(Gegenwind 230, November 2007)

Sozialfonds gegen Kinderarmut im Landtag gescheitert

Kein Kind ohne Mahlzeit

Frau hilft Kind beim Schälen einer Möhre

In Schleswig-Holstein gibt es Kinderarmut und soziale Ausgrenzung. Das bezweifelt heute niemand mehr. Dass etwas dagegen unternommen werden muss, ebenfalls nicht. Vor diesem Hintergrund ist es ein Skandal, dass CDU und SPD in der Oktobersitzung des Landtages den Grünen Landtagsantrag für einen Sozialfonds gegen Kinderarmut abgelehnt haben.

Unglaublich wird das Ganze, wenn man sich vor Augen führt, dass SPD-Sozialministerin Gitta Trauernicht noch zwei Wochen zuvor am Weltkindertag selbst einen Sozialfonds angekündigt hat. Eine solche Ministerin macht nicht nur ihre Partei unglaubwürdig, sondern sich selbst überflüssig. Es ist ein gesellschaftspolitischer Skandal, Kinder in einem reichen Land wie Deutschland derart auszugrenzen.

Die ganze Geschichte: Am Weltkindertag ist die Politik besonders großzügig mit warmen Worten! Und so war es auch in diesem Jahr. Nur fünf Tage, nachdem die SPD-Abgeordnete Trauernicht im Landtag den Sozialfonds als einen Baustein im Grünen Gesamtkonzept "Gesunde Ernährung in Kita und Schule" abgelehnt hatte, pries sie als Sozialministerin Trauernicht genau diesen Sozialfonds als ihre nächste sozialpolitische Tat an! Ein Sozialfonds, so die Ministerin, solle sicherstellen, dass mit Hilfe der Landesregierung kein Kind ohne Mahlzeit bleibt.

Verwundert rieben sich die Abgeordneten der Grünen Fraktion die Augen, um sich dann zu freuen, dass die Landesregierung derart schnell eine Grüne Forderung aufgreift und umsetzen will. Nun wollten wir die Ministerin auch beim Wort nehmen! Gemeinsam mit der FDP und dem SSW forderten die Grünen die Landesregierung auf, ihr Versprechen einzulösen und zügig ein Konzept für die Umsetzung eines Sozialfonds vorzulegen.

Der Handlungsbedarf ist offensichtlich, bei 80.000 betroffenen Kindern in Schleswig-Holstein ist Kinderarmut bittere Realität. Armut wirkt sich auch deutlich auf den Gesundheitszustand der Kinder aus. Insbesondere dann, wenn Armut kein Übergangsphänomen ist, sondern dauerhaft ist. Von warmen Worten am Weltkindertag allein werden Kinder nicht satt! Bei einer Kinderarmut Schleswig-Holstein von 17 Prozent stellt sich nicht die Frage, ob gehandelt wird. Die einzige Frage ist, wie möglichst schnell und effektiv geholfen werden kann.

Wir brauchen Maßnahmen, die schnell und direkt bei den Kindern ankommen. Deshalb haben wir den Sozialfonds vorgeschlagen. Er soll sicherstellen, dass kein Kind aus Kostengründen von einer warmen Mahlzeit in Kita und Schule ausgeschlossen wird. Land und Kommunen, aber auch von Kitaträger, Vereine, Verbände und Wirtschaft zahlen in den Fonds ein. Aus diesen Mitteln wird die warme Mahlzeit in Kita und Schule bezuschusst. Kinder aus armen Familien würden dann nur einen Euro pro Mahlzeit zahlen. Um in einem ersten Schritt ein warmes Mittagessen für alle Kinder in der Kita sicher zu stellen, würden wir in Schleswig-Holstein etwa sechs Millionen Euro pro Jahr benötigen. Das hört sich viel an, ist aber durchaus zu bewältigen, wenn alle an einem Strang ziehen.

Dass dies, wenn es konkret wird, dann doch nicht der Fall ist, konnte man abermals "live" im Landtag erleben. In der Oktobersitzung lehnte die SPD gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner dann zum größten Erstaunen aller Beobachter, das eben noch gelobte Projekt, den Sozialfonds gegen Kinderarmut ab. Verstehen kann das niemand mehr. Die Glaubwürdigkeit der Politik wird damit ad absurdum geführt.

Kinder bereiten gesundes Essen zu

Warum Handeln aber so wichtig gewesen wäre, zeigen Beispiele aus der Praxis:

In der Gemeinde Trappenkamp zahlen Hartz IV-EmpfängerInnen für einen Halbtagsplatz in der Kita 18 Euro, für einen Ganztagsplatz wären es 22 Euro. Es ist nicht der Unterschied von Euro, der sie davon abhält, ihrem Kind ein Ganztagsplatz zu ermöglichen, sondern die 52 Euro Essensgeld, die zwangsläufig dazukommen würden. Es geht es nicht um die Frage, ob Eltern mit Geld umgehen können oder nicht. Bei 2,57 Euro pro Tag Verpflegungssatz kann eine Familie schlicht nicht 2,30 Euro oder mehr für eine Mittagsmahlzeit zahlen. Dieses Beispiel macht deutlich, dass gerade Kinder von Hartz IV-Familien regelrecht ausgegrenzt werden: von der Mittagsmahlzeit und von einem ganztägigen Lern- und Spielangebot.

Das dürfen wir nicht hinnehmen. So rauben wir den Kindern auch die Bildungschancen, die sie dringend brauchen. So tragen wir mit dazu bei, dass Fernseher und Computer den Alltag von Vierjährigen in der kleinen Sozialwohnung bestimmen und nicht die Lernwerkstatt in der Kita. Dass es auch anders geht, zeigt die Landehauptstadt Kiel. Hier zahlt kein Kind aus einer einkommensschwachen Familie mehr als 28 Euro für Essen und Betreuung.

Schön sind Diskussionen und öffentliche Statements auf der Bundesebene, die kostenlose Mittagsmahlzeiten in Kindertagesstätten und Schulen fordern. Aber es reicht nicht in Berlin wohlfeile Forderungen aufzustellen, um im Übrigen mit dem Finger auf die Länder und die Kommunen zu zeigen. Das hilft nicht wirklich weiter. Zu befürchten ist durchaus, dass es noch lange dauert, bevor aus Berlin Unterstützung - sprich bares Geld - kommt. Deshalb müssen wir jetzt in Schleswig-Holstein handeln.

Einen Sozialfonds finanziell auszustatten und ihn so zu gestalten, dass er ein unbürokratisches und praktikables Instrument ist, ist sicherlich kein leichtes Unterfangen. Aber wer gar nicht erst anfängt, der kann auch nicht zu einem Ergebnis kommen. Und gute Beispiele zum Nachahmen gibt es durchaus. Rheinland-Pfalz hat hier einen ersten Schritt gemacht hat. Für die Verpflegung in Schulen können die Kommunen dort Landeszuschüsse erhalten, wenn sie sicherstellen, dass für Kinder aus Hartz IV-Familien oder von Geringverdienern die Mittagsmahlzeit nicht mehr als einen Euro kostet.

Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie die Auswirkungen von Armut die Lebenschancen von Kindern in Schleswig-Holstein zerstören. Grüne haben einen pragmatischen Vorschlag gemacht. Die Sozialministerin und ihre Parteikollegen haben sich verweigert.

Monika Heinold,
Parlamentarische Geschäftsführerin und kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

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