(Gegenwind 233, Februar 2008)

Diskussion: Türkisch-Unterricht an Schleswig-Holsteins Schulen?

Es könnte losgehen

In Schleswig-Holstein gehen ungefähr 340.000 Kinder und Jugendliche auf die 1500 Schulen des Landes. Rund 18.000 von ihnen haben eine ausländische Staatsangehörigkeit, die meisten die türkische (7600), die serbische (800) oder die polnische (fast 700). Weit mehr aber haben einen Migrationshintergrund, das heißt sie selbst oder ihre Eltern kommen aus dem Ausland. Darunter sind auch viele Deutsche, Aussiedler aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks, die zu Hause nicht immer deutsch sprechen.

Aber die veröffentlichten Statistiken taugen nur bedingt zur Problembeschreibung. Offiziellen Stellen ist meistens die Staatsangehörigkeit bekannt - die aber längst nicht immer etwas über die Familie aussagt. Es gibt "ausländische" Familien, die zu Hause hauptsächlich Deutsch sprechen, und ebenso "deutsche", deren Sprache zu Hause Dänisch, Türkisch oder Russisch ist.

Aber die Statistiken zeigen doch, in welche Richtung das Problem geht: In Schleswig-Holstein bleiben 9.3 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit deutschem Pass ohne Abschluss, aber 17,9 Prozent der SchülerInnen ohne deutschen Pass. Umgekehrt machten 2006 rund 21,5 Prozent der deutschen Jugendlichen Abitur, aber nur 7,1 Prozent der ausländischen Jugendlichen. Und "ausländisch" bedeutet in Schleswig-Holstein eben zu fast der Hälfte "türkisch" bzw. aus der Türkei, kurdische und andere Familien werden statistisch nicht gesondert erfasst.

Historie

Die Schulen haben immer noch schwer zu tragen an Fehleinschätzungen der Vergangenheit. Gerade bei Türken handelte es sich um "Gastarbeiter" - und Gäste, die kommen, gehen auch wieder. Deshalb wurde hierzulande der "muttersprachliche Ergänzungsunterricht" erteilt. Die Lehrerinnen und Lehrer kamen vom türkischen Konsulat, bildeten ihre Nachmittagsgruppen aus freiwilligen Anmeldungen, und häufig wurde Türkisch-Unterricht mit Islam-Unterricht kombiniert. So gab es gleich mehrere Faktoren, die Kinder von der Teilnahme abhielten: Gehören sie einer Minderheit an, kann die Trägerschaft durch das Konsulat genauso für Bedenken sorgen wie die ausschließliche Ausrichtung auf die türkische Sprache. Und auch wenn die Mehrheit formell dem sunnitischen Islam angehört, nicht alle Eltern sind wirklich gläubig, und neben der großen alevitischen gibt es auch kleinere christliche Minderheiten, auf die KonsulatslehrerInnen nicht eingehen.

Schließlich sind die kulturellen Unterschiede in einem Punkt minimal: Kinder, die vormittags schon nicht immer glücklich zur Schule gehen, haben keine Lust, nachmittags "freiwillig" noch Unterrichtsstunden dranzuhängen.

Der problematischste Punkt ist aber die ideologische Grundlage. Der muttersprachliche Unterricht sollte es den Kindern erleichtern, nach der Rückkehr der Eltern in der Schule des Herkunftslandes schneller Fuß zu fassen. Eingerichtet wurden die Kurse deshalb auch für alle Sprachen der Anwerbeländer, aus denen Gastarbeiter kamen. Es ging um die "Rückkehrfähigkeit" - nicht mal gegen den Widerstand der Eltern, die häufig solche Pläne tatsächlich hatten und lange vor sich herschoben.

In den letzten Jahren ist diese Ideologie von zwei neuen Entwicklungen abgelöst worden. Verstärkt wird neben dem christlichen auch ein islamischer Religionsunterricht eingeführt, der im Rahmen des normalen Lehrplanes von staatlichen Lehrkräften erteilt wird (und abwählbar ist). Das passiert in diesen Monaten auch in Schleswig-Holstein. Zweitens ist immer mehr erkannt worden, dass die Beherrschung der Muttersprache auch beim Erlernen jeder weiteren Sprache hilft, somit muttersprachlicher Ergänzungsunterricht auch für diejenigen sinnvoll ist, die hier aufwachsen und bleiben.

Landesregierung: Sprachförderung

Die Landesregierung setzt im Moment auf Sprachförderung als ein Mittel, die Benachteiligung von Schülerinnen, hauptsächlich aber Schülern mit Migrationshintergrund zu verringern. Das setzt ein mit Sprachstandsprüfungen ein bis zwei Jahre vor Beginn der Grundschule und gezielter Sprachförderung im letzten Jahr vor der Einschulung. Das Programm ist im Entstehen und soll letztlich zu drei kostenfreien Kita-Jahren für alle Kinder führen, um allen eben diese Startchancen zu geben.

Hier wird auch kein Unterschied mehr nach der Staatsangehörigkeit gemacht. Der Sprachstand wird bei allen Kindern überprüft, wobei zu Zeit bei denen begonnen wird, deren Einschulung kurz bevorsteht. Das wird Schritt für Schritt nach vorne verlagert, um für die notwendige Förderung auch die Zeit zu haben.

Gefördert werden in diesem Programm namens SPRINT ausschließlich Deutsch-Kenntnisse.

Fremdsprachen-Unterricht

Unter den Fremdsprachen dominiert das Englische, auch "1. Fremdsprache" genannt. Während die Sprache früher, als ich noch zur Schule ging, ab der 5. Klasse unterrichtet wurde, wird der Start heute an vielen Schulen in die 3. Klasse vorgezogen. Ebenso gibt es inzwischen Kindertagesstätten, in denen Englisch unterrichtet wird.

2. Fremdsprache ist überwiegend Französisch oder Latein. An vielen Schulen wird auch Dänisch angeboten, ferner Spanisch oder Russisch, selten Italienisch. Und das war es auch schon.

Türkisch als - vermutlich - zweitwichtigste Sprache Deutschlands und drittwichtigste Schleswig-Holsteins kommt im Unterricht nicht vor.

Werturteile?

SprachwissenschaftlerInnen sind sich einig: Es gibt keine "höheren" oder "niedrigeren", entwickelte oder unterentwickelte Sprachen. Jede Sprache kann alles ausdrücken, was notwendig ist - im Vatikanstaat kann ein Priester den anderen auf Latein nach einem Ladegerät fürs Mobiltelefon fragen.

Dennoch gibt es Vorbehalte gegen bestimmte Sprachen. So gab es vor einiger Zeit heftige Diskussionen darüber, auf dem Schulhof die Verwendung des Türkischen und Russischen zu verbieten oder freiwillige Vereinbarungen dazu abzuschließen - wenn allerdings französische AustauschschülerInnen zu Besuch sind, freuen sich die Lehrer, wenn die eigenen SchülerInnen auf dem Schulhof mit französisch formulierten Fragen konfrontiert werden.

Türkisch, Arabisch, Kurdisch, Albanisch, Serbisch oder Russisch werden mit "zurückgeblieben", während hessischer Wahlkämpfe auch mit "kriminell" assoziiert, während Englisch oder Französisch ein Gefühl von Bildung ausstrahlen. Dieses Image einer Sprache kann von Land zu Land differieren - wenn auf einem Lübecker Schulhof Spanisch gesprochen ist, bedeutet das Bildung, in Los Angeles eher Kriminalität.

Diese Geringschätzung von Sprache und Kultur, das ist untrennbar verbunden, schlägt natürlich auf diejenigen durch, die diese Sprache sprechen. Wer nicht akzeptiert wird, ist auch weniger motiviert.

Türkisch als Wahlfach

In einigen Bundesländern gibt es bereits Türkisch-Unterricht als Wahlfach. Meistens handelt es sich um ein Angebot für Kinder aus dem Herkunftsland, nur eben integriert in den normalen Lehrplan. In Nordrhein-Westfalen und Berlin gibt es Türkisch-Unterricht zumindest an einigen Schulen auch als "normales" Fremdsprachenfach. In Hamburg bietet das Gymnasium Hamm (Europaschule) als einziges Gymnasium Türkisch-Unterricht an, und zwar sowohl als muttersprachlichen Unterricht als auch als 3. Fremdsprache (www.gyha.de).

Ein Engpass ist die Ausbildung von LehrerInnen. Nur zwei Hochschulen bieten die Ausbildung an, an mehreren anderen kann man Türkisch lernen. Da in der Regel MuttersprachlerInnen diesen Berufsweg einschlagen, schlägt auch dabei die vergleichweise niedrige Quote an AbiturientInnen bei türkischen MuttersprachlerInnne durch.

Dennoch: Es gibt Richtlinien der Kultusministerkonferenz für die Türkisch-Abiturprüfung von 2004, die auch in Schleswig-Holstein anwendbar sind, es gibt Lehrerinnen und Lehrer, die das unterrichten können. Es könnte also losgehen.

Die bisher genannten Argumente bezogen sich hauptsächlich auf SchülerInnen mit türkischer Muttersprache. Das war bisher auch die Hauptargumentation für den Dänisch-Unterricht (als 2. Fremdsprache) an Schleswig-Holsteins Schulen. Inzwischen setzt auch hier eine Horizonterweiterung ein: Immer mehr Arbeitslose werden vom Jobcenter aufgefordert, sich auch im nahen Dänemark nach Arbeitsstellen umzusehen, und wer Dänisch kann, hat dabei Vorteile.

Die Türkei wird in zehn oder fünfzehn Jahren Mitglied der Europäischen Union sein, wobei für die wirtschaftliche Integration keine Rolle spielt, wie der Vertrag im einzelnen aussehen wird. Das ist mit Sicherheit ein auch ein starkes Argument dafür, dass nicht-türkische SchülerInnen Türkisch brauchen können, werden doch dann die wirtschaftlichen Kontakte beim Im- und Export, aber auch dem Tourismus noch mal einen Sprung nach vorne machen. Die Türkei hat heute 70 Millionen Einwohner und damit halb so viel wie Russland, aber in den energiereichen zentralasiatischen Republiken zwischen Baku und Bischkek werden ebenfalls türkische Sprachen gesprochen, die bei Kenntnis des Türkischen viel leichter zu erlernen sind.

Mit der Einführung des Türkischen als Wahlfach (2. Fremdsprache) für alle und der Eröffnung der Möglichkeit, es auch als Abiturfach zu wählen, würde man mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Reinhard Pohl

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