(Gegenwind 184, Januar 2004)

Halbinsel Eiderstedt:

Mobilisierung gegen Vogelschutzgebiet

Nicht nur durch Einschränkungen der Strandbeparkung lässt sich eine beachtliche Zahl von Bewohnern der Halbinsel Eiderstedt mobilisieren, auch die längst überfällige Ausweisung eines großflächigen Vogelschutzgebietes nach der EU-Richtlinie 79/409/EWG hat ihren Zorn und Widerstand erregt.

Nun sind Widerstände und Proteste gegen Naturschutzmaßnahmen keine völlig neue Erscheinung. Hartnäckigkeit und Heftigkeit der Widerstände einer großen Zahl der Bewohner dieser weit in die Nordsee hineinragenden Halbinsel sind dennoch ungewöhnlich. Der massive Protest vieler Eiderstedter kam zuletzt Anfang Dezember auf einer Veranstaltung mit Umwelt- und Landwirtschaftsministers Klaus Müller in der Stadt Garding - in der Mitte Eiderstedts - zum Ausdruck. Über 1000 Eiderstedter hatten sich auf den Weg gemacht. Brennende Strohballen und zahlreiche landwirtschaftlichen Fahrzeugen mit eingeschalteten Warnleuchten sollten Aufruhrstimmung erzeugen.

vollständig erhaltene historische Getreidewindmühle
Eine der wenigen noch vollständig erhaltenen historischen Getreidewindmühlen. Die vorhandenen Mühlen werden allerdings nur noch zu Wohnzwecken oder als Künstlerwerstatt genutzt.

Widerstand gegen Naturschutz mit Tradition

Die Hintergründe der Widerstände gegen Naturschutzmaßnahmen sind vielschichtig, müssen wohl vor allem auch natur- und kulturgeschichtlich erklärt werden. Die Bevölkerung war bis vor wenigen Jahrzehnten fast völlig von der Landwirtschaft abhängig, weitgehend auf sich allein gestellt und sie war auch immer wieder von den Nordseefluten bedroht. Sturmfluten mit zahlreichen Menschenopfern liegen zwar weit zurück, aber größere Schäden gab es noch durch die Februarflut 1962, in Hamburg kamen auch Menschen um. Die ebenfalls schwere Sturmflut vom Januar des Jahres 1976 richtete in der Region kaum noch Schaden an, doch die Bedrohung des Landes durch die Naturgewalten, das in den letzten Jahrhunderten "dem Meer abgerungenen" worden ist, ist in den Köpfen der hier oft seit vielen Generationen lebenden Menschen präsent. Der Tourismus hatte sich über viele Jahrzehnte fast selbstständig entwickelt und wirtschaftliche Schwierigkeiten vielfach verdeckt oder kompensiert, ja örtlich überkompensiert. Der Zusammenhang von Naturschutz und Tourismus vermochte man nicht zu erkennen.

So wurde auch die 1985 schließlich vollzogene Ausweisung des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer nicht nur mit Unverständnis begleitet, sondern heftig bekämpft. Am Rande sei vermerkt, dass die damals oppositionelle SPD ein eher unverbindliches Großschutzgebiet vorgeschlagen hatte. Die Widerstände gegen die vor wenigen Jahren erfolgte Erweiterung des Nationalparks konnten nur durch schmerzliche Kompromisse gedämpft werden.

Für die Halbinsel Eiderstedt war Anfang der neunziger Jahre im Rahmen der einige Jahre zuvor durchgeführte Biotopkartierung festgestellt worden, dass aufgrund des Vogelreichtums und des weitgehend ungestörten Landschaftsbildes eine Ausweisung als Landschaftsschutzgebiet zu erfolgen habe. Der Landrat des Kreises Nordfriesland als zuständige Untere Naturschutzbehörde hatte die Durchführung einer Ausweisung allerdings nicht vorgenommen. Das Umweltministerium könnte zwar eine Weisung erteilen, diese ist bisher jedoch auch nicht ansatzweise erfolgt.

Widerstände gibt es nach der verschränkten Logik in der Region auch gegen die Pläne, das Biosphärenreservat, zur Zeit decken sich seine Grenzen prinzipiell mit denen des Nationalparks, durch eine landseitige Entwicklungszone den Kriterien der UNESCO anzupassen. Schließlich wird auch eine offizielle Meldung an die UNESCO zur Anerkennung des Wattenmeeres als Weltnaturerbe abgelehnt.

Zwischen Hoffnung, Einsicht und Klageandrohung

Zwei erfreuliche Ausnahmen lassen allerdings ein wenig Hoffnung aufkommen: Die Halligen sind bereit, nicht zuletzt wegen der Aussicht auf zusätzliche Finanzmittel, sich in das bestehende Biosphärenreservat zu integrieren. Die Mehrheit des Nordseebäderverbandes und dessen ehemaliger Vorsitzender, der nordfriesische Landrat Olaf Bastian, setzen sich für die Anmeldung des Wattenmeeres als Weltnaturerbe ein. Der Landrat hatte sich trotz seiner wohl vor allem auch parteipolitisch motivierten Ablehnung eines Landschaftsschutzgebietes zumindest teilweise erfolgreich gegen die Verbauung der Landschaft Eiderstedt mit Großwindenergieanlagen eingesetzt.

Durch einigermaßen konkrete Klagedrohungen und -vorbereitungen der EU-Kommission wird die Ausweisung eines Vogelschutzgebietes für die Landesregierung jetzt allerdings ernst. Die Vogelschutzrichtlinie von 1979 hätte eigentlich schon Anfang der achtziger Jahre umgesetzt werden müssen. Doch wie andere Mitgliedsstaaten und andere Bundesländer hatte man zunächst auch in Schleswig-Holstein verschiedene Verzögerungstaktiken angewandt. Auf Eiderstedt wird wegen einer hier noch in größerer Zahl vorkommenden besonders schützenswerten Vogelart, der Trauerseeschwalbe, seit den neunziger Jahren schließlich auf kleineren geeigneten Flächen eine besondere Form des Vertragsnaturschutzes angeboten. Dieses Vorgehen war sogar mit dem regionalen Naturschutzbeirat abgestimmt worden. Mit diesem Vorgehen sollte aber gleichzeitig die Ausweisung eines größeren Vogelschutzgebietes oder mehrerer Schutzgebiete unterlaufen werden. Damit erhoffte man sich vermutlich zudem eine hohe Akzeptanz für den Naturschutz insgesamt, bei den betroffenen Landeigentümern, den Pächtern und deren Umfeld. Eine trügerische Hoffnung, wie sich bedauerlicherweise bereits mehrfach gezeigt hat.

mehrere tausend Nonnengänse
Mehrere tausend Nonnengänse halten sich von Oktober bis Anfang Mai auf den Marschwiesen und im Deichvorland auf.

Wie geht es weiter?

Trotz des offensichtlichen Scheiterns dieser Bemühungen plant das Land jetzt parallel zum anlaufenden Ausweisungsverfahren, eine Bundesratsinitiative Baden-Württembergs zu unterstützen, mit der eigentlich nicht vorgesehene Ausnahmeregelungen zur Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie formal möglich gemacht werden sollen. Es soll also versucht werden, ähnlich wie bisher, die Ausweisung eines großflächigen Vogelschutzgebietes durch flächendeckenden und langfristigen Vertragsnaturschutz zu ersetzen. Ob die Landwirte sich auf einen langfristigen und flächendeckenden Vertragsnaturschutz einlassen, bleibt zunächst offen - hängt selbstverständlich ganz wesentlich von der Vertragsgestaltung ab. Auch die Finanzierung scheint bei den gegenwärtigen Haushaltslagen eher unklar zu sein.

Die vor allem historisch, aber auch parteipolitisch zu begründenden Auseinandersetzungen werden von den Akteuren, die sich in einer "Interessengemeinschaft Rettet Eiderstedt (IGE)" zusammengefunden haben, vordergründig mit dem Argument geführt, die Ausweisung eines EU-Vogelschutzgebietes würde wirtschaftliche Einschränkungen bedeuten, da größere Projekte in den Gebieten oder mit Auswirkungen auf die Gebiete einer Verträglichkeitsprüfung unterzogen werden müssen. Merkwürdigerweise führen neben dem Bauernverband auch der regionale Ableger des Heimatbundes und ein regionaler Naturschutzverein (allerdings von Landwirten dominiert) zusammen mit der IGE den Protest an. Doch wen wundert's, der Vorsitzende des Heimatbundes ist zugleich Landwirt, Amtsvorsteher und Kreistagsabgeordneter der CDU. Für wirklichen Heimat- und Naturschutz, für konzeptionellen qualitativ hochwertigen Tourismus bleibt da zwangsläufig wenig Zeit.

Um die für die Region erarbeiteten Tourismus- und Entwicklungskonzepte will sich so richtig eigentlich niemand kümmern. Ausnahmen bestätigen wie so oft die Regel. Die kleine Gemeinde Koldenbüttel, in der Nachbarschaft des Holländerstädtchen Friedrichstadt gelegen, bemüht sich zumindest um die Erstellung einer lokalen Agenda 21. Klaus Müller hat den Bewohnern Eiderstedts angeboten, sich gemeinsam mit ihnen für die Entwicklung der Region einzusetzen. Man wird abwarten müssen, ob und was dabei heraus kommt. Chancen, sogar für die Entwicklung einer Modellregion, sind vorhanden. Es kommt darauf an, eine regionsspezifische Auswahl von Maßnahmen zu treffen und konzeptionell zu handeln. Die bisherigen Maßnahmen und Kompromisse (Strandbeparkung) können allerdings nicht als sehr vielversprechend bewertet werden. Der Blick in andere Regionen kann überraschend und lehrreich sein: In Bayern gibt es beispielsweise neben zwei Nationalparks und mehreren Biosphärenreservaten 14 (!) Naturparks. Die Landschaft muss zu den Gewinnern gehören, auf neue Impulse ist deshalb nicht völlig zu verzichten, die Glaubwürdigkeit muss aber immer auf der Seite der Gewinner zu finden sein.

Klaus Peters

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