(Gegenwind 211, April 2006)

Müllverbrennung und Abfalltourismus

Müll als Handelsware

In Kiel soll die Müllverbrennungsanlage erweitert werden. Braucht Schleswig-Holstein tatsächlich mehr Kapazitäten in der Müllverbrennung? Zu dieser Frage hat der Umweltverband Das bessere Müllkonzept einen Offenen Brief an die Parteien und die Umweltaktiven im Lande geschrieben. Der Gegenwind dokumentiert den Inhalt des Briefes (leicht gekürzt).

Genehmigte Kapazitäten blieben unberücksichtigt

In Kiel steht die Entscheidungsfindung zur Erweiterungsplanung der Müllverbrennungsanlage MKV Kiel GmbH an. Argumentiert wird mit veralteten Zahlen einer sowohl bundesweit als auch im Lande Schleswig-Holstein vorhandenen Abfallentsorgungslücke. So sollen laut Angaben der MVA Kiel in S-H 250.000 Tonnen zur Entsorgung für gewerbliche Abfälle fehlen. Dabei wurden über die Auflistung die bereits bestehenden Anlagen der TEV (= Thermische Ersatzbrennstoff-Verbrennung) EON/Stadtwerke Neumünster mit einer jährlichen Verbrennungskapazität von 150.000 Tonnen sowie die Genehmigung zur Mitverbrennung von 182.000 Tonnen heizwertreichen Abfällen im Kohlekraftwerk Flensburg (Stadtwerke Flensburg) schlichtweg vergessen.

Beide Anlagenkapazitäten schließen die von der MVA Kiel ausgemachte Entsorgungslücke in S-H mit über 300.000 Tonnen gesichert ab. Sollten dennoch Entsorgungsengpässe in den Kommunen und Städten Schleswig-Holsteins entstehen, so ist über die K.E.R.N. und Metropolregion Hamburg ein Entsorgungsverbund geschaffen worden, der über die kürzlich erfolgte Erweiterungsgenehmigung der Hamburger MVA Stellinger Moor eine zusätzliche Verbrennungskapazität von 140.000 Tonnen (Gesamttonnage 275.000 t/a) ermöglicht. Bis 2008 ist weiterhin über die Hamburger Stadtreinigung eine privatisierte Abfallverbrennungsanlage für hochkalorische Ersatzbrennstoffe aus Gewerbeabfällen geplant, die für die Norddeutsche Affinerie (Kupferhütte NA) zur eigenständigen Energie- und Produktionsdampflieferung eine Abfallmenge von 750.000 Tonnen aus dem gesamten norddeutschen Einzugsgebiet erforderlich macht.

Diese Abfallmengen sind unserer Meinung nach in Norddeutschland bereits jetzt nicht mehr vorhanden. Es wird dadurch zur dauerhaften Belieferung dieser Großanlage ein gigantischer Mülltourismus quer durch die BRD entstehen.

Kiel: Öffentliche Beteiligung gefordert

Von der MVA ist eine zusätzliche Verbrennung von Abfällen in der Größenordnung von 100.000 Tonnen geplant. Das Genehmigungsverfahren soll ohne jede Teilnahme der Öffentlichkeit nach § 16 BImSchV Abs. 2 beantragt werden. Gleichzeitig wird eine UVP-Pflicht verneint. Durch die bereits bestehende Vorbelastung in der MVA-Region (nach TA-Luft 2002 ist ein Betroffenheitsradius von Schornsteinhöhe mal 50 zu berücksichtigen) ist aus unserer Sicht eine Umweltverträglichkeitsprüfung zwingend erforderlich.

Feinstaubwerte überschritten

Die Grenzwerte werden nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (17. BImSchV) sicher von der MVA Kiel eingehalten und unterschreiten diese in vielen Bereichen vorbildlich. Dennoch ist es eine unleugbare Tatsache, dass in unmittelbarer Nähe zur MVA bereits heute der Feinstaubanteil kurz vor dem erlaubten Limit der Grenzwerte anfällt. Sicherlich ist für die gestiegenen Menge der Feinstaub- und Schwermetallgehalte nicht die MVA allein, sondern auch die zunehmende Verkehrsbelastung ursächlich mit verantwortlich.

Doch diese erhöhten Werte werden durch eine Kapazitätserweiterung der MVA Kiel nicht minimiert werden können, sondern werden eher ansteigen. Eine Erhöhung der Durchsatzmenge bedingt auch einen erhöhten Abgasvolumenstrom, der ebenfalls eine Zunahme des Schadstoffaustrages zur Folge hätte. Für die sensiblen Bevölkerungsanteile wie Kleinkinder, Kranke und ältere Mitmenschen besteht bereits heute kein ausreichender Schutz über die geforderten Grenzwerte, weil das BImSch-Gesetz lediglich zur Schadstoffbeurteilung den statistisch gesunden und 70 Kilogramm schweren Einheitsmenschen berücksichtigt. Es muss somit bei Erweiterung der MVA auch mit einer Zunahme der Gesundheitsbelastungen u. a. über Lungenkrankheiten, Asthma sowie Krebserkrankungen gerechnet werden.

Bundesweite Abfallentsorgungsplanung

Derzeit sind in der gesamten Bundesrepublik über Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) Abfallplanungen in einer Größenordnung von weit über 5.000.000 Tonnen mit insgesamt dann 75 MVA-Anlagen bei den Behörden angemeldet worden. Weiter hat die EU über die Teilnahme von sechs europäischen Staaten ein gefördertes Programm namens "Recufuel" aufgelegt, das die Voraussetzungen liefern wird zur Mitverbrennung von Abfällen in Kohlekraftwerken. Laut LAGA-Bericht aus 2004 werden über 30 Anlagen an diesem Programm mit einer geschätzten Kapazität von über 4 Millionen Tonnen Abfällen in der BRD teilnehmen. Ebenfalls werden weitere zusätzliche Verbrennungskapazitäten über die Mitverbrennung von Abfällen in Zementwerken geschaffen.

Abfallimporte aus dem Ausland

In Folge dessen sind einige Verbrennungsanlagen bereits heute nicht ausgelastet und verbrennen ausländische Abfälle, wie die Anlagen MVA Hameln 120.000 t/a aus Italien sowie die MVA Weisweiler Abfälle aus Belgien und den Niederlanden verbrennt. Die SAVA in Brunsbüttel verbrennt ebenfalls Sonderabfälle aus dem Ausland. Insgesamt hat der Abfallimport in die BRD laut Bericht des Umweltbundesamtes in den letzten Jahren Schwungvoll zugenommen und haben jährlich die 4.000.000-Tonnen-Grenze längst überschritten - mit steigernder Tendenz. Es besteht somit über den freien EU-Warenverkehr auch die berechtigte Annahme von Abfalltransporten aus dem Ausland.

An vielen Genehmigungsverfahren war unser Umweltverband als Sachbeistand für Bürgerinitiativen beteiligt und hat dadurch über die aktuellen Entwicklungen einen guten Überblick. Diese Entwicklung spricht insgesamt gegen die freiverfügbare Handelsware Abfall. Wir meinen bereits hiermit Ihnen gute Gründe genannt zu haben, dass die für eine Erweiterung genannte Abfallmenge nicht mehr verfügbar ist. Zusätzlich sollten folgende Umweltaspekte mit folgendem Hintergrund berücksichtigt werden:

Deutschland bezieht derzeit 84 Prozent seines Primärenergiebedarfs aus fossilen Energieträgern. Obgleich diese nur noch wenige Jahrzehnte verfügbar sind und die Nachfrage weltweit (China, Indien, USA) steigt, will die Bundesregierung den Anteil der erneuerbaren Energien bis 2020 auf 10 Prozent des Primärenergiebedarfs steigern - heute sind es 3,6 Prozent. Ein hundertprozentiger Ersatz der fossilen Energieträger ist weder geplant noch in Sicht. Um die absehbare Versorgungslücke zu schließen, müssten wesentlich intensivere Anstrengungen unternommen werden. Zwar wird über neue Energien und auch über das Ende der fossilen Energien berichtet, nicht jedoch darüber, dass es keinen adäquaten Ersatz gibt.

Um dennoch in den Genuss der Teilnahme am erneuerbaren Energiengesetz (EEG - die Stromeinspeisung in das öffentliche Netz wird steuerlich begünstigt) zu kommen, nutzen die großen Entsorger sowie auch die Versorger einen legalen und einfachen Trick: Über Ihre Lobbyisten im Europaparlament wurde ohne Öffentlichkeitsbeteiligung erreicht, dass bei der Verbrennung von Abfällen diese als Ersatzbrennstoffe zu den fossilen Energieträgern anerkannt wurden.

Fehlende Abfallvermeidung

So wird durch die Verbrennung von Abfällen aus einem herkömmlichen Kohlekraftwerk oder einer normalen MVA- Beseitigungsanlage diese Anlagen über die Teilnahme am Emissionshandel plötzlich zu "umweltfreundlichen CO2-Senke". Dass dafür jedoch Abfälle weiterhin produziert werden müssen und jede Anstrengung einer Anfallvermeidung sowie auch vielfach eine stoffliche Verwertung unterbleibt um auch weiterhin über Langzeitverträge abgesichert Strom und Dampf erzeugen zu können, wird in der Öffentlichkeit gänzlich verschwiegen. Hier werden langfristige Abhängigkeiten mit Kommunen und Städten geschaffen, die ganz eindeutig wirtschaftlich und umweltbedingt zu Lasten des Bürgers gehen.

Eine ebenfalls verschwiegene Tatsache ist es, das durch eine gesetzlich legalisierte Übertragung dieser Dienstleistung immer mehr private Entsorger kommunale Abfallmengen übernehmen.

Abfälle als freie Handelsware

Sie erhalten damit auch die Kontrolle über die Abfälle als freiverfügbare Handelsware in ganz Deutschland, bzw. Europa. Getarnt wird dieser Mülltourismus auch als so genannte Entsorgungsverbünde, die nicht nur im norddeutschen Raum bestehen. Hintergrund ist eine immer noch fehlende gesetzliche Lücke sowohl im Bundes- auch im Europarecht: Es gibt keine eindeutige Abgrenzung zwischen Abfällen zur Beseitigung oder Abfällen zur Verwertung. So kann aus einer simplen Beseitigungsanlage für Siedlungsabfälle durch die Stromerzeugung eine Verwertungsanlage werden. Doch diese Anlagen müssen i.d.R. bei einer durchschnittlichen Energieausbeute von lediglich 15-20 Prozent eher als "Ressourcenvernichtungsanlagen" als Energieerzeugeranlagen bezeichnet werden. Zudem ermöglicht die EU den freien Handel für Abfälle zur Verwertung, ohne jedoch eine notwendige Abgrenzung zu Abfällen zur Beseitigung vorzunehmen. Diese Möglichkeit verschafft Oligopolen Abfallentsorgern wie Remondis, Sitas, EON oder RWE eine goldene Zukunft, die ausschließlich über die Gebühren der Bürger finanziert wird.

Die Bevölkerung bezahlt dies gleich mehrfach: Über den Anschluss-, und Benutzerzwang ist der Bürger im Gegensatz zu Gewerbe- und Industrie rechtlich verpflichtet, seinen anfallenden Restabfall den Trägern der öffentlichen Entsorgung zu überlassen. Hier ist zukünftig die Frage zu stellen, warum nicht auch der Bürger wie das Gewerbe dieselben Rechte und Möglichkeiten der freien Entsorgungswahl haben sollte (Wohnungsgesellschaften als Entsorgerverbünde). Da derzeit noch Kommunen und Städte per Landes-, und Bundesgesetz zur Vorhaltung von Behandlungs- und Entsorgungsanlagen verpflichtet sind, ihnen oftmals das Geld dafür jedoch fehlt, übernehmen monopolartig strukturierte Entsorger (Remondis Nr. 1 im Bereich Abfall) diese einst hoheitliche Aufgabe.

Gewinne zu Lasten der Bürger

Über die Verbrennung von Siedlungsabfällen wird Strom und erst minimal eine Kraftwärmekoppelung erzeugt. Doch die daraus eingenommenen Gewinne werden nicht etwa dem Bürger zu seinen gezahlten Müllgebühren gutgeschrieben (schließlich hat er über sein Abfallgut erst die Möglichkeit geliefert zur Strom- und KKW-Erzeugung). Stattdessen muss die Bevölkerung nach der erfolgten Verbrennung noch zusätzlich diese Strom- und Fernwärme wieder bezahlen.

Über die Substitution von Kohle, Gas und Öl als endliche Ressource erschließt sich der Abfall als dritte Geldquelle mit Millioneneinnahmen über die Teilnahme am Emissionshandel. Durch die von Lobbyisten erreichte Anerkennung von heizwertreichen Abfällen als Ersatzbrennstoffe wird ein schwunghafter Handel über CO2-Gutschriften über den Emissionshandel erzielt.

Kohlekraftwerke können durch die Mitverbrennung von Ersatzbrennstoffen plötzlich zu "sauberen Kraftwerken" mutieren (siehe Kohlekraftwerk Flensburg), indem die Kohleverbrennung über die Mitverbrennung von Abfällen als substituierte CO2-Mengen durch die Ersatzbrennstoffe gegen gerechnet werden.

Dieselben Bedingungen werden für herkömmliche Beseitigungsanlagen, sprich für Müllverbrennungsanlagen angestrebt.

Sicherlich sind diese Betrachtungen aus der Sicht eines Umweltverbandes vorgenommen und daher einseitig gefärbt. Dennoch haben wir reale Hintergründe aufgezeigt, warum REMONDIS in Kiel die MVA als Mehrheitsgesellschafter gerade jetzt modernisieren und über einen Mülltourismus aus fremden und ungewissen Herkunftsgebieten zusätzliche Abfälle verbrennen will. Eine Gewinnmaximierung wird nur für den Betreiber ermöglicht, jedoch nicht für den Bürger. Alle MVA-Erweiterungen oder -Neubauten in Deutschland waren nachweislich immer mit einer Gebührensteigerung verbunden, die Einseitig zu Lasten der Bürger sowie der Umwelt gehen.

Klaus Koch

Umweltverband DAS BESSERE MÜLLKONZEPT,
Landesverband Schleswig-Holstein e.V.,
22962 Siek bei Hamburg, Hansdorfer Weg 10,
Tel. 040 - 599 811 , Mobil 0162 - 36 73 857,
e-mail: kk-koch@web.de sowie muellkonzept-sh@t-online.de

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