(Gegenwind 167, August 2002)

Eckernförder Beschaulichkeit?

Eckernförde besticht durch seine Beschaulichkeit, die nur von gelegentlichen Piratentagen und neuerdings auch Sirtakitänzen unterbrochen wird. Geschichte wird dort zur Zeit groß geschrieben, gilt es doch 700 Jahre verbriefte Existenz zu feiern.

Plattdeutsches Hörbuch

Der Blick auf die Seite "Geschichte" der Internetpräsentation Eckernfördes ergibt folgende Informationen zur jüngeren Stadtgeschichte:

"Eckernförde ist das älteste Bad der Nordmark, gegründet 1831 in Borby. Die Entwicklung des Fremdenverkehrs, der heute in der Stadt eine besondere Rolle spielt, nimmt damit ihren Anfang.

Eckernförde ist Garnisonsstandort; die militärische Präsenz beginnt 1912 mit der Errichtung des Schießstandes für die kaiserliche Torpedowerkstatt in Friedrichsort. 1935 bezieht die Marine die Anlagen in Carlshöhe. Bei Kriegsende hat die Torpedoversuchsanstalt rd. 7.000 Beschäftigte."

Mit Beginn des Fremdenverkehrs und der Militärstationierung - so scheint es - hat die Stadt ihre historische Vollendung erreicht. Kriege, Systemwechsel und dergleichen sind da nicht mehr erwähnenswert.

Doch damit genug des Spottes, immerhin findet sich im Eckernförder Stadtmuseum eine Dauerausstellung zur Arbeiterbewegung und der Zeit des Nationalsozialismus. Nicht viele Städte des Landes können (und wollen) damit aufwarten.

Vergessen und verdrängt ist der Ausstellungstitel und er wäre vielleicht auch passend für das vorzustellende Werk Astrid Matthiaes. Der Titel In dütt komodige Familjenbad... holt mich aber viel schöner bei meinem Eckernförde-Bild ab.

Für sechzig Minuten werde ich auf Platt in die Zeiten der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus geführt. Ich erfahre von kämpferischen Gewerkschaftern, Sozialdemokraten und Kommunisten. Lebendig wird mir Geschichte aufgeblättert vom Kapp-Putsch und seiner Niederschlagung durch Eckernförder Gewerkschafter, durch die Nazizeit bis zum Kriegsende. Was mir hier geboten wird, ist alles andere als ein Überblick. Nein, es sind sehr subjektive Einblicke, die mir von Zeitzeuginnen gegeben werden. Und sie erzählen spannend vom Überfall der Nationalsozialisten auf das Eckernförder Gewerkschaftshaus 1932, von den heimlichen Fahrten der kommunistischen Fischer, die Flüchtlinge aus Deutschland retteten und Flugblätter zurück brachten, aber auch vom letzten Besuch beim Vater im Gefängnis, bevor dieser umgebracht wurde.

Was der Erinnerung geholfen hat, war ein Arbeitskreis, der erst Anfang der achtziger Jahre, die verdrängte Geschichte ins öffentliche Bewußtsein rückte. Auch hierüber erfahren wir auf der CD. In diesen Zusammenhang hätte vielleicht der (er-)klärende Hinweis gepaßt, dass der NS-Bürgermeister Eckernfördes, Dr. Helmut Lemke, jahrzehntelang die Geschicke des Landes als Ministerpräsident und Landtagspräsident mitbestimmte.

Die freie Journalistin Astrid Matthiae hat diese Berichte 1988 aufgenommen. Die Idee hatte die gelernte Fischereibiologin bei einem Hafenspaziergang, dem ein Schnack mit einem Fischer folgte. Vermutlich leben inzwischen einige der Erzählenden nicht mehr. Umso größer der Verdienst, dass aus dem einstigen NDR-Feature 1999 dieses Hörbuch entstand.

Dass die komplette Geschichte auf Platt gebracht wird, verleiht dem Erzählten zusätzliche Lebendigkeit: "Darvun hett Gerda Ivers mit mi snakt", so Astrid Matthiae, "Na dat Intervie sää se to mi: »Dat is good, dat se Plattdüütsch mit mi snakt hebbt. Op Hochdüütsch harr ik Se dat gaarnich vertellen kunnt.«"

In dütt komodige Familjenbad... macht Lust auf mehr und regt vielleicht dazu an, auch andernorts Fragen nach der Vergangenheit zu stellen. Empfehlenswert, nicht nur für Eckernförde-Touristen.

Stephan Linck

Astrid Matthiae: In dütt komodige Familjenbad.... 1920 - 1945. Lüüd ut Eckernför un umto vertellt vun düstern Tieden. Plattdeutsches Feature auf CD. ISBN 3-00-005218-6.

Erhältlich bei Trau Dich (Kiel), Buchhandlung am Gänsemarkt (Eckernförde), Buchhandlung Goerke (Eckernförde), Carl-Von-Ossietzky-Buchhandlung (Flensburg), KZ-Gedenkstätte Ladelund, Buchhaus Weiland (Hamburg-Altona).

Oder direkt zu beziehen über Astrid Matthiae, Bernstorffstr. 160k, 22767 Hamburg, gegen Vorkasse auf das Konto 323714-202 bei der Postbank Hamburg (BLZ 20010020). Adresse, komplett und leserlich, im Feld "Verwendungszweck" des Überweisungsscheins nicht vergessen. Preis inkl. Versand: 16 Euro.

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