(Gegenwind 199, April 2005)
Henry Bawnik war 16 Jahre alt, als ihn die Nazis 1941 in seiner polnischen Heimatstadt Lodz festnahmen. Seine "Schuld": Er war jüdischen Glaubens. Albert van Hoey war 20 Jahre alt, als er 1944 in seiner Heimat in Ostflandern von den Nazis verhaftet wurde. Sein "Vergehen": Er leistete Widerstand gegen die nationalsozialistischen Besatzungstruppen in Belgien. Bawnik wurde in die Konzentrationslager Gutenbrunn und Ausch-witz-Fürstengrube, van Hoey in die Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora (Harz) verschleppt. Die SS trieb beide Männer mit etwa 500 anderen KZ-Häftlingen im April 1945 auf einem Todesmarsch durch Ostholstein. Bawnik überlebte das britische Bombardement von drei KZ-Schiffen am 3. Mai 1945 in der Lübecker Bucht vor Neustadt. Van Hoey war wenige Tage zuvor vom Schwedischen Roten Kreuz befreit worden.
Sechs Jahrzehnte später werden Henry Bawnik, der heute in den USA lebt, und der Belgier Albert van Hoey wieder nach Holstein kommen. Als Gäste des Trägervereins der Gedenkstätte Ahrensbök/Gruppe 33 werden sie am 24. April um 17 Uhr auf Gut Glasau in der Dorfschaft Sarau und am 1. Mai um 18 Uhr in der Scheune von Siblin bei Ahrensbök an Gedenkveranstaltungen teilnehmen. Gut Glasau: Die SS hatte van Hoey im April 1945 zwei Wochen lang mit 300 Häftlingen aus Mittelbau Dora in einer Scheune dort eingesperrt. Siblin: Bawnik und etwa 200 Häftlinge aus Auschwitz-Fürstengrube waren ebenfalls zwei Wochen lang in einer Feldscheune auf der Strecke von Ahrensbök nach Eutin nahe der Dorfschaft Siblin festgehalten worden.
Der Trägerverein der Gedenkstätte Ahrensbök/Gruppe 33 ist eine Bürgerinitiative, die sich seit Ende der neunziger Jahre mit den regionalen Ereignissen während der NS-Terrorherrschaft in der ostholsteinischen Region auseinandersetzt. So wird derzeit eine Ausstellung über die Geschichte der Gedenkstätte Ahrensbök erarbeitet, die in dem einzigen in Schleswig-Holstein erhaltenen Gebäude eingerichtet ist, das zu Beginn der NS-Diktatur 1933 ein frühes Konzentrationslager beherbergte. Am Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft führte der Todesmarsch 1945 die etwa 200 überlebenden Häftlinge aus dem Konzentrationslager Auschwitz-Fürstengrube und etwa 300 Häftlinge aus Mittelbau-Dora bis nach Ostholstein und durch Ahrensbök, zuletzt bis nach Neustadt an die Ostsee. Die Geschichte dieses Marsches wird seit Gründung der Gedenkstätte am 8. Mai 2001 in einer Ausstellung thematisiert.
Zum 60. Jahrestag lädt der Verein zu einer Veranstaltungsreihe ein. Sie wird am 30. März um 19.30 Uhr in der Aula der Realschule mit einem Vortrag des Lübecker Altbischofs Karl Ludwig Kohlwage beginnen, Thema: Warum gedenken? Sie endet am 8. Mai, 11 Uhr in der Gedenkstätte mit einem Vortrag des Historikers Jörg Wollenberg, Thema: Der 8. Mai und der Mythos der Stunde Null. Höhepunkt werden die Gedenkveranstaltungen in Sarau und Siblin in Anwesenheit der Überlebenden Bawnik und van Hoey sein. Die Schirmherrin der Gedenkstätte, Heide Simonis, und Hans Koschnick, der frühere Vorsitzende des Vereins Gegen das Vergessen. Für Demokratie sind eingeladen. Die Veranstaltungen werden von der Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten und dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein finanziell unterstützt.
Trägerverein und Amnesty-International-Gruppen aus Ahrensbök, Eutin, Lübeck und Neustadt werden am 24. April zwei Fahrradtouren organisieren, die entlang der Todesmarschroute durch Ostholstein führen wird. Treffpunkt in Lübeck um 11 Uhr, Gustav-Radbruch-Platz, Ecke Fährstraße. Treffpunkt in Neustadt i. H. um 14.30 Uhr Lienaustraße am Lienaupark. Teilnehmende werden an verschiedenen Gedenkstelen, die die Route markieren, pausieren, um der Opfer zu gedenken und um Zeitzeugen zu hören. Beide Gruppen wollen gegen 17 Uhr auf Gut Glasau in der Dorfschaft Sarau eintreffen, um an der Gedenkveranstaltung dort gemeinsam mit dem Überlebenden Albert van Hoey und seiner Familie teilzunehmen. Der Trompeter Martin Mengel, Musikhochschule Lübeck, wird die Veranstaltung musikalisch begleiten.
Zur Gedenkveranstaltung am 1. Mai in der Scheune von Siblin haben nicht nur der Auschwitz-Überlebende Henry Bawnik und seine Frau auf Einladung des Trägervereins ihre Teilnahme zugesagt. Auch Kinder und Enkelkinder der Bawniks, 14 Personen, werden auf der Reise in die Vergangenheit des Vaters und Großvaters dabei sein. Bawnik und seine Familie werden außerdem am 3. Mai an der Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer der Cap-Arcona-Katastrophe in Neustadt teilnehmen und am Nachmittag mit einem Schiff der Bundesmarine hinaus in die Bucht zu der Stelle fahren, wo 1945 die Cap Arcona nach dem Bombardement kippte.
Zu seinen wichtigsten Aufgaben zählt der Trägerverein der Gedenkstätte Ahrensbök die enge Zusammenarbeit mit jungen Menschen. Am Gedenken des 60. Jahrestages des Todesmarsches beteiligen sich Schülerinnen und Schüler mehrerer Schulen der Region. Der Leistungskurs Geschichte des Schwartauer Leibniz-Gymnasiums (12. Jahrgang) will die Fahrradtour entlang der Todesmarschroute dokumentieren. In Schwartau wird zudem der Überlebende van Hoey mit Schülerinnen und Schülern der dortigen Gymnasien zusammentreffen, um mit ihnen über Widerstand und KZ-Haft zu sprechen. In Ahrensbök baut der Wahlpflichtkurs Geschichte der Realschule derzeit ein Modell des Lagers Auschwitz-Fürstengrube. Und sechs Schülerinnen der neunten Klassen der Hauptschule Ahrensbök haben Projektarbeiten dem Todesmarsch und der Cap Arcona-Katastrophe gewidmet. Sie werden ihre Arbeiten am Samstag, 9. April um 11 Uhr in der Gedenkstätte öffentlich vorstellen. Der Überlebenden Bawnik, dessen Eltern in Auschwitz vergast wurden, hat zugesagt, in Haupt- und Wichernschule von Ahrensbök vor Schülerinnen und Schülern über seinen Leidensweg während der Nazi-Diktatur zu reden.
Am Sonntag, den 17. April um 11 Uhr wird Prof. Jörg Wollenberg (Bremen/Ahrensbök) in der Gedenkstätte eine Ausstellung über die Befreiung des Dachauer KZ-Außenlagers Landsberg-Kauferring eröffnen. Diese Ausstellung ermöglicht einen Vergleich, was in anderen Lagern zur selben Zeit geschah, als der Todesmarsch durch Holstein führte. A Letter to Debbie, so der Titel der Ausstellung, basiert auf einem Brief, den der amerikanische Leutnant Albert Gaynes, der an der Befreiung des Lagers teilnahm, seiner Frau Debbie nach Hause schrieb: "Ich habe heute die ganze Bestialität der Nazis gesehen .... Debbie, ich hoffe du wirst niemals sehen, was ich sehen werde, bis ich sterbe."
Monika M. Metzner
Weitere Informationen erteilt die Gedenkstätte Ahrensbök, Flachsröste 16 (B 432, OT Holstendorf), 23623 Ahrensbök, e-Mail: gedenkstaetteahrensboek@t-online.de, Tel. 04525/493 060, Fax 04525/493 090, mobil: 0171/969 0459.