(Gegenwind 246, März 2009)

Maria Grosu

Dolmetscher-Treffen

"Ich war die einzige Rumänin"

Maria Grosu lebt und dolmetscht in Flensburg.

Gegenwind:

Wo bist Du denn geboren, und wie ist es dazu gekommen, dass Du heute in Deutschland lebst?

Maria Grosu:

Ich bin in Bacau geboren. Meine Mutter hatte dort geheiratet, und meine Eltern sind nach Deutschland gekommen, als ich noch ein Kind war. Ich war damals zehn Jahre alt. Meine Eltern suchten nach einem besseren Leben. Ich kam hier dann gleich in die Schule.

Gegenwind:

Wo habt Ihr gelebt?

Maria Grosu:

Ich habe acht Jahre in Lübeck gelebt. Ich kam nach unserer Ankunft direkt in die Hauptschule, in die fünfte Klasse. Ich lebe jetzt in einer Beziehung und mein Sohn fühlt sich auch sehr wohl bei meinem Partner.

Gegenwind:

Erinnerst Du Dich noch, wie lange es gedauert hat, bis Du Deutsch konntest?

Maria Grosu:

Ja. Das gute daran war: Bevor wir nach Deutschland gereist sind, hatten wir eine gute Bekannte, die Deutsch-Lehrerin war. Sie war schon alt, ihr Mann auch. Ich habe ihr bei Einkäufen geholfen, und sie hat mir Deutsch-Unterricht gegeben. Ich konnte also schon ein bisschen, als wir hierher kamen. In der Schule hatte ich dann auch Glück, ich bekam von Anfang an eine Förderung, um schneller Deutsch zu lernen und den Anschluss nicht zu verpassen. Aber verständigen konnte ich mich schon. Dazu kam dann, dass ich auf der Schule niemanden hatte, mit dem ich Rumänisch sprechen konnte. Für mich konnte niemand dolmetschen, ich musste also Deutsch sprechen. Ich war die einzige Rumänin auf der Schule.

Gegenwind:

Gab es denn sonst rumänische Nachbarn oder Bekannte in Lübeck?

Maria Grosu:

Am Anfang waren wir alleine, bis meine Mutter welche kennen lernte. Es gab dann eine ältere Dame, die rumänisch sprach, und später lernte ich weitere kennen, aber es waren letztlich nur zwei oder drei Freundinnen, die rumänisch sprachen, das war eher selten.

Gegenwind:

Wann hast Du denn das erste Mal gedolmetscht?

Maria Grosu:

Als Auftrag war das, nachdem ich beim Dolmetscher-Treffen den Kurs zum "Dolmetsch-Führerschein" gemacht hatte. Das Datum weiß ich nicht mehr genau, aber es war für meine Babysitterin. Es war ein Behandlungstermin beim Zahnarzt. Ich war so aufgeregt, dass ich mein Wörterbuch zu Hause vergaß. Dann habe ich auch Fehler gemacht und zu leise gesprochen habe, das hat sie mir hinterher gesagt. Aber der Zahnarzt wollte, dass ich noch mal komme. Er hatte Verständnis für mich, weil er wusste, dass ich es zum ersten Mal gemacht hatte. Aber beim zweiten Mal ging es besser, ich musste bloß immer überlegen, was heißt Oberkiefer, was heißt Unterkiefer...

Gegenwind:

Waren das schon bezahlte Aufträge?

Maria Grosu:

Nicht direkt. Sie war meine Babysitterin, sie hat auf meinen Sohn aufgepasst, manchmal dabei auch in meiner Wohnung sauber gemacht, und ich habe im Tausch für sie gedolmetscht. Sie war damals neu in Deutschland und konnte sich noch gar nicht verständigen. Es war also mehr gegenseitige Hilfe, aber eben mein Anfang als Dolmetscherin.

Gegenwind:

Und wo hast Du Dich für Aufträge beworben?

Maria Grosu:

Zuerst beim Landeskriminalamt Kiel, weil die ja auch die Prüfung machen und mich in die Kartei der Polizei aufnehmen. Dann habe ich mich bei der Staatsanwaltschaft beworben, dann beim Zoll.

Gegenwind:

Und wer hat Dich als erster angerufen?

Maria Grosu:

Die Polizei. Das ging um eine Zeugenaussage. Es gab eine Auseinandersetzung mit Fäusten und Waffen. Das Problem war, dass der rumänische Zeuge große Angst hatte, eigentlich bei der Polizei gar nicht aussagen wollte. Aber bei den Beteiligten war auch ein Rumäne dabei, und da habe ich zum ersten Mal einen Vernehmungsraum gesehen, da hatte ich beim ersten Mal richtig Angst, als ich dorthin kam. Aber die waren sehr nett, sehr höflich zu mir. Es waren mehrere Ausländer an der Auseinandersetzung beteiligt, nicht nur ein Rumäne. Die Polizisten haben gut darauf geachtet, dass die anderen mich nicht sehen. Sie wollten auf jeden Fall vermeiden, dass ich in Gefahr komme. Das Dolmetschen ging dann ganz gut, da habe ich auch gemerkt, dass ich besser geworden bin beim Dolmetschen.

Gegenwind:

Was war für Dich denn das größte Problem? Musst Du als Dolmetscherin die Behörde kennen und wissen, wie alles funktioniert? Oder war das Problem, die richtigen Vokabeln zu finden? Oder war die Situation selbst das Hauptproblem, dass Du aufgeregt warst?

Maria Grosu:

Ich glaube, die Aufregung ist am problematischten. Man kennt die Leute ja nicht, mit denen man es zu tun kriegt beim Dolmetschen. Mit den Vokabeln ging es, ich spreche ja eher Moldawisch, und es gibt einen kleinen Unterschied zum Rumänischen, da muss ich ein bisschen darauf achten. Und sonst war das Problem, die Polizisten reden bei der Vernehmung sofort los und machen keine Pause zum Dolmetschen. Ich muss immer "Stop" sagen, damit sie eine Pause zum Dolmetschen machen, "Entschuldigen Sie bitte, ich muss das jetzt erst mal Dolmetschen."

Gegenwind:

Hattest Du beim Dolmetschen den Eindruck, dass Du durch den Kurs beim Dolmetscher-Treffen vorbereitet worden warst?

Maria Grosu:

Ja. Ich wusste, wie man dolmetscht. Ich hatte gelernt, wie man auftritt. Und bei den Dolmetscher-Treffen lernt man auch viele Leute kennen, und man fragt bei denen auch nach. Ich habe bei anderen danach gefragt, wie man simultan dolmetscht, und bei meiner letzten Verhandlung habe ich simultan gedolmetscht, das hat auch gut gekappt. Ich bin mit einer anderen, einer sehr professionellen Dolmetscherin mit in die Verhandlung gegangen, Perihane Ceji. Dort habe ich zum ersten Mal gesehen, wie sie simultan dolmetscht. Durch sie habe ich viel gelernt, auch wie man mit den Parteien vor Gericht umgeht. Aber beim Dolmetsch-Kurs habe ich auch viel gelernt. Da gibt es auch viele Informationen über Gesetze, über das Ausländergesetz und anderes.

Gegenwind:

In welchem Bereich willst Du gerne arbeiten?

Maria Grosu:

Ich würde es gerne in der Wirtschaft versuchen, gerade wo Rumänien jetzt Mitglied der Europäischen Gemeinschaft ist. Ansonsten bewerbe ich mich überall.

Gegenwind:

Magst Du lieber Dolmetschen oder Übersetzen?

Maria Grosu:

Dolmetschen!

Gegenwind:

Und warum?

Maria Grosu:

Weil ich dadurch mehr Chancen habe, Erfahrungen zu sammeln. Und ich muss mit Menschen arbeiten, Kontakt haben. Das macht mir mehr Spaß. Ich möchte gerne Menschen begleiten, bis ihr Fall fertig ist, und das macht mehr Spaß als am Schreibtisch zu sitzen.

Gegenwind:

Hast Du denn schon übersetzt?

Maria Grosu:

Ja, einmal für ein rumänisches Autohaus. Die wollten was in Deutschland verkaufen, und ich habe Ihnen das Angebot ins Deutsche übersetzt, und sie haben mich bezahlt.

Gegenwind:

Was empfiehlst Du einer Dolmetscherin, die anfängt? Kann man Dolmetschen in Kursen lernen, oder muss man es machen?

Maria Grosu:

Man sollte nicht sofort loslegen. Viele wollen ja sofort dolmetschen, das hatte ich auch gedacht am Anfang. Auch nach dem Kurs war es für mich wichtig, Perihane Ceji, eine erfahrene Dolmetscherin, zu Gerichtsverhandlungen zu begleiten. Man sieht, wie es geht und wie man sich benimmt, und dann kann man bei jeder Äußerung überlegen: "Wie würde ich das jetzt dolmetschen?" Seitdem mache ich es jetzt auch so, wenn ich den Fernseher an habe, versuche ich zwischendurch, alles simultan auf Englisch, auf Rumänisch oder Moldawisch zu dolmetschen. Dadurch bekommt man Übung. Man muss ja sehr verschiedene Themen dolmetschen können, und während eines Auftrages darf man ja auch nicht ständig im Wörterbuch blättern. Man muss vieles können, man muss sich aber auch immer vorbereiten. Nicht jeder hat Verständnis, wenn man im Wörterbuch nachschlägt.

Gegenwind:

Hast Du denn immer Dein Wörterbuch dabei?

Maria Grosu:

Ja. Und wenn ich weiß, dass ich einen Termin habe, nehme ich das Rumänisch-Wörterbuch oder das Englisch-Wörterbuch mit. Meine Mutter hat auch ein sehr altes Wörterbuch, da stehen viele medizinische und technische Ausdrücke drin, das kann ich auch jederzeit bekommen. Wichtig ist dann auch der Kontakt mit anderen Dolmetscherinnen, denn im Wörterbuch stehen ja nicht alle Wörter drin. Ich habe Glück mit meiner Mutter, aber beim Einsatz ist es natürlich wichtig, dass man immer sein Wörterbuch dabei hat.

Interview: Reinhard Pohl

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