(Gegenwind 308, Mai 2014)

Ulrich Chaussy: Oktoberfest. Das Attentat. Wie die Verdrängung des Rechtsterrorismus begann
Ulrich Chaussy: Oktoberfest. Das Attentat. Wie die Verdrängung des Rechtsterrorismus begann. Ch. Links Verlag, Berlin 2014, 269 Seiten, 19,90 Euro

Buch

Verdrängung des Rechtsterrorismus

Es ging hoch her, als in München der NSU-Prozess begann. Nicht, weil Nazis Morde an Einwanderern begangen hatten. Nicht, weil die Mordserie über Jahre unentdeckt blieb. Nicht, weil es für die gesamte Mordserie nur drei Angeklagte gab. Sondern weil der vorsitzende Richter ungeschickt agierte, als er die knappen Presseplätze vergab. Inzwischen ist es ruhig geworden, Berichte über den Prozess finden sich nur noch selten in den Tageszeitungen.

Das ist wohl typisch, wenn es um rechten Terror geht. Beim „Terrorismus” fällt den meisten Deutschen die RAF ein, und dann noch der Islam. Doch bei welchem Anschlag in Deutschland gab es 13 Tote und über 200 Verletzte? Es war der Bombenanschlag auf das Münchener Oktoberfest am 26. September 1980. Erinnert sich jemand an den Prozess gegen die Täter? Vermutlich nicht.

Daran kann sich auch niemand erinnern, weil es nie einen Prozess gab. Ulrich Chaussy recherchiert seit Jahren über diesen Anschlag. Bereits 1985 schrieb er ein Buch darüber, in dem er mögliche Täter und Hinterleute benannte, aber nicht erreichen konnte, dass sich Staatsanwaltschaft oder Bundesanwaltschaft für entsprechende Ermittlungen interessierten.

Jetzt hat er ein neues Buch vorgelegt, zeitgleich entstand eine Fernsehdokumentation dazu. Wiederum arbeitet er akribisch auf, was 1980 in München geschah. Klar ist: Die Darstellung von Polizei und Staatsanwaltschaft stimmt nicht. Das ergibt sich aus den Akten selbst, die irgend jemand auszugsweise dem Journalisten kopiert und mit dem Absender „Kurt Rebmann” anonym an ihn verschickt hat.

Es gibt Zeugen die die Täter als Gruppe beobachtet haben. Es gibt weitere Erkenntnisse dazu, die alle zu einer bekannten rechten Gruppe, der Wehrsportgruppe Hoffmann, führen. Es gibt Zeugen, die zwar gehört wurden, der Hauptzeuge ist dann aber plötzlich gestorben. Es gab schon vorher Ermittlungen, die aber nicht genutzt wurden. Der angebliche Einzeltäter war bereits vorher als Mitglied der Organisation bekannt.

Auch in diesem Falle führte eine Spur zum Verfassungsschutz. Dieser half nicht bei der Aufklärung, sondern bei der Vertuschung. Auch in diesem Falle gab es mehrere Behörden und Geheimdienste, die nicht zusammen arbeiteten, um etwas aufzuklären, sondern sich gegenseitig behinderten, Quellen und Erkenntnisse „schützten”, Verdächtigen halfen.

Auch die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft setzten erst spät ein. Sie ergaben - nun, man weiß es nicht. Selbst sagt das BKA, dass sie nichts ergeben. Die Kopien vertraulicher Akten legen nahe, dass sie doch etwas ergeben haben, aber nichts, was der Staat nutzen und veröffentlichen wollte. Ein Prozess hätte einiges von dem, was der Staat wusste und weiß, unweigerlich öffentlich gemacht.

Zu Hilfe kam dem Staat sicherlich, dass die Opfer der Terroristen weder bekannt noch prominent warten. Sie waren nicht mal ausgesucht worden. Die Bombe ist vermutlich vorzeitig explodiert, als der angebliche Alleintäter sie in einem Papierkorb deponierte, oder sie wurde in diesem Moment ohne sein Wissen ferngezündet. Die Opfer sind die Oktoberfestbesucherinnen und Oktoberfestbesucher, die zufällig in der Nähe waren. Von den Hinterbliebenen hatten die wenigsten das Geld, Anwälte damit zu beauftragen, eine Aufklärung irgendwie zu erzwingen, entsprechende Versuche blieben ergebnislos.

Schon fast lächerlich war die Auseinandersetzung um eine Gedenkstätte. Nach langer Weigerung der Stadt München wurde sie schließlich privat eingerichtet, und überraschend schnell fand sich dann Geld im Haushalt, um den Gedenkstein zu beseitigen.

Für den Autor war das Oktoberfest-Attentat nicht der Beginn des Rechtsterrorismus in Deutschland, den gab es schon vorher. Für ihn war es aber der Beginn der systematischen Verdrängung, der Nicht-Aufklärung und Nicht-Bekämpfung. Was damals gut gelang, beschäftigt uns bis heute.

Reinhard Pohl

Zur Startseite Hinweise zu Haftung, Urheberrecht und Datenschutz Kontakt/Impressum