(Gegenwind 200, Mai 2005)

Die Härtefallkommission: Hoffnungen, Erwartungen, Enttäuschungen

Gnade vor Recht?

Eine wichtige Neuerung wird von BefürworterInnen des neuen Zuwanderungsgesetzes gerne angeführt: Für "Ausreisepflichtige", also AusländerInnen, deren Aufenthaltsrecht endet, gibt es jetzt ein neues Gnadenrecht. Auf Beschluss der "obersten Landesbehörde", das ist der Innenminister, und auf Ersuchen einer Härtefallkommission kann ein neuer Aufenthaltstitel gegeben werden. Den einzelnen Bundesländern wird freigestellt, ob sie von dieser Möglichkeit überhaupt Gebrauch machen wollen und welche Bedingungen sie an die betroffenen AusländerInnen stellen.

Härtefallkommission Schleswig-HolsteinBild: Härtefallkommission Schleswig-Holstein

Nur die Hälfte der Bundesländer hat zur Zeit eine Härtefallkommission. Schleswig-Holstein gehört führend dazu. Das lag vor allem daran, dass es hierzulande schon längere Zeit eine solche Kommission gab, die allerdings nach dem alten Ausländergesetz nur Empfehlungen aussprechen konnte. Nach diesem Muster hatten auch Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen Härtefallkommissionen eingerichtet.

Nach dem neuen Recht, das in § 23a des Aufenthaltsgesetzes formuliert wurde, muss jetzt die Härtefallkommission den Antrag beim Innenminister stellen. Diese wird im Wege der "Selbstbefassung" tätig, und der Innenminister entscheidet über die Anträge unter Ausschluss des Rechtsweges. Für viele Flüchtlinge ist diese Konstruktion überraschend vertraut, sind sie doch aus Verhältnissen geflohen, in denen auch ein Präsident, ein Minister oder ein Offizier die Entscheidungen allein trifft und man sich nicht beschweren kann.

Praktisch funktioniert das in Schleswig-Holstein so: Man schreibt kurz auf, welche "Härtefall-Gründe" für eine Person oder eine Familie gelten, die unmittelbar vor der Ausreise oder der Abschiebung steht. Die Bedingung ist, dass alle "normalen" Verfahren (zum Beispiel Asylverfahren) erfolglos beendet sind. Die Menschen müssen "langjährig" hier sein, in der Regel mindestens sechs Jahre, und sie dürfen die Länge des Asylverfahrens nicht selbst verschuldet haben.

Die Geschäftsstelle des Innenministerium prüft diese "Zugangsbedingungen", stellt dann noch zusätzliche Fragen an die Betroffenen. Hauptsächlich stellt das Innenministerium dann aber Informationen für die Härtefallkommission zusammen. Dazu unterschreiben die Betroffenen ihr Einverständnis, und dann werden die Unterlagen von der Ausländerbehörde, Arbeitsagentur etc. ausgewertet. Der eigentliche "Antrag" der Betroffenen kann dabei relativ kurz sein, manchmal reichen ein oder zwei Seiten (siehe Kasten). Die meisten Informationen, die die Härtefallkommission bekommt, betreffen dann das Asylverfahren und andere ausländerrechtliche Verfahren, die sich aus der Akte ergeben, Ausreise- oder Abschiebeversuche, die Bestreitung des Lebensunterhaltes durch eigene Arbeit oder öffentliche Mittel, Sprachkurse und die erreichten Zertifikate, schulische Leistungen der Kinder und "gesellschaftliches Engagement".

Die Kommission

Der eigentliche Härtefallantrag, daran sei noch mal erinnert, wird von der Härtefallkommission an den Innenminister gestellt. Die Härtefallkommission besteht zur Zeit aus zwei VertreterInnen des Innenministeriums, zwei VertreterInnen der Kommunen (das sind z.B. Ausländerbehörden), zwei VertreterInnen von Religionsgemeinschaften (evangelisch, katholisch, jüdisch...), zwei VertreterInnen von Wohlfahrtsverbänden (AWO, Caritas, Diakonie...) und zwei VertreterInnen vom Flüchtlingsrat.

Die Zusammensetzung kann von der Landesregierung jederzeit geändert werden. Die Mehrheitsverhältnisse sind aber nicht entscheidend, sondern die Sachkenntnis und die Entscheidungskriterien. Man tagt einmal monatlich, jedes Mal leitet das Innenministerium ungefähr ein Dutzend "Fälle" (das können leicht zwischen 1000 und 2000 Seiten Informationen sein) an die Mitglieder weiter. In allen Unterlagen stehen schon Beschlussvorschläge drin, hier hat das Innenministerium also eine relativ starke Stellung.

Die Entscheidung trifft sowieso der Innenminister, an den die Härtefallkommission ihr Gesuch richtet. So waren im Januar 37 Anträge für 105 betroffene Menschen zu bearbeiten, die sich aus dem Jahre 2004 angestaut hatten - in Erwartung der neuen gesetzlichen Regelung. Hier stellte die Härtefallkommission für insgesamt 74 Menschen einen Antrag auf Bleiberecht an den Innenminister, für 68 Personen stimmte dieser zu.

Die Entscheidungskriterien

Die Härtefallkommission tagt nicht öffentlich, und die Mitglieder sind verpflichtet, auch über Entscheidungsgründe im Einzelfall nichts mitzuteilen. Über die allgemeinen Entscheidungskriterien dürfen sie aber reden.

Die Zugangsbedingungen sind: Die Betroffenen müssen mindestens sechs Jahre in Deutschland gelebt haben, sie dürfen ihre Verfahren nicht selbst verzögert haben, müssen also auch immer mit der Ausländerbehörde zusammengearbeitet haben. Sie müssen durchgehend einen legalen Aufenthaltsstatus gehabt haben, dazu gehören auch die Aufenthaltsgestattung oder die Duldung (nicht aber Kirchenasyl!). Die "Härtefallgründe" müssen härter sind als beim Durchschnitt - die Härtefallkommission geht davon aus, dass eine Ausreise oder Abschiebung nach jahrelangem Aufenthalt in Deutschland immer sehr hart ist. Sie sieht ihre Aufgabe darin herauszufiltern, für wen es eine besondere Härte bedeutet, die sich vom Üblichen abhebt.

Die wichtigsten Kriterien sind Arbeit - Sprache - Straffreiheit. Es wird geguckt, wer von eigener Arbeit gelebt hat statt von Sozialhilfe, dabei werden die Probleme von Flüchtlingen ohne Arbeitserlaubnis, allein erziehenden Müttern oder Kranken natürlich berücksichtigt. Dabei zählt es auch positiv, wenn jemand sich während des gesamten Aufenthaltes hier um Arbeit bemüht hat. Umgekehrt wird negativ bewertet, wenn jemand sich erst wenige Wochen vor der Sitzung der Härtefallkommission um Arbeitsmöglichkeiten gekümmert hat, die Jahre zuvor aber eher passiv war. Als nächstes werden die Sprachkenntnisse angesehen, möglichst ausgewiesen durch Zertifikate oder einen Einstufungstest. Auch hier ist es wichtig, dass die Bemühungen der gesamten Aufenthaltszeit angesehen werden, nicht nur die der letzten vier Wochen vor der Sitzung. Straffreiheit ist Bedingung, hier kann schon das wiederholte unerlaubte Verlassen des Kreises (Flüchtlinge brauchen dazu eine Erlaubnis der Ausländerbehörde) einen dicken Minuspunkt einbringen.

Weitere Kriterien sind dann bei Kindern die Leistungen in der Schule, eine erkennbare realistische Planung für Ausbildung und Beruf, bei Erwachsenen das Engagement in Freundeskreisen und Vereinen - allerdings im Wesentlichen außerhalb der eigenen Ethnie. Wer die gesamte Freizeit mit Landsleuten verbringt, hat in der Härtefallkommission kaum eine Chance. Positiv ist das Engagement in der Elternvertretung, im Sportverein, in deutschen oder multinationalen Vereinen. Ein Engagement in "eigenen" Vereinen wird positiv gesehen, wenn diese sich hauptsächlich an die deutsche Öffentlichkeit wenden.

In den internen Kriterien behauptet die Härtefallkommission und das Innenministerium, dass neben dem Nachweis der besonderen Härte bei einer Rückkehr eben damit der Grad der Integration in die hiesige Bevölkerung überprüft werden soll. Wenn man es ernst nimmt, dass Integration immer ein Prozess ist, an dem die gesamte Bevölkerung teilnehmen muss, kann mit den Kriterien der Härtefallkommission nur der Grad der Assimilation festgestellt werden. Die bisherige Erfahrung deuten darauf hin, dass die Flüchtlinge die besten Chancen haben, die am "deutschesten" wirken.

Ablehnungen von Härtefallanträgen werden nicht begründet, es scheint aber so zu sein, dass ältere AntragstellerInnen geringere Chancen haben. Von ihnen wird - im Gegensatz zu Jugendlichen und Kindern - mehr verlangt, von eigener Arbeit zu leben. Sie haben zudem größere Probleme, Deutschkenntnisse zu erwerben und nachzuweisen. Die letzten Deutschkurse für Flüchtlinge sind ausgerechnet mit Inkrafttreten der Härtefallregelung abgeschafft worden.

Beispiele

Im Gegenwind haben wir 2003 die kurdische Familie Erman vorgestellt, die in der Nähe von Norderstedt lebt (vgl. Gegenwind 174, Seite 25). Ihr Dorf in der Nähe von Mardin wurde 1996 von Özel-Teams, Spezialeinheiten der türkischen Armee, überfallen und vernichtet. Sie entkamen nach Istanbul, mussten von dort aber nach Deutschland fliehen. Der Asylantrag wurde abgelehnt, der schwer traumatisierte Vater ist aber hier in therapeutischer Behandlung und kann nicht ausreisen, weshalb die gesamte Familie immer wieder Duldungen für drei Monate bekommt. Im September 2004 wurde die älteste Tochter Merdiye 18 Jahre alt, wodurch sie nicht mehr unter den Abschiebeschutz ihrer Eltern fällt, sondern alleine abgeschoben werden könnte. Sie stellte einen Härtefallantrag.

Im Schlepper 22/23 (Sommer 2003, vgl. Gegenwind 179, August 2003) stellten wir Familie Landu vor. Es handelt sich um eine Patchwork-Familie: Die Mutter kam allein hierher, nachdem der Vater im Kongo umgebracht worden war. Die beiden Töchter hatte sie bei Verwandten in Angola untergebracht. Der (heutige) Vater floh wegen seiner politischen Aktivitäten gleichzeitig aus dem Kongo, das Paar lernte sich in der Kaserne in Lübeck kennen. Sie zogen dann in Büdelsdorf in eine gemeinsame Wohnung, die Diakonie half, die beiden Töchter aus Angola nach Deutschland zu bringen. Neben den beiden "angolanischen" Töchtern haben sie zwei gemeinsame, gewissermaßen "deutsche" Kinder (sie sprechen auch nur deutsch). Der Asylantrag wurde abgelehnt, 2003 sollten sie abgeschoben werden. "Gerettet" wurden sie durch ärztliche Gutachten für das damals neu geborene Baby, dem aufgrund der furchtbaren Kriegssituation im Kongo mit Millionen Toten und grassierenden Seuchen der Tod drohte. Die Ausländerbehörde duldete die Familie, um Schutzimpfungen für das Kleinkind zu ermöglichen. Jetzt stellte die älteste Tochter Patricia, mittlerweile fast 17 Jahre alt, einen Härtefallantrag für die gesamte Familie.

Wir haben Merdiye Erman und Patricia Landu interviewt.

Reinhard Pohl

Weiter: Interviews mit Merdiye Erman und Patricia Landu
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