statt Opfermythen pflegen
Dresden im Jahr 2020. Wie in Dresden gilt auch in Stormarn: Täterspuren statt Opfermythen pflegen! (Foto: MB/News-photo.de)

Streit um die Erinnerung in Bad Oldesloe:

Luftangriff oder Todesmarsch?

Ein Interview mit dem „Antifaschistischen Bündnis Stormarn“ (ABS)

Geschichte vergeht nicht und Erinnerung findet immer in der Gegenwart statt: In Stormarn wird seit dem Frühjahr 2021 über das Gedenken an die Zeit des Nationalsozialismus debattiert. Nachdem die Stadt Bad Oldesloe im April des Jahres einen 20-minütigen Dokumentarfilm mit dem Titel „Bombenangriff auf Bad Oldesloe am 24. April 1945“ auf Youtube veröffentlicht hatte (www.youtube.com/watch?v=2PBAUq46qnM), reagierte das „Antifaschistische Bündnis Stormarn“ mit einem kritischen Statement. In dem heißt es: „Wer von Bombenangriffen auf deutsche Städte spricht, darf vom Vernichtungskrieg der Deutschen nicht schweigen“. Dr. Henning Fischer, Historiker aus Berlin und Stormarn, sprach mit eine_r Vertreter_in des Bündnisses.

Gegenwind:

Zunächst einmal zum Film, der offenbar auf einer Broschüre der Stadt Bad Oldesloe zum gleichen Thema beruht: „Mein Herz ist so von Schmerz zerwühlt“, neu herausgegeben im Jahr 2020. Was zeigt der Film und was ist daran aus Ihrer Sicht kritikwürdig?

ABS:

Der Film behandelt den Bombenangriff der Alliierten auf die Stadt Bad Oldesloe am 24. April 1945, bei dem etwa 700 Menschen starben. Der Ablauf der Ereignisse wird geschildert, Zeitzeugen kommen zu Wort und erzählen von ihren Eindrücken, Archivaufnahmen von durch die Bombardierung zerstörten Gebäuden werden gezeigt.

Unsere Kritik richtet sich gegen die fehlende historische Einordnung: Weder ist ansatzweise ausreichend vom Nationalsozialismus die Rede, noch wird deutlich erwähnt, was der Grund des Krieges war und warum die Alliierten Deutschland angegriffen haben. Es entsteht ein absolut schiefes Bild, in dem plötzlich die Deutschen als die Opfer des von ihnen begonnenen Vernichtungskriegs erscheinen.

Gegenwind:

Nun wurde im „Stormarner Tageblatt“ Mitte Mai über die Kritik am Film berichtet und die Stadtverwaltung äußerte sich auch in Person des Bürgermeisters. Er wurde damit zitiert, es sei „nicht die Aufgabe des Films, eine komplexe Aufarbeitung der Naziherrschaft während des dritten Reichs vorzunehmen“. Ein lokaler Stadtverordneter äußerte sich dagegen im Sinne der Kritik am Film. Was ist zu dieser kleinen Debatte zu sagen?

ABS:

Erstmal hat es uns natürlich gefreut, dass sich Verantwortliche von Seiten der Stadt zu einem Statement bemüßigt sahen. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass auf eine derartige Kritik von antifaschistischen Zusammenhängen überhaupt eingegangen wird. Die Erwiderung des Bürgermeisters geht am Inhalt unserer Kritik allerdings vorbei - dass der Film eine „komplexe Aufarbeitung der Naziherrschaft während des dritten Reichs“ vornehmen solle, haben wir nie gefordert. Unserer Ansicht nach hätte der Film aber den Zusammenhang von Nationalsozialismus und alliierten Bombardements nicht verschweigen dürfen.

Gegenwind:

Die Bad Oldesloer Erinnerung an den Luftangriff vom 24. April 1945 hat ja nicht mit dem Film begonnen. Seit Jahren findet ein jährliches Gedenken statt. Was ist nun anders, oder was ist das Problem an der Geschichtsdarstellung des Films?

ABS:

Also unserer Ansicht nach ist das Gedenken an die deutschen Opfer des Zweiten Weltkriegs immer heikel und in vielen Fällen wahrscheinlich auch schon vor der Veröffentlichung des Films kritikwürdig gewesen, auch in der Form in der es in Bad Oldesloe stattgefunden hat. Mit dem Film hat es nun eine andere Reichweite bekommen, zumal wohl auch geplant ist, ihn in Schulen zu zeigen und diese Form des Gedenkens nochmal ein ganz anderes Publikum bekommt.

Und es macht wohl auch einen Unterschied, ob seit vielen Jahren traditionell Gedenkveranstaltungen an die Opfer der Bombardierung stattfinden, bei denen vielleicht auch Zeitzeug_innen der Ereignisse gedenken - oder ob die Stadt Bad Oldesloe im Jahr 2021 einen relativ aufwendig produzierten Film veröffentlich, zu genau diesem Thema und in genau dieser unzulänglichen Form.

Statement zum Film „Bombenangriff auf Bad Oldesloe“

Im April 2021 veröffentlichte die Stadt Bad Oldesloe auf Youtube die Kurzdokumentation „Bombenangriff auf Bad Oldesloe am 24.4.1945“. In unseren Augen leistet die Dokumentation mit ihrem engen Fokus auf das Leiden der Bad Oldesloer Bevölkerung einer Verharmlosung des Nationalsozialismus Vorschub.

Wer von Bombenangriffen auf deutsche Städte spricht, darf vom Vernichtungskrieg der Deutschen nicht schweigen

Wir sehen, dass der Film „Bombenangriff auf Bad Oldesloe am 24. April 1945“ Gefahr läuft, den Nationalsozialismus zu verharmlosen. Obwohl der Nationalsozialismus den historischen Kontext darstellt, in dem die Bombardierung der Stadt betrachtet werden muss, wird dieser viel zu oberflächlich behandelt und nur ein einziges Mal („NS-Regime“) beim Namen genannt.

Es erfolgt weder eine historische Einordnung, noch wird deutlich erwähnt, was der Grund des Krieges war und warum die Alliierten Deutschland angegriffen haben. Wer allerdings von Bombenangriffen auf deutsche Städte spricht, darf von dem von den Deutschen begonnenen Vernichtungskrieg nicht schweigen. Für Zuschauer*innen, die kein Hintergrundwissen besitzen, kann dadurch ein Bild der „bösen“ Alliierten und der „guten“ Deutschen entstehen.

Am Ende des Filmes ist zwar von „dem Regime“ die Rede, dass diesen Krieg verursacht habe, allerdings wird der Nationalsozialismus nicht beim Namen genannt. Obwohl an dieser Stelle suggeriert wird, dass mit der Rezeption des Films auch für die Gegenwart gelernt werden könne, bleibt dieser Erkenntnisgewinn tatsächlich aus: Da die Ursachen des Krieges und der Grund für die Bombardierung nicht deutlich benannt werden, kann somit auch schwerlich daraus gelernt werden.

Ein Film über die Bombardierung der Stadt Bad Oldesloe muss unserer Ansicht nach notwendigerweise eine historische Einordnung der Ereignisse beinhalten. Die Opfer dieses Tages dürfen nicht mit den Opfern des Nationalsozialismus gleichgestellt werden. Der Film tut aber genau das, wenn er beispielsweise den Oldesloer Bürgermeister mit folgenden Worten zitiert: „Wenn wir heute der Opfer gedenken, dann tun wir dies im Gedenken an 706 Opfer die im Bombenhagel starben. Wir denken aber auch an Millionen weitere Opfer, die in zwei sinnlosen Weltkriegen ihr Leben verloren.“ In diesen Sätzen werden die Opfer des alliierten Bombenangriffs in eine Reihe gestellt mit den Opfern des deutschen Vernichtungskriegs. Dabei wird allerdings die Tatsache verschleiert, dass es die Deutschen waren, die den Krieg begannen und deren Weigerung zu kapitulieren die Bombardierung deutscher Städte überhaupt erst nötig machte.

Obwohl wir es grundsätzlich begrüßen, dass sich ein Dokumentarfilm mit der Vergangenheit Bad Oldesloes auseinandersetzt, halten wir den jüngst veröffentlichten Film für unzulänglich und die darin praktizierte Form des Gedenkens für gefährlich.

Gegenwind:

Bei einer Durchsicht der erwähnten Broschüre zum Luftangriff fallen vor dem Hintergrund der Debatte zwei Dinge auf. Zum einen ist die Geschichte des Luftangriffs wie herausgeschnitten aus der damaligen nationalsozialistischen Gesellschaft. Zum Bahnhof wurde in früheren Publikationen noch die dort platzierte Flugabwehr erwähnt und auch, dass sich Menschen in Oldesloe fragten, ob das nicht „für den Feind Anlass“ für einen Angriff sein könnte (N. Fischer u.a.: Von ländlichen Lebenswelten, Neumünster 1998, S. 111; G. Schulz: Bad Oldesloe einst und jetzt, Bad Oldesloe 1980, S. 86). Nun fehlt dies völlig, wie auch fast jeder andere Verweis auf die NS-Gesellschaft. Dies muss auch die neutrale Beobachter_in verwundern, zumal zum anderen mehrere Begriffe, die üblicherweise dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus vorbehalten sind, hier auf die Oldesloer_innen angewendet werden: Es sind ihre „Traumata“, nicht die z.B. der Zwangsarbeiter_innen, die hier von Interesse sind, und von den toten Oldesloer_innen geht auch die „Mahnung und Verpflichtung“ für uns heute aus. Die „Befreiung“ ist die von Verschütteten aus den Trümmern Oldesloer Häuser, nicht die der KZ-Häftlinge aus den Lagern, der Millionen Kriegsgefangenen oder der Menschen in den besetzten Länder in Europa und Afrika.

ABS:

Der Film soll anscheinend ein möglichst widerspruchsfreies Gedenken an die Oldesloer Opfer ermöglichen. Würde zum Beispiel die am Bahnhof stationierte Flak erwähnt werden, würde damit die Tatsache auch offensichtlich, dass es einen militärischen Zweck gab, Bad Oldesloe zu bombardieren. Ein Gedenken wird dann aber ungleich schwieriger, denn zum Gedenken an das Leid der Oldesloer Bevölkerung kommt dann ja die Einsicht, dass es ursächlich Verantwortliche für dieses Leid gibt. Und dies waren eben nicht die Alliierten, sondern die Nationalsozialisten, denen sich die Mehrheit der Oldesloer_innen zugehörig fühlte oder zumindest nicht die Stimme gegen sie erhob. Diese Erkenntnis ist vielleicht nicht einfach, aber ohne die kommt ein Gedenken an die Zeit des Nationalsozialismus nicht aus, sonst wird es zur Farce.

Gegenwind:

Es scheint aber keineswegs so, dass die Stadt Bad Oldesloe vor der NS-Zeit insgesamt die Augen verschließt. Ein neuer Stolperstein erinnert seit Kurzem an das -KPD-, später SPD-Mitglied Robert Kersten, der im Konzentrationslager Neuengamme ermordet wurde. Seit letztem Jahr gibt es eine Gedenktafel am Bahnhof für die Häftlinge, die Ende April und Anfang Mai 1945 auf Todesmärschen von Neuengamme dort lagerten, am 3. Mai 2021 fand trotz Pandemie eine gut besuchte Gedenkveranstaltung von Stadt und Zivilgesellschaft statt. Es liegen auch einige historische Arbeiten zur lokalen NS-Geschichte vor (siehe unten). Wieso kommt es zu zwei so voneinander getrennten Erzählungen?

ABS:

Es gibt eben zum Glück auch Leute in Bad Oldesloe, die sich für antifaschistisches Gedenken engagieren. Aber es gibt halt auch jene, und für die wurde mutmaßlich dieser Film produziert, die Interesse an einem möglichst unbefleckten Gedenken an die Opfer des Bombenangriffs haben. Diese zwei Erzählungen müssen aber notwendigerweise getrennt existieren, denn die deutsche Opfererzählung, die der Film transportiert, wäre ja sonst gar nicht haltbar: Dass auch die Oldesloer Bürger_innen größtenteils Nationalsozialist_innen und Mitläufer_innen waren, die zum Beispiel auch den nur wenige Tage später stattfindenden Todesmarsch aus dem KZ Neuengamme durch die Stadt geflissentlich ignorierten, macht eben das Gedenken an die Opfer des Bombenangriffs etwas komplizierter.

Gegenwind:

Auch Rolf Carls, zu dieser Zeit Landrat des Kreises Stormarn, starb beim Luftangriff auf Bad Oldesloe. Zuvor hatte er nicht nur als Freikorps-Soldat an der Niederschlagung des Märzaufstands im Ruhrgebiet 1920 teilgenommen und war 1936/37 Befehlshaber der deutschen Marine bei der Unterstützung der faschistischen Franco-Truppen im Spanischen Bürgerkrieg, sondern bereitete auch den geplanten Seekrieg des NS-Regimes gegen Großbritannien vor. Er war außerdem in verantwortlicher Funktion beteiligt an der Besetzung Dänemarks und im Baltikum am Angriff- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Es hätte sich doch angeboten, seine Person in diesem Zusammenhang zu erwähnen?

ABS:

Ja klar, das ist auch ein gutes Beispiel dafür, was wir uns für einen angemessenen Film gewünscht hätten. Dass in dem Film nicht von den Täter_innen die Rede ist, legt dabei den Verdacht nahe, dass es um mehr geht als nur ums Gedenken. Eventuell spielt eben auch Schuldabwehr eine Rolle. Wenn man sich auf die deutsche Opferrolle konzentriert, muss man sich endlich mal nicht mehr damit beschäftigen, warum denn Personen wie Rolf Carls das tun konnten, was sie taten.

Dabei soll übrigens gar nicht bedeuten, dass wir glauben, dass der Film in der expliziten Absicht produziert wurde, eine Täter-Opfer-Umkehr vorzunehmen oder den Nationalsozialismus zu verharmlosen. Aber doch geschieht das im Ergebnis. Das zeigt sich übrigens auch in den Kommentaren zu dem Film bei Facebook und Youtube, wo an vielen Stellen von „alliierten Kriegsverbrechen“ die Rede ist. Das ist ja auch naheliegend, es gibt genug Leute in Deutschland, denen eine deutsche Opfererzählung genau in die politische Agenda passt.

Gegenwind:

Im Statement des Bündnisses ist zu lesen, dass es aus Einzelpersonen und Gruppen besteht, die sich gegen die rechtsoffenen Querdenken-Proteste in Stormarn engagieren. Wie kommt man von diesem Themenfeld zu dem der Erinnerungskultur und Geschichtspolitik?

ABS:

Dass wir uns im Rahmen von den Protesten gegen Querdenken zusammengefunden haben, war eher der Katalysator für eine Vernetzung verschiedener Gruppen, die bereits vorher zu unterschiedlichen Themen aktiv waren.

Wir haben schon vorher zu Feminismus, gegen Rassismus, für politische Bildungsarbeit oder eben zum Gedenken an die Nazizeit gearbeitet. Unter anderem in der Initiative, die die angesprochene Gedenktafel am Oldesloer Bahnhof ins Leben gerufen hat. Als Antifaschist_innen gibt es in unserer Gesellschaft genug Punkte, an denen man ansetzen kann und muss, um dem Faschismus keinen Raum zu lassen, die Gesellschaft auf Missstände aufmerksam zu machen und Visionen für eine gerechtere Gesellschaft zu entwickeln. Querdenken war eben einer davon, unangemessene Gedenkkultur ein anderer.

Die Fragen stellte Henning Fischer

Henning Fischer ist Historiker und Bildungsreferent, lebt in Berlin und ist oft in Stormarn. Zuletzt erschien „Frauen im Widerstand. Deutsche politische Häftlinge im Frauen-KZ Ravensbrück: Geschichte und Nachgeschichte“ Herausgegeben im Auftrag der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück/Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Berlin 2020.

Das ganze Statement ist am 9. Juni 2021 hier dokumentiert worden: twitter.com/AJAhrensburg

Jüngste Forschungsarbeiten zur Stormarner Geschichte im NS: Henning K. Müller: Die Stormarner Landräte und der Nationalsozialismus. Bad Oldesloe 2018 und Sylvina Zander: Bad Oldesloe in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus (1918-1945), Kiel 2021, sowie dies. „Ich bin an diesem Ort geboren“. Die Geschichte der Oldesloer Juden, Kiel 2016.

Antifaschistisches Bündnis Stormarn
8. Mai 2021
Das „Antifaschistische Bündnis Stormarn“ besteht aus Gruppen und Einzelpersonen,
die an der Organisation der Proteste gegen die Veranstaltungen von „Querdenken“ im Kreis Stormarn beteiligt sind.

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