(Gegenwind 228, September 2007)

Schwerpunkt Atomausstieg

CO2-freie Kohlekraftwerke

Hinter der schicken Fassade des IFM/Geomar an der Mündung der Schwentine in Kiel prallen offenbar Welten aufeinander. Zum einen arbeitet dort Mojib Latif, Meteorologe und seit Jahren hierzulande einer der bekanntesten Warner vor den Gefahren des Klimawandels. Zuletzt hatte er sich ausdrücklich gegen den Bau neuer Kohlekraftwerke ausgesprochen. Auf der anderen Seite ist IFM/Geomar-Chef Peter Herzig ganz scharf darauf, auch noch die letzten großen Lagerstätten fossiler Brennstoffe zu erschließen, die sich bisher dem Zugriff der Menschen am Meeresboden entziehen. Herzig verkündete Ende Juli stolz, man habe entsprechende Forschungsaufträge aus der Industrie an Land ziehen können. RWE Dea und Wintershall wollen in den nächsten Monaten voraussichtlich 3,5 Millionen Euro springen lassen.

Feuriges Eis

Es geht um die so genannten Gashydrate. Bei niedrigen Temperaturen und hohem Druck bildet sich am Meeresboden, oft im Sediment, eine besondere Form von Eis: Die Wassermoleküle schließen in ihrem Gitter Gasmoleküle wie in einem Käfig ein. Meist handelt es sich um Methan, das nicht nur ein als Erdgas viel genutzter Brennstoff sondern auch ein sehr effektives Treibhausgas ist. Das Problem dieses ungewöhnlichen Eises ist, dass es nur unter extremen Bedingungen stabil bleibt. Wird es zum Beispiel an die Meeresoberfläche geholt, beginnt es schon auf dem Weg dahin, sich aufzulösen. Das Methan entweicht und trägt zum Treibhauseffekt bei.

Bisher gibt es keine sicheren Methoden, Gashydrate zu bergen, doch das kann sich natürlich ändern. Aber wenn tatsächlich halbwegs sichere Fördermethoden einmal zur Verfügung stehen, können wir uns dann darauf verlassen, dass die Energiekonzerne, die dieses Geschäft übernehmen, mit der notwendigen Sorgfalt arbeiten werden? Viele Lagerstätten liegen in internationalen Gewässern, wo es praktisch keine Aufsicht gäbe. Ein Blick auf die Geschichte der Erdölindustrie mit ihren Tankerhaverien, Menschenrechstverletzungen (Nigeria) und Kriegen gibt eigentlich keinerlei Grund zu der Annahme, dass bei der Ausbeutung der Gashydrate Klimaschutz Priorität haben würde. Das allein schon ist einigermaßen bedenklich, denn Methan ist ein höchst effektives Treibhausgas.

Das andere Argument, dass gegen die Ausbeutung de Gashydrat-Lager spricht, hängt ebenfalls mit Treibhaus und Klimawandel zusammen. Spätestens seit dem in den letzten Monaten die drei Arbeitsgruppen des UN-Klimarates IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) ihre Berichte vorgelegt haben ist eigentlich klar, dass der Verbrauch fossiler Brennstoffe zügig gedrosselt werden muss. Bei der Verbrennung von Kohle, Diesel, Benzin und Methan entsteht nämlich Kohlendioxid (CO2), das das mit Abstand häufigste und wichtigste Treibhausgas ist. Die Menschheit müsste also dringend nach Wegen suchen, ihren Energiebedarf aus Quellen wie der Sonne und dem Wind zu decken, die erstens nicht erschöpfbar sind, und zweitens nicht das Klima noch weiter belasten.

An dieser Stelle zieht Peter Herzig einen vermeintlichen Joker aus der Tasche: Die so genannte saubere Kohle. Hinter diesem neuen Schlagwort der Klimadebatte verbirgt sich das Vorhaben, CO2 aus den Abgasen der Kohlekraftwerke abzutrennen und unter Luftabschluss einzulagern. Herzigs Idee: In den Gashydraten das Mehan durch CO2 ersetzen. Um Verfahren dafür zu entwickeln, wollen die RWE Dea und Wintershall eventuell zusätzliche elf Millionen Euro locker machen. Herzig hofft außerdem auf 50 Millionen Euro an Forschungsgeldern aus Berlin für die Gashydrattechnologie, heißt es in einer Pressemitteilung des Landeswirtschaftsministeriums.

Seine Aussichten sind vermutlich nicht schlecht. In zahlreichen Ländern sind in den letzten Jahren Forschungsvorhaben angelaufen, die sich mit der Abtrennung und Einlagerung von CO2 beschäftigen. Die EU unterstützt zum Beispiel bereits seit 1998 entsprechende Projekte. Mitunter wird diese Forschung sogar schon als Argument für die derzeit geplanten Kohlekraftwerke ins Feld geführt. Das ist allerdings besonders unredlich. Die verschiedenen möglichen technischen Konzepte zur Abtrennung sind weitgehend unerprobt. Vattenfall hat erst im letzten Jahr mit dem Bau einer Versuchsanlage begonnen, RWE will im nächsten Jahr nachziehen. Dort ist die Inbetriebnahme einer Pilotanlage für 2014 geplant. Alle beteiligten Unternehmen sprechen davon, dass die Marktreife 2020 erreicht sein wird. Eine Nachrüstung der dann stehenden Anlagen wird vermutlich kaum möglich sein.

Lager gesucht

Eine andere Frage ist die der sicheren Einlagerung. Wie kann man das Treibhausgas deponieren, sodass es für Jahrtausende sicher ist? Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) sieht als Mindestanforderung an die Lager eine Leckrate von weniger als 0,01 Prozent pro Jahr und Sicherheit für 10.000 Jahre.

Am umstrittensten ist die Einbringung CO2 in tiefere Schichten der Weltmeere oder am Meeresboden, wie sie unter anderem auch am IFM/Geomar untersucht werden soll. Das größte Problem ist die langfristige Kontrolle der Deponien. Entgegen des Eindrucks, den Herzig in der Pressemitteilung erweckt, kann heute kein Geowissenschaftler sagen, dass die Gashydrate über Jahrtausende stabil sein werden. Es gibt viel mehr Spekulationen, dass manches Lager sich auflösen wird, wenn die Erwärmung bis in die entsprechenden Meerestiefen vordringt. Wenn aber das CO2 entweichen würde, könnte eine der Folgen sein, dass das Meerwasser versauert. Das wiederum hätte fatale Konsequenzen für die Ökosyteme in den betroffenen Regionen. Eine andere Konsequenz könnte das entweichen in die Atmosphäre sein. Normalerweise sind die Ozeane sehr stabil geschichtet. Tiefenwasser braucht sehr lange, bis es an die Oberfläche gelangt, um dort etwaiges aus den Lagerstätten entwichenes CO2 abzugeben. In einem sich rasant ändernden Klima ist allerdings auch darauf nicht mehr unbedingt Verlass: Erst Anfang Mai 2007 haben Thomas Marchitto und Kollegen von der Universität von Colorado und einigen anderen US-Instituten gezeigt, dass es gegen Ende der letzten Eiszeit zwei Episoden gegeben hat, in denen die Ozeane größere Mengen CO2 an die Atmosphäre abgegeben haben. Quelle war übersättigtes Tiefenwasser, das durch Veränderungen der Meereszirkulation aufgrund des Abschmelzens des Eises an die Oberfläche gekommen war. Das lässt nicht gerade darauf schließen, dass der Meeresgrund ein sicherer Ort für das abgetrennte CO2 aus der Verbrennung der Kohle wäre. Mal davon abgesehen, dass die Transportwege lang und damit teuer wären.

Etwas günstiger ist da schon die Prognose für geologische Formationen. Gedacht ist vor allem an leere Öl- und Erdgaslagerstätten oder tiefe salzhaltige Wasseradern. In Norwegen und Kanada wird CO2 bereits kommerziell eingesetzt, um die Ausbeute von Erdöllagerstätten zu erhöhen. In Norwegen ist das besonders attraktiv, weil eine hohe CO2-Steuer die Abtrennung wirtschaftlich sinnvoll macht. Mit dem verflüssigten CO2 lässt sich zudem zusätzliches Erdöl aus der Lagerstätte pressen, das anders nicht zu fördern wäre. Klar scheint zu sein, dass das CO2 die Chemie im Gestein, in das es eingepritzt wird erheblich verändert. Wird es in wasserführende Schichten gedrückt, dann versauert sich das Wasser. In den USA haben im letzten Jahr Versuche gezeigt, dass dadurch das umliegende Gestein angegriffen wird und giftige Sbstanzen ins Wasser gelangen. Es müsste also sichergestellt sein, dass diese geologischen Formation für viele, für sehr viele Generationen keinen Kontakt mit höher liegenden Grundwasserschichten bekommen, aus denen wir uns versorgen.

Energieverschwendung

Aber nehmen wir an, es können sichere Speicher gefunden und die entsprechenden Techniken für die Deponierung entwickelt werden. Bleibt die Frage, wie wirtschaftlich das Ganze ist. Immerhin müsste zum Beispiel das abgetrennte CO2 verflüssigt werden, wofür ein erheblicher Energieeinsatz nötig ist. Außerdem müssten die Tiefen-Deponien in der Nähe der Kraftwerke sein, damit der CO2 -Transport keines zu großen Aufwands bedarf. Der Transport aufs Meer und die dortige Einlagerung - die Prognose sei gewagt - dürfte sich schon aus Kostengründen verbieten. Aber auch an Land wird noch ein erheblicher Energieaufwand für Abtrennung und Einlagerung betrieben werden müssen, und das ist nicht nur eine Frage des Geldes und der Energieffizienz des Gesamtprozesses sondern auch seiner Treibhausgasbilanz.

Die Vorgabe der EU für ihre Forschungsförderung lautet, dass 90 Prozent CO2-Reduktion erzielt werden soll. Das erstaunt, denn die Prospekte der Energiekonzerne und Anlagenbauer sprechen gerne von CO2-freien Kraftwerken. Tatsächlich ist aber die Abtrennung nicht perfekt. Dietmar Schüwer vom Wuppertal Institut für Umwelt, Klima und Energie rechnet mit einem Rest-CO2 von fünf bis 25 Prozent, je nach dem, wie groß der zusätzliche Energiebedarf ist und wie vollständig die CO2-Abscheidung funktioniert. Hinzu kommen noch Leckagen bei Umwandlung, Transport und Einlagerung.

Ähnlich pessimistisch ist das Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung, das 2006 in einer Studie die Möglichkeiten von CO2-Abtrennung und Deponierung unter die Lupe genommen hat. Das Ergebnis: Es handele sich um eine interessante Brückentechnologie, die in den nächsten Jahrzehnten helfen könne, die CO2-Emissionen deutlich zu mindern, bis erneuerbare Energiequellen in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. In einer Pressemitteilung des Instituts vom 19. Oktober 2006 heißt es: "Ein Allheilmittel ist sie (die CO2-Abscheidung) aber nicht: Kraftwerke mit CO2-Abscheidung verbrauchen ein Drittel mehr Kohle oder Erdgas und sind deshalb kein Fortschritt in Richtung einer nachhaltigen Energieversorgung. Speichermöglichkeiten für CO2 sind nach Untersuchungen der BGR (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe) vor allem in Norddeutschland zu erwarten. Die Eignung und das Aufnahmevermögen einzelner Untergrundstrukturen sind allerdings noch nicht bekannt."

Unterm Strich ist also über die Technologie der CO2-Abtrennung und -Deponierung, die ohnehin nur für Kraftwerke und keinesfalls für andere wichtige Treibhausgasquellen, in denen Herzigs Methan vom Meeresgrund verbrannt werden würde, wie Verkehr oder Heizungen, in Frage kommt, folgendes festzuhalten: Erstens steht sie noch lange nicht zur Verfügung. Zweitens wirft sie einige wichtige Fragen nach der Sicherheit der Lager auf, die zukünftigen Generationen aufgebürdet würden. Drittens bindet die Forschung an ihr weltweit Beträge im zweistelligem Milliarden-Euro-Bereich, die sicherlich sinnvoller in die Steigerung der Energieeffizienz und die Entwicklung regenerativer Quellen gesteckt würden. Viertens ist diese Technologie voraussichtlich bestenfalls für zentrale Großkraftwerke sinnvoll. Fünftens wird sie in diesen die Ausnutzung der Brennstoffe, die dort schon heute beschämend niedrig ist, da die Abwärme meist ungenutzt bleibt, um mindestens weitere zehn Prozent drücken. Eine moderne Energiepolitik sieht anders aus.

Wolfgang Pomrehn

Vom Autor ist Mitte August bei PapyRossa das Buch "Heiße Zeiten - Wie der Klimawandel gestoppt werden kann" erschienen, siehe auch: www.wolfgangpomrehn.de.

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