(Gegenwind 365, Februar 2019)


Podiumsdiskussion am 18. Januar in Kiel. Von links: Claudia Bielfeldt (Landesvorsitzenden BUND, Moderatorin), Ulf Kämpfer (Oberbürgermeister), Tobias Goldschmidt (Staatsekretär im Umweltministerium SH), Jürgen Resch (Geschäftsführer DUH) und Kirsten Koch (Mobilitätsreferentin des BUND SH)

Fahrverbote in Kiel?

DUH und Stadt im Streit

Soll es in Kiel Fahrverbote geben? An einer Messstelle am Theodor-Heuss-Ring zeigen die Ergebnisse seit 2012, dass die Grenzwerte aus dem Gesetz nicht eingehalten werden. Während sich am Westring und Ostring der Verkehr auch auf die Seitenstraßen verteilt, ist das hier nicht möglich: Direkt an der Südspitze der Förde führt nur diese Hauptverkehrsstraße längs, verbindet nicht nur Westufer und Ostufer, sondern auch die Fernstraßen von Plön und Lübeck mit der Autobahn nach Hamburg und der Fernstraße nach Eckernförde. Erlaubt sind bis zu 40 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft, hier sind es seit Jahren durchschnittlich 65 Mikrogramm.

Der Gesetzesverstoß ist seit Jahren bekannt und offensichtlich. Maßnahmen des Bundes, des Landes oder der Stadt sind bisher nicht erkennbar. Die Bundesregierung will nicht handeln: Während die US-Regierung bei Überschreiten der Grenzwerte hohe Strafen gegen die Auto-Hersteller verhängt, tut die deutsche Regierung dies nicht. Das Land hat die Stadt aufgefordert, Vorschläge für Maßnahmen vorzulegen, die Stadt hat verschiedene Gutachter beauftragt und im Dezember 2018 einen „Luftreinhalteplan” vorgelegt. Letztlich muss das Land den Luftreinhalteplan formulieren, hat dazu auch ein Fahrverbot vorgeschlagen. Der Stadt sollte aber die Möglichkeit gegeben werden, einen eigenen Plan zu formulieren.

Dieser sieht zunächst vor, eine 10 Jahre alte Maßnahme rückgängig zu machen: In Kiel kommen relativ viele LKWs aus Skandinavien mit der Fähre an, sie fahren hier auf die Autobahn nach Hamburg. Die meisten fahren quer durch die Innenstadt, am Exerzierplatz vorbei auf den Schützenwall. Das wollte die Stadt von zehn Jahren ändern und hat sie per Wegweiser auf die Strecke entlang dem Hafen, Bahnhofstraße und Theodor-Heuss-Ring zur Autobahn geschickt, dem folgt täglich zumindest ein Teil der LKWs. Sie sollen jetzt alle wieder durch die Stadt, was den AnwohnerInnen nicht hilft, dort steht aber keine Messstation.

Auf dem Theodor-Heuss-Ring selbst soll einerseits eine niedrigere Höchstgeschwindigkeit (50 km/h statt 70 km/h) für alle eingeführt werden. Als zweites soll es ein Fahrverbot für Diesel-Fahrzeuge auf der rechten Spur geben, sie sollen für ein paar hundert Meter auf die Überholspur. Grund: Die Messstation steht am rechten Fahrbahnrand auf dem Bürgersteig. Dort müssten die gemessenen Werte dann sinken, obwohl die Stickoxide natürlich immer noch in der Luft sind und eingeatmet werden (müssen). Wenn die Konzentration an der Messtation sinkt, sinkt sie aber auch für Anwohner, denn diese wohnen nur an der Nordseite der Straße.

Einen Versuch will die Stadt zusätzlich machen: Eine Firma in Bad Oldesloe hat einen „Luft-Staubsauger” entwickelt: Dieser saugt Luft an und stößt sie am anderen Ende gereinigt wieder aus, filtert also die Abgase aus der Luft. Dieser 80.000 Euro teure Luft-Staubsauger soll neben die Messstation gestellt werden.

Panik wegen der DUH-Klage?

Hintergrund der Hektik ist eine Klage, die die Deutsche Umwelthilfe (DUH) eingereicht hat. Sie klagt gegen die „Untätigkeit” des Landes (und auch der Stadt als „Beigeladene”) bei der Einhaltung der Gesetze. Wenn das Oberverwaltungsgericht dem folgt, und bei Vorlage der Messergebnisse der letzten sieben Jahre ist das wahrscheinlich, müsste das Gericht die Stadt anweisen, ein Fahrverbot für bestimmte Autos zu verhängen, um die Anwohnerinnen und Anwohner zu schützen.

Grundsätzlich hat das Bundesverwaltungsgericht am 27. Februar 2018 entschieden, dass solche Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge angeordnet werden können. Die Stadt, die das Fahrverbot verhängt, darf Ausnahmen zum Beispiel für Handwerksbetriebe vorsehen, die Polizei darf die Einhaltung kontrollieren - wobei das Gericht natürlich nicht entscheidet, wo die Polizei die Leute dafür hernehmen soll.

Das Umweltministerium muss den Luftreinhalteplan aus Kiel jetzt prüfen und dann den eigenen Luftreinhalteplan schreiben, der soll noch vor den Sommerferien in die öffentliche Anhörung gehen und im Herbst 2019 gelten. Ob sich die Werte der Messstation dadurch ändern, kann man erst danach sehen.

Dem gegenwärtigen Oberbürgermeister kann die Untätigkeit der letzten Jahre nicht angelastet werden. Kiel hatte von 2003 bis 2009 mit Angelika Volquartz eine aktive Oberbürgermeisterin, für die dieses Problem noch nicht akut war. Aber immerhin wurde in ihrer Zeit der Flughafen stillgelegt, der ist seitdem „Verkehrslandeplatz” ohne Linien, und ein Radwegeplan erarbeitet. Danach regierten Torsten Albig (2009 bis 2012) und Susanne Gaschke (2012 bis 2013), die eher persönliche Schwerpunkte hatten und während ihrer Amtszeit ausschieden. Ob Ulf Kämpfer, seit 2013 im Amt, die Probleme zu langsam angepackt hat, dürfen die Wählerinnen und Wähler am 27. Oktober 2019 beurteilen, wenn er sich zur Wiederwahl stellt.

Wer ist die DUH?

Die Deutsche Umwelthilfe wurde 1975 gegründet und setzt sich für Umweltschutz und Verbraucherschutz ein. Sie ist gemeinnützig und als Umweltorganisation auch klageberechtigt.

Bekannt geworden ist die DUH, weil sie einige Bundesländer (und Städte) verklagt hat, die nicht genug gegen die Überschreitung der Grenzwerte unternommen haben. Alle Klagen, die bisher entschieden wurden, hat die DUH gewonnen. Betroffen sind 115 Städte, die Klagen auf Verhängung von Fahrverboten richten sich zunächst nur gegen Großstädte.

Die DUH setzt sich allerdings auch für (bundesfinanzierte) Programme für eine Verkehrswende ein, auf die die Städte dringend angewiesen sind. Deshalb arbeiten auch viele Städte mit der DUH zusammen, denn mit dem „Sofortprogramm für Saubere Luft” der Bundesregierung sind die Städte bei weitem noch nicht zufrieden. Bei der Verkehrswende geht es darum, den Verkehr von Autos (Individualverkehr) auf Fahrräder, aber auch auf Busse und Bahnen (Kollektivverkehr) umzustellen.

Insgesamt hat die DUH ein breites Themen-Spektrum: Das geht vom Insektenschutz über den Erhalt tropischer Regenwälder bis zur Einrichtung von Naturschutzgebieten.

Warum schaden Stickoxide?

Schadstoffe in der Luft sind eine Begleiterscheinung der Industriegesellschaft. Am 17. Januar 1979 gab es im Ruhrgebiet erstmals „Smog-Alarm”, die Grenzwerte von 800 Mikrogramm Schwefeldioxid in der Luft wurden um fast das Doppelte überschritten. Seitdem hat Deutschland sehr stark in Filtertechnik investiert, vor allem bei Kraftwerken und Industriebetrieben, aber auch bei privaten Heizungen im Keller. Der heutige Vergleich mit China zeigt, dass es allen EinwohnerInnen nützt, auch wenn es damals viel Widerstand und auch Spott gab.

Stickoxide entstehen bei allen Verbrennungen - in Motoren und Heizungen. In der Stadt ist der Straßenverkehr der größte Verursacher. Sie belasten die Atmungsorgane, insbesondere Asthmatiker, aber auch Kinder und alte Menschen können daran sterben. Ungefähr 120.000 Todesfälle werden in Deutschland jedes Jahr von Stickoxiden verursacht.

In Diesel-Fahrzeugen wird das Stickoxid durch SCR-Katalysatoren mit AdBlue (Harnstoff-Einspritzung) neutralisiert. Da diese Katalysatoren die Leistung der Motoren leicht vermindern, haben Hersteller illegale Abschalt-Einrichtungen eingebaut. So halten die Dieselfahrzeuge die Grenzwerte auf dem Prüfstand und bei der Zulassung ein, auf dem Theodor-Heuss-Ring stoßen sie das Vierzigfache der zugelassenen Stickoxide aus. Daran kann ein Oberbürgermeister nichts ändern.

Aber alle Auto-Konzerne haben Nachrüst-Sätze, mit denen die Grenzwerte eingehalten werden können. Problem ist bisher, dass sie nur in den USA angeboten werden, in der Regel also auch dort bestellt werden müssen. Wenn die Bundesregierung durchgreift, sind sie ruckzuck auch hier erhältlich, vermutet die DUH.

Was kann ein Oberbürgermeister tun?

Mit dem Regionalen Verkehrsplan will Kiel den Verkehr zum Teil auf öffentlichen Verkehr (Bau einer neuen Stadtbahn, Verbesserung der Buslinien) umlenken, zum Teil auf Radwege. Dazu werden Rad-Schnellwege gebaut. Diese Maßnahmen brauchen allerdings lange Zeit, um Wirkungen zu zeigen. Die Planungsämter der Stadt schätzen, dass die Umsetzung am Theodor-Heuss-Ring die Stickoxid-Werte um 1 mg senkt.

Die offene Frage ist, ob die Zwischenzeit durch einen Luftreinhalteplan überbrückt werden kann. Im August 2018 hat die Stadt den betroffenen Abschnitt des Theodor-Heuss-Ring schon neu asphaltiert, und zwar wurde ein Titandioxid-Belag aufgetragen, der durch seine photokatalytische Wirkung Stickoxide in Nitrat umwandeln soll. Auswirkungen auf die Messergebnisse hatte das allerdings nicht.

Die Bundesregierung könnte die Autoindustrie zur Nachrüstung der Fahrzeuge zwingen, das wäre durch eine Rückruf-Aktion innerhalb von ein paar Wochen zu erledigen. Die Bundesregierung könnte dann eine Plakette für „saubere” Autos vergeben, damit könnte die Polizei Fahrverbote einfacher kontrollieren, ohne alle Autos anhalten und die Papiere kontrollieren zu müssen. Beides will die Bundesregierung nicht, das kann der Oberbürgermeister nicht ersetzen.

Norderstedt: Droht ein Fahrverbot?

Auch in Norderstedt werden die Grenzwerte am Ochsenzollkreisel seit langem überschritten. Die DUH hat die Stadt mehrfach daran erinnert, allerdings noch nicht geklagt, weil die „großen” Städte zunächst ins Visier genommen werden.

Der ständige Gesetzesverstoß darf eigentlich nicht so lange weitergehen, bis ein Umweltverband klagt. Bisher will die Stadtverwaltung aber nichts Einschneidendes unternehmen.

Podiumsdiskussion in Kiel

Am 18. Januar diskutierten in Kiel der Oberbürgermeister Ulf Kämpfer, der DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch und Tobias Goldschmidt, Staatssekretär im Umweltministerium, mit Kirsten Koch, Mobilitätsreferentin des BUND SH.

Der Oberbürgermeister war wie der Staatssekretär klar gegen Fahrverbote. Sie würden zu Ausweichverkehr führen, und das sei gerade an dieser Route schwierig. Man könnte auf Strecken südlich des Freilichtmuseums ausweichen, das sind Umwege (berechnet auf die Strecke Lübeck - Schleswig) von 9 bis 42 Kilometer. Oder man weicht noch Norden aus, über die Sörensenstraße oder die Alte Lübecker Chaussee, dann muss man durch die Innenstadt fahren, wo auch FußgängerInnen und RadfahrerInnen unterwegs sind - die auf dem Ring kaum sind. Täglich wird der Theodor-Heuss-Ring von rund 100.000 Autos befahren, von denen 30 Prozent reiner Durchgangsverkehr sind, sie wollen nicht nach Kiel. Die beiden Ausweichrouten haben eine Kapazität von rund 20.000 Autos, werden aber heute schon täglich von 15.000 bis 17.000 Autos befahren - falls es Ausweichverkehr gibt, führt das zu Staus. Der Luftreinhalteplan werde sicherstellen, dass die Grenzwerte des Gesetzes bis 2021 eingehalten werden.

Jürgen Resch forderte mehr: Die Werte müssten bereits 2019 eingehalten werden. Er plädierte für Fahrverbote, dieses sollte gerne auch für die gesamte Zone verhängt werden. Dadurch gäbe es dann keinen Ausweichverkehr, sondern die Autobesitzer würden ihre Autos nachrüsten. Denn beim Diesel-Gipfel im Kanzleramt haben ja die Auto-Konzerne inzwischen zugesagt, die Kosten der Nachrüstung zu 100 Prozent zu übernehmen, für kommunale Fahrzeuge (Müllwagen, Busse) zu 80 Prozent. Bei Fahrverboten würden die Diesel-Besitzer ihr Auto für zwei bis vier Stunden in die Werkstatt bringen, der Mutterkonzern bezahlt, und dann gelten die Fahrverbote für sie nicht mehr.

In anderen Punkten waren sich alle Beteiligten einig: Die Verkehrswende müsse kommen, die Stadt muss von Autos (im ersten Schritt von Parkplätzen) befreit werden. Jürgen Resch erläuterte das am Beispiel anderer Städte, die die Verkehrsführung und Parkplatzsuche in der Innenstadt für Autos so sehr erschwert haben, dass die große Mehrheit der Leute auf Busse oder Fahrräder umgestiegen sei.

Nicht einig war man sich in der Geschwindigkeit. Jürgen Resch forderte mehr Mut, mehr Radikalität, das aktive Aussperren aller Autos mit Verbrennungsmotor in den nächsten Jahren. Oberbürgermeister Kämpfer mahnte, alle Interessen zu berücksichtigen und alle Beteiligten mitzunehmen. Er wies darauf hin, dass bei der kommenden Einführung einer Stadtbahn viele GeschäftsinhaberInnen Angst vor jahrelangen Baustellen in der Innenstadt haben. Außerdem brauchen Lieferdienste Zeit, um auf gemeinsame Depots umzustellen, die reine Innenstadtlieferung dann mit Lasten-Fahrräder zu bewältigen.

Staatssekretär Goldschmidt unterstützte klar die Stadt: Die besondere Nadelöhr-Situation des Theodor-Heuss-Ring an der Südspitze der Förde müsste vom Oberverwaltungsgericht berücksichtigt werden, der Luftreinhalteplan hätte Chancen bei Gericht zu bestehen. Man sei aber auch, wenn die Haltung des Gerichts nach der ersten mündlichen Verhandlung klar sei, zu einem Gütetermin bereit.

Reinhard Pohl

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