(Gegenwind 244, Januar 2009)

Yasmina Abdulkader
Yasmine Abdulkader

Hoffen auf Resettlement-Programme?

"Alle warten darauf, dass sie rauskommen können"

Yasmina Abdulkader kommt aus dem Irak. Seit 2007 ist sie in Deutschland, seit 2008 lebt sie mit ihrem Mann und zwei Kindern in Kiel. Sie ist Dolmetscherin für Arabisch.

Gegenwind:

Kannst Du erzählen, wie Ihr im Irak gelebt habt?

Yasmine Abdulkader:

Vor dem Krieg ging es uns gut. Wir hatten ein schönes Leben, es war alles in Ordnung. Nach dem Krieg war es nicht mehr so. Am Anfang war es noch nicht so schlimm. Aber Ende 2005 begannen bei uns die Anschläge gegen die Moscheen in Samara, einer kleinen Stadt. Da fing es an, es waren Sunniten gegen Schiiten und Schiiten gegen Sunniten. Sie haben angefangen sich gegenseitig zu töten, viele Leute wurden gegenseitig entführt und oft auch getötet. Die Leichen warfen sie sich gegenseitig vor die Haustür. Da half auch die Regierung nicht. Wir haben im Irak eine schiitische Regierung, die Schiiten haben die Macht.
Auch die Armee ist durch die Wohnviertel gefahren, wo mehrheitlich Sunniten lebten. Sie haben die Männer gekidnappt und getötet, wobei man am Anfang nicht wusste, wo die Menschen geblieben sind. Man hat die Leiche bekommen oder auch nicht. Das wurde immer schlimmer.
Es ging auch gegen Ausländer, gegen Christen und gegen alle Iraker, die mit Ausländern oder dem Ausland zu tun haben, zum Beispiel bei einer ausländischen Firma arbeiten. Meine Nachbarschaft wusste, dass ich eine ausländische Mutter hatte. Da wurde es auch für mich gefährlich, denn Ausländer sind für diese Gruppen Ungläubige, die getötet werden müssen.

Gegenwind:

Wer sind denn Deine Eltern?

Yasmine Abdulkader:

Mein Vater ist Iraker, meine Mutter ist Deutsche. Mein Vater ist Moslem, aber meine Mutter Christin. Und ich wurde als Tochter einer Ungläubigen gesehen. Und dazu noch Tochter einer Ausländerin.

Gegenwind:

Wo habt Ihr denn gelebt?

Yasmine Abdulkader:

Wir lebten in El-Adamia in Bagdad, das ist ein eher sunnitischer Teil der Stadt. Aber nach der Machtübernahme der Schiiten wurden immer mehr Sunniten getötet, andere flohen aus diesem Teil der Stadt. Deswegen wurde es immer gefährlicher. Für mich war es gefährlich von beiden Seiten auch. Mein Vater und mein Mann sind zwar Sunniten, aber auch für sunnitische Gruppen bin ich Tochter einer ausländischen und ungläubigen Mutter. Die sunnitischen Gruppen, das sind Al-Qaida-Leute, die sahen jede Ungläubige als Feind.

Gegenwind:

Was habt Ihr beruflich gemacht?

Yasmine Abdulkader:

Ich habe zuletzt nicht mehr gearbeitet. Davor war ich Telekommunikations-Technikerin. Mein Mann war Ingenieur, er hat in letzter Zeit bei einer ausländischen Firma gearbeitet, das war auch gefährlich. Mit dieser Regierung konnten wir nicht zu unserer Arbeit zurück nach dem Krieg, weil wir Sunniten waren und die Regierung schiitisch ist. Uns haben sie rausgeschmissen, der Job bei einer ausländischen Firma war also die einzige Möglichkeit. Ich hatte allerdings vor zehn Jahren schon aufgehört, 1998. Aber nach 2003 konnte ich auch nicht zurück in den Beruf.

Gegenwind:

Kannst Du schildern, wie Eure Flucht aus dem Irak verlief?

Yasmine Abdulkader:

Es wurde immer gefährlicher, und mein Mann musste von morgens bis abends arbeiten. Wir hatten ein Auto, mit dem musste ich einkaufen. Wir Frauen wurden dann bedroht, wenn wir Auto fuhren. Wir wurden mit Entführung, mit Tötung bedroht, das Auto sollte verbrannt oder geklaut werden. Die Nachbarn haben mir gesagt, ich sollte lieber nicht mehr fahren, weil sie von Leuten gefragt wurden, wann ich normalerweise das Haus verlasse, wann ich zurückkomme, wohin ich fahre und so weiter. Meinen Nachbarn wurde Geld angeboten, wenn sie das sagen. Früher hatte ich auch kein Kopftuch auf, das musste ich auch in der letzten Zeit. Alles, was man machte, war falsch. Mir war das zu viel. Vor den Schulen meiner Kinder sind zweimal Bomben explodiert. Ein Auto ist explodiert, ein zweites Auto mit Sprengstoff wurde noch rechtzeitig entdeckt, aber es wurde immer gefährlicher. Es war immer etwas los. Die Kinder konnten nicht mehr rausgehen und spielen, sie konnten nicht einmal mehr in den Garten gehen. Einkaufen mussten wir immer sehr schnell. Man konnte entführt werden, man konnte getötet werden, es konnte auch zufällig auf dem Weg eine Bombe explodieren. Das war 2006, und ich wollte nur noch raus.
Ich habe dann ein Visum nach Deutschland bekommen, zusammen mit meinen Kindern. Mein Mann fuhr nach Syrien. Wir hatten aber in Deutschland nur ein Besuchsvisum, wir konnten keine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Wir konnten auch kein Asyl bekommen. Nach drei Monaten bin ich dann nach Syrien gefahren.
In Syrien bekamen wir jeden Tag andere Nachrichten und Informationen. Ständig hieß es, die Iraker müssen demnächst raus, die Iraker dürfen in Syrien nicht mehr bleiben, nächsten Monat oder in drei Monaten müssen alle raus. Dann hieß es, die Aufenthaltserlaubnis wird nicht mehr verlängert, alle müssen für drei Monate in den Irak zurück, sonst bekommen sie in Syrien keine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Dann wurde gesagt, wir müssten zwar nicht zurück, aber für drei Monate in den Libanon, und erst danach würden wir wieder eine Aufenthaltserlaubnis in Syrien bekommen. Aber wir wollten nicht in den Libanon, weil wir nicht wussten, ob sie uns nach Syrien zurück lassen.

Yasmina Abdulkader
Yasmine Abdulkader

Gegenwind:

Wie habt Ihr in Syrien gelebt?

Yasmine Abdulkader:

Damals hatten wir noch ein bisschen. Was wir verkaufen konnten, haben wir verkauft, was im Irak zurückgeblieben ist, haben wir verloren. Wir hatten noch ein bisschen Geld, und davon hat mein Mann ein Internet-Café eröffnet. Aber als Iraker durfte er dort nicht arbeiten. Deshalb gab es offiziell einen syrischen Partner, und der wollte irgendwann alles für sich haben, und er hat uns Probleme gemacht. Er hatte Kontakt zu einem syrischen Geheimdienst, und er hat versucht, meinen Mann ins Gefängnis sperren zu lassen. Das hat er zum Glück nicht geschafft, aber wir konnten dort auch nicht länger bleiben.
Die Kinder wurden in der Schule verprügelt, weil sie Iraker waren. In der Nachbarschaft sagten sie uns: "Was wollt Ihr hier? Das ist unser Land." Und: "Wegen Euch wird hier alles teurer." Das sagte man auch den Kindern! Uns natürlich auch.
Wir hatten dort eine Wohnung gemietet, denn Iraker dürfen dort nichts kaufen. Und wir hatten sowieso nicht mehr so viel Geld.
Und dann haben wir uns bei den Vereinten Nationen als Flüchtlinge angemeldet. Wenn man das macht, bekommt man zumindest Lebensmittel von der UNO.

Gegenwind:

Gab es denn eine Chance für das Resettlement?

Yasmine Abdulkader:

Wir haben uns für das Resettlement auch angemeldet.

Gegenwind:

Wolltet Ihr denn in eine bestimmtes Land?

Yasmine Abdulkader:

Wir wollten nur raus. Und wir wollten, dass man uns nicht in den Irak zurück schickt.

Gegenwind:

Was habt Ihr denn von der UNO über Resettlement-Programme erfahren?

Yasmine Abdulkader:

Die UNO hat uns gefragt, wo wir Verwandte haben. Sie haben nach Holland, Schweden, Norwegen, Dänemark, Großbritannien und USA gefragt. Mein Mann hat Brüder in England und in Holland, und einer ist in Schweden. Ich habe gesagt, dass meine Mutter aus Deutschland kommt, aber da haben sie gleich gesagt: Deutschland nimmt keine Flüchtlinge. Und sie haben gesagt: Im Moment nehmen nur die USA Flüchtlinge im Resettlement-Programm. Wollt Ihr dahin? Uns war das egal, Hauptsache, dass wir raus kommen. Damit haben wir dann angefangen, da hatten wir Termine und Interviews bei der UNO.

Gegenwind:

Was wird in diesen UNO-Interviews gefragt?

Yasmine Abdulkader:

Was und im Irak passiert ist, warum wir gekommen sind, wie unsere Situation dort war.

Gegenwind:

Hattet Ihr auch Kontakt zu jemanden von der US-Botschaft?

Yasmine Abdulkader:

Nein. Es waren nur syrische Leute, die für die UNO gearbeitet haben. Aber ich bekam dann ja zum zweiten Mal ein Visum für Deutschland, und danach bekam mein Mann einen Anruf. Sie fragten aber danach, ob die ganze Familie zu einem Interview kommt, und das war jemand aus den USA. Alleine sollte er nicht hingehen.
Aber da hatte meine Tante in Deutschland schon wieder eine Einladung geschrieben, und ich bekam ein Besuchsvisum mit den Kindern zusammen. Mein Mann bekam kein Visum, wir haben das auch nicht beantragt, weil wir wussten, dass er sowieso keines bekommt. Das war im September 2007.

Gegenwind:

Wie ging es für Dich hier in Deutschland weiter?

Yasmine Abdulkader:

Ein Jahr vorher war ich ja hier, da erfuhr ich, dass ich hier auf keinen Fall Asyl bekommen. Deshalb dachte ich, ich müsste nach Holland oder Schweden fahren, um da Asyl zu beantragen. Aber als ich 2007 hier war, wurde mir gesagt, ich sollte es mal versuchen. Und dann habe ich es gemacht und habe Asyl bekommen.
Die deutsche Staatsangehörigkeit hatte ich schon von Bagdad aus beantragt, das wurde damals abgelehnt. Ich habe einen Widerspruch geschrieben. Nachdem ich Asyl bekommen hatte, habe ich dann auch die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen. Allerdings nur für mich, für meine Kinder wurde das abgelehnt.

Gegenwind:

Und wir kam Dein Mann hierher?

Yasmine Abdulkader:

Das war über Familienzusammenführung. Ich weiß aber nicht, ob das am Asyl oder am deutschen Pass hing. Er hat ein Visum zur Familienzusammenführung beantragt, und in der Zeit bekam ich meinen deutschen Pass. Aber er musste in Syrien einen Deutschkurs besuchen, das hat er gemacht und die Prüfung bestanden, und dann bekam er das Visum.

Gegenwind:

Hat man Euch bei der UNO denn vorher Hoffnung gemacht, dass Ihr einen Platz in einem Resettlement-Programm bekommt?

Yasmine Abdulkader:

Ich hatte die ganze Zeit Hoffnung. Ich habe immer gehört, dass andere Plätze bekamen. Ich hörte, dass welche in Holland angekommen sind, dass welche in die USA flogen. Ich habe jetzt auch eine Bekannte, die dort ist, aber über die Türkei. Sie ist in der Türkei in ein Resettlement-Programm für die USA gekommen, ist jetzt mit ihren Kindern in den USA. Nur ihr Mann ist noch in Bagdad.

Gegenwind:

Wie werden denn die Leute ausgesucht, die aufgenommen werden?

Yasmine Abdulkader:

Ich weiß es nicht. Aber in den Interviews haben sie gefragt, was wir studiert haben, was für Sprachen wir können, was wir im Irak gearbeitet haben, warum wir Asyl beantragen und was uns passieren würde, wenn wir in den Irak zurück kehren. Ich weiß es nicht genau, aber die USA haben viele aufgenommen, die im Irak als Dolmetscher für die Amerikaner gearbeitet haben oder die im Irak bei einer US-Firma gearbeitet haben. Die sind von den USA aufgenommen worden.

Gegenwind:

Wo hat Dein Mann denn gearbeitet?

Yasmine Abdulkader:

Bei Fedex, das ist eine Postfirma wie DHL. Das ist eine ausländische Firma. Wer dort arbeitet, wird irgendwann getötet. Ich glaube, wir wären dadurch auch irgendwann von den USA aufgenommen worden. Es gibt Kollegen von ihm, die jetzt in Amerika sind.

Gegenwind:

Wie viele Leute warten denn noch in Syrien?

Yasmine Abdulkader:

Alle warten. Alle warten darauf, dass sie rauskommen können. Egal, ob es Resettlement ist oder gefälschte Pässe, alle versuchen raus zu kommen. Viele geben ihr gesamtes Geld aus und wissen dann nicht weiter. Sie dürfen dort als Iraker nicht arbeiten, sie bekommen auch so kein Geld. Sie verkaufen erst ihre Häuser und ihre Autos, dann ihre Möbel, und dann haben sie nichts mehr. Viele gehen auch in den Irak zurück, wenn sie nichts mehr haben.

Gegenwind:

Gibt es dort Leute oder Firmen, die anbieten, Dich illegal nach Europa zu bringen?

Yasmine Abdulkader:

Ich habe solche nicht gesucht, weil ich Angst davor hatte. Aber es gibt viele Leute, die das anbieten. Ein falscher Pass kostet in Damaskus 8.000 bis 16.000 Dollar. Im Sommer kostet es mehr, jetzt im Winter nur noch 8.000 Dollar. Nach dem Preis für eine Mutter mit zwei Kindern habe ich nicht gefragt, weil ich das sowieso nicht wollte.

Gegenwind:

Wie ging es Dir denn hier mit Deinem Asylantrag?

Yasmine Abdulkader:

Ich wurde gut beraten. Aber im Asylheim in Lübeck ist es natürlich nicht schön. Die Leute dort waren sehr nett, die deutschen Leute meine ich.

Gegenwind:

Warst Du dort eine Ausnahme, weil Du deutsch sprichst?

Yasmine Abdulkader:

Das könnte sein. Ich habe Asyl auf deutsch beantragt, ich wurde nach zweieinhalb Monaten anerkannt. Und dann konnte ich direkt nach Kiel, weil hier die Familie lebt. In der Kaserne habe ich beim ärztlichen Dienst gedolmetscht. Ich habe das erst für andere Flüchtlinge kostenlos gemacht, aber dann wurde ich einmal pro Woche dort beschäftigt. Das wird mit 1 Euro pro Stunde bezahlt.

Gegenwind:

Es liegt ja nahe, als Tochter eines Irakers und einer Deutschen Dolmetscherin zu werden. Hast Du hier in Kiel auch schon gedolmetscht?

Yasmine Abdulkader:

Ja, ein paar mal. Mein Wortschatz ist noch klein, ich mache jetzt noch einen zusätzlichen Deutschkurs. Ich weiß noch nicht, ob ich versuche, in meinem alten Beruf weiterzumachen, oder ob ich dolmetschen will oder Sozialpädagogin werden will. Ich will auf keinen Fall vom Sozialamt leben, ich will auch jeden Fall mein Geld selbst verdienen.

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