(Gegenwind 227, August 2007)

Verwaltungsgerichte

"Im Asylverfahren gibt es keine Verhandlung ohne Dolmetscher"

Ralph Riehl

Im Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht werden die Fälle "Bürger gegen Staat" verhandelt. Dolmetscherinnen und Dolmetscher werden gebraucht, wenn AsylbewerberInnen gegen den Bescheid des Bundesamtes klagen. Wir sprachen mit dem Richter am Verwaltungsgericht Ralph Riehl.

Gegenwind:

Welche Aufgaben haben Sie hier im Gericht im Bezug auf Dolmetscherinnen und Dolmetscher?

Ralph Riehl:

Ich habe eine doppelte Aufgabe, das eine ist die juristische Tätigkeit, das andere ist eine technische Tätigkeit. Fangen wir mit dem Technischen an: Ich bin zuständig für die Verwaltung der Dolmetscher. Das heißt, wenn sich ein Dolmetscher bei uns bewirbt, bekommt er von der Verwaltung ein Schreiben, dass er in die Dolmetscherliste aufgenommen ist und dass er gegebenenfalls auch beauftragt wird, hier zu dolmetschen. Das geschieht dann aber jeweils durch den Richter, der den Dolmetscher benötigt, in eigener Verantwortung. Der Richter bestellt also auch den Dolmetscher, den er haben will, damit hat die Verwaltungsebene nichts zu tun.

Gegenwind:

Wie sortieren Sie die Bewerbungen? Welche Dolmetscherinnen oder Dolmetscher würden Sie von vornherein nicht in die Liste aufnehmen?

Ralph Riehl:

Voraussetzung ist für uns zunächst einmal, dass derjenige eine Aufenthaltserlaubnis hat und eine entsprechende Arbeitserlaubnis. Wir dürfen natürlich niemanden illegal beschäftigen. Das ist bei denen, die sich hier bewerben, üblicherweise kein Problem. Das Problem könnte eher auftauchen bei Personen, die wir uns selber suchen müssen, wenn wir jemanden für eine sehr seltene Sprache brauchen. ich erinnere mich daran, dass ich einmal einen indischen Dolmetscher für eine Stammessprache gesucht habe und nach einem halben Jahr bei einem Pizzabäcker fündig wurde. Da muss man dann natürlich aufpassen.

Gegenwind:

Welche Möglichkeiten haben Sie denn, Sprachkenntnisse zu überprüfen?

Ralph Riehl:

Ich kann sehr schlecht die Sprachkenntnisse in der Fremdsprache überprüfen. Das ist aber nicht so sehr das Problem, weil wir üblicherweise mit Dolmetschern arbeiten, die die Sprache des Asylbewerbers als Muttersprache haben. Da ist es eher die mangelnde deutsche Sprachkompetenz, die Probleme aufwerfen kann. Das kann man überprüfen, indem man vorher mit dem Dolmetscher telefoniert und feststellt, kann der ausreichend deutsch.

Gegenwind:

Was wissen Sie denn vorher über die Sprache der Asylbewerber? Es gibt ja Herkunftsländer, bei denen die Sprache nicht von vornherein klar ist.

Ralph Riehl:

Was wir feststellen können ist das, was in der Asylakte des Bundesamtes steht. Dort wird ganz am Anfang ein Fragebogen ausgefüllt, wo auch die Sprache drinsteht, erste Sprache, zweite Sprache und so weiter. Die erste Sprache ist üblicherweise die Muttersprache, wenn also als erste Sprache Armenisch, zweite Sprache Russisch dort steht, kann ich davon ausgehen, dass Armenisch die Muttersprache ist. In dem Bereich beschäftigen wir Dolmetscher, die beide Sprachen beherrschen. Das ist natürlich die Generation, die Russisch noch als Amtssprache gelernt hat.

Gegenwind:

Das ändert sich ja allmählich. Merken Sie, dass sich auch bei den Dolmetschern was ändert?

Ralph Riehl:

Das habe ich persönlich noch nicht feststellen können. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Dolmetscher in unserer Kammer aus der Zeit der Sowjetunion stammen.

Gegenwind:

Was unterscheidet eine Verhandlung mit Dolmetscher von einer Verhandlung ohne Dolmetscher? In Asylverfahren fehlen ja häufig Beweise, und Sie müssen die Glaubwürdigkeit der Schilderung beurteilen.

Ralph Riehl:

Im Asylverfahren gibt es grundsätzlich keine Verhandlung ohne Dolmetscher. Es kommt vor, dass die Asylbewerber durch einen langen Aufenthalt in Deutschland schon verhältnismäßig gut Deutsch gelernt haben, dann geht das auch direkt und der Dolmetscher sitzt nur zur Unterstützung daneben. Aber ich wüsste aus meiner Erfahrung nicht, dass eine Asylverhandlung ohne Dolmetscher stattgefunden hat. Das Problem ist natürlich, dass der direkte Zugang zu dem Asylbewerber eingeschränkt ist, weil alles was in einem Gespräch zwischen zwei Gleichsprachigen mitschwingt, das bekommt man natürlich nicht oder nur noch sehr schwer mit. Das ist ein Manko, da kann man nur hoffen, dass der Dolmetscher das möglichst gut versucht rüberzubringen, zum Beispiel Unsicherheiten.

Gegenwind:

Haben Sie als Richter ein sichereres Gefühl bei einer Entscheidung, wenn der Asylbewerber mit Ihnen auch deutsch gesprochen hat? Können Sie so die Glaubwürdigkeit besser beurteilen?

Ralph Riehl:

Eigentlich kaum. Ich glaube, man kann mich auch im Deutschen ähnlich gut belügen.

Gegenwind:

Wie ordnen Sie Dolmetscherinnen und Dolmetscher den Verfahren zu? Es gibt ja Flüchtlinge, die aus Bürgerkriegsländern kommen. Ein Dolmetscher aus dem gleichen Land kann ja auch einer gegnerischen Gruppierung nahe stehen.

Ralph Riehl:

Wenn so etwas bekannt ist, dann bemühen wir uns, keinen Dolmetscher zu nehmen, der da Probleme aufwirft. Ich will das an einem anderen Beispiel erläutern. Wir haben aus Bürgerkrieggebieten häufig Frauen, die vergewaltigt worden sind und dergleichen. Dann werde ich mich immer bemühen, eine Dolmetscherin zu nehmen. Es ist ja schon problematisch, dass vorne ein Richter sitzt, dem sie das erzählen müssen, wenn dann auch noch ein Mann als Sprachmittler dazwischen sitzt, wäre es noch schwerer. Das Gesetz erlaubt es ja leider nicht, einen solchen Fall einer Richterin zu geben.

Gegenwind:

Was erwarten Sie von einer Dolmetscherin oder Dolmetscher, die aus dem gleichen Land kommen? Es kann ja sein, dass die Dolmetscher eine unwahre Behauptung eher erkennen als Sie als Richter. Wenn dann einfach gedolmetscht wird, ist es möglich, dass Sie es gar nicht merken.

Ralph Riehl:

Das kann durchaus sein. Aber es ist nicht Aufgabe der Dolmetscherin oder des Dolmetschers, mir zu sagen, das glaube ich und das nicht, oder das ist wahr und das ist falsch. Dolmetschen heißt nur übersetzen, und zwar möglichst genau und keine weiteren Aussagen dazu zu machen.

Gegenwind:

Was würden Sie mit Dolmetschern machen, die ihnen hinterher sagen, dieses oder jenes ist bei uns anders, zum Beispiel gibt es zwischen diesen beiden Orten gar keine Eisenbahnlinie, das kann gar nicht gestimmt haben?

Ralph Riehl:

Das ist ein Problem. Dann hat im Grunde genommen dieser Dolmetscher eine Gutachter-Funktion.

Gegenwind:

Hat der Dolmetscher damit seine Kompetenzen überschritten?

Ralph Riehl:

Eigentlich ja. Unabhängig vom konkreten Fall bemühen wir uns natürlich, von den Dolmetschern Hintergrundinformationen über das Land zu bekommen, dass sie erzählen, was dort gerade los ist. Aber im konkreten Fall der Frage, ob es dort es eine Eisenbahnlinie gibt, da habe ich andere Möglichkeiten, das zu erfahren.

Gegenwind:

Gibt es eigene Termine, wo Sie mit Dolmetschern über Hintergründe sprechen? Oder passiert das eher nebenbei?

Ralph Riehl:

Das geschieht eher beim Mittagessen im Gericht oder bei Telefongesprächen.

Gegenwind:

Haben Sie schon erlebt, dass Dolmetscher von Asylbewerbern abgelehnt wurden?

Ralph Riehl:

Ja. Es kommt schon mal vor, dass ein Asylbewerber merkt, ich komme mit meiner Geschichte nicht durch. Dann wird versucht, dem Dolmetscher den Schwarzen Peter zuzuschieben, der hat falsch übersetzt. Ich will mal ein Beispiel bringen. Ich hatte den Fall eines Pakistani und wir hatten damals einen sehr guten, seriösen Dolmetscher. Vor der mündlichen Verhandlung kam ein Schriftsatz, in dem stand, das alles völlig falsch sei, was da beim Bundesamt bei der Anhörung aufgenommen worden sei, das habe der Asylbewerber gar nicht gesagt, der Dolmetscher habe völlig falsch übersetzt und auch einen anderen Dialekt gesprochen. Der Asylbewerber habe sich gar nicht richtig mit dem Dolmetscher verständigen können. Zufälligerweise war das damals unser Dolmetscher, den ich auch geladen hatte. Wir haben dann die mündliche Verhandlung durchgeführt, ich habe den Asylbewerber über den Dolmetscher ein paar Mal gefragt, ob sie sich miteinander verständigen können. Ich konnte das auch ein bisschen nachvollziehen, weil zum Teil englisch gesprochen wurde. Es gab keine Probleme. Ich habe gefragt, ob das alles richtig aufgenommen worden sei. Ja alles sei richtig. Ich habe dann nach dem damaligen Dolmetscher gefragt und bekam die Antwort, nein, damals sei es gar nicht gegangen, der habe eine ganz andere Sprache gesprochen. Ich habe dann gefragt, wissen Sie noch, wer der Dolmetscher war? Die Antwort war nein. Ich habe dem Asylbewerber gesagt, das war der Dolmetscher, der jetzt neben Ihnen sitzt. Darauf kam nichts mehr.
Es ist meine Erfahrung, dass in der Mehrzahl der Fälle versucht wird, über die Dolmetscher-Ablehnung auch Schwachstellen in der eigenen Darstellung zu überspielen.
Aber es hat auch Fälle gegeben, wo ein Dolmetscher von sich aus gesagt hat, der spricht einen Dialekt, mit dem ich nicht klarkomme. Dann muss man abbrechen und einen neuen Dolmetscher für einen neuen Termin suchen.

Gegenwind:

Haben Sie auch schon Dolmetscherinnen oder Dolmetscher rausgeworfen oder nach einem Verhandlungstag gesagt, den bestelle ich nicht mehr?

Ralph Riehl:

Das ist auch schon passiert. Wenn ich bei einem neuen Dolmetscher den Eindruck habe, das klappt mit dem nicht, möglicherweise gibt es zu viele Unsicherheiten im Deutschen, dann kann es sein, dass ich diesen Dolmetscher nicht mehr lade. Und einmal haben wir auch einen Dolmetscher austauschen müssen, weil der Dolmetscher einfach nicht dolmetschen konnte, was gesagt wurde.

Gegenwind:

Ist für Sie vorstellbar, dass ein Asylbewerber einen Dolmetscher ablehnt, der einem anderen Lager angehört oder Feindseligkeit zeigt?

Ralph Riehl:

Ich habe es noch nicht erlebt, aber ich kann es mir durchaus vorstellen. Wenn allerdings - das habe ich erlebt - nur als Einwand gebracht wird, man werde nichts sagen, weil man befürchte, dass die Dolmetscherin - eine in Deutschland lebende Landsfrau - für den Geheimdienst arbeite, dann muss ich verlangen, dass konkrete Verdachtspunkte vorgetragen werden. Nur so allgemein ist das kein Grund, einen Dolmetscher abzulehnen.

Gegenwind:

Gibt es für Sie finanzielle Grenzen, wie weit entfernt sie Dolmetscher holen, oder sind Sie zum Bezahlen jeder Reise verpflichtet?

Ralph Riehl:

Das Problem hat sich bei mir noch nicht gestellt, weil ich immer aus dem schleswig-holsteinischen und hamburgischen Bereich Dolmetscher gefunden habe. Einzige Ausnahme war ein ganz seltener afrikanischer Dialekt, aber nicht, weil mit keinem von hier eine Verständigung möglich war, sondern weil wir nur einen gefunden haben, der in Süddeutschland wohnte.

Gegenwind:

Richtet sich die Entscheidung, welcher Dolmetscher geladen wird, auch nach der Entfernung? Oder spielt das bei Ihnen keine Rolle?

Ralph Riehl:

Das spielt in soweit eine Rolle, als wir gehalten sind, Dolmetscher zu holen, die kostengünstig sind. Und wenn es lange Reisewege sind, muss man sich das verantwortlich überlegen. Wenn es für die Sprache allerdings nur einen weit entfernt wohnenden Dolmetscher gibt, muss dass bezahlt werden.

Gegenwind:

Wie suchen Sie Dolmetscher für Sprachen, die in der eigenen Liste nicht vorhanden sind?

Ralph Riehl:

Ich versuche es in erster Linie über die großen Dolmetscher-Büros, die es in z.B. Hamburg gibt. Dort frage ich, ob sie jemanden kennen, der diese Sprache spricht.

Gegenwind:

Gibt es Sprachen, in denen Sie sich Bewerbungen wünschen?

Ralph Riehl:

Im Moment haben wir da keine Probleme. Die Fluchtländer, die eine Rolle spielen, spielen eigentlich schon seit Jahren eine Rolle, und da haben wir genügend Dolmetscher. Und die Asylbewerberzahlen sind in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen, so dass es keine Probleme gibt, genug Dolmetscher zu haben. Im Gegenteil, ich weiß von Dolmetschern, die jahrelang für uns tätig waren, dass sie sich ein neues Berufsfeld suchen müssen, weil sie davon nicht mehr leben können.

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