(Gegenwind 337, Oktober 2016)

Demonstration NSU-Prozess München
Demonstration am 13. April 2013 in München

„Das Aufklärungs-versprechen der Bundesregierung ist nicht eingehalten worden”

Interview mit Alexander Hoffmann, Anwalt der Nebenklage im NSU-Prozess (München)

Gegenwind:

Bei den vorigen Interviews zum NSU-Prozess war die Situation, dass Beate Zschäpe nichts sagte. Du hast die Meinung vertreten, als Strategie in einem Strafprozess wäre das auch empfehlenswert. Jetzt hat sie geredet. War es empfehlenswert, sich so zu äußern?

Alexander Hoffmann:

Aus Verteidigersicht nein. Die Angaben, die sie durch ihre Anwälte hat verlesen lassen, waren offensichtlich teilweise konstruiert, und zwar um die Erkenntnisse aus den Akten und die Erkenntnisse aus zweieinhalb Jahren Hauptverhandlung herum. Diese Angaben haben ganz stark das Bemühen ausgestrahlt, die schon bewiesenen Umstände aufzunehmen und da hinein eine Geschichte einer Beate Zschäpe zu flechten, die angeblich von nichts gewusst hat. Diese Einlassung ist bereits jetzt in großen Teilen widerlegt, und sie wäre noch viel schneller in großem Ausmaße widerlegt, wenn Zschäpe jetzt gewillt wäre, Nachfragen zeitnah zu beantworten. Die Strategie ihrer Anwälte, Fragen nur als Erklärungen der Verteidiger mit langer Vorbereitungszeit beantworten zu lassen, zielt offensichtlich auch darauf, viele wichtige Nachfragen gar nicht zu beantworten und das zu verschleiern. Um eine halbwegs glaubwürdige Aussage zu präsentieren hätte sie tatsächlich in zahlreichen Punkten sehr viel mehr erzählen müssen. Insbesondere hat Zschäpe fast gar nichts zu etwaigen Mittätern, sowie zu Leuten, zu denen sie nachweislich Kontakt hatte, gesagt. Sie hat ein paar Sachen, natürlich, zu den Mit-angeklagten gesagt, aber so wenig, dass man merkt: Für sie gilt immer noch der Grundsatz, keine Kameraden zu verraten. Sie hat ein bisschen mehr gesagt zu den Angeklagten, die sie ohnehin als Verräter betrachtet, Carsten Schulze, und teilweise zu Holger Gerlach, weil diese beiden eben auch sie und die toten Uwes belasten, aber sie hat ansonsten keine Nazi-Kameraden belastet.

Gegenwind:

Wie funktioniert denn ihre Verteidigung? Ihre Verteidigung besteht ja aus Verteidigern, die sie ablehnt, und Verteidigern, mit den sie zusammenarbeitet. Wie agieren die?

Alexander Hoffmann:

Im wesentlichen agiert die Verteidigung Zschäpe gar nicht mehr. Die bisherigen Pflichtverteidiger sind relativ stark kaltgestellt, sie verfolgen ihre Strategie weiterhin, möglichst viele Nachfragen und Beweisanträge von Seiten der Nebenklage zu beanstanden, wegzudrücken, möglichst eine weitere Aufklärung des Geschehens unmöglich zu machen. Ihre neuen Wahlverteidiger und Pflichtverteidiger Borchert und Grasel sind eigentlich nur und ausschließlich tätig als Sprachrohr, geglättete und bearbeitete Antworten von Zschäpe zu verlesen.

Gegenwind:

Arbeitet die Verteidigung von Beate Zschäpe mit der Verteidigung der anderen Angeklagten zusammen?

Alexander Hoffmann:

Soweit wir das mitbekommen: Überhaupt nicht.

Gegenwind:

Wie agieren denn die anderen Verteidiger?

Alexander Hoffmann:

Die versuchen ihre Linie, die ich schon beschrieben habe, fortzusetzen, und dabei möglichst Zusammenstöße und Differenzen mit der Angeklagten Zschäpe und den beiden anderen Verteidigern zu vermeiden. Das ganz ist aber eine sehr unglückliche Konstellation.

Gegenwind:

Wie agiert im Moment das Gericht aus Deiner Sicht? Versucht es aufzuklären, oder versucht es, die Anklage abzuarbeiten?

Alexander Hoffmann:

Das Gericht hat nun schon vor der Sommerpause diese Zwischenphase der Aufklärungsbemühungen endgültig abgeschlossen. Fast alle bisher vorliegenden, auf Aufklärung zielenden Beweisanträge der Nebenklage wurden inzwischen abgelehnt. Das Gericht ist jetzt dabei, so jedenfalls ist das Erscheinungsbild für uns, alle Beweismittel, die für ein Urteil benötigt werden, zusammenzukriegen. Es müssen noch Beweismittel einführt werden, die noch nicht ordnungsgemäß Bestandteil der Hauptverhandlung geworden sind. Und es ist eigentlich damit zu rechnen, dass sich das Gericht jetzt langsam einer Verurteilung nähert, das Ende des Prozesses näher rückt. Aufklärung soll jetzt nicht mehr erfolgen.

Gegenwind:

Wie ist der Zeitplan des Gerichtes? Oder gibt es noch keinen?

Alexander Hoffmann:

Das Gericht hat zu keinem Zeitpunkt den Prozessbeteiligten deutlich gemacht, auf welche Art und Weise es diesen Prozess und die Beweisaufnahme führen will. Wir haben jetzt auch keinen Zeitplan genannt bekommen. Es scheint aber, als wenn jetzt zum Abschluss des Jahres einfach noch die notwendigen weiteren Beweismittel eingeführt werden soll, und dann der Prozess im Frühjahr nächsten Jahren zum Ende kommen soll.

Gegenwind:

Wie agiert denn die Bundesanwaltschaft? Will sie sich weiter auf die Angeklagten beschränken? Oder ermittelt sie auch, wenn durch Zeugen interessante Aspekte aufkommen?

Alexander Hoffmann:

Die Bundesanwaltschaft behauptet, sie würden weiterhin ermitteln. Diese Ermittlungen verschwinden aber in einem Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt, in das die Nebenklage keine Akteneinsicht erhält und das geheimgehalten wird. Wir müssen davon ausgehen, dass diese Ermittlungen gegen weitere Unterstützer alle in einer Form und unter rechtlichen Vorgaben geführt werden, nämlich als Beihilfe, dass sie sämtlich innerhalb von kurzer Zeit nach dem Urteil, eingestellt werden wegen Verjährung. Wenn man nur Beihilfe annimmt, dann dürften praktisch alle diese Taten soweit zurück liegen, dass die Verjährung eingetreten ist. Von Anfang an bestand ja auch hier im Prozess die Frage, warum man nicht weitere Personen hier angeklagt hat und warum nicht auch andere Unterstützer als Mitglieder der terroristischen Vereinigung angeklagt bzw zumindest eine Strafverfolgung eingeleitet hat. Offensichtlich, das gilt bis heute, ist es das Ziel der Bundesanwaltschaft, die terroristische Vereinigung NSU so klein wie möglich zu halten, um die Öffentlichkeit zu beruhigen, der Öffentlichkeit eine weniger gefährliche Naziszene darzustellen.

Zeichen der Solidarität mit den Angehörigen der NSU-Opfer - Demonstration am 13. April in München zum NSU-Prozess
Demonstration am 13. April 2013 in München

Gegenwind:

Wie groß ist denn der NSU aus Deiner Sicht nach den bisherigen Zeugenaussagen und anderen Erkenntnissen?

Alexander Hoffmann:

Das ist sehr schwierig zu sagen, denn bisher sind unsere Bemühungen um Aufklärung oft auf Schweigen oder auf Verweigerung gestoßen. Ich gehe nicht davon aus, dass es eine bundesweit organisierte Gruppe NSU gab. Ich gehe davon aus, dass der NSU zunächst aus den Personen, die hier angeklagt sind, und ihrem Umfeld bestand. Es werden aber sicherlich mindestens doppelt so viel gewesen sein, als bisher immer bekannt werden. Darüber hinaus gehe ich davon aus, dass der NSU in einem Netzwerk agieren konnte, mit anderen Nazi-Gruppen, die oftmals vermutlich nicht mal genaue Kenntnis hatten von den konkreten Taten, die durchgeführt wurden, wo aber Einigkeit darüber bestand, dass man einen bewaffneten Kampf führt, dass man nicht nur Banküberfälle, sondern auch andere Straftaten begeht und sich ohne darüber sehr genau Bescheid zu wissen auch gegenseitig hilft und unterstützt. Ich gehe auch davon aus, dass es an einigen der Tatorte Unterstützer gab, die bei der Auswahl der Objekte und der ermordeten Personen Hilfe geleistet haben. Bis zum heutigen Tag ist einfach nicht geklärt, wie in manchen Städten ansonsten die Auswahl der Opfer vor sich gegangen sein soll.

Gegenwind:

Wie agieren die Nebenklage-Vertreter? Gibt es da eine größere Zusammenarbeit? Oder gibt es kleinere Gruppen?

Alexander Hoffmann:

Es gibt "die" Nebenklage nicht. Es gibt eine Vielzahl von unterschiedlich agierenden Nebenklage-VertreterInnen. Es gibt allerdings schon eine Zusammenarbeit zwischen einigen Nebenklage-VertreterInnen, die sich die Arbeit und den Aufwand der Recherche teilen und die gemeinsam immer wieder bestimmen, welche weiteren Anträge sinnvoll sind. Das macht auch deswegen Sinn, weil manche dieser Anträge einfach auch von der überwiegenden Zahl der Nebenklage-VertreterInnen mit unterschrieben worden sind und dadurch mehr Gewicht bekommen haben. Aber insgesamt ist es schon so, dass die Nebenklage in vielfältigen Formen auftritt.

Gegenwind:

Wie ist denn das öffentliche Interesse im Moment? Gibt es viele Zuschauer? Gibt es viele Veranstaltungen parallel zum Prozess?

Alexander Hoffmann:

Es gibt zu meinem Erstaunen immer noch ein relativ großes öffentlichen Interesse. Das ist aber tatsächlich in erster Linie all denen antifaschistischen Gruppen, die jeden Tag berichten, also NSU-Watch und anderen Initiativen zum Beispiel in den Städten, in denen Menschen ermorden wurden, in Kassel oder der Keupstraßen-Initiative, zu verdanken. Sie lassen nicht nach, hier Aktivitäten zu organisieren, auch Informationsveranstaltungen, politischen Druck zu entwickeln. Als Nebenklage-Vertreter muss ich sagen, dass unsere Position ohne diesen öffentlichen Druck sehr viel schwächer wäre. Wir spüren regelmäßig, dass noch ein großes Interesse der Öffentlichkeit da ist und wir dadurch eine stärkere Position haben.

Gegenwind:

Jetzt sind eine Reihe von Zeugen gestorben. Da gibt es Spekulationen - siehst Du da irgendwelche Zusammenhänge im Hintergrund, oder ist das Zufall?

Alexander Hoffmann:

Ich halte diese Spekulationen zum allergrößten Teil für Unfug. Es gibt einen V-Mann, der gestorben ist, da passt der gesamte Umgang der Polizei, des Verfassungsschutzes und der Bundesanwaltschaft einfach zu der Art und Weise, wie im gesamten Verfahren mit V-Männern umgegangen wurde. Man will möglichst wenig preisgeben. Man versucht zu vertuschen. Man will das alles aus dem Blick der Öffentlichkeit halten. Das muss aber überhaupt keinen Schluss zulassen, dass hier mehr passiert ist. Wir wissen es natürlich nicht. Allerdings muss man sagen, dass dieser V-Mann nach dem, was wir wissen, für den NSU keine überragende Rolle gespielt hat. Es steht im Raume, und das können wir leider nicht weiter überprüfen, dass dieser V-Mann gezielt an Personen und Gruppe in der Naziszene, die Propaganda für bewaffnete Anschläge gemacht haben, herangespielt wurde, um Informationen einzuholen. Insofern wäre da vielleicht etwas zu holen gewesen, deswegen hatte er auch eine Bedeutung. Wir wollten die Unterlagen zu seiner Tätigkeit. Ich persönlich sehe aber keine größere Nähe zum NSU. Insofern wäre er nicht so bedeutsam. Bei anderen angeblichen Zeugen, die verstorben sind, ist es so, dass sie für unseren Prozess überhaupt nicht als Zeugen in Betracht gekommen sind. Deswegen habe ich auch viel zu wenig Wissen darum. Allerdings ist es schon so, dass in der Welt von Verschwörungstheoretikern, die im Internet große Texte dazu schreiben, hier auch sehr viel aufgebläht wird und aus Zeugen, die für den NSU überhaupt nicht interessant sind, werden auf einmal bedeutende Zeugen gemacht. Wenn wir sehen, dass der NSU zwischen 1998 und 2011 aktiv war und dass die Ermittlungen bis heute andauern, dann ist das natürlich auch ein so langer Zeitraum, dass allerlei passieren kann. Ich warne also davor, diese Geschehnisse zu stark aufzuwerten. Andererseits ist es natürlich schon immer wieder erstaunlich, dass die Behörden mit diesen Sachen nicht offen umgehen. Ein bestimmtes Verhalten des Vertuschens, der Unoffenheit wiederholt sich immer wieder. Das gibt natürlich Anlass zu Spekulationen.

Gegenwind:

Am Anfang hatten Hinterbliebene große Hoffnungen, im Prozess würden auch Hintergründe bekannt. Du hast schon im ersten Interview gesagt, dass sich ein Strafprozess wenig dafür eignet. Wie geht es jetzt den Hinterbliebenen? Sind sie enttäuscht?

Alexander Hoffmann:

Für die Hinterbliebenen und die Nebenklägerinnen und Nebenkläger ist dieser Prozess eine enorme Belastung. Wir haben ihnen natürlich vieles davon schon vorher vermittelt. Es ist weniger Aufklärung erfolgt als sie gehofft haben. Die Angeklagten haben keine ehrlichen Aussagen gemacht. Die Bundesanwaltschaft hat das Thema immer wieder eingeengt. Das Gericht hat nur teilweise, in geringem Umfang die von der Bundesanwaltschaft vorgegeben Anklage verlassen. Insofern besteht hier ein großer Frust. Etliche Personen sind auch frustriert, dass das Verfahren sich so lang zieht. Da teilen sie das Gefühl, das in der Presse und der Öffentlichkeit vorherrscht. Das ist aber eine normale Situation. Auf der einen Seite muss in so einem Prozess die Beweisaufnahme durchgeführt werden und deshalb dauert das eben lange. Natürlich ist es für Leute, die Aufklärung wollen und die gerne auch einen Abschluss eines solchen Verfahrens wollen, enorm frustrierend. Die Nebenklägerinnen und Nebenkläger sind hin- und hergerissen, aber sie sind an dem Punkt angekommen, wo sie verstanden haben, dass das Aufklärungsversprechen der Bundesregierung und der Justiz nicht eingehalten worden ist. Und sie haben nur noch sehr geringe Hoffnung, dass das außerhalb des Prozesses in weiteren Untersuchungsausschüssen tatsächlich eingehalten wird. Das ist tatsächlich eine sehr unschöne Entwicklung.

Gegenwind:

Wie agiert aus Deiner Sicht die Regierung und die Geheimdienste, die Polizei, die mehr wissen?

Alexander Hoffmann:

Was die einzelnen Stellen wissen, ist ja immer noch unklar. Aber das Aufklärungsversprechen wurde nicht eingehalten. Es ist nicht alles getan worden zur Aufklärung. Es sind nicht alle Akten geöffnet worden. Es sind nicht alle notwendigen Untersuchungen gemacht worden. Das muss man festhalten. Die Regierung hätte natürlich bestimmte Sachen anordnen können. Stattdessen gab es von Anfang an das Bemühen, möglichst schadlos aus diesem Skandal herauszugehen. Und, ganz im Gegenteil: Es sind jetzt neue Gesetze gemacht worden, die die Inlandsgeheimdienste ohne große Veränderungen noch weiter stärken. Es ist das Gegenteil dessen passiert, was man ursprünglich hätte erwarten können. Damit hat die Regierung, hat die Politik deutlich gemacht, dass sie weiterhin an einem Inlandsgeheimdienst festhalten wollen, der demokratisch nicht zu kontrollieren ist.

Gegenwind:

Ist eine Verurteilung aus Deiner Sicht sicher zu erwarten?

Alexander Hoffmann:

Ich erwarte für Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Holger Gerlach und Carsten Schulze mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine Verurteilung. Die Fragen, die es gab, bestanden ja in erster Linie für Beate Zschäpe darin, ob es eine Verurteilung als Täterin oder wegen Beihilfe gibt. Ich bin hier im Moment davon überzeugt, dass es ausreichen wird, sie als Täterin zu verurteilen. Ein bisschen problematisch ist es noch bei dem Angeklagten André Eminger, der auf der einen Seite wegen Beihilfe zu Banküberfällen angeklagt ist, andererseits im Zusammenhang mit dem ersten Bombenanschlag in Köln, in der Probsteigasse wegen Beihilfe. Für diese letztere Tat erwarte ich keine Verurteilung. Die Beweise, die wir bisher erhoben haben, werden nicht dafür ausreichen, nach meiner Einschätzung, dass man sagen kann, er hat ein Auto für den NSU besorgt mit dem Wissen, dass ein solcher Anschlag erfolgt. Für die Beihilfe zu Banküberfällen wird es nach meiner Einschätzung für eine Verurteilung reichen.

Interview: Reinhard Pohl

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