(Gegenwind 183, Dezember 2003)

Streit um die TEV in Neumünster

"Wir hoffen auf einen demokratischen Bürgerentscheid"

Offener Brief an Herrn Landesumweltminister Müller

Sehr geehrter Herr Minister!
Es ehrt Sie und unterscheidet Sie von vielen Politikern, dass Sie sich als noch lernfähig bezeichnen. Auch ehrt es Sie, dass Sie im Gegenwind auf unsere Initiative eingehen (der Beitrag von Umweltminister Klaus Müller, Bündnis 90/Grüne, ist im Gegenwind 182, November 2003 erschienen), aber wir vermissen dabei klare Argumente. Es gibt eine Menge Kritik, die wir Ihnen, Herr Minister, nicht ersparen können.

Einerseits schreiben Sie, eine europaweite Ausschreibung wäre zulässig, andererseits vertreten Sie die Meinung, dass wir die Schadstoffe nur im eigenen Ländle im Griff hätten. Mülltourismus ohne Kontrolle der Verarbeitung - nein, Mülltourismus mit Kontrolle - ja? Wenn Sie schreiben, dass das Land den Kommunen und Kreisen keine Vorgaben macht, wo eine Entsorgungsanlage entsteht, so stellen Sie Ihren Einfluss sicherlich unter den Scheffel. Sorry, Herr Minister, aber wir nehmen Ihnen nicht ab, dass Sie eigentlich keinen Einfluss und bei Einhaltung der rechtlichen Bedingungen auch keine Handhabe gegen die Entscheidung der Kreise bzw. kreisfreien Städten haben. Welche Rolle kommt dem Landesminister für Umwelt, Naturschutz und Landwirtschaft tatsächlich zu, außer die kommunalen Entscheider zu loben? Ein "Gutes" hätte die von den Landkreisen anscheinend "freiwillig und unabhängig entworfene Landesentsorgungsstruktur": Wir haben einen unbefleckten touristisch-wertvollen Landesteil Schleswig und einen wertschöpfenden umweltbewussten Landesteil Holstein.

Dann, Herr Minister, fänden wir es besser, jeder entsorgt seinen Dreck selbst und Sie überwachen die umwelttechnische Unbedenklichkeit. Ihre Partei zog in den Wahlkampf mit der Aussage, dass Großprojekte nur den Müllsog unterstützen und jetzt haben Sie dazugelernt, dass nur so eine zweckmäßige Abfallentsorgung möglich ist? Ist es nicht vielmehr so, dass bei einem Erfolg der Bürgerinitiativen in Neumünster das Landesumweltkonzept ausgehebelt werden würde, das maßgeblich Ihre Handschrift trägt? Und deshalb muss das Konzept der SWN richtig sein?

Auch wir mussten vieles dazu lernen - zum Beispiel, dass ein Bürger Vollblutjurist sein müsste, um ein Bürgerbegehren richtig zu formulieren, oder dass man sich erst eigendidaktisch zum Halbexperten in Sache Umweltpolitik machen muss, um die Argumentationskette der Abfallplaner zu verstehen. Ferner gelangten wir zu der Überzeugung, dass nur der, der im richtigen Sattel sitzt, bestimmen darf, was für die Bürger gut ist. Klingt es sehr politikverdrossen? Das soll es auch! In den letzten Monaten haben wir gelernt, dass der Wille der Bürger nichts zählt, wenn es nicht den Interessen der Regierenden entspricht. Auch ihre Partei hat viel dazu gelernt! Vergessen Sie aber nicht: Grundsatz einer repräsentativen Demokratie ist das Vertrauen in die Legislative und die Verlässlichkeit der Exekutive. Insofern hoffen wir, dass das Bürgerbegehren ohne erneute Verzögerung anerkannt wird und es bald zur Durchführung des Bürgerentscheids über die TEV in Neumünster kommt. Ein erneutes Ignorieren der Meinung von mehr als den geforderten 10 % der Wahlberechtigten wäre ein politischer Offenbarungseid der Landesregierung.

Aber wenden wir uns der sachlichen Thematik zu: Sie befürworten das MBA-Konzept. Es ist schwer etwas gegen Müllsortierung sagen zu wollen, doch wenn man in einer MBA nur schreddert und siebt, hat man statt grobem inhomogenen Müll feinen inhomogenen Müll anstelle eines homogenen "sauberen" Ersatz-Brennstoffs, der sich dann - vielleicht - schadstoffarm verbrennen lässt. Besser noch sind vollautomatische, hochmoderne Sortieranlagen, die die einzelnen Abfallbestandteile so sauber trennen können, dass man sie werkstofflich oder rohstofflich verwerten kann statt sie zu verbrennen.

Sie schreiben, dass die MBA und TEV klimapolitisch vorteilhaft sind. Die Sache mit dem Klimaschutz und der vermeidlichen Kohlendioxideinsparung durch Müllverbrennung ist selbst für einen Ingenieur schwer verständlich und der Kompromiss mit dem Emissionshandel ist bei dieser Diskussion eher kontraproduktiv. Leider gehen auch Sie nicht explizit auf diese Thematik in Zusammenhang mit dem Unterschied zwischen MVA, TEV und Kohlefeuerung ein. Wenn man also einen Brennstoff mit 8.000, 16.000 oder 32.000 kJ/kg verbrennt, der sich zu 25, 50 oder 100% aus fossilen Brennstoffen zusammensetzt, dann ist in unserem Einmaleins die Erzeugung von "fossilem CO2" gleichgroß, während die Erzeugung von "regenerativem CO2" von 75 bis 0% reicht, die dann aber zusätzlich auftritt.

Ob die thermische Verwertung der heizwertreichen Fraktion aus einer MBA in Form einer TEV der Königsweg ist, der von den Befürwortern der TEV sogar als einzige Alternative bezeichnet wird, ist kritisch zu hinterfragen. Ist es nicht wirtschafts- und umweltpolitisch interessanter, eine moderne rohstoffliche Verwertung von Seiten der Landesregierung zu unterstützen und damit Arbeitsplätze, Wertschöpfung und Vorreiterposition für Schleswig-Holstein zu sichern? Ist Kryo-Recycling, Thermolyse oder Hydrierung nicht sinnvoller als eine TEV/MVA, die zudem die gewonnene Energie nur teilweise ausnutzen kann?

Sie machen Unterschiede bei den Schadstoffen zwischen Grenz- und Betriebswerten. Natürlich ist auch uns dieser Unterschied bewusst, nur wird jeder wirtschaftlich orientierter Betrieb nur soviel "Umweltschutz" betreiben, wie unbedingt notwendig. Sind also die Grenzwerte hoch, werden auch die Betriebswerte nicht unnötig niedrig liegen. Wie kann man aber Betriebswerte vorhersagen, wenn a) der Brennstoff unbekannt ist (siehe Aussage des UBA zum Ersatz-Brennstoff) und b) die Anlagentechnik unbekannt ist, da es sich um eine Musteranlage handelt?

Auch wenn die gesetzlichen Grenzwerte eingehalten werden, gibt es hohes Gefährdungspotential:

Aufgrund dieser Fakten ist es aus Sicht der Bürgerinitiative unverantwortlich, eine derartige Anlage mitten in eine 80.000 Einwohner-Stadt zu setzen und das Verfahren als Umstellung der Feuerungsart von Kohle auf Ersatzbrennstoff zu deklarieren und gem. 6. BimschV zu genehmigen. Es wird höchste Zeit, dass derartige Anträge mindestens als wesentliche Änderung gemäß §16 BimschG eingestuft werden und dass in Schleswig-Holstein wie in Nordrhein-Westfalen eine Abstandsregelung (mindestens 500 m zur nächsten Wohnbebauung) eingeführt wird. Das einzige Argument für eine derartige Errichtung in der Nähe einer Wohnsiedlung, die günstigere Fernwärmenutzung, wird durch die Eigenheit der Abfallverbrennung, dass das ganze Jahr über gleichviel Müll anfällt und verbrannt werden muss, zunichte gemacht. Denn im Sommer verbrennt man weitestgehend ohne Fernwärmeausnutzung.

Die erforderliche Unterschriftenanzahl für das Bürgerbegehren gegen die TEV ist erreicht, hoffen wir nun auf einen demokratischen Bürgerentscheid zu diesem Thema. Und dann Herr Minister sind wir dankbar für Ihre Unterstützung bei der Entwicklung eines Landesabfallkonzeptes ohne TEV in Neumünster!

Bürgerinitiative gegen Müllverbrennung in Neumünster
Rolf-Werner Senczek

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