(Gegenwind 323, August 2015)

Geschlossene Mädchenheime in der Kritik

In den Heimen der Friesenhof GmbH in Dithmarschen eingesperrte Mädchen berichten von erniedrigenden Erziehungsmethoden

„Wir machen uns große Sorgen, wie die Zustände in anderen Einrichtungen sein können”, so Torge Schmidt, Abgeordneter der Piratenpartei im schleswig-holsteinischen Landtag, am 3. Juli mit Blick auf die Kontrolle von 1800 Heimen in dem nördlichen Bundesland, für die in der Heimaufsicht nur sechs Mitarbeiter zuständig seien. Gemeinsam mit den beiden anderen Oppositionsparteien im Landtag, FDP und CDU, kündigten die Piraten an, nach der parlamentarischen Sommerpause einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Umgang des Sozialministeriums und der ihr unterstellten Heimaufsicht mit seit Jahren geäußerten Beschwerden dort eingesperrt gewesener Mädchen und ehemaliger Mitarbeitender über die Kinder und Jugendhilfeeinrichtung Friesenhof Barbara Janssen GmbH & Co. KG.

Die in Büsum ansässige Firma betrieb im Landkreis Dithmarschen seit 1999 bis zu ihrer Insolvenz im Juni 2015 fünf Mädchenheime, in denen die Fluchtwege versperrt waren, in dem etwa Fenstergriffe abmontiert worden sind. Beanstandet wurde dies von der Heimaufsicht nach einem unangemeldeten Besuch der drei Mädchenheime „Campina”, „Charlottenhof” und „Mädchencamp Nanna” Ende Januar. Bekannt wurde diese Ende Mai durch zwei Hamburger Landesabgeordnete der Linkspartei, Sabine Boeddinghaus und Mehmet Yildiz. Ihnen war die Kopie einer Verfügung vom 30. Januar zugespielt worden, die am 18. Februar vom Landesjugendamt Schleswig-Holstein an drei Jugendämter Hamburger Bezirke geschickt worden war, die Mädchen im „Friesenhof” untergebracht hatten. In dieser Verfügung, welche dem Autor vorliegt, wurden den Friesenhof-Heimen in zehn Punkten Auflagen erteilt, was dem Betreuungspersonal „zur Sicherung des Kindeswohls” an offensichtlich bis dahin gängiger Praxis willkürlicher, entwürdigender Maßnahmen untersagt wurde. „Es wird untersagt, dass sich Betreute vor dem Betreuungspersonal nackt ausziehen müssen”, den Mädchen „persönliche Dinge” sowie die „persönliche Kleidung (incl. Schuhe) weggenommen werden”, lauten etwa die ersten beiden Punkte. „Den Betreuten ist die Möglichkeit des unbeobachteten Rückzugs in die Zimmer zu geben” und die „Kontaktaufnahme zu ihren Personensorgeberechtigten/Vormund zu ermöglichen”. Post der Betreuten „zu öffnen, zu lesen oder zurückzuhalten” wurde untersagt.

Während diese „Verfügung”, die im Umkehrschluss den Verdacht systematischer Erniedrigungen in den Heimen nahelegte, in zahlreichen Jugendämtern mehrerer Bundesländer monatelang in den Postmappen abgelegt wurde, ohne dass sich an der Zuweisung junger Mädchen und Frauen in die Heime der Friesenhof Barbara Janssen GmbH & Co. KG etwas änderte, kam Anfang Juni eine Debatte in Gang, nachdem die beiden Hamburger Abgeordneten der Linken den Senat der Hansestadt wegen der Zuweisung von Mädchen aus Hamburg in die Heime kritisiert hatten. Der NDR befragte 20 ehemals im Friesenhof eingesperrte Mädchen, welche erklären, dass die untersagten Maßnahmen tatsächlich gängige Praxis in den Heimen waren. So hätten die überwiegend männlichen Betreuer die Mädchen gezwungen, sich nackt vor ihnen auszuziehen. Angeblich, um nach ihrer Ankunft im Heim zu kontrollieren, ob sie Waffen oder Drogen einschmuggeln wollen würden. Die Mädchen seien dabei ohne deren Einverständnis auch fotografiert und gefilmt haben. „Es gab mehrere Betreuer, die Spaß daran hatten”, zitiert das Flensburger Tageblatt ein befragtes Mädchen. Gleich zu Beginn sei ihnen so erklärt worden: „Wir brechen euren Willen. Wehe, ihr verliert auch nur ein Wort darüber - wir können alles nach außen pädagogisch begründen, egal, was ihr erzählt.” Es soll unter anderem darum gegangen sein, dass sie sich nackt vor einzelnen Betreuern ausziehen mussten. Barbara Janssen, die Leiterin des „Friesenhofs” trat dem sofort öffentlich entgegen: „Für alle Maßnahmen, die ergriffen werden, gibt es einen Grund.” Dem Schleswig-Holstein Magazin des NDR-Regionalfernsehens verkündete sie: „Wenn die Vorwürfe sich bewahrheitet hätten, würden wir nicht mehr mit einer Betriebserlaubnis arbeiten können.” Die Auflagen vom Jugendamt habe es zwar kurzzeitig bis zum Abschluss einer neuen Vereinbarung zwischen der Heimaufsicht und dem Friesenhof im April gegeben, so Janssen. Aber insbesondere Nacktkontrollen habe es nie gegeben „Die Auflage gab es, aber das ist niemals passiert. Niemals musste sich ein Kind nackt ausziehen.” Ihre Firma sei Opfer einer „Hetzkampagne”.

Ihre Selbstsicherheit rührte wohl auch daher, weil bis dahin Mitarbeiter des Sozialministeriums und der Heimaufsicht es nicht für nötig hielten, Sozialministerin Kristin Ahlheit, SPD, oder ihre Staatssekretärin Anette Langner zu informieren. Dabei erreichten das Landesjugendamt spätestens seit 2007 immer wieder Beschwerden von im Friesenhof eingewiesenen Mädchen.

In der kurzzeitig gültigen „Verfügung” vom Januar wurden Kollektivstrafen und entwürdigende Maßnahmen untersagt, „insbesondere ‚Aussitzen’, Anschreien, Beschimpfungen, Wecken zur Nachtzeit (außer in Notfällen), Essensentzug, Zwang zur Essensaufnahme, Zwang zum Tragen bestimmter Kleidung, Zwang zum Entkleiden, Sprechverbot, Strafsport, Sport zur Nachtzeit etc.”

Auch die - von Barbara Janssen nicht bestrittene - gegenseitige Kontrolle der Mädchen wurde untersagt: Jedem Mädchen sei ein anderes als „Patin” zugeteilt gewesen, „die bei Regelverstößen durch die Betreute mitbestraft werde und im Übrigen gewisse Kontrollaufgaben wahrnehme”. So dürfe „keines der Mädchen alleine zur Toilette oder zum Duschen gehen, stets müsse eine ‚Patin’ dabei sein, um Fehlverhalten oder Entweichen zu verhindern”. In der Verfügung wurde dieses „System der Bespitzelung” untersagt, das auf eine Kollaboration der Mädchen mit der willkürlichen Unterdrückung durch die Betreuenden zielt.

Im Juni wurden die drei in der Verfügung von Ende Januar genannten Häuser der Friesenhof GmbH von der Heimaufsicht geschlossen. Offizielle Begründung: Das Fehlen ausreichend qualifizierten Personals. In der Tat hatte der Großteil des zum Zeitpunkt der Schließung beschäftigten, zumeist männlichen Personals keine pädagogische Qualifikation. Willkürliche Bestrafungen rechtfertigten Betreuer auf Naschfrage der Heimaufsicht mit den Worten: Das steht so im Konzept. „Die Schließung hat uns überrascht”, erklärte Bettina Maak, Sprecherin des Hamburger Bezirks Harburg, der bis zuletzt Mädchen in den Friesenhof eingewiesen hat. Die Zustände im Friesenhof wurden im Jugendamt Harburg offensichtlich für normal gehalten.

Gaston Kirsche

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