(Gegenwind 122, November 1998)

Schleswig-Holsteinisches Sondergericht

Instrument des Terrors

Nach der Absetzung der sozialdemokratischen Regierung Preußens 1932 wurden sog. Sondergerichte zur "effektiven Bekämpfung politischer Unruhen" eingerichtet. Eine schnelle Aburteilung der Täter sollte für "Ruhe und Ordnung" sorgen. Im Dezember 1932 wurden diese Gerichte wieder aufgehoben, um im März 1933 von den Nazis zur Verfolgung ihrer politischen Gegner wieder gebildet zu werden. Diese Ausnahmegerichte waren Teil des faschistischen Terrorapparates.

Vor Kriegsbeginn wurde jegliche Kritik am faschistischen Staat nach dem "Heimtücke-Gesetz" unter Strafe gestellt und vom Sondergericht mit Geldbuße oder Gefängnis bestraft. Denunziationen bei der Gestapo reichten hierzu völlig aus. Die "Reichstagsbrand-Verordnung" ermöglichte die Verfolgung ganzer Gruppen, wie z.B. der "Zeugen Jehovas".

Nach dem Überfall auf Polen wurde nach der "Rundfunk-Verordnung" das Abhören ausländischer Sender verboten. Die "Volksschädlings-Verordnung" sorgte für langjährige Zuchthausstrafen oder die Todesstrafe, wenn jemand die Verdunklung bei Fliegeralarm oder das Chaos nach Bombardierungen zum Diebstahl ausnutzte. Der Einbrecher wurde so zum "Volksschädling".

1937 wurde der Sitz des Schleswig-Holsteinischen Sondergerichts von Altona nach Kiel verlegt. Es zog in das Gebäude Schützenwall 31-35.

Anklage: "Verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen"

Der Umgang mit Kriegsgefangenen war Deutschen nach der "Wehrkraftschutzverordnung" strengstens untersagt. Doch durch die tägliche Arbeit im Betrieb oder der Landwirtschaft ergab sich manche Beziehung, v.a. zwischen Zwangsarbeitern und deutschen Frauen, deren Männer oft Soldaten waren. Wurden solche, teilweise lediglich freundschaftlichen, Beziehungen denunziert, so verurteilte das Sondergericht die Frauen, da "dieser Umgang das gesunde Volksempfinden in gröblicher Weise verletzt". Die Kriegsgefangenen wurden den Kriegsgerichten ausgeliefert, bzw. viele polnische und sowjetische Kriegsgefangene "sonderbehandelt", d.h. von der Gestapo ermordet.

Zwei Beispiele aus Akten des Kieler Sondergerichts, bei denen es um Verhältnisse zu französischen Kriegsgefangenen ging:

Irene Sophie P. arbeitete seit Juli 1943 bei der Firma Electroacustic in Neumünster. Als Werkstattschreiberin hatte sie auch Kontakt zu den dort arbeitenden Kriegsgefangenen. Sie freundete sich mit einem Franzosen an und wurde denunziert. Das Kieler Sondergericht verurteilte die Frau lediglich zu 8 Monaten Gefängnis, da es nicht zum Geschlechtsverkehr gekommen sei und ihr der bei der Wehrmacht dienende Mann verziehen habe.

Nicht so glimpflich kam die 27-jährige Mariechen S. davon, die bei den Nestle-Werken in Kappeln arbeitete. Sie hatte ein Verhältnis mit dem französischen Kriegsgefangenen Chollot N. Das Sondergericht verurteilte Mariechen S. zu einer Zuchthausstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten. In der Urteilsbegründung hieß es: "Der Geschlechtsverkehr einer deutschen Frau mit einem Kriegsgefangenen ist nicht nur würdelos und gefährdet das Ansehen der deutschen Frau im Auslande, er bedeutet auch eine schwere Kränkung der deutschen Kämpfer an der Front, vor allem der Gefallenen."

Frauen, die sexuelle Beziehungen mit polnischen Kriegsgefangenen hatten, wurden durch "Prangerfahrten" öffentlich zur Schau gestellt, die Kriegsgefangenen in mehreren Fällen gelyncht. So wurden 1941 im Bezirk Flensburg zwei Polen, die Beziehungen zu deutschen Frauen hatten, von der Polizei öffentlich gehängt.

Von 1940 bis 1945 verurteilte das Schleswig-Holsteinische Sondergericht 229 Frauen und 38 Männer wegen verbotener zwischenmenschlicher Beziehungen zwischen Deutschen und ausländischen ZwangsarbeiterInnen.

Anklage: "Wehrkraftzersetzung"

Ein anderes Strafdelikt war die sog. "Zersetzung der Wehrkraft". Das war allerdings nur von geringer Bedeutung für das Sondergericht, da hierfür in erster Linie Kriegsgerichte eingesetzt wurden, die für "Wehrkraftzersetzung" in der Regel die Todesstrafe verhängten. Das Sondergericht verurteilte z.B. einen Schneider aus Kiel zu 3 Jahren Gefängnis, weil er gegenüber Marineangehörigen Zweifel am Wahrheitsgehalt der Wehrmachtsberichte geäußert hatte und die Belagerung Leningrads unchristlich fand.

Ein anderer Fall betraf die Kielerin Ella Johanna Karoline G. Ihr Mann hatte sich mehrfach Heimaturlaub von der Front erschwindelt, indem er die Geburt eines Kindes oder den Tod der Ehefrau angab. Nach einem SeIbsttötungsversuch wurde er festgenommen, konnte aber aus der Haft entkommen. Ella G. versteckte ihren Mann in einem extra angemieteten Zimmer in einem anderen Stadtteil Kiels. Um den Verdacht von sich abzulenken, fragte sie in den folgenden Monaten öfters bei der Kieler Kripo, ob etwas über den Aufenthaltsort ihres Mannes bekannt geworden sei, Doch das Paar wurde verhaftet, und Ella G. wurde vom Sondergericht wegen "Zersetzung der Wehrkraft" zu 1 Jahr und 6 Monaten Zuchthaus verurteilt. Ihr Mann brachte sich um, bevor es zu einer Verurteilung durch ein Kriegsgericht kommen konnte.

Das Kieler Sondergericht verurteilte bis Kriegsende 5220 Menschen, darunter 148 zum Tode. Die rassistische Gesetzgebung die von Richtern und Staatsanwälten willfährig angewendet wurde, sorgte dafür, dass sehr viele Zwangsarbeiter zum Tode verurteilt wurden.

"Renazifizierung"

Nicht nur in Wirtschaft und Politik, sondern auch in der Justiz Schleswig-Holsteins krochen schon bald nach Kriegsende die alten Nazis wieder aus ihren Löchern. um wieder eingestellt und in z.T. leitende Positionen befördert zu werden. Ende der fünfziger Jahre sind von 22 noch dienstfähigen Richtern und Staatsanwälten des Kieler Sondergerichts 21 in Schleswig-Holstein wieder eingestellt worden.

Einer von ihnen war Paul Thamm. Er war in den letzten Kriegsjahren verantwortlicher Staatsanwalt und hatte in dieser Zeit mehrere Todesurteile mitzuverantworten. Er blieb nach 1945 im Justizdienst und wurde später zum Oberstaatsanwalt am Kieler Landgericht ernannt.

Peter Meyer-Strüvy



Zusammenstellung von Gegenwind-Artikeln (1998/99) zur Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" im Kieler Landeshaus als PDF-Datei (ca. 730 KB).

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