(Gegenwind 219, Dezember 2006)

Gebietsreform in Schleswig-Holstein

Kreise, Regionen, Identitäten

Kabinettskollegen und Kontrahenten: Innenminister Stegner (SPD) und Ministerpräsident Carstensen (CDU)

Schleswig-Holstein soll reformiert werden: Die Verwaltungen sollen einfacher und bürgerfreundlicher werden, dazu auch noch billiger. Dazu sollen kleinere Einheiten zu größeren zusammengelegt, die Anlaufpunkte der Verwaltung aber gleichzeitig von oben nach unten durchgereicht werden. Im Ergebnis sollen diejenigen, die sich an die Verwaltung wenden, kürzere Wege und überschaubare Strukturen stehen. Der Innenminister gab das Einsparpotential mit 10 Millionen Euro pro Jahr an. "Zaghaftigkeit" werfen ihm die Grünen vor und untermauern mit einem Gutachten: Eine Verwaltungsstrukturreform aus einem Guss würde 142 Millionen Euro pro Jahr sparen.

Schleswig-Holstein ist das Land mit den meisten Gemeinden: Über 1000 Einheiten für lediglich etwas über 2,5 Millionen Einwohner sind deutscher Rekord. Dass das nicht funktionieren kann, ist seit Jahren klar. Deshalb sind in den meisten Kreisen "Ämter" gebildet worden: Gemeinsame Verwaltungen von mehreren Gemeinden. Der Nachteil ist, dass diese Verwaltungen nicht mehr demokratisch kontrolliert werden, weil die einzelnen Gemeinden nur noch durch Bürgermeister und eventuell die Fraktionsvorsitzenden der großen Parteien in den Amtsausschüssen vertreten sind. Die Demokratie reduziert sich vielerorts darauf, dass die CDU-Vertreter eines Dorfes mit den CDU-Vertretern des Nachbardorfes diskutieren.

Städte Gemeinden Ämter
Nordfriesland 7 0 13
Schleswig-Flensburg 3 2 18
Dithmarschen 5 1 12
Lauenburg 5 2 11
Ostholstein 6 10 4
Pinneberg 8 4 7
Plön 3 7 7
Rendsburg-Eckernförde 4 6 19
Segeberg 4 4 8
Stormarn 6 5 5
Steinburg 5 0 9

Das Land hat jetzt vorgegeben, dass sich Städte, Gemeinden und Ämter mit Nachbarverwaltungen zusammenschließen müssen, wenn sie weniger als 8000 Einwohner verwalten, um rentable Verwaltungen auf die Beine zu stellen. Nicht vorgeschrieben wird, auch die Gemeinden selbst zu verschmelzen, um auch eine gemeinsame Gemeindeverwaltung zu wählen. Machen sie es nicht, gibt es weiterhin "Amtsausschüsse", die in Zukunft dann aus mehr Gemeinden bestehen. Dadurch wird die Zahl der VertreterInnen einer Gemeinde im Amtsausschuss nur noch ein oder zwei Personen betragen, also nur Vertreter der größten, gelegentlich der zweitgrößten Partei.

Gleichzeitig soll die Verwaltung nach "überflüssigen" Aufgaben durchforstet werden. Dazu hatte die CDU angekündigt, zweitausend Stellen in der Verwaltung streichen zu wollen. Eingerichtet wurde erst mal eine neue Behörde, die im Finanzamt unter Staatssekretär Schlie eine Studie zu dem Vorhaben erstellte. Die Umsetzung der Vorschläge nach einem Jahr: Eine halbe Stelle wurde in Schleswig-Holstein bereits eingespart, teilte die Regierung gerade dem Landtag mit.

Gleichzeitig soll aber auch für die Aufgaben, die die Verwaltung weiterhin zu erledigen hat, die richtige Ebene gefunden werden. Einerseits soll das "bürgernah" sein, also in möglichst vielen Orten, andererseits auch möglichst sparsam.

Expertise der Grünen

Die Grünen haben bei Andreas Tietze, Sozialökonom der Uni Lüneburg und Fraktionschef im Kreistag von Nordfriesland, eine Expertise dazu in Auftrag gegeben. Dabei ging es darum, die finanziellen Folgen einer Verwaltungsstrukturreform "aus einem Guss" zu untersuchen. Diese soll in drei Schritten vor sich gehen:

  1. sollen aus den jetzt über 1100 Gemeinden Großgemeinden oder Ämter gebildet werden, die im Normalfall über 20.000 Einwohner, in Ausnahmefällen zwischen 15.000 und 20.000 Einwohner haben.
  2. sollen die Aufgaben, die dort erledigt werden können, vom Land und den Kreisen an die neuen Großgemeinden abgegeben werden, wo sie dann näher bei den Kunden sind.
  3. sollen die Kreise, vom "Publikumsverkehr" befreit, dann aufgelöst werden, neu gebildet werden vier Regionen für die Fachaufsicht und übergeordnete Aufgaben des Landes.

Das Land hätte weitgehend keine Verwaltungsaufgaben mehr, sondern nur noch die Aufsicht.

Gemeinde- und Ämterreform

Zur Zeit läuft ein Fusionsprozess, in dem sich alle Gemeinden und Ämter mit weniger als 8.000 Einwohnern zu größeren Einheiten zusammentun sollen. Das Land rechnet mit einer Ersparnis von 10 Millionen Euro pro Jahr. Die Studie kommt zum Ergebnis, dass die bisherigen Fusionsprozesse schon fast 17 Millionen Euro pro Jahr einsparen würden.

Wenn es die Vorgabe "mindestens 8.000 Einwohner" nicht gäbe, sondern es um Einheiten von über 20.000 Einwohner gehen würde, wären Einsparungen von fast 40 Millionen Euro pro Jahr möglich. Dabei werden absehbar in Nordfriesland schon jetzt Einheiten geschaffen, die den grünen Vorstellungen entsprechen, nur der Prozess auf Sylt ist noch nicht so weit. Aber der alte Kreis Südtondern, 1974 bei der Gebietsreform unter Uwe Barschel aufgelöst, entsteht jetzt als Gemeinde wieder neu. Diese Großgemeinden oder, als undemokratische Variante, Großämter können auch Aufgaben wie die Schulträgerschaft oder die Bauaufsicht übernehmen, die jetzt noch bei den Kreisen liegt.

In den meisten anderen Landkreisen laufen die Fusionsprozesse mehr oder minder widerwillig ab. So könnte Steinburg über 2,6 Millionen Euro pro Jahr einsparen, will aber nur ein Einsparergebnis unter 400.000 Euro erzielen. In Stormarn wurde ein Einsparpotential von über 3 Millionen Euro ermittelt, von denen nur 300.000 Euro Einsparung gewollt sind. Auch im Kreis Segeberg könnten Jährlich über 3 Millionen Euro weniger für die Bürokratie ausgegeben werden, das gewollte Einsparziel liegt aber nur bei 600.000 Euro.

Das Argument gegen die Einsparung von Verwaltungen ist meistens die örtliche Identität: Man will "seine" Gemeinde behalten, mitsamt Bürgermeister(in) und Rathaus. Das Gegenargument der Grünen: Angeln bleibt Angeln, unabhängig davon, welche Behörden wo ihren Sitz haben. Auch Dithmarschen hat Jahrzehntelang seine Identität bewahrt, ohne einen einheitlichen Kreis zu bilden, das kann auch in Zukunft so sein.

Modell der Grünen: 4 Regionen statt 11 Landkreise plus 4 kreisfreie Städte

Aus Kreisen werden Regionen

Die mittlere Verwaltungsebene kann nach grüner Auffassung nicht reformiert werden, ohne die Struktur der Gemeinden verändert zu haben. Wer, wie die Grünen, aus den Kreisen Ostholstein, Lauenburg, Stormarn und Lübeck einen Regionalkreis machen will, müsste bei isolierter Betrachtung dann die Verwaltungen aus Eutin, Ratzeburg und Bad Oldesloe abziehen und in Lübeck zusammenlegen - und damit Einwohner aus Glinde, Schwarzenbek und Fehmarn zwingen, Behördengänge in Lübeck zu erledigen.

Ein großer Teil der Proteste gegen die "Kreisfusionen", die bei der SPD und CDU jetzt diskutiert werden, resultieren daraus, dass der zweite Schritt ohne einen konsequenten ersten Schritt getan wird. Wer den neuen Ämtern eine Mindestgröße von 8.000 Einwohnern vorgibt, kann nur dort Aufgaben nach unten abgeben, wo freiwillig größere Einheiten gebildet werden.

Die Grünen gehen bei ihrer Expertise anders vor: Sie gucken nicht, wer mit wem "kann", sondern sie gucken, wo die normalen Beziehungen verlaufen. In welche Richtung, auf welche Zentren hin orientieren sich die Menschen, wenn sie zur Arbeit fahren, Freunde besuchen, die Freizeit gestalten oder einkaufen? Das ist für eine Reihe von Aufgaben schon fix und fertig untersucht und organisiert.

Gerichte: Es gibt in Schleswig-Holstein vier Landgerichte: Itzehoe (Unterelbe), Lübeck (Südostholstein), Kiel (KERN-Region) und Flensburg (Landesteil Schleswig).

Umweltämter: Es gibt drei Umweltämter in Schleswig-Holstein: Schleswig (Landesteil Schleswig und Dithmarschen), Kiel (KERN-Region und Ostholstein) sowie Itzehoe (Unterelbe und Hamburger Rand).

Katasterämter: Es gibt acht Katasterämter in Schleswig-Holstein: Flensburg/Schleswig, Nordfriesland, Kiel, Ostholstein, Lübeck, Meldorf, Elmshorn und Segeberg. Da der Datenbestand inzwischen vollständig digitalisiert ist, können diese im nächsten Schritt an vier Standorten zusammengelegt werden.

Die Grünen schlagen deshalb eine Vierteilung des Landes vor, weil das den bisherigen Tatsächlichen Strukturen am nächsten kommen. So läge der neue Regionalkreis Südostholstein an der Verkehrsachse A1 mit Lübeck als Zentrum, der neue Regionalkreis Unterelbe an der Verkehrsachse A23 mit Pinneberg oder Itzehoe als Zentrum, der neue Regionalkreis KERN an der Verkehrsachse A7 / A215 mit Kiel oder Neumünster als Zentrum. Als vierten Regionalkreis stellen die Grünen sich den wiedervereinigten Landesteil Schleswig vor, Zentrum würde Schleswig oder Flensburg sein.

Dazu gehen die Grünen auch vom bisher favorisierten Modell der Regierung ab, nur Kreise zu verschmelzen, also die bisherigen Kreisgrenzen für "heilig" zu erklären. So gehört Eckernförde eher zu Schleswig als zu Rendsburg, dieser 1974 geschaffene "künstliche" Kreis würde nach diesem Vorschlag wieder aufgelöst. Auch der Kreis Segeberg soll nach grünen Vorstellungen nicht zur KERN-Region oder zu Südostholstein geschlagen werden, sondern unter den drei Regionalkreisen Holsteins aufgeteilt werden. Erst diese Idee sorgt dafür, dass

Im Gegensatz zu den Verwaltungsregionen, die das vorige Modell der großen Koalition in Kiel vorsah, hat das grüne Modell den weiteren Vorteil, dass die vier Regionalkreise annähernd gleich groß sind. Die drei holsteinischen Kreise hätten 709.000 bis 806.000 Einwohner, der Landesteil Schleswig 500.000.

Nach den Berechnungen der grünen Expertise liegen die Einsparungen durch dieses Kreismodell bei über 100 Millionen Euro pro Jahr - wohlgemerkt, wenn zuvor die Aufgaben mit Kundenkontakt an die Großgemeinden übertragen worden sind. Gemeinde- und Kreisreform zusammen würden nach der Modellrechnung 142 Millionen Euro jährlich einsparen. Wenn auf Entlassungen verzichtet wird und die Einsparungen dadurch erzielt werden, dass zwei Drittel der durch Umzug oder Pensionierung frei werdenden Stellen nicht wieder besetzt werden, dauert es allerdings bis zu 14 Jahren, bis die volle Summe erstmals erreicht wird.

Probleme

Die Probleme an solch einem Vorschlag liegen auf der Hand. Der von allen möglichen Modellen radikalste Vorschlag ist auch der wirtschaftlich günstigste. Allerdings bedeutet die Zusammenlegung von Gemeinden:

Das ist schön für die SteuerzahlerInnen, aber schlecht für die PosteninhaberInnen. Am schwersten tut sich deshalb die CDU, denn doch haben die meisten Inhaber der Posten direktes Mitspracherecht.

Die SPD hat auf einem Parteitag im November eine "kleine Lösung" abgesegnet: Gemeinden müssen Ämter mit mindestens 8000 Einwohnern bilden, der Zusammenschluss von Gemeinden, also die Zuständigkeit einer gewählten Gemeindevertretung für die gebildete Verwaltung, bleibt freiwillig. Unabhängig von der Möglichkeit, Aufgaben nach unten zu delegieren, sollen Kreise fusioniert werden. Über einen Neuzuschnitt von Kreisen wurde nicht entschieden.

CDU vor der Zerreißprobe

In der CDU ging es am 18. November hoch her, als sie sich zum Parteitag in Lübeck traf. Im Mittelpunkt aller Diskussionen stand Innenminister Stegner, der den meisten Delegierten geläufiger ist als die Minister der eigenen Partei.

Dieser hatte den SPD-Beschluss zur Gebietsreform mit der Aussage garniert, damit würde seine Partei "die CDU vor sich hertreiben", was die CDU-Landräte besonders schmerzte, weil es stimmt. Außerdem hatte er unmittelbar vor dem CDU-Parteitag alle Landräte, und die sind üblicherweise von der CDU, für den Montag (20. November) zu einer Besprechung ins Innenministerium bestellt, um die neuen Kreisgrenzen anzudiskutieren, ohne den demokratischen Meinungsbildungsprozess des Parteitages abzuwarten. Die Landräte hatten geantwortet, sie hätten keine Zeit.

Der CDU-Vorstand hatte einen Leitantrag vorgelegt, unterzeichnet von vielen, aber nicht allen Kreisvorsitzenden, unterzeichnet auch von Ministern, und damit hohen Druck aufgebaut. Dieser Leitantrag sah (und sieht) vor, zunächst die Aufgaben der Verwaltung zu bestimmen, dann die Ebene festzulegen, auf der die Aufgaben erledigt werden sollen (ein Bauamt kann im Kreis, aber auch einer Großgemeinde angesiedelt sein), dann nach Wirtschaftlichkeitsberechnungen die richtige Größe der Gebietskörperschaften (Gemeinden oder Ämter, aber auch Kreise oder Regionalkreise) festzulegen.

Mit Wirtschaftlichkeitsberechnungen ist es so eine Sache: Das hier vorgestellte Gutachten sieht Gemeinden von mindestens 20.000 Einwohner und vier Kreise in Schleswig-Holstein vor. Wenn jede Gemeinde oder Ämtergröße über 8.000 Einwohner freiwillig bleibt und Kiel und Lübeck selbständig bleiben sollen, dann ist die Möglichkeit für neutrale Wirtschaftlichkeitsberechnungen schon mal nicht möglich. Außerdem soll nach den Vorstellungen Stegners der Innenminister am Schluss entscheiden, was wirtschaftlich ist, und ein Gesetz in den Landtag einbringen, das die neuen Kreisgrenzen festlegt.

Dagegen wendete sich ein Antrag aus Dithmarschen, unterstützt vom Kreisverband Plön, der vorsah, dass die Kreistage am Schluss entscheiden sollten, wie die neue Struktur Schleswig-Holsteins aussieht. "Ja zur Freiwilligkeit, nein zu Zwangsfusionen" lautete die populäre Parole von Dithmarschens CDU-Kreisvorsitzender Tim Hollmann. Der Ministerpräsident und Parteivorsitzende stemmte sich auf Hochdeutsch und Plattdeutsch dagegen, bezeichnete die Vorlage aus SPD-Sicht als "casus belli", kündigte also das Ende der Regierung an. Redner wie Peter Sönnichsen (Kreisvorsitzender Plön) und Olaf Bastian (Landrat Nordfriesland) wiesen das zurück, wollten den Bruch riskieren, verwiesen auf CDU-Wahlprogramm und Koalitionsvertrag, wo jede Gebietsreform jenseits der Freiwilligkeit strikt abgelehnt wird.

Am Schluss gab es 167 Stimmen für die Gebietsreform durch die Landesregierung, 99 für den Vorbehalt von Kreistagsbeschlüssen (271 Stimmen, 5 ungültig). Die Dithmarschen hatten listig eine geheime Abstimmung beantragt, damit alle ungezwungen gegen den Chef stimmen konnten. Auch bei der Schlussabstimmung verweigerte ein Drittel der Delegierten dem Vorsitzenden und Ministerpräsidenten die Gefolgschaft.

So wird es denn wohl eine Gebietsreform geben, aber nur eine zögerliche, langsame und bei der Hälfte der Vernunft stehen bleibende. Das Schauspiel, das die Große Koalition beim Verbrennen von Geld liefert, ist jedenfalls noch lange nicht vorbei.

Reinhard Pohl

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