(Gegenwind 303, Dezember 2013)

Solidaritätsveranstaltung für die „Lampedusa-Flüchtlinge”

Solidaritätsveranstaltung für die „Lampedusa-Flüchtlinge”

„Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört”

Die Situation der Flüchtlinge, die über die italienische Insel Lampedusa und weitere Stationen in Italien nach Hamburg gekommen sind, war das Thema einer Veranstaltung, zu der die Attac-Regionalgruppe Itzehoe am 15. Oktober in das ehemalige Katasteramt, jetzt das von der Diakonie geführte Haus „Himmel und Erde”, eingeladen hatte. Zur Zufriedenheit der Organisatoren, vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein und der Gewerkschaft Ver.di unterstützt, war der Veranstaltungsraum nahezu bis zum letzten Platz gefüllt.

Die Attac-Regionalgruppe Itzehoe hatte zu der von ihr organisierten Solidaritätsveranstaltung, die auch die gesamte Flüchtlingsproblematik in Europa, insbesondere aber die Flüchtlingsbewegungen von Nordafrika in EU-Mitgliedstaaten, thematisierte, mehrere kompetente Gäste eingeladen. Neben einem Sprecher der „Lampedusa”-Flüchtlingsgruppe und einem Mitglied der Unterstützergruppe vom „Netzwerk Karawane” aus Hamburg waren der Pastor der örtlichen Kirchengemeinde, eine Vertreterin der Diakonie, ein Sprecher des Flüchtlingsrats und der Flüchtlingsbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein gekommen.

Obgleich die Medien bereits seit Wochen relativ häufig über die Situation der Flüchtlinge berichteten, macht es doch eine großen Unterschied, ob man ideologisch oft einschlägig gefärbten Berichte liest und hört oder die Betroffenen selbst hören und befragen kann. Der Sprecher Friday der Flüchtlingsgruppe berichtete zunächst über sein Schicksal, das offensichtlich für die größte Zahl der Hamburger „Lampedusa”-Flüchtlinge typisch ist. Friday hatte drei Jahre vor dem libyschen Bürgerkrieg (schließlich ein NATO-Krieg gegen Libyen) aus Nigeria kommend in der Stadt Bengasi gelebt und als Automechaniker gearbeitet. Als die militärischen Auseinandersetzungen in Libyen, betroffen war zunächst vor allem Bengasi, im Frühjahr 2011 begannen, flüchtete er und andere Ausländer zunächst in die libysche Hauptstadt Tripolis. Da der Bürgerkrieg dann nicht zuletzt durch den Einfluss der USA und anderer NATO-Staaten auch Tripolis erreichte, sahen sich viele Schwarzafrikaner gezwungen, das Land zu verlassen. Fast allen Flüchtlingen blieb nur der Weg über das Mittelmeer nach Europa. Nach zwei Tagen auf See erreichten die Boote mit Hilfe von Rettungskräften die italienische Insel Lampedusa. Von dort wurden sie nach wenigen Tagen über Genua in eines von 7 Lagern in der Toskana gebracht. Nach zwei Jahren im Lager mussten sie dann, nachdem ihnen Reisepapiere ausgestellt worden waren, das Lager verlassen. Wegen der äußerst schlechten Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Italien, sie sind nach der Entlassung aus einem Lager praktisch obdach- und mittellos, lediglich ein Reisegeld kann ihnen zur Verfügung gestellt werden, sahen sie sich veranlasst, Italien zu verlassen.

Mehrere Hundert Flüchtlinge sind deshalb im vergangenen Winter aus Italien nach Deutschland gereist, große Teile von ihnen nach Hamburg oder Berlin. In Hamburg leben seitdem rund 300 Flüchtlinge, die über Italien eingereist sind. Von diesen Flüchtlingen hat die St.- Pauli-Kirche nach dem Ende des Winterprogramms (Schließung von Obdachlosenunterkünften) der Stadt etwa 80 Personen aufgenommen. Das Bezirksamt Altona hat die Kirche daraufhin mit 1500 Euro unterstützt.

Als Sprecher der Unterstützer vom Netzwerk Karawane berichte Ralf über die Hilfen, die für die Flüchtlinge von Bürgergruppen und einzelnen Bürgern geleistet werden können und geleistet werden müssen. Da die Flüchtlinge keinerlei finanzielle Unterstützung erhalten, sind sie und auch die Unterstützer ausschließlich auf Spenden angewiesen. Die zuständigen Stellen der Stadt Hamburg weigerten sich bisher, weitergehende Hilfen zu leisten, sie ignorieren die Situation der Flüchtlinge und berufen sich auf die formale Zuständigkeit Italiens. Sie verweisen auf das Dublin II-Abkommen, das vorsieht, Asylverfahren in Europa in dem Land einzuleiten und durchzuführen, in dem die Flüchtlinge erstmals aufgenommen worden sind.

Die Fluchtgründe werden von den zuständigen Staaten und Behörden sehr unterschiedlich bewertet. Eine Verantwortung für den Krieg in Libyen und das Schicksal der Flüchtlinge lehnen die EU-Mitgliedstaaten prinzipiell ab. Im Fall Syrien werden dagegen zumindest gewisse Aufnahmekontingente für Flüchtlinge festgelegt. Die Libyen-Flüchtlinge und ihre Unterstützer erwarten aufgrund der besonderen Umstände eine Anerkennung als Gruppe nach § 23 a des deutschen Aufenthaltsgesetzes, der einen Aufenthalt aus humanitären Gründen zulässt. Mit zahlreichen Aktionen, Gesprächen und Demonstrationen wird versucht, den Betroffenen zu helfen und die Öffentlichkeit aufzuklären. Zwischen dem Hamburger Hauptbahnhof und dem ZOB ist deshalb auch ein Informationszelt aufgestellt worden, das gleichzeitig als Treffpunkt genutzt wird.

Der Senat der Stadt Hamburg steht bisher auf dem Standpunkt, dass die Flüchtlinge, deren Reisepapiere inzwischen abgelaufen sind, nach Italien zurückkehren müssten, wo ihnen ein völlig ungewisses Schicksal droht. Im Vorfeld weiterer Aktivitäten der Stadt sollen die betroffenen Personen zunächst erkennungsdienstlich behandelt werden. Die Unterstützer wollen, solange über das weitere Vorgehen nicht entschieden ist, zumindest für eine winterfeste Unterkunft sorgen. Die von der St.-Pauli-Kirche und benachbarten Kirchen beantrage Aufstellung von winterfesten Wohncontainern soll nach anfänglicher Ablehnung nun genehmigt werden. Die potenziellen Bewohner müssen allerdings ihre Identität nachweisen. Nach Feststellung der Identitäten sollen auch Prüfverfahren eingeleitet werden, deren Ausgang aber ungewiss ist. Möglich sind eine Anerkennung, eine Duldung oder auch eine Abschiebung.

Auf der Veranstaltung in Itzehoe sprachen sich alle geladenen Gäste für ein Bleiberecht der Flüchtlinge aus. Gleichzeitig wurden eine Rechtsanwendungsgleichheit sowie gleiche humanitäre Standards in der EU gefordert. Es käme zudem auf eine Rekultivierung bürgerschaftlichen Engagements an. Innerhalb der EU sei ein finanzieller Lastenausgleich notwendig. Flüchtlingen müsste auch die freie Wahl des Wohnortes erlaubt sein. Um diese berechtigten Forderungen durchzusetzen, sei politischer Druck zwingend erforderlich. Zur Unterstützung der Flüchtlinge fanden in den letzten Wochen in Hamburg mehrere Demonstrationen statt. An der bisher größten Demonstration am 2. November beteiligten sich auch die Gewerkschaft Ver.di und verschiedene Parteien.

Die Dramatik und die verantwortungslose Politik der NATO- und EU-Mitgliedstaaten machen zwei Meldungen deutlich. Zunächst ist der Einsatz von NATO-Staaten in Libyen von der NATO propagandistisch als Erfolg verkündet worden. Kürzlich stellte eine offizielle Delegation, wie diverse Medien berichteten, fest, Libyen sei ein „fallender” Staat.

Klaus Peters

Zu den generellen Forderungen zur Flüchtlingsaufnahme in der EU: Presseerklärung vom 7. März 2013 von Pro Asyl und 6 weiteren Organisationen

Pro Asyl hatte Anfang 2011 bereits den äußerst dramatischen Bericht „Zur Situation von Flüchtlingen in Italien” veröffentlicht.

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