(Gegenwind 175, April 2003)

Keine schwarz-braune Kampagne gegen die neue Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht

Angriffe von rechts blieben ohne Erfolg

Von Mitte bis Ende der neunziger Jahre sorgte eine historische Ausstellung hierzulande für beispielloses Aufsehen: Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944, erstellt vom Hamburger Institut für Sozialforschung. Hunderttausende von BesucherInnen in vielen deutschen Städten sahen die Ausstellung, es gab ein überwältigendes Medienecho - und eine erbitterte schwarz-braune Kampagne dagegen, welche in den größten Nazi-Aufmärschen in Deutschland nach Kriegsende kulminierte. Die neu konzipierte Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944, die vom 4. April bis zum 18. Mai in Neumünster gezeigt wird, verläuft dagegen unspektakulär, die vehemente Kritik ist verstummt.

"Pauschale Verurteilung, verletzende Herabsetzung"

Von Beginn an war die schleswig-holsteinische CDU empört, als der Landtagspräsident Heinz-Werner Arens (SPD), gestützt von der Landtagsmehrheit, die Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944 ins Kieler Landeshaus holte. Der seinerzeitige CDU-Landeschef Peter Kurt Würzbach sah durch die Exposition "eine ganze Generation durch die Gleichstellung mit den Mördern pauschal diskriminiert", er drohte, der "inneren Frieden in Schleswig-Holstein" werde "stark belastet", sollte die Ausstellung im Landeshaus präsentiert werden.Anm. 1

Im Dezember 1998, etwa einen Monat vor Ausstellungseröffnung in Kiel, bekräftigte dann der bekannteste CDU-Politiker des Landes ausführlich die Ablehnung der Ausstellung: der inzwischen verstorbene ehemalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident und Bundesverteidigungsminister Gerhard Stoltenberg, ein promovierter Historiker. "Pauschale Verurteilung und verletzende Herabsetzung der Soldaten der Wehrmacht" sah er in der Ausstellung und behauptete, die Ausstellungsmacher wollten "die alte These der Kollektivschuld, gegen die Soldaten der Wehrmacht gerichtet, wieder beleben".Anm. 2 Solchen Angriffen schlossen sich zahlreiche konservative, und reaktionäre Organisationen, unter anderem die Vertriebenenverbände, an sowie ein Großteil der konservativen Presse, vor allem FAZ, Welt und Focus.

"Unsere Großväter waren keine Verbrecher": mit dieser Parole mobilisierten Neo­nazis der NPD und der "freien Kameradschaften" in vielen Städten, in denen die Ausstellung gezeigt wurde. Und sie erhielten Zulauf wie nie zuvor in der BRD. In München demonstrierten an die 5000 alte und neue Nazis für die "Ehre" der Wehrmacht. Auch in Kiel gab es am 30. Januar 1999 - dem Jahrestag der nationalsozialistischen Machtübernahme - den mit 1000 Teilnehmern größten faschistischen Aufmarsch seit Kriegsende. Aufgrund der reaktionären "Mobilmachung", bei dem Konservative, Rechtskonservative, Reaktionäre und Rechtsextremisten - bei allen stilistischen Unterschieden - die gleiche inhaltliche Stoßrichtung verfolgten - nämlich gegen die vermeintliche "pauschale Diffamierung aller Wehrmachtsangehörigen" - konnten sich die Neonazis als lauteste Verkünder von "Volkes Stimme" darstellen.

Kritik und Neukonzeption

Ende 1999 zog das Hamburger Institut die Ausstellung zurück. Grund war jedoch nicht die erwähnte Kampagne von rechts, sondern massive Kritik an der Art und Weise der Präsentation. Insbesondere die Einordnung einzelner Fotos und einzelne Bildlegenden waren immer wieder von einigen Historikern und in der Presse kritisiert worden, was in Vorwürfen der "Fälschung" gegen die Ausstellungsmacher gipfelte. Um die Glaubwürdigkeit des Projektes aufrecht zu erhalten und die Exposition von einer Fachkommission begutachten zu lassen, stoppte Institutsvorstand Jan Philipp Reemtsma die Ausstellung. Ob eine so weitgehende Reaktion angemessen war, darüber ließ und lässt sich streiten.

Denn die (teils berechtigte) Kritik ging keineswegs an den Kern der Ausstellung. Es ging im wesentlichen um den Umgang mit dem Bildmaterial. Dabei ist zu bedenken, dass die Fotos keineswegs irgendetwas "beweisen" sollten, sie dienten lediglich zur Illustration der Thesen, die durchweg anhand von schriftlichen Quellen belegt wurden. Somit kann die falsche Bezeichnung einzelner Fotos, ihre fehlerhafte historische Einordnung - die die Ausstellungsmacher unkritisch von seriösen Archiven übernommen hatten - die inhaltlichen Aussagen nicht erschüttern. Die Vorwürfe der Fälschung oder Manipulation wies die Historikerkommission zurück.

Der Hauptpunkt der rechten Kampagne gegen die Ausstellung, sie verunglimpfe zu Unrecht pauschal alle deutschen Soldaten, spielte in der seriösen Kritik und bei der Revision der Ausstellung keine Rolle. Das ist wenig verwunderlich, denn die Rechten bauten mit ihrer "Argumentation" einen Popanz auf, auf den sie dann einschlugen. Denn weder "die Wehrmacht" noch "alle Wehrmachtssoldaten" waren Thema der Ausstellung. Es ging vielmehr darum, dass die Wehrmacht in dem genannten Zeitraum an drei dokumentierten Kriegsschauplätzen in Ost- und Südosteuropa als Instrument eines weltanschaulich motivierten Vernichtungskrieges gegen Teile der Zivilbevölkerung - insbesondere Juden - fungierte. Diese Kernthese ist fachhistorisch unumstritten und wird deshalb auch in der neu konzipierten Ausstellung übernommen. Schon der neue Titel, der weiterhin den Zusammenhang "Vernichtungskrieg" - "Verbrechen der Wehrmacht" herstellt, macht dies klar.

Obwohl also die Ausstellung ihre zentralen Aussagen keineswegs revidiert hat, sondern vielleicht sogar noch deutlicher herausarbeitet, ist die Kampagne von rechts und ganz rechts nicht wieder belebt worden. (Mit Ausnahme des Kerns der Neonazis, der wie zu erwarten war, auch in Neumünster einen Aufmarsch gegen die Ausstellung angekündigt hat.) Denn trotz der Unterbrechung der Ausstellung Ende 1999 ist die Kampagne kein Erfolg gewesen, eher im Gegenteil hat sie der Ausstellung zusätzliche Popularität beschert, Hunderttausende besuchten sie und setzten sich mit den dokumentierten Verbrechen der Wehrmacht auseinander. Gesellschaftlich dürften sich die konservativen Propagandisten mit zunehmendem Erfolg der Ausstellung eher isoliert haben. Zudem hatte die CDU fortwährend mit Abgrenzungsproblemen zu Rechtsextremisten zu kämpfen, sie hat durch ihre Kampagne den (nicht unberechtigten) Eindruck erweckt, sie mache mit Nazis gemeinsame Sache.

In seiner Rede zur Eröffnung der ersten Ausstellung Vernichtungskrieg in Kiel urteilte Reemtsma darüber so: "Mit den Konvulsionen des Mobs hat man zu rechnen, wo immer man in Fragen der Politik und der Moral zu sehr differenziert. Sich darüber aufzuregen, wäre weltfremd. Etwas anderes aber ist, wenn der Mob Protektion durch die offizielle Politik erhält. Wenn etwa die Agitation eines Münchner Politikers einen der größten rechtsradikalen Aufmärsche der letzten Jahre zur - gewollten oder nicht gewollten - Folge hat."Anm. 3

In Henstedt-Ulzburg erreichte die schwarz-braune Allianz seinerzeit eine besondere Qualität: Der CDU-Ortsverband verteilte eine auf der Vorlage eines Nazis basierende Hetzschrift gegen die Ausstellung. Der damalige CDU-Landesvorsitzende distanzierte sich nicht davon. Solcherart offene Kooperation ist der CDU und dem konservativen Lager vielleicht doch zu heikel geworden.

Henning Hofmann

Anmerkungen

1     vgl. Gegenwind-Sonderheft Schleswig-Holstein und die Verbrechen der Wehrmacht, November 1998, Seite VI. Das Heft ist vergriffen, aber die wichtigsten Beiträge können auf dieser Website nachgelesen werden.

2     Der Beitrag von Stoltenberg ist dokumentiert im Gegenwind 124, Januar 1999, Seite 36.

3     Gegenwind 125, Februar 1999, Seite 37




Zusammenstellung von Gegenwind-Artikeln (1998/99) zur Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" im Kieler Landeshaus als PDF-Datei (ca. 730 KB).

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