(Gegenwind 321, Juni 2015)

Informationsveranstaltung zur Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Lübeck am Bornkamp: Publikum

Erstaufnahme im Wohngebiet

Bürgerinitiative in Lübeck gegen große Unterkunft des Landes

Im Februar kündigte die Landesregierung an, drei neue Erstaufnahmeeinrichtungen bauen zu wollen: In Kiel, Lübeck und Flensburg sollen Flüchtlingsheime des Landes mit jeweils 600 Plätzen entstehen. Bei der bisher üblichen Organisation bedeutet das, dass in der Regel 500 bis 520 Flüchtlinge dort untergebracht sind. Alle drei Unterkünfte sollten in Uni-Nähe geplant werden.

Seit dem 20. April gibt es in Lübeck mehr Klarheit: Die Universität hat wie die Fachhochschule zurück gemeldet, man würde die Pläne grundsätzlich unterstützen, habe aber kein ausreichend großes und erschlossenes leeres Grundstück. Während es in Flensburg und Kiel entsprechende Grundstücke gibt, soll die Erstaufnahme in Lübeck im Bornkamp, eine Viertelstunde zu Fuß von der Mensa der Uni aus, gebaut werden.

Die drei Erstaufnahmeeinrichtungen sollen 2016 von der landeseigenen „GMSH” gebaut und Ende 2016 in Betrieb genommen werden. Geplant sind jeweils sechs dreistöckige Wohngebäude, in denen jeweils 80 bis 120 Flüchtlinge in mehreren Wohneinheiten untergebracht werden. Die einzelnen Zimmer sind 12 qm groß und sollen jeweils zwei Flüchtlinge aufnehmen. Die Aufteilung in Wohneinheiten soll eine gewisse Privatsphäre gewährleisten und dafür sorgen, dass weniger gegenseitige Störungen und damit Konflikte entstehen.

Außerdem soll es in jeder Erstaufnahmeeinrichtung drei Funktionsgebäude geben, in den Behörden (Landesamt, Bundesamt, Polizei, Gesundheitsdienst), Betreuungsverband sowie Küche und Essensräume, Schule und Kindergarten untergebracht sind.

Die Wohngebäude sollen für 50 Jahre gebaut werden. Falls die Zahl der Flüchtlinge zurück geht, sollen die Funktionsgebäude abgerissen werden, während die Wohngebäude weitergenutzt werden - zum Beispiel als Studentenwohnheim, dann allerdings für 300 Studenten.

Keine Probleme in Kiel und Flensburg

In Kiel und Flensburg wurden die Planungen bisher ohne sichtbare Kritik hingenommen. In Flensburg soll es bei der Planung bleiben, die Erstaufnahme auf dem Uni-Gelände Herbst oder Winter 2016 in Betrieb zu nehmen, angekündigt ist der Semesterbeginn 2016/17. Eine Übergangslösung, die Flüchtlinge sind ja schon da, soll durch ein Containerdorf in Eggebek realisiert werden, das soll sehr kurzfristig auf dem Gelände der dortigen verlassenen Kaserne errichtet werden.

In Kiel gibt es über die Übergangslösung noch Diskussionen. Die Pläne des Landes, ein Containerdorf mit 700 Plätzen auf dem Unigelände aufzubauen, trafen auf Seiten der Universität bisher auf Ablehnung.

Viele Diskussionen gibt es in Lübeck. Die Zwischenlösung scheint akzeptiert, das Containerdorf auf dem Volksfestplatz soll als Zwischenlösung dienen. Die Container stehen bereits, sie sind vor dem Außenministertreffen der G7-Staaten zur Unterbringung der auswärtigen Polizeieinheiten aufgebaut worden.

Diskussionen gibt es allerdings über die geplante Erstaufnahme im Wohnviertel Bornkamp.

Bornkamp

Der Bornkamp ist ein 2005 gebautes Wohngebiet im Lübecker Stadtteil St. Jürgen. Das Gebiet liegt an der B 207 stadtauswärts, Richtung Flughafen. Obwohl das Gebiet von der Stadt aus rechts von der Bundesstraße liegt, muss man dort links abbiegen, um dann über eine kleine Brücke auf die andere Seite ins Wohngebiet zu gelangen. Dort wohnen 1.700 Menschen, vor allem Familien mit Kindern, in Einzelhäusern oder Reihenhäusern.

Direkt an der Einfahrt zur Siedlung, rechts, liegt ein freier Bauplatz. Hier war 2005 ein Sportplatz geplant worden, allerdings fand sich kein Sportverein, der die Anlage betreiben wollte, auch fehlte Lübeck das Geld zum Bau. So wurden die Pläne 2012 aufgegeben. Da das Grundstück aber erschlossen und zur Bebauung vorgesehen ist, hat Lübeck es jetzt dem Land angeboten, um dort die Erstaufnahme einzurichten. Die Ver- und Entsorgung reicht für 1.700 ebenso wie für 2.300 Einwohner, außerdem gibt es noch einen (zur Zeit stillgelegten) Wirtschaftsweg zum Ringstedtenhof (Vorrader Straße), der bei Bedarf zu einer normalen Straße und damit zweiten Anbindung ausgebaut werden könnte. Das würde allerdings der Siedlung einen Teil der Ruhe (Sackgassenlage) nehmen, denn solche „Querverbindungen” werden von Autofahrern anderer Stadtteile auch schnell als Schleichwege entdeckt, um einige große Kreuzungen in der Stadt zu umfahren.

Proteste

Nachdem sich Stadt und Land am 20. April geeinigt hatten, wurde am 21. April in Lübeck der Hauptausschuss informiert, damit wurde die Planung öffentlich. Die Landesregierung kündigte für den Mai eine Information der Anwohnerinnen und Anwohner an, für den Juni eine Veranstaltung mit dem Innenminister.

Im Bornkamp, teilweise auch im angrenzenden Hochschulviertel (links der B 207, zwischen der Bundesstraße und der Universität) bildet sich sehr schnell eine Bürgerinitiative, die bei Facebook eine Gruppe einrichtete und auch eine Internet-Seite ins Netz brachte: www.neue-heimat-bornkamp.de

Die Bürgerinitiative organisierte zunächst den Protest im Viertel, brachte ihn vor allem über die Lokalzeitung und andere Medien auch schnell an die Öffentlichkeit. Dabei stieß sie auf das Problem, dass alle anderen schnell gegründeten Bürgerinitiativen auch haben: Ihre Position war von Anfang an nicht einheitlich, neben den „offiziellen” Erklärungen der gewählten Sprecherin und des Sprechers gab es eine Vielzahl von Stimmen anderer AnwohnerInnen und Mitglieder in Interviews, Briefen und Diskussionsbeiträgen im Internet.

Während der NDR meldete „Diskussion um Flüchtlingsunterkunft”, titelten die „Lübecker Nachrichten”: „Im Bornkamp brodelt es”, „Der Widerstand wächst” und „Anwohner gegen Flüchtlingsheim”. Aus der Ferne wurde es noch allgemeiner, so war im „Hamburger Abendblatt” zu lesen: „Lübecker planen Klage gegen Flüchtlingsunterkunft”.

Positionen der Bürgerinitiative

Die Bürgerinitiative selbst hat differenziertere Positionen. Allerdings brauchte man erst einige Zeit, sich über die grundlegenden rechtlichen Rahmenbedingungen zu informieren. So ist die Erstaufnahme eine Aufgabe des Landes Schleswig-Holstein, die örtlichen Flüchtlingsunterkünfte nach der Verteilung der Flüchtlinge auf die Kreise eine Aufgabe der Hansestadt Lübeck.

Aber auch in den Flüchtlingsheimen bleiben die Flüchtlinge nicht, so sollen nach spätestens einem Jahr selbst eine Wohnung gefunden haben und umziehen, um Platz für neu ankommende Flüchtlinge zu schaffen. Lübeck verfügt über etwas mehr als 300 Plätze in Flüchtlingsheimen, soll aber in diesem Jahr 1.200 bis 1.800 Flüchtlinge unterbringen.

Die Bürgerinitiative lehnt eine Erstaufnahme im Bornkamp ab. Außerdem lehnt die Bürgerinitiative eine „Massenunterkunft” für Flüchtlinge ab, wobei die genaue Definition noch unklar ist. Das Land begrenzt in den Richtlinien eine „Gemeinschaftsunterkunft” auf 100 Plätze, in Lübeck hat die größte Unterkunft 130 Plätze, eine solche Unterkunft würde von der Mehrheit der Bürgerinitiative im Bornkamp akzeptiert, teilweise auch begrüßt.

Gegen eine Erstaufnahme sprechen aus Sicht der Bürgerinitiative zunächst die Größe: In einem Wohngebiet mit 1700 Einwohnern sei eine Unterkunft mit 600 Plätzen zu groß. Außerdem gibt es in einer solchen Unterkunft natürlich einen ständigen Wechsel, voraussichtlich rund 80 Flüchtlinge kommen wöchentlich neu an, dafür muss die gleiche Anzahl auf die umliegenden Kreise verteilt werden. Es gäbe also kaum Gelegenheit für persönliche Kontakte und Beziehungen, aktive Integration.

Die beabsichtigte Nachnutzung für studentisches Wohnen wird in Frage gestellt, zur Zeit gibt es keine Wartelisten bei den vorhandenen Studentenwohnheimen.

Informationsveranstaltung zur Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Lübeck am Bornkamp: Podium

Andere Kritik

Außerhalb der Bürgerinitiative, aber auch von Mitgliedern vertreten, gibt es auch andere Kritik. So wird die Politik grundsätzlich beschuldigt, über die Köpfe der Bevölkerung hinweg zu planen, auch wird den Zusagen teils großes Misstrauen entgegengebracht.

Und es gibt konkrete Befürchtungen, Flüchtlinge würden Kriminalität oder Krankheiten mitbringen, in extremen Situationen (Feuer oder Nazi-Demonstration) wäre die einzige Brücke, die ins Wohngebiet führt, schnell blockiert. Natürlich weiß man, dass es in den letzten 25 Jahren in keiner Erstaufnahme in Schleswig-Holstein einen Brand gegeben hat, gegen keine Erstaufnahme in Schleswig-Holstein eine Nazi-Demonstration - es sind Befürchtungen, verbunden mit dem Gefühl, erst nach der Beschlussfassung von Stadt und Land informiert worden und vor vollendete Tatsachen gestellt worden zu sein.

Im einzelnen glaubt man auch nicht, dass die stadtinterne Prüfung von 21 Grundstücken das im Bornkamp tatsächlich nach objektiven Kriterien auf Platz 1 befördert hat - viele haben den Verdacht, dass die Stadt dieses Grundstück auch verkaufen wollte, man die Kriterien dem Grundstück angepasst haben könnte.

Informationsveranstaltung

Am 18. Mai informierte die Staatssekretärin Manuela Söller-Winkler (Innenministerium) gemeinsam mit Dr. Thiemo Lüeße (Leiter des Projekts Erstaufnahme im Innenministerium), Ulf Döhring (Leiter des Landesamtes für Ausländerangelegenheiten) und Sven Schindler (Sozialsenator von Lübeck) über die Planungen. Rund 500 Menschen kamen ins Audimax der Universität, darunter ungefähr 300 Gegnerinnen und Gegner des Projektes.

Schon der Eröffnungsbeitrag der Staatssekretärin wurde mehrmals von Zwischenrufen und Protesten unterbrochen, obwohl darum gebeten worden war, sich in der ersten halben Stunde die Informationen anzuhören, um danach in die Fragerunde und die Diskussion einzusteigen. So kürzte Manuela Soller-Winkler ihr Referat ab. Ulf Döhring stellte vor, wie eine Erstaufnahme konkret funktioniert.

Zu Wort kamen bei den Fragen vor allem Gegner des Projektes. Diese argumentierten größtenteils sachlich gegen eine so große Unterkunft in kleinem Wohngebiet, mehrfach betonten sie auch, Flüchtlingen nicht feindselig gegenüber zu stehen und eine kleine Unterkunft auch im eigenen Stadtteil zu begrüßen.

Es gab allerdings auch einzelne feindselige Stimmen, auch generelle Befürchtungen. So wurde nach Ladendiebstählen gefragt oder bekannt gegeben, in Neumünster plane der Supermarkt gegenüber der Unterkunft die Schließung, was Ulf Döhring unter Berufung auf eine Antwort des Marktleiters als falsches Gerücht bezeichnete. Auch die Staatssekretärin betonte, dass es weder mehr Kriminalität noch mehr Krankheiten bei Flüchtlingen gäbe. Die Diskussion um die Zahlen - 600 Flüchtlinge in einer Erstaufnahme mit ständigem Bettenwechsel bedeuteten 10.000 Flüchtlinge im Laufe eines Jahres - konterte sie mit dem Hinweis, dass viele Touristenorte mit weit größeren Zahlen zurecht kämen.

Hier zeigte sich bei einigen BesucherInnen ein gewisser Rassismus: Touristen wären mit Flüchtlinge nicht vergleichbar, wurde reingerufen, ohne das auszuführen. Außerdem wurde behauptet, die Kinder könnten nach dem Bau der Erstaufnahme nicht mehr alleine zur Schule gehen, weil sie ja über die Brücke gehen müsste. Während die Staatssekretärin konterte, das würde sie nicht verstehen, beschrieb Ulf Döhring, dass in Neumünster täglich viele Kinder alleine zur Schule gehen, auch direkt an der Unterkunft entlang, und das seit Bestehen der Unterkunft und auch schon vorher, als es noch Kaserne war, ohne Probleme. Hier gibt es viele kursierende Vorbehalte und Vorurteile, die viele aber nicht deutlich aussprechen wollen, weil sie dann um ihren Ruf fürchten müssten.

Das wurde auch an Äußerungen deutlich, für Flüchtlinge würden Container doch reichen, es könnten Flüchtlingsheime in Gewerbegebieten gebaut werden und Ähnliches mehr. Hier wurden ausschließlich die Interessen der Bornkamp-Einwohner zum Maß aller Dinge gemacht, die „Flüchtlinge” als anonyme Gruppe zum Objekt herabgewürdigt. Die Staatssekretärin wendete sich strikt dagegen, ohne das weiter zu begründen. Aber alle Menschen sind nun mal gleich an Rechten und Würde geboren, das muss auch in der Planung von Einfamilienhäusern und Flüchtlingsunterkünften berücksichtigt werden.

Andere Kritik beschränkte sich auf Zwischenrufe. So erläuterte Ulf Döhring in Reaktion auf Befürchtungen, die Flüchtlinge aus aller Welt könnten unerkannt ansteckende Krankheiten in die Stadt bringen, es gäbe eine Eingangsuntersuchung, und für nötige Facharztuntersuchungen würden die Flüchtlinge am ersten oder zweiten Tag zu einem Facharzt gefahren, um genau solche ansteckenden Krankheiten auszuschließen. Zwischenrufe protestierten: Lübecker müssten wochenlang auf einen Arzttermin warten, die Flüchtlinge bekämen sofort einen... Solche und ähnliche Zwischenrufe, die einen hohen Zaun verlangten oder darauf verwiesen, Flüchtlinge würden Obst aus den Gärten klauen, brachten die Jusos Lübeck dazu, in einem Artikel vom 19. Mai von „Rassismus in der Mitte der Gesellschaft” zu sprechen.

Andere Stimmen in der Stadt

Viele werfen der Bürgerinitiative vor, dass die Mitglieder in Wahrheit ihr kleines „Idyll” schützen wollen, sich Sorgen um Grundstückspreise und ihre Ruhe machen. Das wird von der Bürgerinitiative strikt zurückgewiesen.

Allerdings gibt es auch von anderer Seite Kritik an den Planungen, vor allem an der Größe der Erstaufnahme. Schon im Vorfeld hatten Parteien im Hauptausschuss gefragt, ob nicht auch eine Aufteilung auf zwei oder drei Unterkünfte in räumlicher Nähe zueinander möglich wäre. Insbesondere Grüne und Linke traten auch in der Bürgerschaft für kleinere Einheiten ein.

Das Land wendet sich strikt dagegen: Das Bundesamt eröffnet eine Außenstelle zur Bearbeitung von Asylanträgen nur in einer Erstaufnahme, die mindestens 500 Plätze hat. Außerdem sei eine solche Unterkunft nur in dieser Größe wirtschaftlich zu betreiben, wenn man für die ersten sechs Wochen eine eigene Schule, einen eigenen Kindergarten und eine eigene Großküche einrichten will, das wäre mit mehreren kleinen Unterkünften nicht oder nur mit höheren Kosten realisierbar. Zum Schutz der Flüchtlinge will man auch einen Zaun um die Unterkunft bauen und eine kleine Polizeiwache einrichten.

Perspektive

Das Land Schleswig-Holstein geht davon aus, dass die Selbstverwaltung und die Verwaltung in die Planung einbezogen werden. Das geschieht durch die Befassung im Hauptausschuss und der Bürgerschaft, die voraussichtlich im Juni über ein Einvernehmen abstimmen will, das Land und Universität bereits unterschrieben haben. Lehnt die Bürgerschaft ab, muss die Planung darauf reagieren - das Land rechnet aber mit einer Mehrheit, zumal es bis 2009 jahrelang eine Erstaufnahmeeinrichtung dieser Größe in Lübeck gab, die die befürchteten Probleme nicht zeigte.

In der konkreten Planung sollte das Land dennoch überlegen, zumindest einige Einrichtungen der Unterkunft wie den geplanten Spielplatz und den geplanten Sportplatz großzügiger und außerhalb der Umzäunung zu planen, damit auch die Nachbarn und ihre Kinder davon profitieren.

Die Bürgerinitiative muss sich im Sommer überlegen, ob und wie eine Klage gegen den Bau möglich ist oder wie die Proteste fortgesetzt werden. Aber wenn die Unterkunft gebaut wird, muss man sich auch Konzepte überlegen, dass sich die Protestes deutlich gegen die Planungen und die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker, aber genauso deutlich erkennbar nicht gegen die Flüchtlinge richten.

Denn die Flüchtlinge sind bisher überhaupt nicht beteiligt.

Reinhard Pohl

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