(Gegenwind 278, November 2011)

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Alexander Klaus / pixelio.de

Datenschutz

Das Facebook-Problem

Die Rechtsanwältin Nina Diercks hat eine verdienstvolle Analyse zu den aktuellen Datenschutz-Einstellungen bei facebook unter dem Titel „Facebook bewegt sich doch” vorgelegt.
(www.socialmediarecht.de/2011/09/08/und-facebook-bewegt-sich-doch-ein-erster-blick-auf-die-neuen-datenschutzverwendungsrichtlinien)
Ich denke nicht, dass die „Bewegungen” von facebook in Bezug auf Achtung der Privatsphäre der facebook-Nutzer relevant sind.

Die Funktion des Datenschutzes besteht darin, die Macht von Organisationen über einzelne Personen zu beschränken, weil Organisationen (Verwaltung, Unternehmen, Wissenschaftsinstitute) strukturell immer im Vorteil sind. Der wesentliche Mechanismus zur Beschränkung dieser Macht ist die Zweckbindung bei der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten. Diese vorzunehmen wird Organisationen durch das Datenschutzrecht auferlegt. Eine Zweckbindung bei personenbezogenen Daten verträgt sich dabei, schon rein logisch betrachtet, nicht mit Vorratsdatenspeicherung, wie sie besonders aggressiv von facebook praktiziert wird. Keine Organisation - weder die staatliche Exekutive noch Unternehmen noch Forschungsinstitute - haben ein unmittelbares Interesse an Datenschutz. Im Gegenteil. So wie sie auch kein unmittelbares Interesse daran haben, Steuern zu zahlen oder die Umwelt zu schützen. Deshalb ist hier von etwaigen Selbstregulationsansätzen wenig zu erwarten.

Das Auferlegen und die Sanktionierung des Einhaltens der Zweckbindung ist zweifellos eine ordnungspolitische Einmischung des Staates in staatliche, private und wissenschaftlich ausgerichtete Organisationen und deren Umgang mit ihrem externen Klientel.

Eine Zweckbindung lässt sich nicht privatrechtlich durch „Transparenz mit Einwilligung” ersetzen... was eine typisch amerikanische Lösung wäre. Entscheidend: Die Regelung der Zweckbindung - also die überprüfbare Festlegung der Daten, die verallgemeinerungsfähig begründbar erhoben, gespeichert und verarbeitet werden sowie die Abgrenzung zu benachbarten Zwecken - geht der Einwilligungsfähigkeit voraus. Auch das ist schon rein logisch begründbar: Die Vertragspartner müssen wissen, auf was sie sich einigen. Für „echte Informiertheit” eines jeden Bürgers, Kunden oder Patienten kann keine Organisation dabei aber wirklich sorgen. Transparenz ist eine Fiktion, die allerdings unerlässlich ist. Materiell ist somit überhaupt nichts an Datenschutz gewonnen, wenn nur einige Aspekte bzgl. Transparenz irgendwie besser erfüllt werden, die ohnehin nur bis zu einer gewissen Ebene des Sichtbarmachens erfolgen können.

Gleichwohl kann man in Bezug zur Steigerung der Transparenz viel tun.

Eine materiell relevante Transparenz wiese zumindest das Interesse und den Zugriff verschiedener Organisationen an den Nutzerdaten aus. Bei facebook wäre das bspw. der Hinweis auf die CIA, die gemäß Adamnek (2010: Die facebook-Falle) vermutlich nicht aus rein ökonomischem Interesse zu den Risikokapitalgebern von facebook zählt. (Und was da alles im Hintergrund an staatlicher Überwachung allein in den USA abgeht, das weist dieser Artikel nach: https://futurezone.at/netzpolitik/4888-9-11-folge-den-netzwerken.php.

Auch die Computerbild macht das zum Angst erzeugenden Thema, wenn sie die SocialWebnutzung der Geheimdienste thematisiert (https://www.computerbild.de/artikel/cb-Aktuell-Sicherheit-Facebook-Google-Dropbox-Cloud-Datenschutz-Geheimdienste-6413576.html).

Neben Sicherheitsbehörden interessieren sich aber gewiss nicht nur noch Marketingabteilungen für diese Daten. Es müssen sich ebenso Versicherungen dafür interessieren, die vom Marktdruck getrieben ihre Risiken mit Daten nicht nur von statistischen Kohorten, sondern sogar von den ganz konkret bei ihnen versicherten Personen kalkulieren können. Ein versicherungsmathematischer Traum!

Die Feststellung, dass facebook sich bewege, ist somit sogar dann, wenn man allein den Aspekt der Transparenz betrachtet, schlicht falsch. Eine kontrafaktische Verbesserung der Transparenz bei facebook zu behaupten, macht facebook akzeptabler, nutzt facebook politisch. Transparenz (a la „wir achten kein Briefgeheimnis” in den AGBen) ist nur eine Voraussetzung für das Ergreifen von Datenschutz-Maßnahmen, aber allein ohne Relevanz. facebook macht nach wie vor Pseudo-Datenschutz und spielt Datenschutzschmierentheater.

(Hinweis: „Datenschutztheater bezeichnet eine Maßnahme oder eine Sammlung von Maßnahmen, die den gefühlten Schutz von Daten verbessern ohne dabei die Daten funktional vor Ge- oder Missbrauch zu schützen.”) facebook ist Anti-Datenschutz, facebook will keinen Datenschutz, facebook will alle Daten aller Menschen. Das ist kein Spaß. Das ist das kristallin klar zu beobachtende facebook-Projekt, wie man bei Spiegel Online lesen kann (vgl. https://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,788029,00.html). Und es ist nicht das einzige dieser Art.

Rausgezoomt: facebook liefert die Daten zur Vermessung der Menschheit, ohne auch nur den Lendenschurz eines rechtstaatlichen Korrektivs anzulegen.

Methodisch-statistisch betrachtet dürfte der Datenpool unterdessen repräsentativ für die Menschheit sein. Die Personenmodelle, die die Organisationen (Sicherheitsbehörden, Versicherungen und Banken, Energieversorger, Contentprovider, die Thinktanks der Großlobbies) an diesen Daten nun entwickeln, schlagen auf jede einzelne Person durch, ganz gleich, wie intensiv oder zurückhaltend sie das Internet nutzt. Die Daten sind da, sie sind bereits ausgewertet und werden absehbar semantisch immer intelligenter ausgewertet. Die Grenzen, die durch Gewaltenteilung, Demokratie, Markt und freier Diskurs gezogen sind und die die Freiheit der Individuen konstituieren, werden dadurch strukturell und operativ unterlaufen. Mit Folgen für das Individuum. Es ist auch wenig geholfen, wenn nun anstelle von facebook ein staatlich betriebenes facebook mit den gleichen Verkettungsmechanismen aufgebaut werden sollte, um einer vermeintlich nationalen Souveränität willen. Die verführerisch sexy Funktionen sind auch gar nicht staatlich-rechtskonform umsetzbar. Es entsteht absehbar ein ubiquitärer Rechtfertigungsdruck für alle Menschen, der unvereinbar ist mit Freiheit und persönlicher Souveränität - noch literarisch tastend, aber moralfern und mit kalter Logik plausibel dargestellt in Juli Zehs Buch „Corpus Delicti”.

Die verführten facebook-Mitläufer haben sich fortan dafür zu rechtfertigen, dass sie bei facebook mitgemacht haben. Es kann keiner mehr sagen, er hätte es nicht gewusst.

Martin Rost

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