(Gegenwind 412, Januar 2023)

Bücherverbrennung

„Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen“

Vor dem Hintergrund des 90. Jahrestages der Machtübertragung an das NS-Regime und den unmittelbar danach folgenden kultur-faschistischen „Bücherverbrennungen“ werden diese Worte jenes Dichters häufig zitiert werden, dessen 225. Geburtstag sich im vergangenen Monat jährte. Die Rede ist von Heinrich Heine, der dies 1823 in seiner Tragödie „Almansor“ niedergeschrieben hatte.

So war es nur folgerichtig, dass die Werke Heinrich Heines im Mai 1933 unter folgendem „Sinnspruch“ auf dem Scheiterhaufen landeten: „Nun wird er vom Parnasse fortgewiesen, / Wo kein Bedürfnis herrscht nach Dichteraffen. / Und Deutschland lernt, was ihm schon längst geziemte.“ Die Nazis hofften so, sich dem verhassten toten Dichter vom Halse zu schaffen. Doch das gelang nicht in Gänze, war sein lyrisches Werk doch tief in der Bevölkerung verwurzelt. Besonders die „Loreley“, die mit der Zeile beginnt: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“, war bekannt, auch weil es ein viel gesungenes Lied der deutschen Männergesangsvereine war. Und so ließen die Nazis dieses Gedicht in den Liederbüchern stehen und verfielen auf die Idee „Dichter unbekannt“ darunter zu schreiben.

„Buch der Lieder“ - eine der erfolgreichsten deutschen Gedichtsammlung

Heinrich Heine ist die zentrale Person der deutschen Literatur in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Als Lyriker und streitbarer radikal-demokratischer Literat wurde er zum weltweit bedeutendsten deutschen Schriftsteller nach Goethe. Als Heinrich Heine am 13. Dezember 1797 in Düsseldorf als Sohn eines jüdischen Kaufmanns und einer aus angesehener jüdischer Arzt- und Gelehrtenfamilie stammenden Mutter geboren wurde, war die Stadt von französischen Revolutionstruppen besetzt und bis 1813 sollte sie unter französischer Verwaltung stehen. Während dieser Zeit wurden in der Stadt viele demokratische Neuerungen eingeführt - unter anderem wurden Juden den anderen Bürgern rechtlich gleichgestellt. Ein Grund für Heine, zeitlebens ein begeisterter Anhänger der bürgerlichen französischen Revolution zu sein und gleichzeitig ein erbitterter Gegner Preußens, das diese neugewonnenen Rechte wieder rückgängig gemacht hatte. 1831 verließ Heine Deutschland für immer und ging als politischer Emigrant ins Pariser Exil, wo er am 17. Februar 1856 starb. Er liegt auf dem Friedhof Montmartre begraben.

Heines 1827 veröffentlichtes „Buch der Lieder“ wurde eine der erfolgreichsten Lyriksammlungen der deutschen Literatur. Es besteht aus den Gedichtzyklen Junge Leiden (bestehend aus Traumbilder, Lieder, Romanzen und Sonetten-Kranz / Lyrisches Intermezzo / Heimkehr / Aus der Harzreise / Die Nordsee. Allein zu Heines Lebzeiten erlebte das Buch zwölf Neuauflagen. Einen ähnlicher Erfolg sollte erst einhundert Jahre später der Gedichtband „Hauspostille“ von Bertolt Brecht erreichen.

Einen besonderen Stellenwert in der Lyriksammlung nimmt der Zyklus „Die Nordsee“ ein. In diesen Gedichten schildert Heine in einer neuartigen, frei-rhythmischen Verssprache das großartige Erleben des Meeres und eröffnet damit der deutschen Lyrik einen bis dahin kaum beachteten Gegenstand und findet einen völlig neuen Ton. Heute gelesen, wirken diese Verse immer noch total modern. Ein Beispiel aus „Die Nacht am Strande“

„Sternlos und kalt ist die Nacht,
Es gärt das Meer;
Und über dem Meer, platt auf dem Bauch,
Liegt der ungestaltete Nordwind,
Und heimlich, mit ächzend gedämpfter Stimme,
Wie'n störriger Griesgram, der gutgelaunt wird,
Schwatzt er ins Wasser hinein
Und erzählt viel tolle Geschichten,
Riesenmärchen, totschlaglaunig.
So dunkeltrotzig und zaubergewaltig,
Daß die weißen Meerkinder
Hoch aufspringen und jauchzen,
Übermutberauscht“

Heine auf Helgoland: „Der Himmel hängt voller Violinen, und auch ich rieche es jetzt, die See duftet nach frischgebackenem Kuchen“

Die Eindrücke und Erlebnisse des Meers konnte Heine unter anderem durch seine Besuche auf Helgoland gewinnen, wo er des öfteren Zeit verbrachte. Sein Onkel und finanzieller Förderer, Salomon Heine, kam zu einem großen Vermögen während Napoleons Kontinentalsperre mit Schmuggelgeschäften über Helgoland. Darin, so wird wohl zu Recht vermutet, lag wohl auch sein Interesse und seine Affinität zur Insel begründet. Wenn es auch, wie er feststellt, es „hinlänglich fatal ist, daß die Insel Helgoland unter britischer Herrschaft steht“, fühlt er sich hier freier als in seiner Düsseldorfer, zu Preußen gehörenden - Heimat.

Während seines Helgoland-Aufenthalts 1830 reifte auch sein Entschluss, Deutschland zu verlassen und nach Paris zu emigrieren. Am 1. Juli schreibt er von Helgoland aus: „Ich bin müde und lechze nach Ruhe. Wenn ich nur wüsste, wo ich jetzt mein Haupt niederlegen kann. In Deutschland ist es unmöglich. Jeden Augenblick würde ein Polizeidiener herankommen und mich rütteln, um zu erproben, ob ich wirklich schlafe. Aber in der Tat, wo soll ich hin?“ Den Rat von Freunden, nach Amerika zu gehen verwarf er. Dort gebe es zwar weder Fürsten noch Adel, „alle Menschen sind dort gleich ... mit Ausnahme freilich einiger Millionen, die eine schwarze oder braune Haut haben und wie die Hunde behandelt werden! Wer auch nur im entferntesten Grade von einem Neger stammt, muß die größten Kränkungen erdulden.“ Am selben Tag, an dem Heine dies zu Papier bringt, beginnt in Frankreich die 1830er-Revolution, die sich gegen die Restauration wandte, die sich nach der 1789er Revolution etabliert hatte. Sie weckte große politische Hoffnungen in Heine, was in seinen „Helgoländer Briefen“ deutlich wird.

Im November 1830 schrieb Heine an einen Freund: „Wie es Vögel gibt, die irgendeine physische Revolution, etwa Gewitter, Erdbeben, Überschwemmungen etc. vorausahnen, so gibt's Menschen, denen die sozialen Revolutionen sich im Gemüte voraus ankündigen und denen es dabei lähmend, betäubend und seltsam stockend zumute wird. So erkläre ich mir meinen diesjährigen Zustand bis zum Ende Juli. Ich befand mich frisch und gesund und konnte nichts treiben als Revolutionsgeschichte, Tag und Nacht. Zwei Monat badete ich in Helgoland, und als die Nachricht der großen Woche dort anlangte, war's mir, als verstände sich das von selbst, als sei es nur eine Fortsetzung meiner Studien.“ Im Mittelpunkt von Heines „Helgoland-Briefe“ stehen in autobiographischer Form gehaltene Berichte über die französische Juli-Revolution. Sie zeigen seine intensive Anteilnahme an den revolutionären Bewegungen in Paris und wenden sich direkt an das in politischem Schlaf ruhende Deutschland. Neben den politischen Reflexionen spielen aber auch wieder Betrachtungen zur Natur und speziell zum Meer eine Rolle. „Gar besonders wunderbar wird mir zu Muthe, wenn ich allein in der Dämmerung am Strande wandle, - hinter mir flache Dünen, vor mir das wogende, unermeßliche Meer, über mir der Himmel wie eine riesige Kristallkuppel - ich erscheine mir dann selbst sehr ameisenklein, und dennoch dehnt sich meine Seele so weltenweit.“ Später sollte Heine über seine Helgoländer Briefe schreiben: „Ich versichere Sie, diese Briefe gehören zum Besten, was ich geschrieben.“

„Es gibt hienieden Brot genug / Für alle Menschenkinder“

„Heinrich Heine nimmt eine ganz einzige und unvergleichliche Stellung nicht nur in der deutschen, sondern in der Weltliteratur ein. Es gibt keinen modernen Dichter sonst, in dessen Werken die Farben und Formen der drei großen Weltanschauungen, die sich im Laufe eines Jahrhunderts abgelöst haben, so harmonisch ineinander spielen, harmonisch in der geschlossenen Einheit der künstlerischen Persönlichkeit. Heine hat immer für die Ideen der bürgerlichen Freiheit gekämpft, und doch hat er alle Halbheit und Zwiespältigkeit des bürgerlichen Liberalismus mit glühendem Eisen gebrannt. Heine hat sich nicht wenig darauf zugute getan, dass er den Kommunismus in seiner leibhaftigen Wirklichkeit entdeckt und immer wieder seinen unaufhaltsamen Sieg in der Zukunft vorhergesagt habe.“ Soweit der sozialdemokratische marxistische Theoretiker Franz Mehring (1846-1919) anlässlich des 50. Todestages von Heine.

Am 10. Mai 1831 kommt Heinrich Heine in Paris an. Seine Hoffnungen hinsichtlich der Pariser Julirevolution hatten sich zwar nicht erfüllt, aber: „In den brandenden Wogen der großen Stadt, die sich damals zu Recht rühmen durfte, an der Spitze der bürgerlichen Zivilisation zu marschieren, fühlte er sich bald heimisch wie ein Fisch im Wasser.“ (Franz Mehring). Und er erlebt dort, wie sich die noch junge Arbeiterbewegung in die politische Auseinandersetzung wirft. Dies geschah u.a. im September 1840 anlässlich eines Streiks von 100.000 Arbeiter:innen in Paris und die Solidarität mit den schlesischen Webern (1844). In den Jahren 1843/44 kam es zu Diskussionen zwischen führenden deutschen Radikalen und den Leitern des Bundes der Gerechten (aus dem der Bund der Kommunisten hervorgehen sollte). An diesen Debatten, in die sich u.a. Marx, Engels, Arnold Ruge, Georg Herwegh, Michail Bakunin und Georg Weerth intensiv einschalteten, beteiligte sich auch Heinrich Heine und veröffentlichte dort in deutscher Sprache erscheinenden fortschrittlichen Zeitschriften, in den „Deutsch-Französische Jahrbüchern“ und im „Vorwärts“.

Aus dieser Zeit stammt auch das berühmte Gedicht „Die schlesischen Weber“, das in Deutschland sogleich als Flugblatt verbreitet wurde. Es endet mit folgendem Vers:

„Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht, / Wir weben emsig Tag und Nacht - / Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch / wir weben hinein den dreifachen Fluch / wir weben wir weben.“

Die in diesem Gedicht anklingenden Gedanken der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Deutschland finden seine Fortsetzung in Heines großer satirischer Versdichtung „Deutschland. Ein Wintermärchen“ (1844), in der es im ersten Kapitel (Caput 1) heißt:

„Wir wollen auf Erden glücklich sein / Und wollen nicht mehr darben; / Verschlemmen soll nicht der faule Bauch / Was fleißige Hände erwarben
Ein neues Lied, ein besseres Lied, / O Freunde, will ich euch dichten. / Wir wollen hier auf Erden schon / Das Himmelreich errichten.“

Fünfzig Jahre später: Als der sozialdemokratische Parteivorsitzende August Bebel im Reichstag aufgefordert wurde, doch einmal das „Zukunftsprogramm“ der Sozialdemokratie zu erläutern, tat er das am 3. Februar 1893 auch mit den Worten Heinrich Heines.

„Es ist der große Vorzug der bürgerlichen Gesellschaft, dass dieselbe in ihrer großartigen Entwicklung der Technik, des Maschinenwesens und in der Anwendung der Naturwissenschaften auf den Produktionsprozess, im Verkehrsmittelwesen usw. endlich die Gesellschaft in einen Zustand gebracht hat, wo sie, wenn sie nur einmal will, die Waren, d. h. die Konsumartikel, in einer Masse und Vollkommenheit erzeugen kann, dass alle in reichstem Maße zu leben vermögen. Was haben wir heute? - Eine sogenannte Überproduktion. `Überproduktion´! - ein verrücktes Wort -, wir haben Überproduktion, weil alle Läden und Läger mit Waren überfüllt sind, weil überall die Waren in Haufen sich aufgestapelt haben. Und gegenüber diesen aufgestapelten Waren, die niemand bekommt, sehen wir auf der anderen Seite eine große, zahlreiche Bevölkerung, die in Jammer, Not und Elend lebt, die arbeiten möchte und nicht arbeiten kann, weil die Besitzer der Waren zunächst keinen Profit aus neuer Warenproduktion herauszuschlagen vermögen. Kann es eine tollere und verrücktere Gesellschaftsordnung geben wie eine solche, die auf der einen Seite ungeheure Warenvorräte produziert und liegen lässt, während auf der anderen Millionen und aber Millionen Menschen, die mit größtem Vergnügen zu arbeiten bereit wären, an bitterstem Mangel leiden und nicht arbeiten können, aber auch von den aufgestapelten Waren nichts erhalten? Stellen Sie sich nun einmal eine Gesellschaftsordnung vor, die Produktion und Konsumtion in Einklang miteinander zu bringen sucht und es jedem ermöglicht, für seinen Teil an der gesellschaftlichen Arbeit seine Bedürfnisse entsprechend befriedigen zu können! (...) Also, die bürgerliche Gesellschaft erzeugt aus dem Überfluss die Not und den Mangel. Mit diesem einen Satz ist alles gesagt. Aber indem eine neue Organisation den Überfluss den Massen zugute kommen lässt, verwirklicht sich das Sprüchlein, was hierauf Heine schon vor mehr als 50 Jahren sang:
Es wächst hienieden Brot genug / Für alle Menschenkinder / Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust / Und Zuckererbsen nicht minder. Ja, Zuckererbsen für jedermann, / Sobald die Schoten platzen! / Den Himmel überlassen wir / Den Engeln und den Spatzen.
Meine Herren, das ist unser Programm, die Zukunft gehört uns und nur uns. Ob Sie mit meinen Auseinandersetzungen zufriedengestellt sind oder nicht .. .“
(Das Protokoll vermeldet: „Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten. Zischen rechts)“

Günther Stamer

Anmerkungen:

Franz Mehring, Gesammelte Schriften, Band 10, Berlin (DDR) 1975, S. 122
Zit. nach: Helmut Hirsch: „August Bebel, Sein Leben in Reden und Schriften“. Köln 1968, S. 185/186.
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