(Gegenwind 176, Mai 2003)

Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht in Neumünster

Nur ein lokales Ereignis?

Die Proteststürme blieben diesmal aus. 1999 hatte es noch eine Landtagsdebatte und bundesweite Aufmerksamkeit gegeben, als die Ausstellung über die Verbrechen der deutschen Wehrmacht in Jugoslawien und der Sowjetunion im Kieler Landeshaus gezeigt wurde. Diesmal fand die Eröffnungsveranstaltung mit Ralph Giordano in der voll besetzten Stadthalle statt, der Boykott von CDU und FDP blieb nahezu unbemerkt. Allerdings ist auch die Ausstellung selbst kein großer Publikumsmagnet. Angesichts höherer Erwartungen enttäuschten die tausend BesucherInnen der ersten Woche die Veranstalter.

Kein Krieg im herkömmlichen Sinne

Die Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 - 1944 ist eine wirklich neue Ausstellung. Die Autorinnen und Autoren vom Hamburger Institut für Sozialforschung haben alle Fotos und alle Texte noch einmal auf den Prüfstand gestellt. Alle Archive, aus denen einzelne Unterlagen stammten, wurden noch einmal besucht, alle Informationen noch einmal recherchiert.

Dazu kam ein Effekt, mit dem die Ausstellungsmacher nicht gerechnet hatten: Die große, bundesweite Auseinandersetzung brachte eine Fülle neuer Dokumente hervor. Etliche Menschen durchforsteten den Keller oder den Dachboden der eigenen Wohnung und förderten Tausende von Fotos, Briefen, Tagebüchern etc. zu Tage, die dem Institut zugesandt wurden - so viel Material, dass es bis heute nicht vollständig gesichtet und ausgewertet werden konnte. Wenn die Kritiker gehofft hatten, durch ihre Proteste die Wehrmacht von den Vorwürfen entlasten zu können, so haben sie in Wirklichkeit das Gegenteil erreicht. Die neue Ausstellung zeigt, dass alle Verbrechen und noch mehr tatsächlich geschehen sind, wer dafür verantwortlich war - und sie belegt dies akribischer und genauer als die letzte Ausstellung. Natürlich, nach der Auseinandersetzung darf sich das Institut keine Fehler mehr erlauben.

Die neue Ausstellung zeigt vier Dimensionen des Vernichtungskrieges in drei Stufen: In der Mitte des Raumes informieren große Stellwände über das damals geltende Völkerrecht und die grundlegenden Befehlen der Wehrmachtsführung. Diese zentralen Informationen werden von vier Säulen umstellt, die kurz und knapp über den Völkermord an den Juden, die mörderische Behandlung von Kriegsgefangenen, den Partisanenkrieg und die Besatzungspolitik, die das Verhungern der einheimischen Bevölkerung sowie die Gewinnung von Zwangsarbeitern vorsah. Als zweite Stufe gibt es ausführliche Foto- und Textwände, die das Thema an einzelnen Beispielen darstellen. Und wer mehr als zwei Stunden Zeit hat, kann sich in eine Kabine setzen und noch umfangreicheres Material zu diesen Einzelbeispielen durchblättern, betrachten und lesen.

Ein Hinweis noch zum Thema Zeit: Der Ausstellungskatalog bildet die gesamte Ausstellung eins zu eins ab. Wer also zu wenig Zeit hat, alles zu betrachten und zu lesen, muss nur 30 Euro ausgeben und einige Kilo Papier nach Hause schleppen.

Zur Ausstellung Dimensionen des Vernichtungskrieges gibt es mehrere "Nebenausstellungen": Eine dokumentiert den Umgang mit Fotos als historische Quellen und erläutert, welche Erklärungen und Beschriftungen einzelner Fotos in verschiedenen Archiven vorgefunden werden. Eine weitere Nebenausstellung heißt Handlungsräume und zeigt beispielhaft, welche Widerstandsmöglichkeiten Wehrmachtssoldaten hatten und nutzten.

Nazi-Demonstration

Gegen die Ausstellung protestierten schon am ersten Sonnabend Nazis, zusammengerufen durch den "Club 88" ("88" = "Heil Hitler") und den sogenannten Landesvorstand der NPD. Da dieser mit der Bundesführung im Streit liegt, hatte die Gesamtpartei allerdings am gleichen Sonnabend zu einer anderen Demonstration aufgerufen. Doch das wird nicht der einzige Grund gewesen sein, weshalb sich nur ungefähr 300 statt der angekündigten 2000 Nazis versammelten. Der Aufmarsch verzögerte sich zudem durch den Streit mit einem der Busfahrer, der TeilnehmerInnen von auswärts nach Neumünster transportieren sollte und plötzlich streikte, um zwei Stunden.

Die Demonstration selbst wurde von rund 1300 Polizisten mit Wasserwerfern und Räumpanzern durch bereits Stunden zuvor abgesperrte Wohngebiete geleitet, nur einzelne GegendemonstrantInnen konnten sich dem Zug auf Hörweite nähern. Auch AnwohnerInnen ließen sich nur vereinzelt hinter den Vorhängen ihrer Wohnungen blicken. Allerdings griff die offensichtlich unterbeschäftigte Polizei noch ungefähr 200 GegendemonstrantInnen in der Nähe des Bahnhofs, ein ganzes Stück entfernt von der Nazi-Demonstration an, verletzte einige, kesselte den Rest ein und nahm etwa 100 Personen fest.

Reinhard Pohl

Begleitprogramm

Einige Neumünsteraner Initiativen haben sich zusammen getan und ein umfangreiches Begleitprogramm auf die Beine gestellt (siehe Gegenwind 175, Seite 25). Auch dieses leidet etwas darunter, dass die Ausstellung eben nicht überregional diskutiert wird, und Neumünster selbst ist nun mal keine Großstadt. Angesichts der Qualität der einzelnen Veranstaltungen ist allerdings zu hoffen, dass sich die zentrale, verkehrsgünstige Lage der Stadt noch positiv auf die BesucherInnen-Zahlen auswirkt.

Zur Debatte um die erste Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht", Januar 1999. im Kieler Landeshaus.

Zur Startseite Hinweise zu Haftung, Urheberrecht und Datenschutz Kontakt/Impressum