(Gegenwind 189, Juni 2004)

Natura 2000 heißt die Selbstverpflichtung der EU-Staaten, auf der Basis der Vogelschutz-Richtlinien und der Flora-Fauna-Habitate-Richtlinie (FFH-Richtlinie) ein zusammenhängendes Netz von Schutzgebieten aufzubauen. Diese Gebiete sollten bis 1981 bzw. 1995 gemeldet sein. Schleswig-Holstein ist jetzt mit den Meldungen 23 bzw. 9 Jahre im Rückstand. Zur Zeit wird über mehr als 200 Gebiete diskutiert, die Ende Juni 2004 gemeldet werden sollen. Umstritten ist vor allem die Absicht der Landesregierung, die gesamte Halbinsel Eiderstedt zu melden. Um die Positionen darzustellen, baten wir den NABU, den SSW Nordfriesland, die Grünen Nordfriesland und die Initiative "Pro Eiderstedt" um eine Darstellung ihrer Position. Drei Darstellung drucken wir hier ab. "Pro Eiderstedt" kündigte einen Beitrag für die nächste Ausgabe an. (Red.)

 

Vogelschutz auf Eiderstedt

Neue Art Bauern umzulegen
Protest gegen die Ausweisung Eiderstedts als Vogelschutzgebiet im allgemeinen und gegen den NABU im Besonderen

Wer die Medien in Schleswig-Holstein verfolgt und sich für Umwelt- und Naturschutz interessiert, stößt schnell auf das "Reizthema Nummer 1", die anstehende Meldung von "Natura 2000-Flächen" an die Europäische Kommission. Auf Eiderstedt, wo die Landesregierung plant, rund 24.000 Hektar Grünlandflächen unter Vogelschutz zu stellen, wird die Diskussion besonders heftig geführt - hier führt bei den Auseinandersetzungen jedoch weniger der Naturschutz als andere Interessen die Regie - in der Agrarpolitik läuft alles auf Veränderungen hinaus und der Landtagswahlkampf wirft seine Schatten voraus.

Der Hintergrund

EU-Vogelschutz- und FFH-Richtlinie, beides Grundlagen für das Schutzgebietssystem "Natura 2000" zur Sicherung des europäischen Naturerbes, haben bereits eine lange Geschichte. Erstere wurde 1979 ratifiziert vom damaligen FDP-Bundesinnenminister Gerhard Baum, letztere 1992 vom CDU-Bundesumweltminister Klaus Töpfer. 1996 - und damit mit erheblicher zeitlicher Verzögerung - benannte das Land erstmals 75 EU-Schutzgebiete, die schon als Naturschutzgebiete oder Nationalpark ausgewiesen waren. EU-rechtlich muss der Ausweisung von Natura 2000-Flächen aber ein wissenschaftliches Konzept zu Grunde liegen, das in der Lage ist, in den Richtlinien der EU besonders benannte Arten und Lebensräume zu schützen. Da viele Arten und Lebensräume aber nicht in Schutzgebieten leben, war dieser Ansatz von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Nicht besser verhielt es sich in den Jahren 1999 und 2000, als sich der damalige erste grüne Umweltminister Rainder Steenblock daran machte, dem stärker werdenden Druck nachzugeben, die Richtlinien der EU zu erfüllen. Zwar war nunmehr ein Konzept bei der Ausweisung der von den Richtlinien geforderten "zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete" erkennbar. Doch in den heftig geführten Kämpfen innerhalb der Landesregierung und mit Vertretern von Grundbesitz, Jagd, Fischerei und Landwirtschaft schmolz die Gebietskulisse schnell dahin. So brachte es die Gebietskulisse für die terrestrischen 73 EU-Vogelschutzgebiete auf magere 4,2 Prozent der Landesfläche. Gemessen an der Bedeutung Schleswig-Holsteins und dem, was auch andere dichtbesiedelte Länder gemeldet hatten, blieb es weit hinter dem Notwendigen zurück. Mit den ursprünglich 123 FFH-Flächen wollte das Land gerade einmal 2,0 Prozent melden.

Die Vorstellung, mit der zweiten Tranche "durchzukommen", zerplatzte spätestens im April 2003 mit der erneuten Klageeinreichung der EU-Kommission beim EuGH. Mit einer weiteren Verurteilung stehen rückwirkend Strafzahlungen in Höhe von bis zu 800.000 Euro pro Tag ins Haus, die die Bundesregierung wegen deren Zuständigkeit für den Naturschutz auf die Länder abwälzen wird. Derzeit herrscht ein Moratorium, mit dem die EU dem Naturschutz-Nachzügler Deutschland mit enger Fristsetzung letztmalig erlaubt, eine abschließende Gebietskulisse zu melden.

Die Landesregierung ist nunmehr damit beschäftigt, per dritter Tranche die Wünsche der EU-Kommission zu erfüllen. Mit der Meldung der Halbinsel Eiderstedt als Vogelschutzgebiet würde ein deutlicher Fortschritt erzielt. In Eiderstedt könnten dabei Grünland-Landwirtschaft und Naturschutz grundsätzlich am selben Strang ziehen: Beiden liegt an der Erhaltung der hier noch im Grundsatz naturverträglichen Grünlandwirtschaft.

Der Vogelschutz

In Schleswig-Holstein zählt die Halbinsel Eiderstedt zu den Gebieten ohne EU-Schutz, obwohl sie die Voraussetzungen erfüllen. Für Eiderstedt sind folgende Arten relevant:

Trauerseeschwalbe: Für die Trauerseeschwalbe ist Eiderstedt das bei weitem wichtigste Brutgebiet in Schleswig-Holstein. Etwa 60 Prozent des landesweiten Bestandes kommen hier vor. Wie in ganz Deutschland nisten die meisten Eiderstedter Trauerseeschwalben auf künstlichen Nisthilfen. Meist befinden sich diese Brutflöße auf den für die Halbinsel charakteristischen Trinkkuhlen.

Nonnengänse
Nonnengänse

Nonnengans: Nonnengänse kommen im Winterhalbjahr auf fast ganz Eiderstedt vor. Die Zählungen auf der Gesamtfläche ergaben maximal etwa 11.000 Vögel. Innerhalb Schleswig-Holsteins bildet Eiderstedt eines der wichtigsten Rastgebiete. Die Halbinsel ist für die Nonnengans ein Feuchtgebiet internationaler Bedeutung.

Goldregenpfeifer: Für die Art liegen Synchronzählungen im gesamten Schleswig-Holstein vor. Dabei ergab sich, dass die Halbinsel Eiderstedt das wichtigste Rastgebiet für die Art in Schleswig-Holstein ist. Es wurden regelmäßig mehr als 8.000 Goldregenpfeifer gesehen.

Uferschnepfe: Kein zweites Gebiet in Schleswig-Holstein weist einen so hohen Brutbestand der Uferschnepfe auf wie Eiderstedt. Mit insgesamt 348 Brutpaaren nimmt die Halbinsel auch bundesweit für diese Art eine Spitzenstellung ein. Uferschnepfen kommen in weiten Bereichen Eiderstedts vor.

Kiebitz: Auch für den Kiebitz ist Eiderstedt das Gebiet mit dem höchsten Brutbestand in Schleswig-Holstein. Die Art kommt fast im gesamten Gebiet vor, konzentrieren sich aber vor allem - wie die Uferschnepfen - in den feuchteren Bereichen. Kiebitze brüten überwiegend auf Grünland.

Gegen die gut abgesicherte, nach internationalem Standard gewonnenen Daten - erhoben und zusammengestellt durch das Michael-Otto-Institut im NABU in Bergenhusen - hatten einige Interessenvertreter auf Eiderstedt ein eigenes Gutachten in Stellung gebracht. Die Kölner Gutachter - bei vielen ähnlichen Verfahren bereits durch ihre besondere Art der Interpretation von Daten und einseitiger Auslegung von EU-Vorschriften aufgefallen - kamen wie kaum anders zu erwarten zu anderen Ergebnissen. Doch scheint das Gutachten selbst einigen Auftraggebern nicht mehr als der Weisheit letzter Schluss.

Die Agrarpolitik

Mehr als die Bemühungen des Naturschutzes beeinflusst die EU-Agrarpolitik auf den meisten Flächen Wohl und Wehe der Natur. Auf Eiderstedt im Fokus: Der Schutz des Grünlandes, wichtiger Lebensraum für zahlreiche Tiere und Pflanzen. Grünland wird gegenwärtig zunehmend umgebrochen, da das Mastvieh im Stall verbleibt, dort mit Mais gefüttert wird, angebaut auf den zuvor umgebrochenen Flächen. Erfolg: Das Schlachtgewicht wird schneller erreicht, wodurch der BSE-Test vermieden werden kann.

Eine Lösung zur Umkehr dieser verhängnisvollen Entwicklung: Die Agrarpolitik ruft eine Grünlandprämie von 400 Euro pro Hektar aus, koppelt diese an die Beweidung und Eiderstedt würde wieder zu der Weidelandschaft. Der Konflikt zwischen Landwirtschaft und Naturschutz wäre gelöst, wenn die Agrarpolitik eine wirtschaftliche Basis für Weidemast und andere naturverträgliche Formen der Grünlandnutzung wieder herstellt. Die Agrarpolitik hat dazu die Möglichkeiten: In Schleswig-Holstein werden im nächsten Jahr aus Brüsseler Kassen 380 Mio. Euro als Direktzahlungen an knapp 15.000 landwirtschaftliche Betriebe verteilt. Hinzu kommen Bundes- und Landesmittel.

Tatsächlich wird die EU-Agrarpolitik 2004 grundlegend reformiert, die endgültigen Regelungen auf nationaler Ebene werden derzeit zwischen Bund und Ländern verhandelt. Doch bis zur vollständigen finanziellen Gleichstellung von Grünlandnutzung und Ackerbewirtschaftung durch gleich hohe Flächenprämien als Abkehr von EU-Prämien für Produkte vergeht wohl noch einige Zeit.

Konsequenzen

Der Ausweisung eines Schutzgebietes werden oftmals Befürchtungen entgegen gebracht, dass künftig Bau- und Infrastrukturvorhaben unmöglich gemacht oder durch aufwendige Prüfverfahren erschwert werden. Dies ist nicht der Fall: Grundsätzlich gilt nur ein Verschlechterungsverbot bezogen auf die definierten Schutzobjekte Kiebitz, Trauerseeschwalbe, Uferschnepfe, Goldregenpfeifer und Nonnengans. In Niedersachsen hat man alle baurechtlichen Aspekte eines Schutzgebietes in die üblichen Verfahren integriert. Der Neubau von Ställen oder Güllebehältern ist ohne zusätzlichen Aufwand uneingeschränkt möglich. Es gibt keinen Grund, in Eiderstedt anders zu verfahren. Grundsätzlich gilt für alle Vorhaben, dass ein Konflikt mit dem Schutzgebiet erst dann auftritt, wenn der Schutzzweck gefährdet wird. Dieser liegt im Erhalt von Vogelbeständen, die auf großer Fläche verteilt sind, so dass auch Eingriffe vor dem Hintergrund der Größe des Schutzgebietes zu bewerten sind. Straßen und Wege können aus dem Schutzgebiet herausgenommen werden. Die Ausweisung von Eiderstedt als Vogelschutzgebiet hat somit kaum bau- und ordnungsrechtliche Konsequenzen, auch wenn dies oftmals bewusst falsch dargestellt wird.

Die Ausweisung als Vogelschutzgebiet bietet dagegen die Möglichkeit, Förderprogramme der EU und des Bundes für Eiderstedt zu erschließen. Ein Schutzgebiet, das die Eiderstedter Kulturlandschaft erhält, ist auch für den Tourismus attraktiver als Maisäcker und bietet zahlreiche Möglichkeiten für Projekte zur Entwicklung des Ländlichen Raums. Dies wird in den großen Schutzgebieten in anderen Bundesländern zunehmend erkannt und umgesetzt, so dass der Streit um das Schutzgebiet nach Ausweisung meist schnell beendet werden konnte. Eiderstedt ist nur zu wünschen, dass auf die heftigen Auseinandersetzungen, die hier bislang jedes Naturschutzprojekt begleitet haben, eine Phase konstruktiven Miteinanders folgt.

Ingo Ludwichowski

Geschäftsführer NABU Schleswig-Holstein

Mehr Informationen: www.NABU-SH.de


Weiter mit: "Bedrohung für die Landwirtschaft heißt nicht Vogelschutz"...

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