(Gegenwind 420, September 2023)

Pati Tsiskarishvili

„Es ist immer noch alles unsicher“

Interview mit Pati Tsiskarishvili in Seeth

Seit einigen Jahren gibt es in Deutschland Kurse für Geflüchtete, die auf ein politisches oder soziales Engagement in der neuen Heimat vorbereiten soll. Das Projekt heißt „GetAktiv“. In Schleswig-Holstein läuft solch ein Kurs seit Juli. Eine Teilnehmerin ist Pati Tsiskarishvili, die in Nordfriesland lebt. Die Unterkunft liegt mehr als zwei Kilometer außerhalb von Seeth, der befestigte Feldweg ist nicht beleuchtet. Keine guten Voraussetzungen, sich zu engagieren. Sie lebt dort mit ihrem Mann und zwei Kindern.

Gegenwind:

Kannst Du Dich zuerst vorstellen?

Pati Tsiskarishvili:

Ja, ich bin Pati Tsiskarishvili. Ich bin 28 Jahre alt. Ich komme aus Georgien, ich bin aber Tschetschenin. Ich habe dort Geschichte studiert. Ich habe dort auch mein Masterstudium begonnen, das konnte ich leider nicht abschließen, weil mein Mann Probleme bekam und wir das Land verlassen mussten.

Gegenwind:

Wann habt Ihr Georgien verlassen?

Pati Tsiskarishvili:

Das war 2018.

Gegenwind:

Und wann seid Ihr in Deutschland angekommen?

Pati Tsiskarishvili:

Das war 2021.

Gegenwind:

Wo wart ihr in der Zeit dazwischen?

Pati Tsiskarishvili:

Wir waren in Dänemark.

Gegenwind:

Habt Ihr in Dänemark Asyl beantragt?

Pati Tsiskarishvili:

Ja, genau. Aber das wurde abgelehnt. Und Dänemark wollte uns nach Georgien schicken. Aber dorthin konnten wir nicht, deshalb sind wir nach Deutschland gegangen.

Gegenwind:

Habt Ihr hier nochmal Asyl beantragt?

Pati Tsiskarishvili:

Ja, genau.

Gegenwind:

Und wie ist das ausgegangen?

Pati Tsiskarishvili:

Du weißt, dass es das Dublin-Verfahren gibt. Wir bekamen ein Dublin-Verfahren. Und im November 2021 sind ich und meine Tochter Aysha nach Dänemark abgeschoben worden. Damals war mein Mann hier im Krankenhaus. Ich habe dann versucht, wieder herzukommen. Ich machte mir Sorgen um meinen Mann, weil ich nicht wusste, wie es ihm geht. Ich bin dann mit meiner Tochter zurückgekommen. Er war hier mehrere Monate im Krankenhaus. Wir haben dann ein neues Dublin-Verfahren bekommen. Die Diakonie in Hamburg und in Rendsburg haben uns geholfen. Sie kannten unsere Probleme. Das neue Dublin-Verfahren war dann irgendwann zu Ende.

Gegenwind:

Wo ist Deine Tochter geboren?

Pati Tsiskarishvili:

In Dänemark.

Gegenwind:

Und jetzt hast Du ja auch einen Sohn, wo ist der geboren?

Pati Tsiskarishvili:

Abdullah ist in Husum geboren. Es war wirklich nicht einfach. Ich hatte hier auch eine sehr problematische Schwangerschaft. Die Ärzte sagten mir, es steht 50 zu 50, ob ich dieses Kind bekomme oder nicht. Aber die Ärzte waren sehr gut, und jetzt habe ich zwei Kinder.

Gegenwind:

Hattet Ihr Euch Dänemark ausgesucht? Wolltet Ihr dorthin?

Pati Tsiskarishvili:

Wir hatten das nicht geplant. Wir mussten das Land verlassen, und es war egal für uns, ob wir nach Dänemark fliehen oder nach Deutschland.

Gegenwind:

Wo gefällt es Dir besser?

Pati Tsiskarishvili:

Ich finde, dass es hier in Deutschland mehr Möglichkeiten für Flüchtlinge gibt, sich zu integrieren, die Sprache zu lernen, eine Ausbildung zu machen und zu arbeiten. Das gab es in Dänemark nicht.

Gegenwind:

Kannst Du denn Dänisch?

Pati Tsiskarishvili:

Ich konnte Dänisch, aber leider habe ich viel vergessen. Ich habe es seit zwei oder drei Jahren nicht mehr gesprochen.

Gegenwind:

Hast Du Dich vorher über Deutschland informiert? Oder bist Du einfach gekommen?

Pati Tsiskarishvili:

Ich habe mich nicht extra informiert. Aber ich habe natürlich Informationen. Ich habe Geschichte studiert. Aber die Flucht nach Deutschland war spontan.

Gegenwind:

War Deutschland so, wie Du es erwartet hast? Oder gab es hier auch Überraschungen?

Pati Tsiskarishvili:

Es war hier alles nicht so leicht. Besonders für Flüchtlinge ist es schwer. Solch ein Dublin-Verfahren ist sehr schwer und sehr stressig. Jetzt ist es auch nicht leicht, aber man muss immer versuchen, sich zu integrieren und zu lernen. Nur so kann man weiter kommen und sich entwickeln.

Gegenwind:

Glaubst Du denn, dass Du hier bleiben darfst? Oder ist immer noch alles unsicher?

Pati Tsiskarishvili:

Es ist immer noch alles unsicher. Wir wissen nicht, was kommt. Aber ich versuche, mich zu integrieren, einen Ausbildungsplatz zu finden oder einen Arbeitsplatz, auch für meinen Mann.

Gegenwind:

Was findest Du hier denn schlecht? Und was ist hier gut?

Pati Tsiskarishvili:

Nicht direkt schlecht, aber sehr schwer ist die Bürokratie. Besonders wenn man wenig Deutsch kann. Ich konnte vorher ein bisschen Deutsch, ich kann auch Englisch, so war es etwas leichter für mich. Aber ich kenne Leute, die überhaupt kein Deutsch können, und es ist wirklich sehr schwer mit dem vielen Papier.

Gut finde ich die Gesundheitsversicherung. Die Kultur hier finde ich sehr gut. Und ich finde gut, dass die Deutschen „Nein“ sagen können. Wenn Du zu etwas keine Lust hast, dann sagst Du direkt „Nein“. In unserer Kultur sagen wir das nicht, wir müssen immer nett sein. Aber ich finde es gut, dass man hier manchmal auch „Nein“ sagen kann.

Gegenwind:

Sind die Dänen anders als die Deutschen?

Pati Tsiskarishvili:

Die Deutschen sind direkter. Manchmal sind die Deutschen ein bisschen stressig. Die Dänen lachen immer. Auch wenn sie Probleme haben, sehen sie sehr glücklich aus und lachen.

Gegenwind:

Aber mit den dänischen Behörden bist Du ja nicht so gut zurecht gekommen.

Pati Tsiskarishvili:

Nein, genau.

Gegenwind:

Wie war denn die Abschiebung? Wie ist die abgelaufen?

Pati Tsiskarishvili:

Wir waren in Rendsburg in der Unterkunft, im Lager. Es war frühmorgens, fünf oder sechs Uhr. Es kamen Leute in unser Zimmer, und meine Tochter und ich wurden abgeschoben. Sie waren aber freundlich, weil ich auch nichts machte, ich machte was sie wollten. Mit einem kleinen Kind wollte ich keinen Stress haben. Aber es war sehr schwer, weil zwei oder drei Tage vorher mein Mann ins Krankenhaus gekommen ist. Aber ich wollte den Kinderwagen mitnehmen, Aysha war damals zwei Jahre alt, aber sie hatten keine Zeit. Wir wurden dann zum Flughafen nach Hamburg gebracht und mit dem Flugzeug abgeschoben.

Gegenwind:

Wie waren dann die dänischen Behörden?

Pati Tsiskarishvili:

Die dänischen Behörden waren auch nett und hilfsbereit, ich habe einen neuen Kinderwagen bekommen.

Gegenwind:

Du bist ja dann wieder hergekommen. Wie seid Ihr dann nach Nordfriesland gekommen?

Pati Tsiskarishvili:

Wir waren erst in Neumünster, für drei oder vier Tage. Dann kamen wir nach Boostedt, das war ja Quarantäne-Zeit. Wir mussten zehn Tage dort bleiben, dann kamen wir wieder nach Rendsburg. Von Dezember 2021 bis Oktober 2022 waren wir in Rendsburg. Am 6. Oktober 2022 war dann der Transfer nach Nordfriesland.

Gegenwind:

Es ist ja hier etwas einsam. Wie kommst Du von hier aus in die nächste Stadt?

Pati Tsiskarishvili:

Das ist wirklich schwierig. Die erste Woche war sehr stressig. Ich war in der 34. Woche schwanger. Ich konnte nicht in die Stadt gehen oder fahren. Als wir kamen, hatten wir nichts zu essen, nur unsere Vermieterin war hier, die ist wirklich sehr nett und hilfreich, hat uns bei vielen Dingen geholfen. Aber andere Menschen leben hier ja nicht. Ich habe dann die Diakonie angerufen und gefragt, aber sie wollten an dem Tag nicht kommen. Ich habe ihnen gesagt, wir haben kein Geld, in Seeth gibt es kein Geschäft, was sollen wir machen? Er hat gesagt, er kommt vielleicht morgen. Und ich habe gefragt, was soll ich meiner Tochter heute zu essen geben? Dann ist er doch gekommen. Es war unmöglich, in die Stadt zu gehen. Wenn ich zum Arzt musste, musste ich erst nach Friedrichstadt, und dann mit dem Zug nach Husum. Von hier bis zum Bahnhof Friedrichstadt sind es fünf Kilometer. Und nach Husum dann 10 Minuten mit dem Zug.

Gegenwind:

Kennst Du hier andere Leute? Inzwischen wohnen im nächsten Haus ja auch Flüchtlinge.

Pati Tsiskarishvili:

Ja, es gibt keine anderen Leute hier im Haus, nur die Vermieterin. Die nebenan sind junge Männer, die alleinstehend sind. Ich kenne sie aber nicht. Ich habe nur Kontakt zu unserer Vermieterin, und ich habe Bekannte in Friedrichstadt. Aber ich kenne nur Deutsche.

Gegenwind:

Dann musst Du also immer Deutsch reden.

Pati Tsiskarishvili:

Ja, genau.

Gegenwind:

Hattest Du denn mal einen Deutschkurs?

Pati Tsiskarishvili:

Ich hatte leider keinen Kurs. Vom ersten Tag an habe ich versucht, einen Deutschkurs zu bekommen. Ich war im Lager, ich besuchte einen Deutschkurs, aber da konnte ich nicht weitermachen. Man musste dann geimpft sein, aber wegen meiner Kinder konnte ich nicht geimpft werden. Ich habe dann freiwillige Arbeit im Kindergarten angefangen. Da war auch eine Impfung vorgeschrieben, aber dem Chef gefiel, wie ich arbeitete, und er ließ mich dort vier Monate arbeiten. Dann wurde ich abgeschoben. Der Chef war Deutscher.

Gegenwind:

Also musstest Du da auch jeden Tag Deutsch reden, und die Kinder haben Dich korrigiert.

Pati Tsiskarishvili:

Ja, das haben sie. Aber ich konnte ja auch Englisch, und mein Chef konnte auch Englisch, wir haben auch Englisch geredet. Aber hier hat sich mein Mann für einen Deutschkurs angemeldet, ich konnte nicht, weil es zu weit war in der Schwangerschaft. Leider konnte ich auch nicht Fahrrad fahren. Inzwischen habe ich das gelernt. Aber ich kann nicht mit Kindern radfahren, dazu fahre ich noch zu unsicher. Der nächste Kurs ist in Husum, aber wir hoffen, dass es in Friedrichstadt bald auch einen gibt. Ich habe meinen Mann jetzt in Friedrichstadt angemeldet. Das ist aber leider nur für Anfänger, also nicht für mich.

Gegenwind:

Was hast Du gemacht?

Pati Tsiskarishvili:

Ich habe einen Online-Kurs gesucht. Den ersten Kurs habe ich im Krankenhaus gefunden, als mein Sohn einen Tag alt war. Das war am 9. Dezember 2022. Bis Juni 2023 habe ich online Deutsch gelernt, bis zur Prüfung B1. Ich habe mich dann zur Prüfung angemeldet, die ist aber erst im Dezember. Dann habe ich mich zum GetAktiv-Kurs angemeldet. Da wollte ich mein Deutsch verbessern und möglichst viele Informationen über Deutschland bekommen.

Gegenwind:

Hast Du den Eindruck, dass der Kurs Dir hilft?

Pati Tsiskarishvili:

Ja, natürlich. Ich interessiere mich für alles im Kurs, denn Deutschland ist für mich ein neues Land. Ich interessiere mich für Politik, ich interessiere mich dafür, wie es mit Männern und Frauen ist, mit Kindern, ich interessiere mich für die Bildung. Und in diesem Kurs bekomme ich wichtige Informationen über Deutschland. Und ich bin aktiv im Kurs. Ich kann mich mit diesem Kurs entwickeln. Es ist sehr wichtig für mich, sonst gibt es in Seeth keine Möglichkeiten. Ich bin eine Frau und eine Mutter, ich habe auch Hausarbeit, aber ich brauche mehr, um mich zu entwickeln.

Gegenwind:

Im dritten Teil des Kurses ging es um Religion und Religionsfreiheit. Da kam auch Friedrichstadt vor. Warst Du überrascht?

Pati Tsiskarishvili:

Ja, sehr. Das war für mich sehr interessant. Ich wusste nicht, dass Friedrichstadt als Flüchtlingsstadt gegründet wurde.

Gegenwind:

Hast Du inzwischen in Friedrichstadt weiter geguckt, im Internet oder in der Stadt selbst?

Pati Tsiskarishvili:

Nicht im Internet, aber ich bin jede Woche einmal in Friedrichstadt, es gibt da einen Mutterschaftsclub. Ich gehe mit meinen Kindern hin. Ich versuche dort zu gucken und etwas über die Architektur zu lernen, ich habe das Theater gesucht und überlege noch, wohin ich das nächste Mal gehen will.

Gegenwind:

Im Kurs hattest Du ja schon gesagt, dass Friedrichstadt wie ein kleines Amsterdam aussieht. Wusstest Du also schon vorher, dass die Stadt was mit Holland zu tun hat?

Pati Tsiskarishvili:

Ich hatte das nur gesehen, aber die Informationen hatte ich nicht. Das war für mich sehr interessant.

Gegenwind:

Fehlt Dir etwas im Kurs? Wünscht Du Dir noch andere Themen?

Pati Tsiskarishvili:

Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Alle Themen sind für mich interessant. Ich würde gerne noch mehr über Bildung erfahren. Ich möchte wissen, welche Möglichkeiten es für Erwachsene gibt, und welche Möglichkeiten es gibt, meinen Bachelor aus Georgien anerkennen zu lassen.

Gegenwind:

Wie findest Du die Zusammensetzung des Kurses? Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen ja aus sehr verschiedenen Ländern, und sie leben in Orten in ganz Schleswig-Holstein. Bist da damit zufrieden? Oder hättest Du lieber mehr aus Georgien?

Pati Tsiskarishvili:

Nein. Es ist besser so. Ich erfahren sehr viel über andere Länder. Ich kann so auch neue Freundinnen finden. Ich bekomme auch Hilfe, zum Beispiel von Magdalena im Kurs. Sie ist jetzt meine Beraterin und hilft mir beim Lebenslauf und bei der Bewerbung. Ich bin wirklich zufrieden, dass es nicht nur einige Teilnehmerinnen gibt, sondern sehr viele verschiedene Leute aus vielen verschiedenen Ländern.

Gegenwind:

Was planst Du jetzt als nächstes? Suchst Du nur Ausbildung und Arbeit? Oder willst Du Dich auch engagieren?

Pati Tsiskarishvili:

Für mich ist es wichtig, aktiv zu sein. Ich möchte mich entwickeln. Ich bin wirklich sehr engagiert und motiviert. Ich suche alle Möglichkeiten. Das beste wäre natürlich ein Ausbildungsplatz, weil ich dann sicher wäre, in Deutschland bleiben zu können. Aber ich suche auch einen Arbeitsplatz, und ich suche auch freiwillige Tätigkeiten. Ich will etwas machen.

Gegenwind:

Vielen Dank!

Interview: Reinhard Pohl

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