(Gegenwind 278, November 2011)

Sie lassen nicht locker: Birgit und Horst Lohmeyer vor ihrer schönen alten Scheune neben dem Forsthaus in Jamel
Sie lassen nicht locker:
Birgit und Horst Lohmeyer vor ihrer schönen alten Scheune neben dem Forsthaus in Jamel

Sonntagsgespräch in der Gedenkstätte Ahrensbök

Die sich nicht einschüchtern lassen

Jamel, Mecklenburg: Das Leben der Lohmeyers in einem Neonazi-Dorf

Die Geschichte wurde in weiten Teilen der Welt berichtet, hat bundesweit und internationale Schlagzeilen gemacht. Das Ehepaar Birgit und Horst Lohmeyer- sie Krimischriftstellerin, er Musiker - übernahmen vor mehr als sechs Jahren einen idyllisch gelegenen ehemaligen Forsthof in einem Dorf, in dem die Mehrheit der Bewohner aktive Neonazis sind. Jamel in Mecklenburg, zwischen den Städten Grevesmühlen und Wismar gelegen, wurde als Pilgerstätte von Neonazis aus ganz Europa beschrieben, als rechtsfreies Nazi-Dorf, in dem ein NPD-Kreistagsmitglied und seine Gesinnungsgenossen den Nachbarn das Leben zur Hölle machten, während die Verantwortlichen in Kommune, Kreis und Land machtlos zusahen. Nur zwei ließen sich nicht einschüchtern, Birgit und Horst Lohmeyer. (Siehe dazu auch: „Allein unter Nazis”, , Seite 50

Die Lohmeyers werden am Sonntag, 20. November, um 16 Uhr während eines Sonntagsgesprächs in der Gedenkstätte Ahrensbök über ihr Leben in Jamel berichten. Interessierte sind eingeladen, sich an diesem Sonntagsgespräch zu beteiligen. Personen aus dem rechtsextremen Spektrum sind in dieser Veranstaltung nicht erwünscht.

Jamel, Mecklenburg: Das Dorf mit kaum mehr als zehn oft grauen Häusern macht einen trostlosen Eindruck. Wer bis zur Dorfmitte fährt, die als Sackgasse endet, kommt an einem Gebäude vorbei, an dem unübersehbar ein NPD-Schild hängt; hier wohnt der Neo-Naziführer. Zwar haben die Behörden im Februar den Findling am Dorfeingang mit dem Schild „Dorfgemeinschaft Jamel. Frei - sozial - national” entfernt. Auch ein Holzpfahl mit Wegweisern in Frakturschrift, die in Orte wie Braunau wiesen, wurde abmontiert. Stattdessen prangt nun ein kitschiges buntes Wandbild an einer Schuppenmauer, das ein schwülstiges Familienbild im Nazi-„Kunststil” zeigt, ebenso den Wegweiser, nunmehr aufgepinselt und erneut die Inschrift von der „Dorfgemeinschaft”.

Birgit und Horst Lohmeyer wohnen abseits am Dorfrand. Um ein Gegengewicht zu den Aktivitäten der Rechten zu schaffen, laden sie seit 2007 jährlich zum Musikfestival „Jamel rockt den Förster” (www.forstrock.de) ein. Das nicht-kommerzielle, ehrenamtlich organisierte Open Air Rockfestival auf dem Gelände des ehemaligen Forsthofes wurde in diesem Sommer von mehr als 200 Gästen besucht. Besucher tanzten zur Musik von Bands wie „Ragnaröek” aus Mecklenburg-Vorpommern. Die Hamburger Punkrocker „Holly Would Surrender” heizten die Stimmung an, die kaum getrübt wurde, als in diesem Jahr bei heftigen Unwettern die „Schlamm-Kür” des „Little Woodstock” folgte. Insgesamt waren acht Bands eingeladen, die - wie „twisted shoes” - den weiten Weg aus Süddeutschland nicht gescheut hatten.

Erstmals fand im Juni dieses Jahres eine „Kunstausstellung für Demokratie und Toleranz” im Rahmen der Aktion „Kunst offen” auf dem Außengelände des Forsthofes statt (www.forsthof-jamel.de). Einige hundert Besucherinnen und Besucher erlebten vielfältige Kunst unter freiem Himmel. Landrätin Birgit Hesse und der Bürgermeister der Gemeinde Gägelow, zu der das Dorf Jamel gehört, Uwe Wandel, unterstützten eine Baumpflanzaktion der Künstlerin Miro Zahra. Astrid Welke und ihre Kunstschule Schönberg stellten farbenprächtige Objekte aus aufgearbeitetem Verpackungsmaterial aus. Außerdem: Keramik von Antje Rabe, Malerei und Grafik von Tanja Zimmermann, Installationen von Ida Möller und Rainer Michel, Objekte und Skulpturen von Annette Czerny, Fotografie von Margrit Rieger.

Die nächste „Kunst offen” ist bereits in Planung. Sie wird zu Pfingsten 2012 wieder auf dem Forsthof der Lohmeyers in Jamel stattfinden - ebenso wie das bereits traditionelle Rockfestival im Spätsommer unter freiem Himmel. Eine kleine Jazzreihe ist angedacht. Und wenn es sich machen ließe, würden Birgit und Horst Lohmeyer gerne die alte und schöne Scheune neben dem Forsthaus zum großen Veranstaltungsort ausbauen - allein es fehlen (noch) die Mittel. Interessierte sind willkommen.

Birgit und Horst Lohmeyer haben klare Ziele: „Mit den verschiedenen, von uns organisierten öffentlichen Kulturveranstaltungen auf unserem ehemaligen Forsthof möchten wir einen Beitrag zur kulturellen Belebung des Dorfes und des Landkreises leisten und ein Gegengewicht zu den Aktivitäten der Rechtsextremen schaffen”, erklären sie. Sie wollen rechtsextremen „Bauernfänger” nicht das Feld überlassen.

Die Arbeit der Lohmeyers, die sich nicht einschüchtern lassen, ist - außerhalb von Jamel - längst anerkannt. 2011 wurden sie mit drei Preisen ausgezeichnet - im April mit dem Preis „Aktiv für Demokratie und Toleranz”, im Mai mit dem Paul-Spiegel-Preis für „Tapferkeit und beherztes Engagement” des Zentralrats der Juden in Deutschland und im September mit dem Bürgerpreis der Deutschen Zeitungen. In einem Gespräch mit dem in Berlin ansässigen Bündnis für Demokratie und Toleranz versprach Birgit Lohmeyer. „Wir lassen nicht locker. Ich kann allen anderen Initiativen nur wünschen, dass sie genauso viel Durchhaltewillen und Kraft aufbringen können wie wir”. Birgit und Horst Lohmeyer haben viel zu erzählen - während des Sonntagsgesprächs in der Gedenkstätte Ahrensbök, 20. November, 16 Uhr.

Trägerverein Gedenkstätte Ahrensbök / Gruppe 33 e. V.

Die Gedenkstätte Ahrensbök ist sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Mitglieder des Trägervereins führen auf Wunsch durch das Gebäude, das 1933 ein frühes KZ beherbergte, und durch die Dauerausstellung „Von Auschwitz nach Holstein”. Eintritt und Teilnahme an Sonntagsgesprächen sind kostenfrei. Spenden sind willkommen. Die Gedenkstätte liegt an der Flachsröste 16 im Ahrensböker Ortsteil Holstendorf (B 432), Telefon: 04525 - 493 060, Telefax: 04525 - 493 090, E-mail: gedenkstaetteahrensboek@t-online.de, www.gedenkstaetteahrensboek.de)

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