(Gegenwind 242, November 2008)

neoliberal ist asozial

Ökologische Verantwortung

Lindenau in der Nuss-Schale

Wer Falkenstein mag und einfach Schiffe aus dem Boden wachsen sehen wollte, wählte den Weg über den Prieser Stand an der Lindenau Werft vorbei. Die Werft Lindenau in Friedrichsort ist das kleine Gegenstück zur großen HDW in Gaarden. Während auf HDW U-Boote und Zivilschiffe gebaut werden glänzt Lindenau durch den Bau ökologisch moderner Schiffe, wie Doppelhüllentanker und zuletzt ein Schiff, das mit einem Flender-Antrieb (Vertikalwindkraftanlage) ausgestattet wird.

Im Spätsommer war auf einmal Stillstand und ich fragte mich, was wohl auf Lindenau los ist. Nachdem Schiff um Schiff in Tag und Nacht geschweißt, genietet und fertig gestellt wurde passierte nichts mehr. Dann kam die Meldung von der Insolvenz der Werft, die weit über die Grenzen Kiels für Schlagzeilen sorgte. Da war und ist wohl noch eine Firma im Risiko, die wie keine zweite die industrielle Moderne des Kieler Westens symbolisiert.

Bei näherer Betrachtung ist gerade dieses Beispiel geeignet, einerseits die Schwierigkeiten einer ökologischen Orientierung von Unternehmen und anderseits die daraus folgende Wiederkehr zweier schon einmal besser eingehegter Probleme zu illustrieren. Dabei handelt es sich um die Zerstörung der Voraussetzungen der wirtschaftlichen Reproduktion durch das Wirtschaften selbst und den Verbrauch der sozialen Traditionen durch wirtschaftliche Rationalitätskalküle.

Bei Lindenau handelt es sich um ein Unternehmen, das ökologische Verantwortung übernommen hat. Es hat Antworten auf Fragen von Tankerunfällen mit ihren verheerenden Folgen für die Umwelt durch Entwicklung des Doppelhüllentankers gegeben und ist mit dem Bau des Flender-Antrieb-Schiffes einen ersten Weg in eine Antriebstechnologie nach den fossilen Brennstoffen gegangen. Dies ist umso bedeutungsvoller, als das nicht vorausgesetzt werden kann, sondern in einer Marktwirtschaft von Unternehmen gewählt wird und zwar unter der wichtigen Bedingung, dass dies die Existenz sichert und Geld verdient werden kann. Umso bitterer wäre das Ende einer solchen Werft. Gleichwohl ist das nicht auszuschließen und die Frage stellt sich, warum eine ökologische Orientierung eines Betriebes nicht gesellschaftlich honoriert wird, obwohl es Konsens ist, dass ökologisch zu handeln ist.

Die wichtigste Antwort besteht darin, einzusehen, dass die Umwelt nicht spricht, die knapp und knapper werdenden Rohstoffe nicht demonstrieren, der Klimawandel nicht rebelliert und das Wasser sich nicht wehrt (außer bei den Geheimwissenschaftlern einer neuen Zeitalterphilosophie). Es handelt sich um eine Sachlage, mit der man nicht kommunizieren kann, die nicht zahlen kann, die keine Macht hat und keine unbestreitbare Wahrheit in Anspruch nimmt. Insofern mangelt es an Echos und Resonanz, die unverzichtbar sind um Themen in Programme umzusetzen.

Die Massenmedien erzeugen ökologisch allenfalls ein Hin- und Herschwanken zwischen Erregung (alles schlimm) und Hilflosigkeit (doch Freisetzung von Radioaktivität in der Atmosphäre?). Dies kann dazu führen, alle Hoffnung in die rechtzeitige Lösung von ökologischen Problemen fahren zu lassen und zu antizipieren, dass das Ende des Geldverdienens wie wir es kennen absehbar ist. Und dann ist doch eine mögliche Folge die Desertation aus den Systemen, um sich selbst in Sicherheit zu bringen und das tut man am besten indem man zusieht, soviel Geld wie möglich zusammen zu bringen, um seine ganz persönliche Situation beim großen Umweltcrash zu verbessern. Und genau diese Haltung befeuert die Finanzkrise, über deren Ursache interessanterweise kein Einverständnis herstellbar ist. Viele versuchen auf Teufel komm raus so viele Dollars und Euro wie möglich zu machen und zwar ohne Rücksicht auf Verluste für alle Anderen. Unübersehbar zerstört dies die Grundlagen des Wirtschaftens.

Von Lindenau wusste man, dass dort innovative Schiffe gebaut werden. Innovationen sind für eine Werft, wie überhaupt für Industriebetriebe problematisch, weil ein ganz neuer Schiffstypus oder eine neue Maschine sich selten so baut, wie es denn im Plan steht. Manches muss angepasst, teilweise anders gebaut, teilweise muss neu konstruiert werden, weil nicht alles am Reißbrett absehbar ist. Insgesamt sind Innovationen deshalb teuer. Manchmal sind sie so teuer, dass zunächst kein Geld mit einem neuen Produkt verdient wird, sondern erst mit mehreren folgenden Replikationen, bei denen die Anfangsprobleme gelöst sind und Routinen Fehler und Überflüssiges vermeiden helfen. Das politische Treiben: "Innovation, Innovation" erzeugt also seine eigenen Probleme. Zu schnell aufeinander folgende Innovationen können in der Industrie auch ruinös sein. Und das selbst wenn sie optimal gelingen.

Wovon hängt nun das Gelingen ab? Ich möchte meinen, vom Gelingen jedes einzelnen Abschnitts bei allen Beteiligten. Und das sind viele und diese Vielen haben durchaus unterschiedliche Bedeutungen bei der industriellen Fertigung. Aber manchmal reicht es schon, wenn nur eine kleine Zulieferfirma ihre Qualitätsstandards auf das Niveau "nur so viel wie nötig" senkt, weil gerade mal wieder der Controller meint die Umsatzrendite steigern zu müssen und das Ganze geht in die Binsen. Man hat ein kleines Rollenproblem, eigentlich in der industriellen Peripherie, was sich rasch ausbreitet. Man muss dann Nachbessern und je nach Lage entstehen mehr Kosten oder noch mehr Kosten. So ist es auch bei Schiffen. Das bedeutet, dass zu hohe Renditeerwartungen in einer Firma, die zu Qualitätsminderungen in Teilbereichen führen, Gesamtprojekte nicht nur gefährden, sondern zu hohen Verlusten in anderen Bereichen führen.

Es geht auch anders - Gewinn gerecht geteilt

Selbstverständlich spielen beim Schiffbau diejenigen eine Rolle, die die Dinge herstellen. Hier kommt es auf ein Zusammenspiel an und dass jeder mit jedem kooperiert. Das macht man am besten mit gut bezahlten und motivierten sowie kundigen Arbeitern. Das Wachsein zahlt sich aus, denn wenn man es hört, dass eine Maschine unrund läuft und sie repariert werden kann, kostet das in der Regel nur einen Bruchteil von der Summe, die anfällt, wenn das Ding richtig kaputt geht, weil man es einfach laufen lässt. Unbezahlte Überstunden und Lohnsenkungen können sich jedenfalls unmittelbar in Nicht-Gelingen übersetzen, wenn nur noch stumpf getan wird was bezahlt wird: wenig. Und vielleicht war das Geld knapp weil man schon Nicht-Gelingen hatte?

Viel wahrscheinlicher ist, dass jetzt die Folgen der "Hartzgesetze" sichtbar werden. Die massive, durch Hartz IV in Gang gesetzte Lohnsenkung hat dazu geführt, dass gerade aus Schleswig-Holstein eine Abwanderung von hoch qualifizierten Leuten aus der Industrie nach Dänemark, Norwegen, Schweden, England und in den Süden der Republik stattfindet, wo deutlich besser bezahlt wird. Es wird sehr teuer werden, diese Fachleute zurück zu holen. Noch bedeutender ist die Tatsache, dass - mit welch schlauer Begründung auch immer - Fachleute, die durch anstrengende Ausbildungen gegangen sind, jahrzehntelange Arbeitsdisziplin bewiesen haben und dann mit 55 im Arbeitslosengeld II landen ihren Kindern nicht mehr vermitteln können, warum sie sich der Anstrengung einer Ausbildung und jahrelanger Arbeitsdisziplin unterwerfen sollen. Letztlich zerstören diese Maßnahmen die industrielle Arbeitsmoral gründlich und ersetzen sie durch Zwang und Fron. Hier zerstört die Politik im Zusammenspiel mit irrlichternden Ratschlägen aus den Wirtschaftsverbänden die sozialen Voraussetzungen der Reproduktion der Wirtschaft.

Bemerkenswert finde ich, dass man bei Lindenau nun mit Dieter Görlitz einen Schiffbaumanager der älteren Generation geheuert hat. Meines Erachtens muss das so sein, weil es keine jungen gibt. Die nachwachsende (und gerade im Absterben befindliche!) Managergeneration wird gerade im Großkonflikt zwischen Produktion und Kapital aufgerieben. Denn wenn die industrielle Produktion, obwohl sie ökologisch wertvoll ist, nur geringe Renditen abwirft - auch weil sie innovativ ist -, "wieso soll man dann dort investieren, wo die Margen doch andernorts höher sind?" So sagt die Kapitalseite und "Wenn eine Produktion etwas abwirft, und ökologisch sinnvoll ist, wieso soll sie dann nicht fortgeführt werden?" So ruft die Produktionsseite. Das alte Kerngeschäft eines Managers bestand darin, hoch produktive autonome und funktional differenzierte Abläufe kommunikativ zu vernetzen. Ein guter Schiffbaumanager konnte mit allen reden, die mit dem Schiffbau zu tun haben und das sind viele: Ingenieure, Arbeiter, Banker, Zulieferer, Bürokraten, Kunden, Subunternehmer, Stahlproduzenten, Energielieferanten und das sind wohl noch nicht alle. Seine Kunst und sein Risiko bestanden darin, die unterschiedlichen Referenzen zum Gelingen zu bündeln. Wo die unterschiedlichen Referenzen zum offenen Widerspruch mutieren, kann sie niemand mehr zusammenhalten und dann braucht es auch keine Manager mehr.

In der von mir übersehenen Wirtschaftstheorie fehlt ein Konzept für den Prozess der technischen Wertschöpfung. Technik wird in den Modellen einfach konstant gehalten. Die liberale Theorie rechnet nicht mit Organisationen, die sich gegen Kritik durch eigene Abteilungen für Öffentlichkeitsarbeit und die betriebsinterne Hierarchie immunisieren. Und bei der munteren Schar von "Heil-Dich-Selbst-Wirtschaftern" ist nicht vorgesehen, das Individuen so stark in kollektiv bindende Einheiten eingebunden sind, dass niemand mehr Fehler berichtigen kann. Die Politik gibt sich einem Gerede von "Wachstum" hin, ohne Vorstellungen zu entwickeln vom Substrat allen Wachstums, dem Kapital unter den Bedingungen technischer Steigerung. Maximales Gewinnstreben führt in funktionaler, technisch gesteigerter Umwelt zu maximalen Verlusten. Man behilft sich bisher mit Kennzahlen zur technischen Reproduktion: ein Abwassersystem hält 50 Jahre, also muss jedes Jahr zwei Prozent erneuert werden oder mit Versicherungen und Rechtskonstruktionen, mit denen das Risiko je abgewettert wird.

Diese Zuordnungsprobleme von privaten Risiken sind mittlerweile die zentrale Quelle von Bürokratisierung. Irgendwo entsteht so immer etwas, das im privaten Interesse zu regeln ist. Zugleich ist zu beobachten, dass die technische Infrastruktur von der wiederum die Möglichkeiten von Unternehmen abhängen, technisch anspruchsvoll zu produzieren massiv unter dieser Privatisierung der letzten Jahre leidet. Die Akteure lassen runterkommen und verfallen, während sie danach streben, so viel wie möglich raus zu ziehen, um die Rendite zu steigern und letztlich sich selbst in Sicherheit zu bringen.

Und wenn viel Innovation und nur ein wenig Nicht-Gelingen dazu führen, dass über längere Zeit kein Geld verdient wird, dann steht die Firma nach außen zwar prächtig da, aber keine Bank wird ihr Geld für den nächsten Neubau vorschießen. Banker können nicht glauben, dass ohne Änderung mit dem nächsten Schiff Geld verdient wird, wenn es dreimal hintereinander schief ging. Zumal sich mit jedem monetären Misserfolg die Wahrscheinlichkeit verringert, das Minus noch ins Plus drehen zu können. Aber auch hier ist von Bedeutung, dass Minister Steinbrück und Kanzlerin Merkel jetzt zur "Rettung" des Kapitalismus gehandelt haben und nicht ein Programm zur Stärkung der technologischen, ökologischen und auch sozialen Entwicklung anzielen, von dem aus dann die Finanzmärkte nach dem Bedarf der Kapitalbildung in Hinsicht auf technologische Steigerung, ökologische Lösungen und soziale Traditionen durchstrukturiert werden. Hier geht es um den Kern einer zukunftsorientierten Wirtschaftspolitik, den Aufbau von Kollektiverwartungen, in welcher Richtung denn dezentral und marktwirtschaftlich gehandelt werden soll.

Thomas Herrmann

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