(Gegenwind 267, Dezember 2010)

Harald Mücke

Interview mit Harald Mücke, Buchladen ZAPATA:

„Der Anspruch bleibt, Bücher zu verkaufen, die man sonst nirgends kriegt”

Gegenwind:

Den ZAPATA-Buchladen gibt es ja eigentlich schon sehr lange, aber auch unter verschiedenen Namen noch länger. Was ist denn Deine Definition: Wie lange gibt es den Buchladen?

Harald Mücke:

Das ist tatsächlich nicht ganz klar. Wir sind hier seit 25 Jahren am Jungfernstieg unter dem Namen ZAPATA. Es gab ihn aber schon fünf bis acht Jahre länger unter verschiedenen anderen Namen, unter anderem in der Holtenauer Straße als „Barrikade” und „100 Blumen” und gehört habe ich, aber eher gerüchteweise, dass es ihn vorher schon als eine Art Infoladen gegeben hat, aber das weiß ich selbst nicht so genau. Es gibt ihn also um die 30 Jahre als Buchladen.

Gegenwind:

Wie lange hast Du mit dem Buchladen zu tun?

Harald Mücke:

Ich habe den Buchladen am 1. Januar 2002 übernommen und bin vorher schon ganz viele Jahre als Kunde dort gewesen.

Gegenwind:

In welcher Situation hast Du ihn übernommen? Es gab ja ursprünglich den Anspruch, dass der Laden von einem Kollektiv geführt wird.

Harald Mücke:

Ja, aber es war einige Jahre vorher schon kein Kollektiv mehr, sondern eine GmbH mit mehreren Gesellschafterinnen und Gesellschaftern und GeschäftsführerInnen. Also vorher war es schon nicht mehr ganz so kollektiv. Klar war, der Laden war pleite und hätte zugemacht werden sollen. Und Jo Hauberg, den ich vom Neuen Malik Verlag her kenne, hat mich gefragt. Er wusste, dass mein agimos verlag auch nicht besonders gut läuft und ich mich möglicherweise umorientiere. Er hat mich gefragt, ob ich nicht den Buchladen ZAPATA, der sonst geschlossen wird, übernehme und ihm neues Leben einhauche.

Gegenwind:

Wie ist das nach der Übernahme gelaufen? Zeitweise gab es ja zwei Geschäfte.

Harald Mücke:

Jo Hauberg hat zu Anfang das Antiquariat in der Medusastraße, im Medusahof weiter gemacht, ich habe hier den Buchladen gemacht. Wir haben das dann getrennt. Ein Freund von mir hat mit viel Geld den Laden entschuldet und die alten Beteiligten ausgezahlt. Jetzt macht Jo Hauberg das ZAPATA-Antiquariat von zu Hause als Versand-Antiquariat, und wir haben außer dem Namen nichts mehr gemeinsam.

Gegenwind:

Wie läuft der Laden hier, wenn Du die Zeit von 2002 bis heute betrachtest?

Harald Mücke:

Buchhandel ist eine schwierige Angelegenheit. Ich kann mich in manchem nur meinem Kollegen Henning Nielsen von der Carl-von-Ossietzky-Buchhandlung in Flensburg anschließen, der Dir ja auch von einigen Monaten ein interessantes Interview im Gegenwind gegeben hat*. Es ist eine sehr komplexe Sache. Mit Büchern Geld zu verdienen ist sehr schwierig, auf der Verlagsseite wie auch auf der Buchhandelsseite. Die Spannen für die Buchhändler werden immer geringer, gerade für die kleineren, die nicht in großen Mengen bei den Verlagen einkaufen können. Von daher machen wir eigentlich gar nicht so einen schlechten Umsatz, es bleibt aber kaum etwas übrig, so dass wir trotz einer niedrigen Miete und extrem niedriger Personalkosten seit Jahren eigentlich immer so kurz vor dem Abgrund stehen. Ich weiß, dass das leider für Hunderte meiner Kolleginnen und Kollegen in Deutschland, die kleinere oder mittlere Buchläden führen, auch so gilt.

Gegenwind:

Kann man das durch eine Veränderung des Sortimentes ändern, oder willst Du das überhaupt?

Harald Mücke:

Der Buchladen hat sich schon verändert, wie viele andere linke Buchläden in Deutschland. Während früher klar war, das es überwiegend oder ausschließlich Bücher aus kleinen linken Verlagen oder Broschüren gab, haben sich die Buchläden überall verändert in die Richtung, auch das breite Publikum anzusprechen. Wir haben eine große Krimi-Abteilung, eine große Belletristik-Abteilung, Kinder- und Jugendbücher. Eine solche Sortimentsanpassung gab es schon. Ich bin auch offen für neue und interessante Ideen. Aber grundsätzlich ist es so, dass ich kein gelernter Buchhändler bin und es auch nie werden wollte. Wir wollten gemeinsam diesen Laden, diesen linken, kritischen Buchladen ZAPATA retten. Wir wollten nie irgend einen Buchladen machen. Es würde keinen Sinn machen, jetzt die linke Bücher alle rauszuschmeißen, weil sie zu wenig gekauft werden, und den Laden anders zu nutzen. Wir möchten genau diesen Buchladen. Es wäre gut, wenn wir es schafften, noch mehr normales Stadtteil-Publikum hierher zu bekommen. Aber den Anspruch bleibt, hier beim ZAPATA Bücher zu verkaufen, die man sonst nirgends kriegt.

Gegenwind:

Welche Funktion hat denn der Laden über die Buchhandels-Funktion hinaus?

Harald Mücke:

Das war ein weiterer Grund, weshalb wir ZAPATA retten wollten. Wir denken, damals wie heute, dass solch ein Buchladen eine wichtige Funktion für die Szene hat, genauso wie Kneipen, wie das Subrosa oder die Hansastraße 48, die Alte Meierei und der Club M, wie linke Zeitschriften wie LinX und Gegenwind und andere, die ja das Gerüst bilden dessen, was man linke Szene nennt. Wir sind auch Treffpunkt, bei uns kriegt man eine Menge linker Zeitungen und Zeitschriften, hier liegen Flugblätter aus, hier wird auf Veranstaltungen hingewiesen, wir machen Vorverkauf für Veranstaltungen und anderes. Das ist neben dem Verkauf von Büchern ein wichtiger Aspekt, ein Bindeglied der linken und alternativen Szene in Kiel.

Gegenwind:

Was für Veränderungen beobachtest Du in den letzten 20 Jahren auf diesem Gebiet?

Harald Mücke:

Nehmen wir lieber die letzten neun Jahre, wo ich direkt damit zu tun habe: Eine ökonomische Veränderung ist, dass die Margen auf Bücher noch niedriger geworden sind. Inhaltlich ist es so, ich will nicht jammern als alter Linker, dass früher alles besser war, aber es wird sehr viel weniger kritische Literatur verkauft. Unser Hauptkonkurrent ist das Internet, aber ich fürchte, dass viele junge, auch kritische Menschen kaum noch lesen.

Gegenwind:

Macht ZAPATA auch Veranstaltungen?

Harald Mücke:

Ja, wir haben einige eigene Veranstaltungen gemacht, aber das mache ich kaum noch. Der Aufwand ist relativ groß, wenn man es gut organisiert, das schaffen wir nicht. Der Nutzen ist oft sehr gering, weil zu Lesungen nicht viele Leute kommen. Aber wir machen sehr viele Büchertische bei verschiedenen Kulturveranstaltungen zu allen möglichen Themen in Bereich Anti-Imperialismus, Ökologie, Sozialabbau, Kultur, Antifaschismus. Wir machen gerne Büchertische speziell für Lesungen von Autorinnen und Autoren, oft zusammen mit der Hansastraße 48, zusammen mit HAKI, zum Beispiel im Exlex - immer da, wo man uns gerne möchte. Zusätzlich stellen wir oft die Bücher für Büchertische zur Verfügung, die dann andere durchführen.

Gegenwind:

Gibt es nach Deinen Beobachtungen genug Bewusstsein in der Szene, dass es für die Existenz des ZAPATA-Buchladens wichtig ist, auch normale Bücher für Schule, Uni und Beruf über den ZAPATA zu beziehen statt in einer großen Buchhandlung in der Innenstadt?

Harald Mücke:

Da triffst Du einen heikeln Punkt. Immer passiert so was wie „Ach so, Ihr habt hier auch ganz normale Bücher?” - „Kann ich denn auch bei Euch ein Fachbuch bestellen?” Es ist immer noch nicht überall durchgedrungen, dass wir auch ein ganz normaler Buchladen sind, der jedes lieferbare Buch bestellen kann. Wir recherchieren sogar intensiver und bemühen uns mehr als die großen Konzern-Filialisten, die schnell sagen „Das Buch gibt es nicht”. Das ist tatsächlich ein Punkt. Ich fürchte, dass relativ viele unserer Kundinnen und Kunden es zwar nicht zugeben, sie ZAPATA als ihren Buchladen bezeichnen, aber dann doch viele über das Internet oder so bestellen. Ich glaube nicht, dass unsere Kundinnen und Kunden viel zu großen Konzern-Buchläden gehen, aber es wird sicherlich viel bei großen Internet-Versendern bestellt. Das Bewusstsein hätte ich gerne stärker. Noch mehr ärgert mich, dass ich bei Veranstaltungen von linken Organisationen oder Demos, auf die ich gehe, jede Menge Leute sehen, die sich explizit politisch betätigen, die ich aber noch nie bei ZAPATA gesehen habe. Woran liegt das eigentlich? Die Menschen sehen sich als links, aus allen möglichen Spektren, aber sie sind trotzdem nicht bei uns Kundin oder Kunde.

Gegenwind:

Habt Ihr denn Großkunden, also Bestellungen von Schulen, Unis oder anderen?

Harald Mücke:

Ja. Das Schulbuchgeschäft lohnt sich nicht, viel Arbeit, bringt aber nichts ein. Damit haben wir nicht viel zu tun. Wichtig sind öffentliche Aufträge von Bibliotheken, Büchereien, das ist für uns existenziell. Davon haben wir zum Glück einige.

Gegenwind:

Wie ist denn die aktuelle Situation? Die Räume des Buchladens sind ja gekündigt.

Harald Mücke:

Die Situation ist ziemlich schwierig, und ich bekomme langsam immer mehr Stress. Auch nach monatelangem Suchen haben wir nichts Adäquates gefunden. Adäquat heißt hier bei uns, also rund um den Schrevenpark. Denn hier wohnen unsere Kundinnen und Kunden, die Kunden der Stadtteilbuchhandlung. Finanziell ist es schwierig, wir haben keine Kapitaldecke, ich kann mir keine hohe Miete leisten. Ich hoffe aber, dass wir bei Erscheinen des Heftes etwas haben, es gibt eine gute Option.

Gegenwind:

Es gab öfter Anschläge von Nazis, wir haben im Gegenwind (vgl. Gegenwind 261) darüber berichtet. Wie sehr schränkt das Deine Möglichkeiten ein? Gibt es Vorbehalte von Vermietern?

Harald Mücke:

Das kann ich nicht sagen. So weit kam es bei den meisten Läden nicht, die ich mir angeguckt habe. Wenn sie zu klein oder nicht bezahlbar waren, kam es nicht zu Verhandlungen. Es wäre denkbar. Die Hausbesitzerin dieses Hauses hat ohne Begründung gekündigt, aber sie hat mal gesagt, dass es wegen der Nazi-Anschläge war, sie sagt auch mal was anderes, aber nur zu Dritten, nicht zu uns. Ich hoffe aber, dass es kein Grund wäre, uns einen passenden Laden nicht zu vermieten. Wir sind ja auch durch eine groß angelegte Solidaritätsaktion in der Lage, weil genug Geld gesammelt wurde, Rollläden anzubauen, um die Fenster eines neuen Ladens zu schützen.

Gegenwind:

Warst Du denn mit der Solidarität nach den Anschlägen zufrieden?

Harald Mücke:

Ja. Das war überwältigend. Es kamen viele Leute, haben ihre Solidarität bekundet, ihr Bedauern über die Anschläge. Viele haben aber auch praktische Hilfe angeboten, angefangen nachts, wenn ich von der Polizei mal wieder aus dem Bett gerissen wurde, dass Nachbarinnen und Nachbarn Scherben sammelten und fegten oder am nächsten Tag Kuchen vorbei brachten. Es wurden auch kleine und große Summen gespendet, sowohl von einzelnen Menschen als auch von Organisationen, Initiativen, Parteien, Zeitungen und Zeitschriften. Das war toll. Es ließ im Laufe der Anschläge nach, im Übermaß der furchtbaren Dinge werden wohl auch mal Nachrichten weggeschoben oder verdrängt. Und bei dritten Anschlag macht man vielleicht nicht mehr soviel wie beim ersten Anschlag.

ZAPATA Buchladen

Gegenwind:

Du hat ja auch Anzeige erstattet und Presserklärungen verfasst. Wie beurteilst Du die Reaktionen außerhalb der Szene?

Harald Mücke:

Das ist tatsächlich eine ganz heikle Geschichte, die mich immer noch sehr wütend macht. Fakt ist, dass die bürgerlichen Medien, allen voran die »Kieler Nachrichten«, entweder kaum oder sehr entstellend über die Anschläge auf ZAPATA und auch auf andere Einrichtungen berichtet haben. Es gab auch ein Filmteam von NDR, das bei uns war, gefilmt hat, mich interviewt hat, zu den kriminellen Machenschaften der NPD. Der Film ist nie gesendet worden, mir ist nicht klar, warum nicht. Aber es scheint häufig die Meinung zu geben, am besten wir schweigen die Nazis tot. Ich finde das empörend und dumm. Das hat schon vor 1933 nicht geklappt, und das klappt auch jetzt nicht. Noch empörender fand ich, dass auch Staatsanwaltschaft und Polizei uns und anderen Betroffenen nicht das Gefühl geben, dass sie wirklich ermitteln. Im letzten Falle waren die Nazis ja so blöd, hier mit einem Auto vorzufahren. Das Auto gehört der Mutter von Daniel Zöllner. Sie hat zugegeben, dass sie es ihm geliehen hatte. Eigentlich eine klare Sache, denn die Autonummer ist hier von einer Zeugin notiert worden. Trotzdem konnte kein Täter ermittelt werden, keine Anklage erhoben werden. Man hat das Gefühl, dass bei faschistischen Straftaten nicht engagiert ermittelt. Und wenn es zu Verfahren kommt, kommen sie oft mit geringen Strafen davon. Das ermutigt sie eher zum Weitermachen. Die Nazis haben im Internet zur „Vernichtung” des „entarteten” und „undeutschen” Buchladens aufgerufen, und sie betrachten es auch als ihren Sieg, dass wir hier am Jungfernstieg 27 zumachen müssen. Das sind falsche Signale, die hier von den angesprochenen Medien sowie von Polizei und Justiz gesendet werden.

Gegenwind:

Wie siehst Du die Zukunft des Ladens? Was sind Deine Wünsche für 2011?

Harald Mücke:

Ich wünsche mir, dass wir einen neuen Mietvertrag unter Dach und Fach kriegen. Wir haben einen sehr schönen Laden in Aussicht. Und es ist mein Traum, dass wir so viele Kundinnen und Kunden haben, dass wir den Laden auf ökonomisch vernünftige Füße stellen können. Im Moment ist es so, dass er nur existiert, weil viele Menschen umsonst oder für ganz wenig Geld hier arbeiten und ich mehrere Nebenjobs habe. Außerdem hat hier jemand mal viel Geld reingesteckt, als wir den Laden übernommen haben. Dieser Laden wird nie eine Goldgrube werden, aber ich wünsche mir, dass er sich selbst wirtschaftlich trägt und wir hier weiterhin engagiert an eine noch möglicht größere Schar von Menschen gute und kritische Bücher verkaufen können; und dadurch die Welt ein wenig transparenter - und vielleicht sogar ein bisschen besser machen.

Interview: Reinhard Pohl

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