(Gegenwind 170, November 2002)

Die Heeresversuchsanstalt Peenemünde-Ost als "Historisch-Technisches Informationszentrum"

Disneyland für Raketenfreaks

Ein Salonfeldwagen der NVA der DDR lädt zu Soljanka ein, ein sowjetisches U- Boot liegt gigantisch festgefahren im winzigen Peenemünder Hafen. Flugzeug- und Raketenmodelle rosten im Gelände des "Historisch-Technischen Informationszentrums" vor sich hin. Die Besucher - es sind 300.000 im Jahr - schlendern mit Bockwürsten und Eis in den Händen umher. Das Seebad Peenemünde auf der Ostseehalbinsel Usedom hat sonst nicht viel zu bieten.

Das U-Boot ist eine der Hauptattraktionen. Der Besitzer und Schausteller des Wracks mit dem roten Stern ist ein grobschlächtiger Rechter. Vor Fernsehkameras klärt er schon mal darüber auf, dass große Erfindungen stets im Krieg gemacht wurden.

Die erste Ausstellung des HTI war kurz nach dem Ende der DDR aufgebaut worden und bestand vorwiegend aus Technikschrott. In den Gästebüchern waren Sympathiebekundungen alter Nazis, die in Nostalgie schwelgten, zu lesen. Internationaler Protest wurde daraufhin laut. Trotzdem hat es Jahre gedauert, bis unter Museumsleiter Dirk Zache eine neue Exposition konzipiert und aufgebaut wurde. Im vergangenen Jahr konnte sie endlich eröffnet werden. Sie wurde bisher überwiegend positiv kommentiert.

Der neue Film

Der Dokumentarfilm Peenemünde - Schatten eines Mythos, im Jahr 2000 hergestellt und als Video im Museumsshop erhältlich, wird im Eingangssaal gezeigt, im Durchgangsbereich, was die Akustik stark beeinträchtigt.

Zu Beginn des Films kommen ehemalige Mitarbeiter des "Projekts Peenemünde" zu Wort, ein Bauleiter, ein Monteur, ein Lehrling, der Leiter des Kraftwerks. Sie bezeichnen das V2-Vorhaben als "sehr eindrucksvoll", schwärmen von für damalige Verhältnisse "einmaligen Anlagen" und von der "größten Fernheizung Europas". Dann spricht ein ehemaliger Häftling. Dann sitzt der Kraftwerksleiter mit Frau, Hund, Blumentopf und Orangensaft vor der Kamera und sagt: "Unsereiner hat das verdrängt". "Das" sind die Leiden der Häftlinge.

Der Film geht zu technischen Problemen über. Triebwerk, Montage, ein Kinotheodolit, Raketenstarts, das Aufheulen der V2. Der Schießleiter spricht von "Teamwork" und von Wernher von Braun als "einem ausgesprochen faustischen Menschen". Ein Adjutant erinnert sich eher an das Bild eines "strammen SS- Manns", über den er seinerzeit zu fragen wagte, warum der denn nicht an der Ostfront sei. Der sei hier unentbehrlich, wurde ihm beschieden. "Hoho", lacht der Adjutant mit der scheppernden Fröhlichkeit alter Militärs, "da war ich aber ins Fettnäpfchen getreten!"

Nazi-"Wunderwaffe" V2

Nazi-"Wunderwaffe" V2

Raketenlärm. Die A4 war "das erste Gerät, da von Menschen gebaut wurde und in größere Höhen vorgedrungen ist", würdigt ein ehemaliger Mitarbeiter. Eine Abschussbasis der V2 in besetzten Frankreich. Von den Zerstörungen, die die V2 in London anrichtete, stumme Bilder, die britischen Luftangriffe auf Peenemünde werden mit hallendem Donner untermalt.

Man erwähnt das Fremdarbeiterlager Trassenheide. Es ist von Fremd-, nie von Zwangsarbeitern die Rede. Zwei französische Deportierte treten auf. Marcel Mathieu berichtet darüber, wie die Produktion nach Dora verlagert wurde. Sein Leidensgefährte ist schwer zu verstehen, Untertitel fehlen.

Der Logik des Films folgend, sind nun wieder ehemalige Mitarbeiter aus Peenemünde dran, sie versichern, "man war mit dem Herzen dabei", man war "mehr und mehr mit dem System verbunden", heute habe man eine "verkehrte Auffassung" von den Dingen, die Mitarbeiter von Peenemünde würden falsch beurteilt.

Der Film schließt mit den Worten eines ehemaligen Zwangsarbeiters, die faschistischen Wissenschaftler und Ingenieure hätten "ihre Seele an den Teufel verkauft".

Die neue Ausstellung

Im Eingangsbereich der Ausstellung im "Historisch- Technischen Informationszentrum" wird Peenemünde von der Museumsleitung als dreifaches Projekt vorgestellt. Unter dem Stichwort "Projekt Denkmallandschaft" erfährt man, dass "die 25 km² große Gemarkung Peenemünde eine Vielzahl von Boden- und Baudenkmälern vom 17. bis zum 20. Jahrhundert" birgt und daher bei der Nutzung "insbesondere die Belange des Landschafts- und Naturschutzes" zu beachten seien. Das "Projekt Bildung- und Begegnung" verspricht unter anderem: "Unter Berücksichtigung des historischen Ortes (...) stellen sich in Peenemünde Fragen nach dem Verhältnis von Mensch, Natur und Technik." Drittes Projekt ist eine "Internationale Bildungs- und Begegnungsstätte", die sich mit "Zukunftsfragen der Technologie, Ökologie, Politik und Ethik" beschäftigen werde.

Die erste Tafel der Ausstellung macht den Besucher mit dem philosophischen Anspruch ihrer Schöpfer vertraut. "Aufstieg und Einschlag stehen an den beiden Enden der Raketenflugbahn", erfährt er. Auf der einen Seite, so wird erklärt, steht die Begeisterung bei den Technikern der V2, auf der anderen Seite das Entsetzen der Opfer. "Die beiden Enden der ballistischen Parabel bezeichnen Chancen und Risiken, Hoffnungen und Gefahren jeder revolutionären technischen Neuerung." Die Raketenparabel, ein Gleichnis von Gut und Böse. Erst wenn die Rakete den höchsten Punkt der Parabel verlässt, sich senkt, niederstürzt, werde sie zur Waffe. Im Aufsteigen Richtung Kosmos symbolisiere sie jedoch das menschliche Streben nach Erkenntnis. So unschuldig verliefen Zeitzeugen zufolge die Forschungen an der V2, war Peenemünde die "Wiege der Raumfahrt", wie der Titel des früher gezeigten Dokumentarfilm des Museums besagte.

Dokumente der Ausstellung beweisen: Demagogie stand schon am Beginn des "Projekts Peenemünde". Zunächst gab es private Geldsammlungen für die Raketenforschung, für die bei "Friedensfreunden aller Länder" mit Schriften wie "Die Rakete als Weltfriedenstaube" und dem Argument "die Rakete hilft den Krieg töten" geworben wurde. Die Rakete A4 (Abkürzung für "Aggregat 4") entstand 1936. Der erste Schuss gelang im Oktober 1942.

Moral-Merkverse aus einer soldatischen Gebrauchsanweisung, der "A4-Fibel" von 1944, lauteten:

"Du lebst auf diesem Erdplaneten/ Im Zeitalter der Fernraketen./ Das Himmelsschiff im Weltenraum/ Ein Friedenswerk und Menschheitstraum -/ Mag das Jahrhundert einst begeistern." Darauf reimte sich, der Soldat müsse die Waffe erst einmal "meistern" - und dann mit jedem Schuss treffen, um den Feind zu vernichten.

Ab Mitte 1943 sollten "1000 Geräte pro Monat" hergestellt werden. Als Arbeitskräfte plante man Fachkräfte, Frontsoldaten, aus Angst vor Spionage zunächst keine ausländischen Arbeiter ein. Der Einsatz der Raketen war vor allem für England und Frankreich vorgesehen, die "Krönung" sollte das "Amerika-Gerät" werden, das die Strecke nach Amerika in 30 Minuten bewältigen sollte.

In den Räumen der Ausstellung des Peenemünder Museums erwartet den Besucher ein wahres Feuerwerk von Dekorationsideen. Der Basteleifer, mit dem zu Werke gegangen wurde, ist stupend. Man bewundert im Boden eingelassene Vitrinen, Stellwände mit ausgefrästen Planeten- und Sternenmotiven, hinter deren Fenstern Bücher aus dem Science-Fiction-Bereich liegen, mannshohe Stellgerüste für Infotafeln, in Gestalt diverser Raketen montiert, Bildtafeln in verschiedenen Formen, drehbar, dreieckig geschnitten, unter Glas, limonadenfarbig illuminiert. Rosa, gelbe, hellblaue Spots strahlen von der Decke, vor den Fenstern filtern hellblaue Vorhänge mit kosmischen Szenen das Licht. Tafeln in Form der Flaggen der USA, der Sowjetunion und Frankreichs zeigen die Entwicklung der Raumforschung in den drei Ländern. Im Techniksaal veranschaulicht eine Wand aus leeren Ordnern die Forschung und Buchhaltung in Peenemünde. Auf den Fluren informieren Wandtafeln mehrsprachig über die "politische Entwicklung" in Deutschland von 1934 bis 1945. Interessant sind dabei weniger die spärlichen Angaben als die ausgestellten Propagandaplakate, die farbenfroh gegen Rassenschande, für den Einsatz der Jugend im Volkssturm und - auf Russisch - für die ideologische Umkehr der sowjetischen Zwangsarbeiter werben.

Die Opfer

Mehrere Geländemodelle sind zu sehen. Eins davon ist mit blinkenden Lämpchen zur Auffindung der einzelnen Produktionstätten und Unterkünfte ausgestattet.

Im einzelnen führt das Modell auf:

Im Film werden keine Angaben über Opferzahlen gemacht. 1943 wurden für Peenemünde 2500 Häftlinge aus Buchenwald und Ravensbrück angefordert, nach der Besetzung ihrer Länder kamen Tschechen, Polen und sowjetische Kriegsgefangene hinzu. Historiker fanden schon zu DDR- Zeiten eine Liste von 171 im Krematorium Greifwald verbrannten Opfern des KZ Peenemünde.

In der Ausstellung wird angegeben, dass es sich dabei überwiegend um Deutsche gehandelt habe, ein Blick in die Listen belehrt jedoch darüber, dass es vor allem Gefangene aus der Sowjetunion und Polen waren, die meist angeblich am "Herzkollaps" oder an Tbc gestorben bzw. "auf der Flucht erschossen" worden waren. Der Zwangsarbeiter Stanislaus Kucharski wurde am 22. Januar 1944 "auf Anweisung Himmlers" gehängt.

Den Gefangenen ist ein eigener Raum gewidmet. Der Häftlingsanzug aus der früheren Ausstellung ist nicht mehr zu sehen, dafür ein Stapel alter Koffer. Während der Besichtigung laufen Videos an mehreren Computerbildschirmen gleichzeitig und dröhnt permanent die Versicherung Zarah Leanders aus den Lautsprechern, dass einmal ein Wunder geschieht. Die Videos enthalten Gespräche mit Zeitzeugen und ehemaligen Opfern. Bei allem Aufwand, den der Dokumentarist getrieben hat, die schlecht sortierten Aussagen erhellen den verbrecherischen Charakter des V2-Projekts kaum. Selbst die Wortmeldungen der Häftlinge werden durch Auswahl, Schnitt und Montage eines Teils ihrer Wirkung beraubt.

Ein weiterer Ausstellungsteil zeigt den Stollen Dora bei Nordhausen, wo mehr als 20.000 Häftlinge umgebracht wurden. Der Raum ist abgedunkelt, von halbrunder Form, hat matt verspiegelte Wände, Loren stehen auf Gleisen.

Neben Namenslisten von Opfern hängen Fotos von Widerstandssymbolen und -losungen von Häftlingen, darunter ein über Hammer und Sichel gelegter Davidstern - Erinnerung an inhaftierte sowjetische Juden.

Nach der Verlagerung der Raketenproduktion nach Dora wurden in Peenemünde eine V2- Erprobungsstelle und ein kleineres KZ weitergeführt. Insgesamt waren in Peenemünde 10.000 bis 15.000 Arbeitskräfte, darunter Tausende Häftlinge, eingesetzt. Etwa 500 Häftlinge und 200 Mitarbeiter kamen bei den Bombenangriffen der Engländer (Operation "Hydra") ums Leben. Mit 4000 Mann und 600 Bombern war das die größte britische Aktion gegen ein Einzelziel im Zweiten Weltkrieg - zugleich ein unglaublicher militärischer Misserfolg.

Den Abschluss der Peenemünder Ausstellung bildet ein abgedunkelter Meditationsraum, in dessen Mitte beleuchtete Trümmer liegen. Sie symbolisieren vermutlich die Trümmer der Geschichte.

Der Shop

Der Museumsshop war schon immer schlecht bestückt. Verkauft wurden vor allem die militaristischen Druckerzeugnisse aus dem regionalen Axel Dieterich Verlag. Neu hinzugekommen sind Bücher des Historikers Prof. Karl Heinz Jahnke, darunter die Biographie des holländischen antifaschistischen Widerstandskämpfers Johannes ter Morsche (Marie ter Morsche kann ihren Vater nicht vergessen). Daneben gestellt wurden Erinnerungen von Hanna Reitsch, einer Testpilotin der Nazis, das Buch Von Peenemünde nach Canavaral mit Vorwort von Wernher von Braun, die 1999 erschienene Rowohlt-Monographie über den "Meister aus Deutschland" und Bücher der DDR- Schriftstellerin Ruth Kraft, die eine kritische Sicht auf Peenemünde vermitteln, aber auch die Perspektive der ehemaligen Mitarbeiterin, der durch V2 die große Berufschance geboten wurde.

Anlässlich einer Anne-Frank-Ausstellung 2001 bot der Laden eine Kollektion von Büchern über Anne Frank und ihr Tagebuch. Im Umfeld selbstherrlichen Techniknazitums und opportunistischer Geschichtsvergewaltigung wirkte der Anblick ihres Kindergesichts peinigend. Die Ausstellung war Teil der Versuchs, Veranstaltungen mit kritischer Auseinandersetzung zum Thema "Drittes Reich" anzubieten. Dazu gehören auch das Theaterprojekt "Kraftwerk" und die Ausstellung "Schiffe versenken", Bilder, mit denen sich Künstler mit Militarismus im Alltag und mit der Geschichte von Peenemünde auseinandersetzen wollen. Ob die Botschaft ankam, ist ungewiss, in dem Saal hielt sich niemand auf. Die meisten Besucher stehen vor den Modellen, Maschinenteilen und vor den Flugzeugen im Gelände, viele sehen sich den Film an.

War Requiem

Am 28. September wurde im ehemaligen Kraftwerk von Peenemünde das diesjährige Usedomer Musikfestival mit dem "War Requiem" von Benjamin Britten eröffnet. Der russische Dirigent Mstislaw Rostropowitsch leitete Orchester und Chor. Die große Show mit 250 Musikern und Sängern - Kostenpunkt 350.000 Euro - war schon Monate vorher ausverkauft gewesen. Über tausend Zuschauer kamen. Zu den Ehrengästen gehörten der Bundespräsident Johannes Rau und der frühere sowjetische Präsident Michail Gorbatschow.

Der englische Komponist Benjamin Britten hatte das "War Requiem" 1962 für die Wiedereinweihung der von deutschen Bomben zerstörten Kathedrale von Coventry komponiert. Nun schien sechzig Jahre nach dem ersten erfolgreichen Raketenstart nichts passender, als das Requiem auch dort aufführen zu lassen, wo die Vernichtungswaffe gebaut wurde. Als "Botschaft der Versöhnung" wollte es die regionale Ostsee-Zeitung verstehen. Peenemünde habe "ein internationales Signal für Frieden und Verständigung" gegeben. Reicht dafür ein Konzert? Und hätte das Geld nicht besser für Bildungsarbeit ausgegeben werden sollen? Genau dies wird nämlich jetzt vom HTI beklagt: Geldmangel. "Finanzielle Sorgen in Peenemünde" hieß es eine Woche nach dem Event in der Ostsee-Zeitung. Der Aufbau einer Bildungsstätte und einer 25 Quadratkilometer großen Denkmallandschaft sei geplant, ihre Finanzierung ungewiss. Man favorisiert die Gründung einer Stiftung, an der Land, Bund, Kreis und - ein Schelm, wer Arges dabei denkt - die Luft- und Raumfahrtindustrie beteiligt sein sollen.

Linke Gruppen der Region haben bisher wenig zur Geschichtsaufarbeitung in Peenemünde beigetragen. Usedom gilt als "national befreite Zone". Antifaschistische Organisationen treten dort nicht in Erscheinung.

Eine Mahn- und Gedenkstätte Peenemünde wäre statt des Technik-Museums die angemessene Form der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Dass diese Möglichkeit versäumt wurde, kann nicht daran liegen, dass es in Mecklenburg- Vorpommern zu viele Gedenkstätten für die Opfer des Faschismus gäbe. Eine KZ-Gedenkstätte existiert nur in Wöbbelin. Das nahe gelegene Ravensbrück gehört zu Brandenburg.

Das nie fertiggestellte ehemalige "Kraft durch Freude"-Seebad Prora auf der Insel Rügen bietet in seinen gigantischen Ruinen ähnlich wie Peenemünde ein geschmackloses Sammelsurium von heimlicher Nazi-Verehrung, NVA-Nostalgie, Touristentrödel, Kunst und Technik. Auch hier lässt ein angemessenes Konzept auf sich warten.

Es könnte der Eindruck von unschuldiger Provinzialität entstehen, der nie stimmte und auch heute nicht stimmt, der aber gewollt ist: Denn der Tourismus gehört zu den Haupteinnahmequellen Mecklenburg- Vorpommerns. "Wir leben von den Usedom- Urlaubern", erklärte auch Dirk Zache. Passen die Opfer des Faschismus ins Wellness-Konzept?

Cristina Fischer

Historisch- Technisches Informationszentrum Peenemünde, Öffnungszeiten: April-Okt. 9-18 Uhr, Nov.- März 10-16 Uhr, Okt.-Mai montags geschlossen. eMail: HTI@peenemuende.de

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