(Gegenwind 263, August 2010)

Leiharbeit im Druckzentrum der "Kieler Nachrichten":

Arbeitsschutz kieloben

Demo: KN - so viel Lohndumping muss sein!

In der outgesourcten Weiterverarbeitung im Druckzentrum der Kieler Nachrichten wurde der Belegschaft zum 1. Juli gekündigt. - Sie hatten es gewagt, sich einen Betriebsrat zu wählen. "Schluss mit dem Prekariat!" rief Markus Rohwer bei der Maidemo in Kiel von der Bühne: "Wir fordern, dass die 'Kieler Nachrichten' uns Leiharbeiter zurück in ihre Belegschaft einbinden!".

Seit März ist Rohwer frischgewählter Vorsitzender im Fachbereich Druck und Medien des ver.di-Ortsvereins Kiel/Plön. Gemeinsam mit vielen anderen ProduktionshelferInnen aus dem Druckzentrum der KN protestierte er gegen Lohndumping und die Entlassung durch den Subunternehmer Tabel-Gruppe. Vor zehn Jahren haben die KN einen Teil ihrer Druckereiarbeiten ausgelagert, in das eigens von einem leitenden Angestellten der KN dafür gegründete Tochterunternehmen TB Verlagsdienstleistungen. Im Laufe der zehn Jahre gab es Umfirmierungen, aber erst Ende 2009 verkauften die KN laut ver.di ihre letzten Anteile an dem Subunternehmen - als sich für die Wahl eines Betriebsrates bereits ein Wahlvorstand konstituierte.

Alle Arbeiten, die anfallen, nachdem die Zeitungen aus der Druckmaschine kommen, werden seit der Auslagerung untertariflich bezahlt: Bestückung mit Beilagen, Palettierung, versandfertig machen, bis hin zur Übergabe an die Auslieferung. Der Tariflohn der Druckindustrie sieht für diese Arbeiten 12,90 Euro vor. Bei der Tabel-Gruppe liegt der Bruttostundenlohn bei 6,14 Euro. Das entspräche mageren 1062 Euro brutto bei einer Vollzeitstelle, die es bei Tabel aber nicht gab. Im Druckzentrum der KN stellte die Tabel Gruppe mit 389 TeilzeitarbeitnehmerInnen die Weiterverarbeitung zahlreicher Zeitungen sicher: Neben den Kieler Nachrichten der Kieler Express, die Hamburger Morgenpost, der Blitz Mecklenburg sowie zahlreiche Hamburger Wochenblätter. Ein lohnendes Geschäft für die BesitzerInnen der Kieler Nachrichten - 37 % der Anteile gehören dem Madsack-Verlag aus Hannover, an dem wiederum die Medienholding der SPD, die dd_vg mit 20,4 % beteiligt ist.

Die Arbeitsbedingungen in der outgesourcten Weiterverarbeitung waren katastrophal. Sie haben sich erst gebessert, seit der Betriebsrat hier aktiv geworden ist: Letztes Jahr waren etwa die Hocker an den Maschinen entfernt worden. Vorher standen bei Produktionsunterbrechungen aufgrund von Stoppern und Pannen Hocker zum Sitzen bereit. Arbeitsschutzregeln wurden unterlaufen. Auch die feste Pausenregelung wurde abgeschafft und Pausen nur noch nach Produktionslage erlaubt. Hierfür machten die ProduktionshelferInnen die Betriebsleitung der Kieler Nachrichten im Druckzentrum verantwortlich.

Um der Willkür und den schlechten Arbeitsbedingungen etwas entgegenzusetzen, wurde eine Betriebsratswahl geplant. Es gab keine Lohnfortzahlung bei Urlaub oder im Krankheitsfall, der tarifliche Nachtzuschlag von 50 % wurde auf 25 % gekürzt, viele ProduktionshelferInnen wurden auf 400-Euro-Basis beschäftigt. Feste Arbeitszeiten gab es nicht - bei Schichtbeginn wurde angesagt, wie lange jeweils gearbeitet werden sollte. Das ging bis hin zum Arbeitszwang - Betriebsrat Kadim Akbag berichtete, wie auf Anweisung von oben der Pförtner die Türen abgeschlossen hätte, als er einmal nach zehn Stunden Arbeit nach Hause wollte. Er musste noch zwei Stunden bleiben und arbeiten. Ein Betriebsratmitglied erklärte gegenüber dem Blog kielkontrovers: "Bevor wir den Betriebsrat hatten, kam es häufiger vor, dass die Leute Schichten von 16 oder 18 Stunden machen sollten und aber nach 10 Stunden nach Hause wollten. Da hat man diese Stundenzettel einfach weggenommen und verschlossen. So konnte keiner mehr seinen Zeitnachweis aufschreiben. Wenn er nach Hause gegangen wäre, hätte er für lau gearbeitet. Das kann sich keiner bei uns leisten."

Demoteilnehmer mit diversen Fahnen und Plakaten

Am 4. Februar wählten die Beschäftigten der Tabel-Gruppe einen Betriebsrat. Marcus Peyn wurde Vorsitzender. Er ist 27 Jahre alt, studiert Mathematik und ist in der Partei "Die Linke" aktiv. Er und seine Kollegen wurden von der Abgeordneten der Linken Cornelia Möhring beraten, die vor ihrer Wahl in den Bundestag Betriebsräte gecoacht hat. In den Jahren davor gab es bereits mehrere Versuche, einen Betriebsrat zu installieren, um sich nicht alles widerspruchslos gefallen lassen zu müssen. Diese Versuche wurden jedoch durch gezielte Kündigungen und massiven Druck jedes mal sofort verhindert. Ein Tabel-Leiharbeiter schilderte gegenüber dem Blog kielkontrovers, dass nicht für alle im Kieler Druckzentrum Beschäftigten der Kontakt zu ver.di positiv war: "Du darfst es nicht weitererzählen, aber ich glaube du kannst da mithelfen. Wir haben was in Gange und wir wollen jetzt einen Betriebsrat gründen. Mit ver.di ist alles abgeklärt, wir sind da in der Rechtsberatung." 14 Tage später war diese Person dann weg. Sie hatte zwei Diskussionen in der Geschäftsleitung hinter sich und dann mitgeteilt, dass es mit dem Betriebsrat nichts wird. Auf einmal war sie weg... Dann gab es noch zwei Kollegen vorher, die haben es auch versucht. Der eine soll dann angeblich "eine Zeitung geklaut" haben und wurde fristlos gekündigt. Der andere wurde ausgehungert. Eine kalte Kündigung, bis er sagte, okay - ich klage jetzt noch mal. Danach wurde er mit einer miesen Abfindung abgespeist.

Da diese Kündigungen jeweils erfolgten, nachdem sich KollegInnen vertrauensvoll an den zuständigen ver.di-Fachbereich gewendet hatte, wurde gegen dessen damaligen Vorsitzenden, Richard Ernst, der bis heute Betriebsratsvorsitzender der KN ist, der schwere Vorwurf erhoben, mit der Geschäftsführung der KN kooperiert und die Aktiven gemeldet zu haben. Richard Ernst war bereits in den 70er Jahren im Ortsvereinsvorstand der IG Druck und Papier. Er war in vielen Tarifrunden Mitglied der jeweiligen Tarifkommissionen. Seit Jahrzehnten organisiert er das traditionelle Gautschen auf der Kieler Woche. Gautschen ist ein Initationsritus für Drucker nach bestandener Gehilfenprüfung, bei dem man in Wasser getaucht oder gesetzt wird - der Brauch kommt aus alten Buchdruckzeiten. Das Misstrauen gegenüber dem alteingesessenen Funktionär Richard Ernst war unter den Tabel-Beschäftigten aufgrund dieser ungeklärten Vorgeschichte so groß, dass der langjährige Vorsitzende des Fachbereiches Druck und Medien im ver.di-Ortsverein Kiel/Plön im März auf der Mitgliederversamlung abgewählt wurde: 150 Beschäftigte der Tabel-Gruppe waren bei ver.di eingetreten und hatten sich massiv an der Wahl beteiligt. Seitdem wird der Ortsverein Druck nicht mehr von einem "Fürsten", wie Richard Ernst in der Gewerkschaft genannt wurde, sondern von einem Leiharbeiter repräsentiert - Markus Rohwer. Ob Richard Ernst tatsächlich die früheren Initiatoren für eine Betriebsratsgründung bei der Tabel-Gruppe bei der Geschäftsführung der KN gemeldet hat, wie einige der Beschäftigten vermuten, bleibt ein Geheimnis.

Fakt ist, dass es erst Ende 2009 gelang, eine Betriebsratswahl so zu organisieren, dass die AktivistInnen nicht bereits im Vorfeld der Wahl entlassen wurden und diese damit hinfällig wurde. Als sich die Wahl jetzt nicht mehr verhindern ließ, griff die Arbeitgeberseite zu drastischeren Mitteln: Mit Aushang vom 19. Januar am Schwarzen Brett wurde allen Mitarbeitern ihre betriebsbedingte Kündigung durch die Geschäftsführung der Tabel-Gruppe zum 30. Juni 2010 angekündigt. In den Tagen danach gingen den KollegInnen die betriebsbedingten Kündigungen zu, teilweise bis zu acht einzelne Kündigungen, da einige Formfehler enthielten. Rüdiger Tabel, der Geschäftsführer der Tabel-Gruppe, beteuerte laut der Tageszeitung taz, die KN hätten ihm, als die Wahl nicht mehr zu verhindern war, signalisiert, dass sein Werkvertrag nicht verlängert werden würde. Der technische Leiter der KN, Sven Fricke, habe ihm gegenüber erklärt, dass der neue Betriebsrat ein "Wettbewerbsnachteil" sei. In offiziellen Erklärungen betonte die Geschäftsführung der KN dagegen, durch eine Preiserhöhung sei der Subunternehmer zu teuer geworden.

Mit den Kündigungen versuchte die Tabel Gruppe, die Betriebsratswahl doch noch zu verhindern und ihre Beschäftigten einzuschüchtern. Auch den Wahlvorstandsmitgliedern und den Kandidaten zur Betriebsratswahl wurden trotz eindeutigem gesetzlichen Kündigungsschutzes gekündigt. Als wenige Tage nach der Kündigungsinfo am Schwarzen Brett der Norddeutsche Rundfunk über die Massenentlassungen berichtete, hing dort bald ein weiterer Zettel: "Sehr geehrte Damen und Herren", stand dort, "heute möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Interviews, egal, ob für Fernsehen oder Radio, vorher ausdrücklich von der Geschäftsleitung genehmigt werden müssen." Unter dem Text hing in Kopie ein Auszug aus den Arbeitsverträgen, der ausdrücklich darauf hinweist, dass ein Zuwiderhandeln gegen "die Verschwiegenheitsverpflichtung" eine fristlose Kündigung und eine Vertragsstrafe in Höhe von mindestens 250 Euro nach sich ziehen kann. Gleichzeitig focht die Geschäftsführung von Tabel die Betriebsratswahl an: Mehrere Mitarbeiter "ausländischer Herkunft" hätten angeblich wegen mangelnder Sprachkenntnisse das Wahlverfahren nicht verstanden. Nach deren Befragungen wurde klar, dass bei Bedarf das Wahlprozedere von KollegInnen in ihrer Erstsprache erklärt worden war. Einer der vermeintlich unwissenden "Ausländer" hat Germanistik studiert, ein anderer schon mehrmals in seiner Zeit als Werftarbeiter bei HDW an Betriebsratswahlen teilgenommen. Die Anfechtung der Wahl scheiterte grandios.

Die Krise heißt Kapitalismus.

Die Geschäftsführung der KN hat die ausgelagerte Weiterverarbeitung aber zum 1. Juli 2010 an andere Subunternehmer vergeben. Eine davon, TMI, ein vom Springer-Verlag zwecks Outsourcing gegründetes Tochterunternehmen aus Ahrensburg, verlangte in einer internen Stellenausschreibung bei der Bundesagentur für Arbeit: "Keine ehemaligen Tabel-Mitarbeiter buchen!" Outsourcer suchen sich nicht nur ihre Arbeitskräfte aus, sondern weiten den Niedriglohnsektor auch ständig weiter aus. In Schleswig-Holstein arbeiten mit 21,6 % ein größerer Anteil aller Beschäftigten im Niedriglohnsektor, mehr als im Bundesdurchschnitt - dort sind es 20 %. Besonders betroffen sind 37,9 % der befristeten und 81,4 % der geringfügig Beschäftigten im Land zwischen den Meeren. "Immer mehr Menschen im Land können von ihrem Lohn nicht leben", kommentiert Cornelia Möhring, die schleswig-holsteinische Bundestagsabgeordnete der Linken diese Zahlen: Es gäbe nicht wenige Betriebe, die echten "Sozialmissbrauch" betreiben: Sie zahlen ihren Beschäftigten niedrige Löhne und verlassen sich darauf, dass aus Steuermitteln ergänzende Sozialleistungen für das Existenzminimum fließen. In Schleswig-Holstein stieg allein von 2006 bis 2008 die Zahl der so genannten AufstockerInnen um 11.181 auf 45.419 - ein Zuwachs von 32,7 %.

Und die von der Tabel-Gruppe Gekündigten? Sie hatten bis auf vier Logistikspezialisten am 29. Juni ihren letzten Arbeitstag im Druckzentrum der Kieler Nachrichten. Ein Teil der ehemaligen Belegschaft gab sich aber nicht gleich geschlagen und organisierte Proteste gegen die KN, so eine Demo am 30. Juni mit 250 Leuten. Die hat der Betriebsratsvorsitzende der Tabel-Beschäftigten, Marcus Peyn, als großen Erfolg empfunden: "Es war ein weiterer Schritt, in der Öffentlichkeit unseren Protest zu zeigen! Und wir waren verdammt laut. Schade war nur, dass so wenige aus der Belegschaft sich beteiligt haben. Die Gründe dafür sind teils Angst und teils, dass sie immer noch gehofft haben, dass wenn sie still halten, sie in letzter Sekunde vielleicht doch noch übernommen werden". Aus vielen linken Vereinigungen, wie Avanti, Attac, Chefduzen, dem Kieler Krisentreffen, der SDAJ, Parteien - Rot-Rot-Grün inklusive Jugendverbindungen - und Gewerkschaften waren Leute da, um sich mit den Forderungen der - ehemaligen - Tabel-Belegschaft zu solidarisieren. Weitere Aktionen wird es geben, erklärt Marcus Peyn: "So sitzen jetzt schon jeden Freitag ne ganze Menge unserer Leute vor dem Tor des Druckzentrums und halten Wache! Ferner wird es noch ein Aufarbeitungstreffen mit Holger Artus aus dem ver.di-Landesfachbereich geben, um die Gewerkschaftsprobleme zu besprechen, die wir erlebt haben und um auch über weitere Aktionen zu sprechen."

Gaston Kirsche
(redaktionell gekürzt)

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