(Gegenwind 171, Dezember 2002)

Neues Zuwanderungsgesetz

"Unerlaubte Zuwanderung" und "unerlaubter Aufenthalt" werden zunehmen

Im letzten Heft berichteten wir über eine Veranstaltung mit VertreterInnen aus Spanien und Belgien, die über "Legalisierungskampagnen" in ihren Ländern informierten. Mit dem Zuwanderungsgesetz soll im nächsten Jahr der gesamte Bereich der Einwanderung und des Aufenthaltes von Ausländern in Deutschland neu geregelt werden (vorausgesetzt, es wird nicht noch vom Verfassungsgericht wegen des Abstimmungstheaters im Bundesrat gestoppt). Jörg Alt vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst untersuchte deshalb, wie sich die neue Gesetzgebung auf den "unerlaubten", also illegalen, Aufenthalt auswirkt.
"Illegaler Aufenthalt" bedeutet, dass die Person unerlaubt eingereist ist oder nachträglich die Aufenthaltserlaubnis verloren hat - sei es, dass die Erlaubnis abgelaufen ist und nicht verlängert wurde oder dass z.B. ein Visum ungültig wurde, weil unerlaubt gearbeitet wurde.
Nun ist es so, dass Migration, Wanderung zur Geschichte der Menschheit dazu gehört. Es wird immer Menschen geben, die woanders als in ihrer Heimat leben wollen - entweder, weil sie es "zu Hause" wegen Verfolgung, Hunger oder Chancenlosigkeit nicht aushalten oder weil woanders wegen einer besseren wirtschaftlichen Lage oder weil dort schon Freunde und Bekannte wohnen das Leben so viel besser erscheint, dass sie sich auf den Weg machen. Kein Gesetz und keine Kontrolle kann das vollkommen verhindern. Insofern geht es nur darum, diese Wanderungsbewegungen im Rahmen der Politik zu steuern. Hier können Regierungen, auch die Deutschland, entscheiden,

Das wird dazu führen, dass mehr Flüchtlinge als bisher gar keinen Asylantrag mehr stellen, wenn sie herkommen, sondern gleich ohne Erlaubnis bleiben. Werden sie erwischt, können sie ja immer noch den Asylantrag stellen, werden sich viele denken - vielleicht geht es ja auch gut, versuchen wir es doch erst mal so.

Visum schwerer zu bekommen

Zu einem erlaubten Aufenthalt ist in der Regel eine erlaubte Einreise nötig, im Normalfall braucht man ein Visum. Das ist in Zukunft schwerer zu bekommen. Im Zuge der "Anti-Terror-Gesetze" ist es für Einreisewillige aus einer Reihe von Staaten, meistens die mit einer moslemischen Mehrheit, schwerer geworden, ein Visum zu bekommen. Liegt eine Einladung vor, wird der/die Einladende genau überprüft, alle Daten dürfen von der Ausländerbehörde oder der deutschen Botschaft an die deutschen Geheimdienste weitergegeben werden. Das wird einige davon abhalten, eine solche Einladung auszustellen.
Wer in einem mehrheitlich moslemischen Staat ein Visum beantragt, muss teilweise schon bei der Antragstellung Fingerabdrücke abgeben und wird fotografiert, gemessen und gewogen. Diese Daten gehen ebenfalls als Polizei und Geheimdienste, und zwar auch dann, wenn der Antrag selbst abgelehnt wird. Auch deshalb werden sich mehr Menschen als bisher überlegen, ob sie lieber herkommen, ohne zuvor das nötige Visum zu beantragen.

Niedrigere Qualität im Asylverfahren

In Zukunft sind die Einzelentscheider, die Asylanträge bearbeiten, nicht mehr unabhängig. Sie bekommen Richtlinien von den Vorgesetzten, wie Asylanträge zu entscheiden sind, und sie müssen ihre Entscheidungen den Vorgesetzten vorlegen. Im Gegenzug sieht die Bundesregierung vor, dass dann die Einzelentscheider nicht mehr eine gute Ausbildung brauchen, auch Beamte mit niedrigerer Qualifikation sollen in Zukunft Anhörungen durchführen können.
Außerdem sollen in Zukunft Asylverfahren aus Ländern, die der Innenminister festlegt, für eine bestimmte Zeit (erst mal sechs Monate, das kann aber verlängert werden) nicht entschieden werden. Erfahrungsgemäß sind das Länder, in denen Krieg oder intensive Verfolgung herrschen. Hier werden Asylanträge dann nur gelagert, erst wenn sich die Lage beruhigt und Asylanträge einfacher abgelehnt werden können, folgt die Entscheidung.
Wird ein Flüchtling doch anerkannt, gilt das neuerdings nur für drei Jahre. Dann wird noch mal geprüft, ob sich die Verhältnisse im Herkunftsland nicht "gebessert" haben und die Anerkennung nicht zurückgenommen werden kann. Möglicherweise haben Flüchtlinge hiervor Angst und tauchen unter, obwohl sie anerkannt sind.

Untertauchen als Missverständnis

Wer schon mal Bescheide des Bundesamtes gesehen hat, in denen Krankheit oder Existenznot als Grund anerkannt wurde, Flüchtlinge nicht wieder abzuschieben, kennt das Problem: In den Bescheiden steht nicht, dass die Abschiebung hiermit verboten wird. Vielmehr heißt der vorgedruckte Text: "Sie werden aufgefordert, Deutschland innerhalb von vier Wochen zu verlassen. Wenn Sie Deutschland nicht freiwillig verlassen, können Sie abgeschoben werden. Die Abschiebung nach ... wird verboten."
Diese Bescheide werden, nicht nur von Flüchtlingen, oft falsch verstanden. Das Abschiebeverbot, die wichtigste Nachricht, ist so versteckt, dass erst erfahrene BeraterInnen oder RechtsanwältInnen den Sinn erklären können. Flüchtlinge selbst, manchmal auch Freunde und Bekannte, lesen nur die Drohung mit der Abschiebung - und statt sich die Aufenthaltserlaubnis abzuholen, tauchen einige Flüchtlinge unter.
Auch im neuen Zuwanderungsgesetz heißt es (§ 59, Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes): "Dem Erlass der Anordnung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten nicht entgegen." Also, auch wenn die Abschiebung verboten ist, wird sie angeordnet und damit angedroht.

Ausreiseeinrichtungen

In Zukunft soll es eine neue Form von Lagern geben: Ausreiseeinrichtungen. Wer ausreisen soll, aber nicht abgeschoben werden kann, weil z.B. Papiere des Herkunftsstaates nicht zu bekommen sind, kann in Zukunft in Ausreiseeinrichtungen" eingewiesen werden. In drei Bundesländern, darunter Niedersachsen, gibt es solche Lager schon. Hier müssen Ausländerinnen und Ausländer unbegrenzte Zeit wohnen, bekommen Essen und ein Dach über dem Kopf, aber kein oder kaum Bargeld und haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe oder Wohngeld. Dazu gibt es Pflicht-Beratung, in denen ihnen die Aussichtslosigkeit weiterer Versuche, in Deutschland zu leben, klar gemacht werden soll. Das Ziel ist eine "freiwillige" Ausreise - oder eben das Untertauchen. Bei einem Modellversuch in Niedersachsen, einem Versuch mit mehreren hundert Menschen, tauchte mehr als die Hälfte unter. Denn diese Lager sind, anders als Abschiebegefängnisse, nicht abgeschlossen. Wer sie also in Richtung Illegalität verlassen will, kann das jederzeit machen - Hauptsache, es wird keine Sozialhilfe beantragt.
Die AusländerInnen, die hier eingewiesen werden, können nicht abgeschoben werden, sonst würden sie nach der aktuellen Gesetzeslage im Gefängnis landen. Insofern scheint der Hauptzweck der Ausreiseeinrichtungen zu sein, das Leben so unbequem zu machen, dass Illegalität attraktiver wirkt als das Lager.

Kinder-Nachzug beschränkt

Während bisher Kinder, die noch im Ausland leben, zu ihren hier lebenden Eltern kommen dürfen, schränkt das neue Zuwanderungsgesetz diese Möglichkeit ein. Kinder dürfen nur vor ihrem 12. Geburtstag kommen, danach müssen sie Deutschkenntnisse nachweisen oder die Eltern müssen die privilegierten "Green-Card-InhaberInnen", also zumeist Akademiker sein. Sind die Eltern Arbeiter oder Angestellte, müssen die Kinder draußen bleiben oder illegal kommen. Auch diese Regelung wird die Zahl der Illegalisierten erhöhen.

Einwanderung nur für Akademiker?

Die neuen Möglichkeiten der Einwanderung begünstigen gut ausgebildete Leute. Hochqualifizierte bekommen noch vor der Einreise eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis (=Niederlassungserlaubnis) und dürfen Familienmitglieder nachholen, auch ohne dass diese Deutsch können. Ansonsten gibt es eine Zuwanderungsmöglichkeit mit Quoten- und Punkteregelungen, bei der auch besser Qualifizierte begünstigt werden. Sogenannte "Engpassarbeitskräfte" können fallweise vom Arbeitsamt zugelassen werden, bekommen dann aber eine eingeschränkte Aufenthaltserlaubnis ohne die Privilegien, was den Familiennachzug betrifft.
Es sieht fast so aus, als sei die Bundesregierung zufrieden mit der Situation, dass viele Jobs in der Gastronomie, auf dem Bau, im Tourismus, in der Landwirtschaft oder im Haushalt von Menschen ohne Papiere erledigt werden. Gerade für gering Qualifizierte sieht das neue Zuwanderungsgesetz kaum Möglichkeiten vor, legal einzureisen.

Während die Schwarzarbeit in Deutschland einen Umsatz von vermutlich fast 350 Milliarden Euro ausmacht, ist der Anteil "illegaler" AusländerInnen daran mit 13 Milliarden Euro relativ niedrig. Wichtig ist wohl nicht die Wirtschaftsleistung an sich, sondern die Funktion, die Löhne zu drücken - wer keine Aufenthaltserlaubnis hat, muss jedes Lohnangebot akzeptieren.

Schlussfolgerungen

Insofern bleibt als Fazit festzuhalten, dass das neue Zuwanderungsgesetz zwar die Möglichkeiten besser Qualifizierter zur Einwanderung erhöhen soll, für die klassischen Bereiche illegaler Beschäftigung aber keine Verbesserung anstrebt, sondern im Gegenteil die Zahl der Menschen ohne Aufenthaltsrecht vergrößern wird und wohl auch vergrößern will.
Deutlich wird dies auch an der Entwicklung des Punktesystems, mit dem eine Einreiseerlaubnis erreicht werden kann: Hier fehlt im Gesetz ausdrücklich das Kriterium, dass schon Integrierte, also Menschen, die Deutsch sprechen und das Sozial- und Gesellschaftssystem dieses Landes kennen, sich um eine Aufenthaltserlaubnis bewerben dürfen. Diese Möglichkeit steht nur Menschen offen, die sich im Ausland bewerben oder sich erlaubt in Deutschland aufhalten.

Reinhard Pohl




Literatur zu diesem Artikel: Die umfangreiche Stellungnahme des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes/Jörg Alt ist in Kopie für 5 Euro bei der Gegenwind-Redaktion erhältlich.

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