(Gegenwind 263, August 2010)

Feste Fehmarnbelt-Querung:

Systemfehler, bitte abschalten!

Podiumsdiskussion in Lensahn am 29. Juni mit Anton Hofreiter (MdB), Marlies Fritzen (MdL) und Andreas Tietze (MdL)
Podiumsdiskussion in Lensahn am 29. Juni mit Anton Hofreiter (MdB), Marlies Fritzen (MdL) und Andreas Tietze (MdL)

DB Netz halbiert Güterverkehrsprognose für Fehmarnbeltquerung und bestätigt mangelnde Vertrauenswürdigkeit politischer Entscheidungen

Diejenigen, die sich seit vielen Jahren gegen eine feste Fehmarnbeltquerung oder andere offensichtlich schön gerechnete Infrastrukturprojekte wie Stuttgart 21 aussprechen, können sich bestätigt fühlen: um eine politische Zustimmung für höchst zweifelhafte oder größenwahnsinnige Vorhaben zu bekommen, werden zu Beginn eines Entscheidungsprozesses völlig überzogene Prognosen und niedrige Projektkosten präsentiert. Das beeindruckt die oftmals ahnungslosen oder überforderten Entscheider. Ist das Vorhaben unwiderruflich durchgewunken, dreht sich das Verhältnis von Kosten und Nutzen schnell ins Gegenteil. Per Salami-Taktik kommen dann die wahren Zahlen auf den Tisch des Steuerzahlers, der in schöner Regelmäßigkeit die Zeche absehbar absurder Vorhaben begleichen darf. Jüngstes Beispiel: die Hamburger Elbphilharmonie. Mit 75 Millionen Euro Zuzahlung aus dem Stadtsäckel bekam die Hansestadt das neue, auf ursprünglich 150 Millionen Euro taxierte Haus an der Elbe förmlich geschenkt. Mittlerweile sind die Gesamtkosten des prestigeträchtigen "Schnäppchens" auf eine halbe Milliarde Euro gestiegen und die Stadt Hamburg hängt mit 300 Millionen Euro Verpflichtungen, immerhin eine veritable Steigerung um über 300 %, tief drin. Ein Ende des Desasters ist ebenso wenig absehbar wie das Ausmaß der Kürzungen in anderen Bereichen des angespannten Haushaltes.

In der Regel teurer

Demo vor dem Landtag in Kiel
Demo vor dem Landtag in Kiel

Entwicklungen wie diese sind, wie der Bundesrechnungshof (BRH) in einem eigenen Gutachten für Infrastrukturprojekte des Bundes festgestellt hat, keine Ausnahme. Die Regel sind Kostensteigerungen bis zum Doppelten der ursprünglichen Annahmen. Dabei mangelt es im Vorwege politischer Entscheidungen im Allgemeinen nicht an mahnenden Stimmen, die bei Kosten und Nutzen den Finger in die Wunde legen. Bereits 2008, mehr als ein Jahr vor der Bundestagsentscheidung zum Staatsvertrag mit Dänemark für den Bau einer festen Fehmarnbeltquerung, hatte der NABU durch das renommierte Verkehrsplaner-Büro Vieregg und Rössler (München) ein Gutachten in Auftrag gegeben. Das 2009 noch einmal aktualisierte Papier bestätigt neben dem Vorwurf veralteter Kostenschätzungen oder fehlender Untersuchungsparameter (u. a. Entwicklung im Flugverkehr und bei der Seegüterschifffahrt) schon damals eindrucksvoll die jetzt von der Deutschen Bahn reduzierte Prognose für das deutsche Hinterlandanbindung. Rössler und Vieregg bemängelten, dass bei einer möglichen, deutlich höheren Zuladung weit weniger Züge fahren würden. Genau mit diesem Argument rechtfertigen Bund und Deutsche Bahn nunmehr die plötzliche Halbierung der Güterzugzahlen. "Das ist doch eine Farce. Hier handelt es sich um vorsätzliche Volksverdummung. Als einfacher Bürger ist man geneigt, das Vertrauen in die Urteilskraft von Politikern gänzlich zu verlieren. Oder man fragt sich, welche Interessen hier wen aus welchen Gründen leiten mögen" , so Hendrick Kerlen, stellvertretender Sprecher des Aktionsbündnisses gegen eine feste Fehmarnbeltquerung. Schließlich hatten NABU und Aktionsbündnis gebetsmühlenartig unter anderem explizit auf diesen Punkt immer wieder hingewiesen.

Absurdes Theater

Podiumsdiskussion in Bad Schwartau am 1. Juni
Podiumsdiskussion in Bad Schwartau am 1. Juni

"Was nunmehr passiert, darf unter 'absurdem Theater' zusammengefasst werden", meint Hendrick Kerlen spöttisch mit Blick auf das hektische Treiben bei den Projektplanungen in Land und Bund. Einerseits verweisen alle Beteiligten in Politik und Verwaltung auf den völkerrechtlich bindenden Staatsvertrag mit Dänemark, aus dem man schließlich nicht mehr aussteigen könne. Was bedeute, so Kerlen, dass damit zukünftig alle Mehrkosten der deutschen Hinterlandanbindung ohne jegliche Rentabilität des Projektes gerechtfertigt werden könnten. Andererseits suchten Kreis-, Landes- und Bundesverantwortliche nach plausibel klingen Erklärungen, warum man das Projekt unbedingt brauche. Man benötige, so Enak Ferlemann, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, dringend diese Trasse als zukünftigen Transportweg sowohl im Personen- als auch im Güterfernverkehr. "Das sind die üblichen Worthülsen von Politikern in Rechtfertigungsnot", so Hendrick Kerlen, Ingenieur mit Erfahrung internationaler Infrastrukturprojekte auf fast allen Kontinenten. Zahlen und Fakten sprächen eine andere Sprache. Mit knapp 9000 prognostizierten Fahrzeugen für vier Fahrspuren nach Fertigstellung der Querung und einem mal eben halbierten Bahngüterverkehr wäre so ein Projekt für internationale Entwicklungsbanken, wie zum Beispiel der Weltbank, oder für die Privatwirtschaft eine Totgeburt. "Kein Wunder, dass Frau Merkel 2006 auf der von ihr initiierten Investorenkonferenz keine Interessenten für das Vorhaben gefunden hat. Schade nur, dass sich der Steuerzahler, besonders in einer derartigen Finanz-, Wirtschafts- und Bankenkrise, nicht gegen das Verbrennen von Steuergeldern wehren kann."

Raumordnungsverfahren: Kumulierte Kollateralschäden

Bei den privaten und öffentliche Haushalten im Hinterland zwischen Bad Schwartau und Puttgarden sind die von den Gegenern des Vorhabens angeführten ökonomischen und ökologischen Belastungen auch mittlerweile angekommen. Selbst die bisher jubilierende IHK zu Lübeck verfasste eine erstaunliche "ja, aber..."-Resolution (www.ihk-schleswig-holstein.de), in der sie dem Vorhaben der Schienen-Hinterlandanbindung nur unter gewissen Prämissen zustimmen würde. Regionalverträglichkeit und Berücksichtigung der Tourismuswirtschaft könnten laut IHK-Resolution nur durch Neutrassierungen jenseits aller Kostenfragen erreicht werden. "Es gibt hier aber kein Wunschkonzert. Bund und Bahn wollen mit Verweis auf die "Wirtschaftlichkeit" mit marginalen Änderungen im Kreissüden die Bestandstrasse elektrifizieren. Da weder im Staatsvertrag noch in einer einzigen untersuchten Variante seitens der DB von vollständigen Neutrassierungen die Rede ist, wird sich die IHK mittelfristig vom Vorhaben distanzieren müssen, will sie sich nicht völlig unglaubwürdig machen", so Peter Ninnemann, selbst IHK-Mitglied, aktiv beim TsT ("Tourismusort statt Transitort" Timmendorfer Strand) und gleichzeitig einer der Sprecher der Allianz gegen die feste Fehmarnbeltquerung, in der alle Bürgerinitiativen gegen das Vorhaben versammelt sind.

Banner der Bürgerinitiative Timmendorfer Strand am Ortseingang
Banner der Bürgerinitiative Timmendorfer Strand am Ortseingang

Auf der so genannten Antragskonferenz zum vom Land Schleswig-Holstein eingeleiteten Raumordnungsverfahren Mitte Juni in Cismar hätten die Vertreter von DB Netz und DB Projektbau unmissverständlich deutlich gemacht, dass es nur um die Wirtschaftlichkeit ginge. Von besseren, neuen Trassenvarianten zugunsten von weniger Beeinträchtigung der Lebensqualität und der regionalen Tourismuswirtschaft keine Spur. Um die billige Bestandstrasse zu rechtfertigen, halbiere man jetzt mal eben das Güterzugaufkommen, welches man vorher verdoppelt habe, um das Projekt salonfähig zu machen. So funktioniere Politik. Wobei nach Ninnemanns Einschätzung jetzt selbst eingefleischten Befürwortern klar geworden sei, dass dem Bund der Kreis Ostholstein, der mit den absehbaren Kollateralschäden in Bezug auf Verlärmung, Entwertung von Immobilien oder volkswirtschaftlichen Schäden in Milliardenhöhe angesichts der völlig desolaten Haushaltslage des Bundes leben muss, völlig egal sei. Man habe dort jetzt erst recht kein Geld zu verschenken, schon gar nicht für offensichtlich unwirtschaftliche Projekte. "Berlin geht es nicht um die Menschen vor Ort. Berlin geht es allenfalls um die Metropolregionen Hamburg und Kopenhagen und um die Vermeidung von politischem Gesichtsverlust gegenüber Dänemark."

Aufhören

Je mehr die Menschen mit Verweis auf den Staatsvertrag eingeschworen werden, desto lauter werden die Rufe nach Ausstieg aus dem Vorhaben, der nach Artikel 22 durchaus möglich wäre. Die wesentlichen Änderungen in den Vorhabensvoraussetzungen, die dort als Latte für Neuverhandlungen angelegt werden, sind nach Auffassung von Hendrick Kerlen bereits heute ganz real: Ausufernde Projektkosten, nach unten revidierte Verkehrsprognosen, Finanz- und Wirtschaftskrise, explodierende Staatsschulden. Der Bund dürfe nicht immer nur im sozialen Bereich, in der Bildung oder bei den Familien die Axt anlegen, sondern müsse offen und ehrlich mit Sparpotenzialen in allen Bereichen umgehen. Insofern sei es - abgesehen von den erheblichen ökologischen Schäden - zwar bemerkenswert, dass Bund und Bahn selbst mit ihrer Neubewertung das Vorhaben als zu teuer und völlig unwirtschaftlich einstufen würden. "Das ist ein wichtiger Schritt, die Spirale des Irrsinns zu durchbrechen! Aber leider sehe ich auf dem Personaltableau bei Bund, Land oder DB nicht einen einzigen klugen Kopf, der diesen so offensichtlichen Systemfehler erkennen und abstellen will."

Malte Siegert

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