(Gegenwind 174, März 2003)

Vier Interviews: Irakische Schleswig-HolsteinerInnen über den angekündigten Krieg

"Wir Kurden haben keine Angst vor den USA"

Solaf Aligalib

Gegenwind:

Seit wann lebst du in Deutschland?

Solaf Aligalib:

Seit 1996, ich war damals 25 Jahre alt.

Gegenwind:

Wie hast du bis 1996 gelebt?

Solaf Aligalib:

In meiner Kindheit, bis 1982, lebte ich in Bagdad. Mein Vater hat dort studiert und seine Doktorarbeit geschrieben. 1982 sind wir nach Erbil umgezogen. Dort bin ich weiter zur Schule gegangen und habe auch studiert.

Gegenwind:

Was hast du studiert?

Solaf Aligalib:

Sportwissenschaft. Das Studium ist hier in Deutschland aber leider nicht anerkannt worden.

Gegenwind:

Und warum bist du mit deinem Mann nach Deutschland gekommen?

Solaf Aligalib:

Mein Mann war beim INC, dem Nationalkongress aktiv. Der Nationalkongress ist ein Zusammenschluss von Oppositionsparteien und Oppositionsgruppen, das sind kurdische Gruppen, schiitische, islamische, kommunistische. Sie haben sich gegen Saddam Hussein zusammengeschlossen. Mein Mann war als Techniker verantwortlich dafür, dass in den Häusern und bei Versammlungen die Heizung oder die Klimaanlage funktionierte, die ganzen elektrischen Anlagen, die Stromversorgung. Viele vom Nationalkongress sind getötet worden oder mussten wie wir ins Ausland fliehen.

Gegenwind:

Wie hast du den Krieg gegen den Iran erlebt?

Solaf Aligalib:

Erbil liegt hundert Kilometer von der Grenze entfernt, aber ich war auch bei Verwandten in Suleymania an der Grenze. Es war schlimm. Wir waren oft im Bunker, weil iranische Flugzeuge angriffen, und sie haben Bomben nicht nur auf militärische Ziele abgeworfen. Am schlimmsten waren die Raketen, wir wussten nie, aus welcher Richtung sie kommen und wo sie explodieren.

Gegenwind:

Und wie ist deine Erinnerung an den ersten Golfkrieg?

Solaf Aligalib:

Das war noch schlimmer. Ich habe miterlebt, wie die Peschmerga, die kurdischen Freiheitskämpfer, die Revolution in Suleymania gemacht haben. Alle Leute von der Baath-Partei wurden umgebracht, viele wurden vorher gequält. Die Toten lagen auf der Straße, es war schrecklich. Es dauerte nur kurze Zeit, dann kam die irakische Armee. Viele Leute aus Kirkuk, aus Suleymania und auch aus Erbil mussten fliehen. Sie flohen in die Türkei oder den Iran. Es gab damals wenig Benzin, die meisten mussten zu Fuß fliehen. Wir flohen in den Iran, dort haben wir mehrere Monate in Zelten gelebt, mit meiner Mutter und meinen Schwestern, mein Vater war damals in einer anderen Stadt. Viele sind damals krank geworden, sie litten an Durchfall, viele sind gestorben.

Gegenwind:

Was erwartest du jetzt im März oder April?

Solaf Aligalib:

Die USA werden den Krieg anfangen. Und wir Kurden haben keine Angst vor den USA, wir wollen, dass Saddam Hussein weg kommt. Saddam Hussein ist eine Gefahr für die ganze Region, er hat immer noch Massenvernichtungswaffen, er muss weg. Auch wenn viele Menschen in einem Krieg sterben können - jetzt sterben auch viele Menschen. Ich habe gerade mit meiner Mutter telefoniert, alle versuchen jetzt, Lebensmittel zu besorgen und zu lagern, sie bereiten sich vor.

Gegenwind:

Im Norden des Irak, aus dem du kommst, stehen ja auch türkische Truppen. Haben die nicht eigene Interessen?

Solaf Aligalib:

Ja, sie wollen Kirkuk und die Umgebung für die Türkei, weil es dort viel Öl gibt. Die türkische Armee war noch nie gut für die Kurden, sie werden auch jetzt den Kurden nicht helfen.

Gegenwind:

Der Iran unterstützt ja nur bestimmte Gruppen der Opposition, die islamisch und schiitisch sind. Was erwartet ihr nach einem Sturz von Saddam Hussein? Wird der Irak eine islamische Regierung bekommen?

Solaf Aligalib:

Nein, das glaube ich nicht. Saddam Hussein geht ja jetzt auch oft in die Moschee, aber er hat immer eine Pistole dabei, er geht bewaffnet zum Gebet. Und auch sonst, im Norden ist alles seit dem Golfkrieg viel europäischer geworden. Die beiden kurdischen Organisationen, die PUK und die KDP, hatten am Anfang viele Probleme miteinander, aber jetzt haben sie sich geeinigt.

Gegenwind:

Andere Verbündete der USA sind Saudi-Arabien und Kuwait. Beides sind keine demokratischen Staaten, beide haben islamische Gesetze. Ist das nicht negativ für die Zukunft des Irak?

Solaf Aligalib:

Nein, das wird sich nicht durchsetzen. Ich sehe ja häufig Berichte aus Kuwait, seit dem letzten Krieg ist das Land noch viel europäischer geworden. Die Menschen dort sind reich und leben im Luxus, und es sieht gar nicht aus wie ein islamisches Land. Das einzige islamische Land in der Region ist wirklich der Iran, und dort ist die Regierung immer noch viel besser als die Regierung im Irak.

Gegenwind:

Wie siehst du die Politik der deutschen Regierung?

Solaf Aligalib:

Naja, sie haben vorher gesagt, dass sie bei einem Krieg nicht mitmachen wollen, weil sie mehr Flüchtlinge und mehr Asylanträge befürchten, jetzt müssen sie das Versprechen halten.

Gegenwind:

Bist du hier aktiv?

Solaf Aligalib:

Es gab hier regelmäßige Treffen, es haben sich bei der ZBBS regelmäßig Kurdinnen und Kurden aus dem Irak getroffen. Dort haben wir aber mehr kulturelle Veranstaltungen organisiert, also unsere Newroz-Feier vorbereitet. Wir haben keine öffentlichen Veranstaltungen oder politische Veranstaltungen gemacht. Aber wir hatten kein Geld mehr, im Moment gibt es diese Treffen nicht mehr.

Gegenwind: Bist du denn eher Kurdin oder Irakerin?

Solaf Aligalib:

Kurdin. Aber auch Irakerin. Kurdistan ist ja auf vier Staaten aufgeteilt, aber jetzt gibt es bei uns eine kurdische Regierung. Aber wir wollen beim Irak bleiben.

Gegenwind:

Hält denn das Oppositionsbündnis? Es sind ja sehr verschiedene Gruppen und Parteien, die alle Gegner von Saddam Hussein sind. Können sie eine gemeinsame Regierung bilden, wenn Saddam Hussein weg ist?

Solaf Aligalib:

Ich glaube ja. Ich glaube, es gibt zuerst eine Militärregierung von den USA, aber der Irak braucht eine irakische Regierung. Die Kurden und die Araber müssen sich einigen, die Hauptsache ist für mich, dass der Irak ein demokratisches Land wird.

Interview: Reinhard Pohl

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