(Gegenwind 229, Oktober 2007)

Ein neues Kohlekraftwerk für die "Klimaschutzstadt" Kiel

Die Zukunft der Energieversorgung

Luftaufnahme des Gemeinschaftskraftwerkes Kiel (GKK)
Das Gemeinschaftskraftwerk Kiel (GKK)

Klimawandel und Verantwortung

Der Klimawandel mit steigenden globalen Temperaturen ist eine Realität. Eine Realität ist auch die Tatsache, dass der größte Teil der Erderwärmung der letzten 100 Jahre vor allem auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe zurückzuführen ist. Der Klimawandel ist also zum größten Teil "menschengemacht" und insoweit auch durch die Menschen beeinflussbar (IPCC-Bericht 2007).

Nach den Aussagen der Klimaforscher ist das Zeitfenster vergleichsweise klein, in dem noch "umgesteuert" werden kann und muss, um die Erderwärmung in beherrschbaren Grenzen zu halten. Eine nüchterne volkswirtschaftliche Betrachtung zeigt, dass es für die globale Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung um ein Vielfaches besser ist, jetzt und sofort in den relevanten Bereichen, vor allem in der notwendigen Umstrukturierung der Energieversorgung, zu beginnen, als weiter abzuwarten und so weiterzumachen wie bisher. (Stern-Report 2006).

Die Verantwortung im umfassenden Sinn liegt bei den Industrieländern, weil sie für über 90% der Treibhausgase verantwortlich sind, und durch ihre Art des Wirtschaftens das Problem hervorgerufen haben. Dies betrifft die historische Verantwortung ebenso wie die tatbestandliche, die sicherheitspolitische ebenso wie die klima- und energiepolitische! Statt "Weiter so" kommt es darauf an, die Chancen zu nutzen, die mit einer zukunftsfähigen und nachhaltigen Entwicklung verbunden sind (vgl. BMU 2000-2007).

Die Energiewende ist nötig und möglich

Der Kern der erforderlichen Energiewende besteht in der Überwindung der atomar-fossilen Großkraftwerksstruktur bei der Stromerzeugung und der parallel dazu aufgebauten Wärmeversorgungsstrukturen. Dies ist nur möglich durch die konsequente Verbindung dreier längst bekannter Entwicklungspfade:

Das dies technisch möglich und volkswirtschaftlich verkraftbar ist, haben eine Vielzahl von Gutachten seit vielen Jahren belegt. Es sei nur erinnert an die Gutachten der Klima-Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages 1988/89, die Gutachten im Rahmen der EEG-Debatten oder die Gutachten des Nachhaltigkeitsrates der Bundesregierung.

Wirtschaftlich bzw. ökonomisch von Bedeutung bei der ganzen Diskussion ist die Tatsache, dass die herkömmliche Energieerzeugung durch eine Reihe von Privilegien geschützt wird (z.B. die Rückstellungspraxis oder Unterversicherung bei der Atomstromproduktion) und sich in den Preisen die tatsächlichen Kosten nicht widerspiegeln (z.B. die sog. "externen Kosten" der Kohleverstromung). Die EU hat - ebenfalls in verschiedenen Studien - errechnet, dass die Kohleverstromung in Deutschland zwischen 3 -6 Cent/kWh externe Kosten verursacht, Gasverstromung 1 - 2 Cent/kWh, Erneuerbare Energien weit unter 1 Cent/kWh. Externe Kosten sind: Globale Erwärmung, Gesundheitskosten, arbeitsmedizinische Kosten, Sachschäden und anderes(GD Forschung der EU 2001). Genau dieses in die Betrachtungen einzubeziehen, ist auch der Ansatz der Berechnungen von Sir Nicolas Stern!

Die Energiewende erfordert politischen Mut

Im energiepolitischen Sinn heißt Energiewende vor allem, das Erzeugungsmonopol der großen Energieversorgungsunternehmen zu brechen! Die Entwicklung der Erneuerbaren Energien und ihre politische Durchsetzung in Deutschland liefern für diesen "Machtkampf" Anschauungsmaterial in Hülle und Fülle. Gleiches gilt für die vor sich hin dümpelnde Entwicklung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und die Auseinandersetzungen um die verschiedenen Energieeinsparverordnungen der letzten 10 Jahre.

Der entscheidende Charakter der Energiewende liegt in seiner Dezentralität mit allen bekannten positiven regionalwirtschaftlichen Effekten. Die Branchen der Erneuerbaren Energien haben sich als neuer Mittelstand entwickelt, die Gebäudesanierung nutzt auf Dauer dem Hausbesitzer, nicht aber dem Energieverkäufer!

Es wäre insoweit schon sehr viel gewonnen, wenn in der politischen Debatten direkt die unterschiedlichen Interessen deutlich gemacht würden, die hinter den energiepolitischen Gesetzen oder Rahmenbedingungen stehen.

Wer also großzügig Emissionszertfikate an die Kohleverstromer verschenkt, die dann in Milliarden Euro Größenordnung auf die Strompreise ohne Gegenleistung aufgeschlagen werden, vergießt "politische Krokodilstränen", wenn er sich hinterher darüber beschwert, dass das Geschenk von den so Begünstigten auch genutzt wird!

Und wer die Vorteile der KWK wie der Gebäudesanierung in Hochglanzbroschüren anpreist, würde politisch glaubwürdiger, wenn er dies in großem Maßstab im eigenen öffentlichen Gebäudebestand konsequent vormacht!

Aktuelle Bestandsaufnahme in der "Klimaschutzstadt Kiel"

Die Landeshauptstadt(LH) Kiel ist Mitglied im Internationalen Klimabündnis Europäischer Städte. Diese haben auf der Jahreskonferenz 2007 in Zürich am 9.Mai beschlossen, ihren CO2-Ausstoß bis 2030 um 50 Prozent gegenüber 1990 zu senken.

Die bisherige Bilanz der "Klimaschutzstadt Kiel" ist ernüchternd:

Den Geschäftsberichten der Stadtwerke Kiel AG(StW) ist zu entnehmen, dass von 1990 bis 2005 mehr Strom, mehr Fernwärme und auch mehr Gas verkauft wurde, also im Bereich der leitungsgebundenen Energieversorgung keinerlei Senkung des CO2-Ausstosses stattgefunden hat.

Der letzte städtische "Energiebericht 2004" stellt für den Verbrauch der städtischen Liegenschaften das gleiche Ergebnis fest und es heißt dort: "Dem Verbrauchsanstieg muss unbedingt durch ein effektiveres Energiemanagement gegengesteuert werden".

Es gibt also Gründe genug, sich über eine zukunftsfähige und nachhaltige Energieversorgungsstruktur der LH Kiel Gedanken zu machen - jedenfalls dann, wenn der Klimaschutzgedanke nicht nur "Sprechblase" sein soll.

Die Ratsversammlung hat die OBín bereits im Oktober 2005 einstimmig aufgefordert, "in Abstimmung mit den Stadtwerken auf Grundlage des § 2 des Konzessionsvertrages mit den Stadtwerken vom 21.11.1996 ein nachhaltiges kommunales Energie- und Klimaschutzkonzept zu entwickeln, um schrittweise die Abhängigkeit vom Erdöl abzusenken und verstärkt Energieeinsparen, rationelle Energieverwendung und Nutzung erneuerbarer Energien zu fördern". Ein Ergebnis liegt noch nicht vor.

Während dieser Vorgang in der öffentlichen Diskussion bislang kaum eine Rolle spielt, wird die Debatte um das Gemeinschaftskraftwerk Kiel (GKK) schon länger öffentlich begleitet. Während es vor ein paar Jahren bei einem für das Jahr 2015 anstehenden Neubau noch um eine Leistungserhöhung auf 560 MW elektrisch ging (z.Zt.: 354 MW elektrisch, d.h. Stromerzeugung, und 295 MW thermisch, d.h. Fernwärmeerzeugung)und um die Art des einzusetzenden Brennstoffes (Kohle, Gas oder Biomasse), geht es aktuell um einen wesentlich größeren Kraftwerksneubau mit einer Leistung von mindestens 800 MW elektrisch und 450 MW thermisch ( Ende 2006 war noch von 1100 MW elektrisch die Rede!).

Zu den Auswirkungen eines "Groß-GKK"

Die Errichtung eines erheblich größeren Steinkohlekraftwerks als Nachfolgeanlage für das alte GKK bedeutet zunächst einmal, den CO2-Ausstoß auf dem Gebiet der LH Kiel für die nächsten 40-60 Jahre zu verdoppeln! Dies widerspricht sämtlichen Klimaschutzzielen vom Kioto-Protokoll angefangen über die verbindlichen Klimaschutzziele der EU und der Bundesregierung bis zum Konzessionsvertrag, der zwischen der LH Kiel und den StW abgeschlossen wurde. Um es deutlich zu formulieren:

Die Realisierung eines solchen Projektes entspricht vor allem den Stromverkaufsinteressen des GKK-Anteilseigners E.ON und steht der Umsetzung eines nachhaltigen Energieversorgungskonzeptes für die LH Kiel diametral entgegen!

Die Realisierung eines "Groß-GKK" hätte folgende weitere Auswirkungen:

Für gewöhnlich werden viele dieser Gesichtspunkte - wie die von vielen Anwohnern befürchtete Wertminderung ihrer Grundstücke und Häuser - als "Externe Kosten" betrachtet, die den Investor nicht interessieren. Für die politisch Verantwortlichen ist das aber sehr wohl von Bedeutung!

Zur energie- und regionalwirtschaftlichen Bedeutung des Neubauprojektes

Ein wesentliches Argument der Befürworter ist der Umstand, dass auch der Neubau in die Fernwärmeversorgung Kiels eingebunden wird, es also um KWK geht. Aber schon das heutige GKK hat nur einen sog. Jahresnutzungsgrad von 50%. Dies liegt u.a. daran, dass die anderen vorhandenen Anlagen wie die Müllverbrennungsanlage und das modernisierte Gas-Heizkraftwerk in der Humboldtstr. einen Teil der Fernwärmeversorgung tragen.

Es soll trotz der mit 450 MW erheblich größeren Wärmeleistung nur Fernwärme im bisherigen Umfang des alten GKK ausgekoppelt werden. Sowohl die Struktur der Fernwärmeversorgung in Kiel als auch die Notwendigkeit, die anderen vorhandenen Anlagen zu betreiben, deuten also darauf hin, dass sich die "Fahrweise" des geplanten Kraftwerks an einer maximalen Stromerzeugungsleistung orientieren soll.

Darüber hinaus wird gegenüber der heutigen Situation kein einziger neuer Arbeitsplatz geschaffen. Heute beschäftigt das GKK 108 Mitarbeiter, im Neubau sollen es 100 sein.

Im Bereich der leitungsgebundenen Energieversorgung verfügen StW und LH Kiel zudem über eine Zahl von Anlagen, deren Leistung im Bereich der Wärmeversorgung erheblich über dem Spitzenbedarf in Kiel liegt.

Nach alledem kommt es also entscheidend darauf an, die Frage eines GKK-Neubaus, seine grundsätzliche Notwendigkeit, seine Größe und den zu wählenden Brennstoff im Zusammenhang mit dem noch ausstehenden Energie- und Klimaschutzkonzept der LH Kiel zu diskutieren!

Global denken, lokal handeln!

Ein zukunftsfähiges und nachhaltiges kommunales "Energie- und Klimaschutzkonzept Kiel" muss erreichbare Ziele definieren, die handelnden Akteure benennen und die Maßnahmen festlegen, mit denen die definierten Ziele auch verwirklicht werden können.

Als "Klimaschutzstadt" liegt es auf der Hand, sich die CO2 - Minderungsziele des oben genannten Bündnisses zu eigen zu machen.

Die wichtigsten handelnden Akteure sind neben der Stadt selber die Stadtwerke und die vielen Privaten von den Hauseigentümern bis zum Handwerk. Dabei ist zu beachten, dass die Interessen durchaus unterschiedlich sein können. Der charmante Spruch von dem amerikanischen Energiepionier Amory Lovins: "Negawatt statt Megawatt" ist für jeden Strom- und Wärmeverkäufer ein Graus!

Im Bereich der wesentlichen strukturellen Maßnahmen sind zu prüfen, zu bewerten und Umsetzungsschritte darzustellen:

Für alle genannten Bereiche gibt es sowohl technische Umsetzungsmöglichkeiten als auch gelungene Beispiele. Es ist nicht einmal im Ansatz erkennbar, wie ohne die Umsetzung solcher Maßnahmen überhaupt irgendwelche CO2 - Minderungsziele erreicht werden könnten. Es wäre im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltig angelegtes Geld, wenn sich die LH Kiel bei der Erstellung des Energie- und Klimaschutzkonzeptes professioneller Unterstützung durch entsprechende Gutachter bedienen würde.

Es wäre in dem Zusammenhang wünschenswert, wenn ein energiepolitisches Interesse auch über die Gewinnabführung der Stadtwerke an den städtischen Haushalt hinaus öffentlich deutlich würde. Dies entspräche den klima- und energiepolitischen Erfordernissen ebenso wie der politischen Verantwortung, die in dem Beitrag der LH Kiel zur Lösung dieser globalen Schicksalsfrage liegt!

Wilfried Voigt, Staatssekretär a.D.

(Thesenpapier zur Veranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion / Hans-Peter Bartels, am 28. Juni 2007, Kiel)

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