(Gegenwind 256, Januar 2010)

Anke Spoorendonk

LANDTAG Schleswig-Holstein

"Natürlich bekommt die Landesregierung von uns auf die Finger, wenn sie es verdient hat."

Anke Spoorendonk ist Fraktionsvorsitzende des SSW. Der Südschleswigsche Wählerverband ist von zwei auf vier Abgeordnete gewachsen und kann damit eine Fraktion bilden - hat also mehr Rechte als bisher.

Gegenwind:

Nach den Wahlen ist der SSW im Landtag doppelt so groß. Was sind für Dich die wichtigsten Veränderungen?

Anke Spoorendonk:

Die wichtigsten Veränderungen sind, dass wir doppelt so viele Ohren, Augen, Münder und Hände haben und nun auch formal eine Fraktion sind. Wir können jetzt in den Ausschüssen mit abstimmen, das konnte der SSW bislang nicht. Bisher konnten wir uns nur an den - allerdings auch entscheidenden - Abstimmungen im Landtag beteiligen. Mit vier Abgeordneten können wir jetzt auch die Arbeit besser verteilen und dadurch Themen aufgreifen, die wir bisher nicht beackern konnten, weil wir die Ressourcen einfach nicht hatten. Das ist schon eine tolle Situation.

Gegenwind:

Der SSW im Landtag besteht ja aus mehr als den Abgeordneten, Ihr habt auch Angestellte. Wie lange dauert es nach solch einer Wahl, bis alles funktioniert, alle sich ausreichend kennen gelernt haben?

Anke Spoorendonk:

Wir haben den Vorteil, dass sich bei uns die vier Abgeordneten gut kennen. Wir mögen uns und wir haben schon lange zusammengearbeitet. Silke Hinrichsen war von 2000 bis 2005 schon Landtagsabgeordnete. Flemming Meyer ist unser Landesvorsitzender, und wir beiden haben zudem viele Jahre im Kreistag Schleswig-Flensburg zusammengearbeitet. Es gab also keine Kennenlern-Probleme, die Arbeit lief von Anfang an gut. Es ging nur darum, wie wir unsere Arbeit organisieren und die Aufgaben unter uns aufteilen. Diese organisatorischen Fragen, die ja nicht unwichtig sind, haben wir direkt nach der Wahl geklärt. Durch die neue Stärke können wir auch zwei neue Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter einstellen, aber dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Es wird bis Februar oder März dauern, bis das neue Team komplett ist.

Gegenwind:

In der letzten Legislaturperiode waren die Regierungsfraktionen im Parlament sehr groß und übermächtig, die Opposition sehr klein. Manchmal hatte man den Eindruck, viele Abgeordnete nicken nur ab, was von der Regierung kommt. Jetzt sind die Mehrheitsverhältnisse knapper. Was ändert sich im Parlament, und gewinnt das Parlament mehr Einfluss im Land?

Anke Spoorendonk:

Es ist absolut notwendig, dass das Parlament mehr Einfluss nimmt. Auf der einen Seite haben wir da auch bei der ersten Landtagssitzung beobachten können, dass das Parlament lebhafter geworden ist. Das finde ich gut. Auf der anderen Seite ist es immer noch so, dass die regierungstragenden Fraktionen ähnlich wie in der Vergangenheit leider dazu neigen, einfach abzunicken was von der Regierung kommt. Von den Regierungsfraktionen ist bisher noch nichts gekommen. Interessant wird es, wie es sich innerhalb der Koalition auswirkt, dass die FDP-Führungsfigur Wolfgang Kubicki Fraktionsvorsitzender im Landtag geblieben ist. Das könnte dazu beitragen, das Parlament zu stärken. Bislang sieht es allerdings eher so aus, als würden die Regierungsfraktionen durch neuen Kungelrunden wie dem Haushaltsstrukturausschuss eingebunden. Mehr Einfluss für das Parlament gibt es aber erst, wenn die Regierungsfraktionen die Regierung im Landtag mit kontrollieren und wenn Oppositionsfraktionen in die Meinungsbildung und in Mehrheitsentscheidungen mit eingebunden werden.

Gegenwind:

Was sind Eure Schwerpunkte für diese Legislaturperiode? Die Regierung vertritt ja klarer als bisher ein Lager, alle Oppositionsparteien sind links davon.

Anke Spoorendonk:

Das ist richtig. Gleichwohl sagt der SSW, und das nicht erst heute: Blockpolitik ist nicht unsere Sache. Wir werden auch weiterhin eine kritisch-konstruktive Oppositionsarbeit leisten. Wir begleiten kritisch, was die Regierung macht, aber wir werben auch konstruktiv für unsere Anliegen. Das heißt, dass wir trotz vieler inhaltlicher Differenzen auch den Dialog mit der Regierung suchen, um unsere politischen Vorstellungen geltend zu machen. Das ist gute skandinavische Parlamentstradition und das gibt auch unseren Wählerinnen und Wählern am meisten zurück. Wir haben es immer wieder geschafft, aus der Opposition heraus SSW-Ziele umzusetzen - bis hin zu ganz neuen Gesetzen, wie das Informationsfreiheitsgesetz oder das Tariftreuegesetz. Deshalb wissen wir, dass sich die Mühe lohnen kann. Unsere Schwerpunkte sind weiterhin der Kampf gegen die CO2-Endlagerung in Deutschland, für eine regional ausgewogene Politik, für die Gleichstellung der Minderheiten und für ein solidarische Arbeitsmarkt-, Sozial- und Bildungspolitik skandinavischer Prägung. Gerade letzteres wird mit dieser Regierung nicht unbedingt leichter. Aber deshalb geben wir noch lange nicht auf. Natürlich bekommt die Landesregierung von uns auf die Finger, wenn sie es verdient hat. Aber eine pure, fundamentalistische Oppositionspolitik, die die Regierung nicht nur kontrolliert sondern reflexartig alles herabwürdigt, ablehnt und bekämpft was von der Koalition kommt, hilft niemandem weiter.

Gegenwind:

Welche Möglichkeiten hat die Opposition eigentlich, Vorschläge zu machen, wenn man sich die Haushaltslage des Landes ansieht? Es droht ja auch noch eine Verschlechterung durch die HSH Nordbank.

Anke Spoorendonk:

Die Haushaltslage des Landes wird uns natürlich in den nächsten fünf Jahren massiv beschäftigen. Die Stichworte sind: Schuldenbremse in die Landesverfassung, Haushaltskonsolidierung, Stellenstreichungen. Damit werden wir uns in jeder Landtagssitzung beschäftigen. Wichtig wird sein, dass dabei nicht etwas herauskommt, was das Land lähmt. Alle Fraktionen mit Ausnahme der Linken sind sich einig, dass es so oder so zu einer Schuldenbremse kommen muss, die dann in der Landesverfassung verankert wird. Aber wenn es um die Details geht, wird es sehr viele Diskussionen geben müssen, weil das alles noch sehr schwammig ist. Aus unserer Sicht muss deutlich werden: Was kann das Land verkraften, ohne kaputtgespart zu werden? So wie die Gemengelage auch auf Bundesebene ist, sehe ich im Moment überhaupt nicht, wie wir weiterkommen können. Aber wir können das Land nicht nur verwalten, wir müssen auch politische Entscheidungen voranbringen. Und das sind auch Entscheidungen im Personalbereich, da brauchen wir ein Konzept der Landesregierung für die Diskussion im Landtag. Zu sagen, wir sparen jetzt einfach mal 5000 Stellen oder 4800 Stellen, das kann es ja nicht sein. Wir wollen auch die Frage beantwortet haben, wie die Landesverwaltung künftig aussehen soll. Das ist ein ganz zentraler Punkt.

Gegenwind:

Rechnest du damit, dass diese Koalition handlungsfähiger ist und sich diese beiden Parteien schneller einigen können?

Anke Spoorendonk:

Das ist eine wirklich interessante Frage. Was wir beobachten konnten ist, dass die Koalitionsverhandlungen schnell zu Ende geführt werden konnten. Man meinte in Sektlaune, alles in trockenen Tüchern zu haben. Aber schon in der ersten Landtagssitzung zeigte sich, dass dem nicht so ist. Ich gehe jede Wette ein, dass wir in Schleswig-Holstein die gleichen Diskussionen zwischen Schwarz und Gelb bekommen, die wir jetzt schon auf Bundesebene haben. Ich kann mir vorstellen, dass die CDU sich in der Mitte der Wahlperiode nach der alten großen Koalition sehnen wird, weil die SPD leichter händelbar ist als die FDP. Denn die FDP macht in vielerlei Hinsicht immer noch eine Klientel-Politik.

Gegenwind:

Welche Zusammenarbeit zwischen den vier Oppositionsparteien kannst Du Dir vorstellen? Kann es in bestimmten Fragen eine Koalition in der Opposition geben?

Anke Spoorendonk:

Es gibt jetzt schon gemeinsame Anträge, und das finde ich gut und richtig. Ich finde auch, dass Oppositionsparteien gut daran tun, miteinander zu reden und sich abzustimmen, wenn es möglich ist. Wie gesagt, ich bin gegen sture Blockpolitik, aber es gibt natürlich eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen den Oppositionsparteien, das macht sich jetzt auch schon bemerkbar. Ich sehe da eine sehr vernünftige Zusammenarbeit in den kommenden Jahren.

Gegenwind:

Die Regierung hat angekündigt, beim Sparen alle Verbände und Vereine auf den Prüfstand zu stellen. Was erwartest Du da? Die Vereine und Verbände werden ja zu den Oppositionsparteien kommen und sagten: Helft uns, rettet uns.

Anke Spoorendonk:

Das ist klar, dass sie jetzt kommen. Es ist wichtig, dass man als Fraktion und als Partei daran denkt, wofür man eintritt, und dass man nicht jedem Recht geben kann. Man muss auch am nächsten Tag noch in den Spiegel sehen können. Ich halte nichts davon, jetzt zu sagen, ich bin in der Opposition, also kann ich allen alles versprechen und allen Recht geben. Aber ich habe in meiner Rede zur Regierungserklärung auch gesagt, wenn man alle freiwilligen Leistungen daraufhin überprüft, ob sie für Wachstum sorgen oder der Wirtschaft nützen, dann greift das zu kurz. Für den SSW ist es ein ganz wichtiger Punkt, dass Schleswig-Holstein kein Wirtschaftsunternehmen ist. Wir haben als Gesellschaft die Verantwortung für diejenigen, die zu den Schwächsten gehören. Der Ministerpräsident muss wissen, dass er auch der Ministerpräsident dieser Menschen ist und dafür eine Verantwortung trägt. Letztlich bin ich auch davon überzeugt, dass man bei Spardiskussionen aufpassen muss, nicht zu kurz zu springen. Hilfen für Obdachlose, die AIDS-Hilfe und andere sozialen Hilfen mögen offiziell den Status von freiwilligen Leistungen haben, aber das heißt nicht, dass man sie nach Lust und Laune kürzen kann - wenn man da kürzt, holt uns das wieder ein. Man muss immer den Kopf drehen. Solche kurzsichtigen Einsparmaßnahmen wirken so, als wenn kleine Kinder in die Hose machen: Im ersten Moment ist es schön warm, aber dann wird es schrecklich kalt. Ich glaube nicht daran, dass es die Messlatte sein kann, nur noch das zu fördern, was mit Bildung und Wirtschaft zu tun hat. Da würden viele Menschen hinten herunter fallen. Aber das ist ein Bereich, in dem ich mit auch sehr gut ein gemeinsames Vorgehen der Oppositionsfraktionen vorstellen kann.

Gegenwind:

Der SSW hat sich frühzeitig entschlossen, jetzt nicht nur im Parlament zu kämpfen. Ihr habt auch die Ämterordnung beim Verfassungsgericht beklagt, und ihr klagt jetzt gegen die Zusammensetzung des Landtags. Was erwartest Du von diesen beiden Verfahren?

Anke Spoorendonk:

Grundsätzlich ist der SSW der Auffassung, das hat er auch immer wieder deutlich gemacht, dass politische Fragen auch politisch gelöst werden müssen. Aber leider geht es in beiden Fällen um Probleme, bei denen die CDU und die SPD sich immer wieder sperren. Die großen Parteien müssten auf parteipolitische Vorteile verzichten, um diese demokratischen Probleme zu lösen. Deshalb haben wir keinen anderen Weg mehr gesehen als den über das Landesverfassungsgericht.

Zu der Ämterordnung ist zu sagen, dass wir diese als SSW immer schon kritisiert haben. Die Zusammensetzung der Amtsausschüsse geschieht nicht durch direkte Wahlen, obwohl die Ämter schon lange nicht mehr nur Schreibstuben der Gemeinden sind. Die Ämter sind heute praktisch Gemeindeverbände, auf dieser Ebene werden wichtige politischen Entscheidungen getroffen. Die kommunalpolitische Praxis belegt das. Solche Entscheidungen sollten aber nur von Menschen getroffen werden, die direkt vom Bürger legitimiert sind. Nach der letzten Verwaltungsstrukturreform haben wir jetzt große Ämter mit 37 Gemeinden wie Südtondern, und wir haben immer noch Ämter wie wir sie früher gekannt haben. Das klafft völlig auseinander. Und wir haben jetzt Gemeinden, die nicht mehr auf gleicher Augenhöhe mit dem Amt reden können. Da die großen Parteien nicht bereit waren, dieses Demokratiedefizit zu hinterfragen, weil es ihnen nützt, muss das Ungleichgewicht gerichtlich überprüft werden. Ich habe große Hoffnung, dass das Landesverfassungsgericht auch zum Schluss kommt, dass die Ämterordnung nicht verfassungskonform ist. Aber wie bei allen Gerichtsverfahren ist der Ausgang natürlich offen, das muss man redlicherweise hinzufügen.

Zur Zusammensetzung des Landtages: Das Landeswahlgesetz muss politisch verändert werden, dafür haben wir uns in der Vergangenheit immer wieder stark gemacht. Wir haben jede Initiative unterstützt, die darauf abzielte, ein anderes Zählverfahren einzuführen und die Anzahl der Wahlkreise zu reduzieren. Dann hätten wir nämlich nicht mehr diese große Zahl von Überhangmandaten, die immer wieder zum Problem wird. Viele Menschen verstehen zu recht nicht, weshalb wir ein Wahlrecht haben, das zulässt, dass Parteien unterschiedlich gewichtet werden, dass man mit einer Minderheit der Zweitstimmen eine Mehrheit im Landtag bekommen kann. Deshalb muss diese Norm vom Landesverfassungsgericht überprüft werden. Das ist notwendig, um überhaupt weiter zu kommen.

Gegenwind:

Rechnest Du damit, dass dieser Landtag so bleibt wie er ist?

Anke Spoorendonk:

Die bisherige Rechtsprechung spricht nicht unbedingt dafür, dass das Landesverfassungsgericht rückwirkend entscheidet. Ich könnte mir vorstellen, und ich hoffe das auch, dass das Landesverfassungsgericht sagt, dass das Landeswahlgesetz so oder so geändert werden muss, damit diese Situation künftig nicht mehr auftreten kann. Es gibt eine große Unzufriedenheit, es gibt auch viele Klagen, das aber sind Klagen gegen das Wahlergebnis und dessen Auslegung. Aber das Wahlgesetz ist nun einmal so gestrickt. Deshalb klagen wir eben nicht gegen die Anwendung, die leider so rechtlich korrekt ist, sondern haben eine Normenkontrollklage eingereicht.

Gegenwind:

Wie wird es jetzt weitergehen? Wird die Regierung fünf Jahre durchstehen? Wird der Ministerpräsident fünf Jahre regieren?

Anke Spoorendonk:

Es gibt ein gutes altes dänisches Sprichwort: ... Das sagt: Das Wahrsagen ist schwierig, besonders, wenn es um die Zukunft geht. Von daher - ich glaube nicht, dass der Ministerpräsident in fünf Jahren auch Peter Harry Carstensen heißt. Vieles deutet darauf hin, dass er in der Mitte der Wahlperiode einen anderen ranlässt. Das kann auch früher kommen. Ich sehe das aber sehr gelassen, denn das ist nicht das Entscheidende. Entscheidend ist die Frage, ist diese Koalition stabiler als die alte, wird sie fünf Jahre halten? Ich sehe noch nicht, dass sie so stabil ist. Ich glaube aber, dass der Wille, diese fünf Jahre durchzustehen, sehr groß ist. Dafür spricht, dass man ideologisch mehr Gemeinsamkeiten hat als die beiden Parteien der großen Koalition. Anderseits gibt es noch eine Reihe von offenen Fragen. Allen voran die, ob die Koalition ihre drei ungedeckten Überhangmandate neu besetzen darf, wenn jemand ausscheidet. Nach Ansicht der Landtagsjuristen darf sie es nicht. Das könnte dazu führen, dass die Mehrheit langsam abschmilzt und Schwarz-Gelb möglicherweise doch noch einen dritten Partner benötigt, um stabile Mehrheitsverhältnisse zu sichern. Es bleibt also auf jeden Fall spannend.

Interview: Reinhard Pohl

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