(Gegenwind 322, Juli 2015)

Daniel Gerlach: Herrschaft über Syrien
Daniel Gerlach: Herrschaft über Syrien. Macht und Manipulation unter Assad. Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2015, 388 Seiten, 17 Euro.

Buch

Wer regiert Syrien?

Seit 2011 herrscht in Syrien Bürgerkrieg. Auf der einen Seite steht die Assad-Regierung mit ihren Verbündeten Russland und Iran, auf der anderen Seite? Davon gibt es mehrere, insofern ist die Situation kompliziert.

Der Autor des Buches, das hier vorgestellt werden soll, konzentriert sich auf die Regierung Assad. Das betrifft Vater und Sohn, wobei der Sohn seit 15 Jahren regiert. Vor allem will der Autor das „System Assad” vorstellen, also nicht nur Armee und Polizei, Milizen und Geheimdienste, sondern auch die soziale Basis, die verschiedenen Gruppen in der Bevölkerung. So leugnet das Regime selbstverständlich und schon immer religiöse oder konfessionelle Bruchlinien, nutzt aber die eigene Verankerung in der alawitischen Minderheit zur Ausübung der Herrschaft - indem Angehörige der Minderheit in Schlüsselpositionen gehievt werden, durch die öffentliche Darstellung aber die gesamte Gruppe in Haftung genommen wird, zum Ziel für Terroranschläge genommen werden kann und dadurch auf die Unterstützung der Diktatur festgelegt wird.

Ähnliches geschah seit 2012, als führende Dschihadisten aus dem Gefängnis entlassen wurden, die heute einen Teil der Führungskader des „Islamischen Staates” (IS oder DESH) stellen. Sie haben aus dem Aufstand gegen die Diktatur einen Bürgerkrieg gemacht, der entlang konfessionellen Grenzen verläuft, aber auch zwischen Dschihadisten, zum Beispiel zwischen IS und al-Nusra-Front. Dagegen sind die Kämpfe zwischen Assad-Truppen, also der Regierungsarmee, und dem IS eher selten, 2013 und 2014 gab es sie faktisch nicht.

Das Assad-Regime setzt hemmungslos auf Gewalt. Dabei wird die Gewalt aber oft nicht öffentlich zelebriert, wie beim IS, sondern angewendet und anschließend dementiert. Dabei geht es vor allem um die bedenkenlose Bombardierung von Wohnvierteln großer Städte mit Chemiewaffen, inzwischen fast nur noch mit Fassbomben, weil die normalen Bomben aufgebraucht sind. Das Assad-Regime will sich durch die Dementis die Möglichkeit offen halten, von der internationalen Gemeinschaft irgendwann wieder als „kleineres Übel” zum offiziellen Ansprechpartner zu werden. Dem soll auch die indirekte Förderung des IS dienen, die militärischen Aktionen der Regierungstruppen richten sich vor allem FSA, Islamische Front und al-Nusra-Front sowie gegen die Bevölkerung selbst.

Der Autor stellt ausführlich die Geschichte des Regimes dar, das zwar in den Schlüsselpositionen mit Alawiten besetzt ist, aber auf vielen Positionen auch Sunniten oder Christen in Führungspositionen gebracht hat. Außenpolitisch arbeitet Syrien seit langem mit Russland und dem Iran zusammen. Russland hat in Syrien seinen einzigen Flottenstückpunkt im Mittelmeer, und der Iran ist seit Jahrzehnten verbündet und setzt sich heute auf allen Ebenen dafür ein, um Assad an der Macht zu halten - alle anderen Bürgerkriegsparteien sind sunnitisch geprägt. So sorgte der Iran dafür, dass kampfkräftige Einheiten der libanesischen Hisbullah in Syrien kämpfen, ebenso sind dort iranische Offiziere und vermutlich auch afghanische „Freiwillige”, soweit afghanische Flüchtlinge ohne Aufenthaltstitel im Iran überhaupt eine Wahl haben, um als Freiwillige bezeichnet zu werden.

Kompliziert ist das Verhältnis zu den syrischen Christen und den syrischen Schiiten. Viele Soldaten und Offiziere desertieren, viele fliehen ins Ausland, und die Flucht in den Libanon ist auch relativ einfach. Die Alawiten gehören, soweit sie als Muslime anerkannt werden, sicherlich zum schiitischen Zweig, sind aber selbst keine Schiiten, wenn auch Anhänger Alis. Durch den kometenhaften Aufstieg des „Islamischen Staates” sind aber außer den Alawiten auch Schiiten und Christen von Massakern bedroht, das bringt viele dazu, sich unter den Schutz der Regierung und ihrer Armee zu begeben. Ein Teil der Fluchtbewegungen in und um Syrien betreffen insofern Angehörige von Minderheiten, die vor einer der dschihadistischen Gruppen fliehen, und zwar dorthin, wohin sie fliehen können und wo sie sich zumindest einen vorübergehenden Schutz versprechen.

Die Minderheit der Jesiden flieht vor allem ins Ausland, aber auch in die kurdischen Gebiete. Auch hier gibt es einen faktischen Waffenstillstand mit der Regierungsarmee, angegriffen wird Kurdistan oder Rojava von Regierungstruppen relativ selten, ebenso wie umgekehrt kurdische Truppen die Regierung kaum angreifen. Die wesentlichen Kämpfe spielen sich zwischen Rojava und dem Islamischen Staat ab, das dürfte rund um die Kämpfe um Kobane allgemein bekannt geworden sein.

Interessant ist sicherlich die Politik des Iran. Er setzt nicht nur auf die Unterstützung der syrischen Regierung, sondern hat auch massiv im Irak und im Libanon eingegriffen. Der Iran nutzt dabei die Schwäche der USA: Die-se haben zwar die irakischen Regierung 2003 gestützt, hatten aber in der Folge keine überzeugenden Konzepte für den Neuaufbau des Staates. Auch den Widerstand gegen Assad haben die USA unterstützt, ebenfalls ohne Konzepte. Als sich Dschihadisten mehr und mehr als die eigentlichen Truppen gegen Assad entpuppten, haben die USA die Unterstützung Stück für Stück reduziert - was für den Islamischen Staat keine Rolle spielte, weil der im Irak reichlich US-Waffen erbeutet hat. Der Iran nutzt nun die Konzeptlosigkeit der US-Politik aus, kämpft er doch teilweise auf der gleichen Seite, indem der Iran auch gegen den Islamischen Staat vorgeht. Ob dieses Engagement ausreicht, um das Assad-Regime zu retten, ist allerdings zur Zeit völlig unklar, insbesondere weil Russland kein wirkliches Konzept zu haben scheint.

Der Autor schildert, wie gesagt, die Geschichte des Assad-Regimes und seine brutale Herrschaft in den letzten Jahrzehnten ausführlich. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass die Assad-Regierung auch in Zukunft kein Partner von irgendwem auf internationaler Ebene sein oder werden kann, weil die Grausamkeit gegenüber der Zivilbevölkerung eine nicht-reformierbare Eigenschaft dieser Regierung ist. Alle Spekulationen in der Zeit des Regierungswechsels vom Vater zum Sohn haben sich inzwischen als Illusion entpuppt, das Regime hat sich durch die Veränderung auf der Spitzenposition überhaupt nicht verändert.

Der Autor hält das Regime für bankrott und gescheitert, dennoch hält es sich. Das liegt vor allem an dem Mangel an einer Alternative - die verschiedenen Aufständischen kämpfen vor allem gegeneinander, die Regierungsarmee ist nur eine von vielen Parteien im Bürgerkrieg. Außerdem gibt es Gruppen von Unterstützerinnen und Unterstützern, die die Seite nicht wechseln können - ihre Mitglieder können sich höchstens einzeln absetzen und ins Ausland fliehen.

Die internationalen Akteure, die nicht auf die Assad-Regierung setzen, haben keine wirkliche Alternative. Sie unterstützen die verschieden Bürgerkriegsparteien, haben wie die Türkei deutlich das Motiv, Assad um jeden Preis zu stürzen. Aber die Exil-Regierung der „Freunde Syriens” existiert faktisch nicht, weil die einzelnen Bestandteile dieses künstlichen Oppositions-Bündnisses keinerlei Vereinbarungen miteinander schließen können und der Bevölkerung weitgehend unbekannt sind.

Die große Mehrheit der Bevölkerung ist in ihren Handlungsmöglichkeiten darauf reduziert, das eigene Überleben und eventuell noch das naher Familienangehöriger für den aktuellen und vielleicht noch für den folgenden Tag zu sichern, mehr können die meisten nicht tun. Tausende von Freiwilligen, die nach Syrien geströmt sind und - stark reduziert - heute noch strömen, haben keinerlei Interesse an der Zukunft Syriens. Die meisten Freiwilligen kämpfen beim Islamischen Staat, andere bei anderen dschihaddistischen Gruppen, es gibt aber dort auch Überläufer und andere Wechsel. Sie werden aber vor allem durch die Propaganda des Islamischen Staates angezogen, der ja ausdrücklich keine Zukunft für den Irak oder Syrien sieht oder anstrebt, sondern sich selbst an die Stelle Syriens setzen will.

Im übrigen belegt der Autor ausführlich, dass sich die Regierungsmethoden Assads und des IS zum Verwechseln gleichen. Beide regieren durch Angst, die sie durch ihre Massaker verursachen, das Assad-Regime seit Bestehen. Der Unterschied ist, dass der IS seine Massaker veröffentlicht und zum Markenzeichen macht, während die Assad-Regierung die eigenen Massaker zumindest meistens leugnet oder sich zumindest vorbehält, sie zu leugnen, indem es entsprechende Berichte nicht bestätigt. Darauf einzugehen setzt aber voraus, die mehr als 200.000 Todesopfer der Regierung zu ignorieren.

Reinhard Pohl

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