(Gegenwind 202, Juli 2005)

Internationales

Eine Konferenz in Ahrensburg und der Krieg im Sudan

Im letzten Herbst ging es groß durch die Medien: Völkermord in Darfur, der westlichen Provinz des Sudan. Es wurden Bilder von Flüchtlingslagern gezeigt, den Flüchtlingen sollte dringend geholfen werden. Plötzlich brachte die Bundesregierung auch einen Einsatz der Bundeswehr ins Spiel. Die "Cap Anamur" aus Lübeck fischte Schiffbrüchige im Mittelmeer auf, Gerüchte machten die Runde, es könnten Flüchtlinge aus Darfur sein. Lieber Bundeswehrsoldaten in den Sudan als Flüchtlinge nach Lübeck, schien das neue Motto zu lauten. Der Bundestag beschloss den Einsatz, und schlagartig wurde es wieder still um die "humanitäre Katastrophe". Woher kam das plötzliche Interesse, das sogar den UNO-Sicherheitsrat (unter deutschem Vorsitz) beschäftigte? Ein mögliche Antwort: Es kam aus Bad Oldesloe.

Wo liegt Darfur?

Darfur, das "Land der Fur", liegt zwischen dem Tschad und dem Sudan südlich der Sahara, ist ungefähr so groß wie Frankreich (170.000 Quadratkilometer) und hat sechs bis sieben Millionen Einwohner. Jahrhundertelang war es ein unabhängiges Sultanat, der erste Sultan war Sulayman Solong (1596-1637). Nachdem Großbritannien Ägypten und den Sudan erobert hatte, wurden umliegende Gebiete wie das Sultanat Fur mehr oder weniger abhängig. Eine Gefahr sah der Sultan vor allem darin, dass Großbritannien die christliche Mission im Südsudan vorantrieb. Damit sollte die sudanesische Bevölkerung gespalten und das (ebenfalls britische) Kenia vor der islamischen Missionierung geschützt werden.

Übrigens: Deutschland, zu dem Zeitpunkt Kolonialherr in Ostafrika (Tansania, Ruanda, Burundi) propagierte in seinem Herrschaftsbereich die Schweinehaltung als "Schutz" vor dem Islam.

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges sah Darfur eine Chance, wieder die volle Unabhängigkeit zu erringen: Der Sultan verbündete sich mit Deutschland und dem Osmanischen Reich. Doch die konkrete Hilfe von dort bestand aus ein paar türkischen Militärberatern und der Lieferung von Waffen - innerhalb kurzer Zeit wurde Darfur vom Sudan erobert und annektiert.

Als der Sudan 1956 in den kolonialen Grenzen unabhängig wurde, waren die Probleme absehbar. Der moslemische Norden stand dem christlichen Süden gegenüber, der arabisch geprägte Osten dem annektierten afrikanischen Westen. Mit 2,5 Mio. Quadratkilometern ist der Sudan der größte Staat Afrikas (die EU der 25 Mitglieder ist 4 Mio. Quadratkilometer groß).

Seit der Unabhängigkeit herrscht Bürgerkrieg im Sudan. Der größte Gegensatz besteht zwischen dem moslemischen Norden und den christlichen Süden. Dieser grenzt an Äthiopien/Eritrea, Uganda, Kongo und die Zentralafrikanische Republik, wo auch seit Jahrzehnten Krieg herrscht. Da die Grenzen kaum kontrollierbar sind, war der Südsudan auch immer Rückzugsgebiet für Bürgerkriegsparteien der Nachbarländer Äthiopien und Kongo (Zaire).

Der Krieg zwischen Nord- und Südsudan dauerte von 1956 bis 1972, dann wieder von 1983 bis 2004. Nach dem Waffenstillstand, der elf Jahre mehr oder weniger hielt, wurde er wieder angeheizt, weil einerseits im Südsudan Öl gefunden wurde, andererseits kam in Khartum eine islamistische Regierung an die Macht.

Verbündete

Anfangs wurde das Öl von Konzernen aus den USA und Österreich ausgebeutet. Doch dann wurde 1992 Osama Bin Laden aus Saudi Arabien ausgewiesen, er ließ sich im Sudan nieder. Die USA erklärten den Sudan zum "Schurkenstaat", den eigenen Firmen wurde verboten, hier weiter Handel zu treiben.

Die Lücke füllte die Volksrepublik China. Sie baute eine mehr als 1500 Kilometer lange Pipeline vom Süden bis zum Roten Meer nach Port Sudan, wo das Erdöl seit 1999 unter anderem nach China verschifft wird. China bezieht aus dem Sudan rund ein Sechstel seines Erdöl-Bedarfs, ebenso viel wie aus Russland, und hat vermutlich auch mehrere tausend Soldaten dort stationiert.

Unterstützt wird die Regierung ebenfalls von Russland (Panzer, Hubschrauber) und Weißrussland (Artillerie) sowie aus Litauen (Wartung, Ersatzteile).

Die Befreiungsbewegung des Südsudan SPLM (Sudanesische Volksbefreiungsbewegung) wird von den USA und der NATO unterstützt. Ihre Armee, die SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) kämpft seit 1983 für die Unabhängigkeit des Südsudan.

Beide Seiten greifen immer wieder die Zivilbevölkerung an, die aus bestimmten Gebieten vertrieben wird. Außerdem ist die Sklaverei weit verbreitet, auch als Mittel der Geldbeschaffung für den Krieg. In den letzten 20 Jahren hat eine Reihe von westlichen Hilfsorganisationen eigene Fonds eingerichtet, mit deren Hilfe Sklavinnen und Sklaven gekauft werden, um sie anschließend wieder in die Bevölkerung zu integrieren - ein umstrittenes Projekt, das den Betroffenen nützt, aber die Versklavung anderer Menschen anheizen kann.

Friedensverhandlungen

Es gab immer wieder Versuche afrikanischer Organisationen, Gespräche zwischen Nord- und Südsudan in Gang zu bringen, um den Krieg zu beenden. Bis 2004 sind rund 2 Millionen Menschen getötet und rund 4 Millionen Menschen vertrieben worden. Seit 2002 fanden Verhandlungen in Nairobi (Kenia) statt, die dann 2004 in "Protokolle" für eine Einigung mündeten. Ein Friedensvertrag wurde Anfang 2005 geschlossen.

Der Vertrag sieht jetzt vor, dass der Süden autonom wird und von der SPLM unter John Garang regiert wird. John Garang wird gleichzeitig Vizepräsident des Sudan und teilt sich dieses Amt mit Omar al-Bashir, dem jetzigen Chef der Militärregierung. Die Öleinnahmen werden hälftig zwischen Nord und Süd geteilt.

Auf den ersten Blick hat sich der Westen damit durchgesetzt. Der moslemische Norden mit 70 Prozent der Bevölkerung erhält 50 Prozent der Erdöleinnahmen, der christliche Süden mit 30 Prozent der Bevölkerung die andere Hälfte. Der Norden verzichtet auf die Mitregierung im Süden, der sogar eine eigene Armee unterhalten darf, im Norden wird die Regierung geteilt.

2010 soll es ein Referendum geben, dann entscheidet der Süden über seinen Wunsch nach Unabhängigkeit. Vielleicht erweist sich dann der Friedensvertrag als geschickter Schachzug des Nordens - der Vizipräsident Garang von der SPLM müsste bei einer Unabhängigkeit des Südens sein Amt aufgeben und würde zum Präsidenten eines weitaus kleineren Staates im Landesinneren.

Wo liegt Bad Oldesloe?

Costello Garang kommt auch aus dem Sudan. Er gehört der Führung der Dinka an, ist eine Art Königssohn, was ihm das Studium in Deutschland ermöglichte. Er studierte hier Tiermedizin, Politologie und Psychologie in Berlin und Hamburg. Auch später besuchte er hier noch Freunde, 2001 kam der inzwischen 50-Jährige nach Trittau.

Hier lernte er zufällig, angeblich durch die Vermittlung eines Klemptners, den ungefähr gleichaltrigen Klaus Thormählen kennen. Thormählen arbeitete früher als Abteilungsleiter bei der Bundesbahn. Er entwickelte hier eine neue Schweißtechnik und ein Verlegefahrzeug für Schienen, kündigte dann seinen sicheren Beamtenjob und machte sich selbstständig. Die "Thormählen Schweißtechnik AG" in Bad Oldesloe ist seitdem auf Expansionskurs. Sie baut Hochgeschwindigkeitsstrecken für die Bundesbahn, neue Bahnlinien für die Olympischen Spiele in Griechenland und entwickelt sich langsam zu einer weltweit tätigen Spezialfirma.

Beide hatten eine Idee: Costello Garang, inzwischen "Außenminister" der südsudanischen Befreiungsarmee, berichtete von den bevorstehenden Friedensverhandlungen und prognostizierte, dass diese in einigen Jahren in die Unabhängigkeit münden würden. Damals forderte die Befreiungsarmee erst 16 Prozent der Erdöleinnahmen des Landes für sich und ihr autonomes Gebiet, aber damals waren auch die USA und die NATO noch nicht so stark am Spiel beteiligt. Aber: Costello Garang, übrigens nicht verwandt mit dem gleichnamigen Führer der Befreiungsarmee, wollte diesen Anteil am Erdöl nicht über Port Sudan und nicht mit Hilfe der chinesischen Pipeline verkaufen, sondern für "sein" Binnenland einen eigenen Zugang zum Meer schaffen.

Klaus Thormählen reiste dorthin und inspizierte das Eisenbahnnetz von Kenia, vor über 100 Jahren von der britischen Kolonialmacht gebaut. Er plante eine Bahnlinie von den Ölfeldern im Sudan auf Stelzen durch die Sumpfgebiete, den Anschluss an das Eisenbahnnetz Kenias. Dieses soll auf europäische Spurbreite umgebaut werden, Abzweigungen nach Uganda und Kongo gebaut werden - Ziel ist Mombasa.

Dann redete er mit der Landesregierung von Brandenburg, wo er ein Zweigunternehmen für die Fertigung hat (in Bad Oldesloe ist die Planungsabteilung beheimatet). Der Kontakt zur Bundesregierung war schnell hergestellt. Die wichtigsten Gesprächspartner waren Staatsministerin Kerstin Müller (Grüne) im Auswärtigen Amt und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD). Kerstin Müller bereitete die Präsidentschaft Deutschlands im UNO-Sicherheitsrat vor, wo die Lage im Sudan ständiges Thema war, und reiste öfter in die Region. Wolfgang Clement ist unter anderem für die sogenannten "Hermes"-Bürgschaften zuständig: Damit haftet der Staat bei Exporten von Privatunternehmern für die Bezahlung der Rechnungen.

2002 wurden erst mal Bundeswehr-Truppen in Kenia stationiert - als Teil des weltweiten Kampfes gegen den Terrorismus, aber eben zufällig im Zielgebiet der transafrikanischen Eisenbahnlinie. Clement stellte Bürgschaften in Aussicht. Die Planungen ergaben dann eine Streckenlänge von 4100 Kilometern bei Kosten von 3,5 Milliarden Euro. Im Jahre 2004 unterzeichnete dann Thormählen einen Vertrag mit dem SPLM, gedeckt von der Bundesregierung - und begleitet von scharfen Protesten der sudanesischen Regierung. Denn im Vertrag wurde die SPLM als Regierung eines unabhängigen Staates betrachtet, den es (noch) überhaupt nicht gab. Erst am 9. Januar 2005 wurde der Friedensvertrag in Nairobi unterzeichnet, der eine Volksabstimmung im Südsudan für 2010 vorsieht.

Krieg in Darfur

Darfur ist ein Riesenland, so groß wie Frankreich, von der sudanesischen Zentralregierung in drei Provinzen eingeteilt. Hier teilen sich nomadische Viehzüchter und sesshafte Bauern das Land. Doch das Land wird knapper: Durch das Bevölkerungswachstum kommt es zur Überweidung und Raubbau, dadurch dehnt sich die Sahara schnell aus und verschärft die Situation zusätzlich.

Verheerend im wahrsten Sinne des Wortes wirkten sich hier die Friedensverhandlungen zwischen Nord- und Südsudan aus. Auf beiden Seiten wurden eine Menge Waffen und Truppen frei, und wie in jedem langen Krieg gibt es auch im Sudan Tausende von Männern, die ihr Leben lang nichts anderes gelernt und gemacht haben als Krieg zu führen. Die SPLM gründete die Befreiungsbewegung SLM in Darfur und schickte Truppen und Waffen, die dort angeblich für die Rechte der seßhaften Bauern kämpfen. Die Regierung schuf die Dschandschawid-Reitenmilizen, die angeblich die nomadischen Viehzüchter verteidigen. Tausende von Menschen machten das, was die Zivilbevölkerung in Kriegen meistens macht: sie flohen.

Für viele Menschen hier kam es relativ überraschend, dass nach der starken Ablehnung der rot-grünen Bundesregierung, Truppen in den Irak zu schicken, plötzlich der Sudan so wichtig wurde. Die Bundesregierung war es auch, die in der UNO darauf drang, den "Völkermord" in Darfur zu verurteilen. Das Problem ist: Es gibt kaum belastbare Zahlen über die tatsächlichen Opfer. Hilfsorganisationen sprachen von mehreren Tausend, die Bundesregierung von mindestens 70.000. Als im November 2004 im Bundestag die Entsendung von Truppen zur Abstimmung stand, sprach die Bundesregierung kurzfristig von 200.000 Toten.

Die Beschlüsse, die dann gefasst wurden, sind verwirrend: Die "Afrikanische Union" schickt 3500 Soldaten (vielleicht später mehr) nach Darfur. Sie sollen die Situation beobachten, was angesichts der Größe des Landes eine schwierige Aufgabe für diese relativ kleine Truppe ist. Die NATO, und hier beteiligte sich die Bundeswehr, transportiert die Soldaten unter anderem aus Gambia oder Tansania in das Gebiet. Dort aber sorgt die sudanesische Regierung für den Transport innerhalb der drei Provinzen, kann also auch mit darüber bestimmen, was diese bewaffneten Beobachter zu sehen bekommen und was nicht. Die Bundeswehr beteiligt sich mit rund 200 Soldaten und Transportflugzeugen, die aber nicht direkt im Sudan stationiert sind, sondern im Nachbarland Tschad. Der Bundeswehreinsatz startete am 16. Dezember 2004 und heißt "AMIS" (Afrikanische Mission im Sudan).

Der wirkliche Truppeneinsatz hat allerdings mit Darfur nichts zu tun. Er wurde im Windschatten der "Völkermord"-Berichte vorbereitet. Diese Aktion heißt "UNMIS", denn offizieller Träger ist die UNO, und spielt sich im Südsudan ab. Hier sollen 750 unbewaffnete Beobachter, geschützt von 10.000 (NATO-)Soldaten, die Umsetzung des Friedensabkommens zwischen Nord- und Südsudan überwachen. Hier will sich die Bundeswehr sofort mit 50, vielleicht auch 75 Soldaten beteiligen, Verteidigungsminister Struck spricht aber auch schon von 3000 Bundeswehr-Soldaten und einer Dauer von sechs Jahren. Die Stationierung der Bundeswehr verläuft entlang der geplanten Eisenbahn.

Sudan-Konferenz in Ahrensburg

Mitte Februar 2005 fand im Park-Hotel in Ahrensburg eine "Sudan-Konferenz" statt. Teilnehmer waren

Nicht eingeladen war die Regierung des Sudan.

Beschlossen wurde, die Eisenbahnlinie von den südsudanischen Ölfeldern bis nach Kenia innerhalb von sechs Jahren fertig zu stellen, also zu dem Zeitpunkt, wenn das Referendum über die Unabhängigkeit stattfinden soll. Thormählen bekommt die Einnahmen der Erdölverkäufe, die über Mombasa in Kenia verschifft werden, für 25 Jahre übertragen. Die Schienen werden von ThyssenKrupp geliefert, die Fundamente und Betonschwellen werden im Südsudan produziert. Die SPLM stellt 10.000 demobilisierte Soldaten als Bauarbeiter zur Verfügung.

Und die Regierung des Sudan?

Die Regierung des Sudan protestiert seit Monaten gegen das Treiben der deutschen Regierung und der deutschen Firmen. Sie hat im November 2004 versucht, eine deutsche Beteiligung am "AMIS"-Truppentransport zu verhindern, woraufhin die Bundestagsdebatte um eine Woche verschoben werden musste. Sie hat mehrfach den deutschen Botschafter in Khartum einbestellt und offziell protestiert.

Jetzt hat sie den Antrag auf 75 Visa für deutsche Soldaten, die als Beobachter an die Waffenstillstandslinie sollen, erst mal nicht bearbeitet. Vier Visa-Anträge wurden im Juni 2005 bewilligt, allerdings befristet auf vier Wochen. Ein Stationierungsabkommen zwischen dem Sudan und der UNO, das Visa überflüssig machen würde, gibt es noch nicht.

Von den beschlossenen 10.000 Soldaten haben einzelne Regierungen der UNO erst 1500 versprochen. Egal, wer im Herbst die Bundesregierung stellt - man kann getrost darauf wetten, dass Deutschland sein Kontingent von 75 Soldaten irgendwann erhöht. Das wird spätestens der Fall sein, wenn Siemens den ersten Staudamm im Südsudan plant.

Reinhard Pohl

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