(Gegenwind 374, November 2019)

Kohle und Gas (ver)heizen unsere Zukunft

Kohle kapern!

Aktivist*innen besetzen Kraftwerk in Flensburg

Am Samstagmorgen, den 5. Oktober, blockierten wir acht Stunden lang das Gelände der Stadtwerke Flensburg, auf dem unter dem Einsatz von Steinkohle und Erdgas Strom und Fernwärme erzeugt werden. Damit protestieren wir gegen die zerstörerischen ökologischen und sozialen Folgen, die diese Produktion zu verantworten hat. Dabei stehen wir solidarisch zusammen mit verschiedenen Aktionen unter dem Motto „deCOALonize!“, die zeitgleich an unterschiedlichen Orten der Steinkohlelieferkette stattfanden und von denen wir uns inspirieren ließen.

In Flensburg kommt die Steinkohle ausschließlich aus Russland. Auf die schreckliche Situation in den Abbaugebieten und den sich dort regenden Widerstand wollen wir aufmerksam machen und die profitierenden Unternehmen in der Lieferkette zur Verantwortung ziehen. Die nach Zentraleuropa importierte Steinkohle stammt zum größten Teil aus der Region Kuzbass im Süden Sibiriens. Dort wird die Steinkohle aus dem Berg gesprengt, wodurch die Staubbelastung weit über derjenigen anderer Abbaugebiete liegt und in enormen Maße Luft, Boden und Wasser verschmutzt. So ist laut dem Bericht der „Rospotrebnadzor“ von 2013, der offiziellen Verbraucherschutzbehörde Russlands, 93,8% des Wassers in der Region verschmutzt. Darunter leidet vor allem die indigene Gruppe der Schoren, unter denen sich in den vergangenen Jahren vermehrt Widerstand regt. Nachdem die Bewegung 2018 sogar die Genehmigung einer neuen Mine nachträglich verhinderte, kämpft insbesondere die Gruppe „Ecodefence“ aktuell mit heftigen Repressionen des russischen Staates.

Wir wollen mit unserer Aktion auch ein Zeichen setzen, dass diese Proteste nicht ungehört bleiben. Die Zerstörung unseres Planeten ist global - Solidarität ebenso! Deshalb gilt es, sich überall den Orten der Zerstörung entgegenzustellen - ob in Russland oder Flensburg. Wir dürfen nicht untätig zusehen, wie unsere Lebensweise andernorts Leben zerstört!

Denn hier machen sich die Stadtwerke durch ihre Nutzung von Steinkohle an den Verbrechen in den Abbaugebieten, ebenso wie an der Umweltkatastrophe, mitschuldig. In der Anlage am Flensburger Hafen werden jährlich ca. 190.000 Tonnen Steinkohle verfeuert, um Fernwärme für den regionalen und Strom für den bundesweiten Verbrauch herzustellen. Dabei gibt sich das Unternehmen als besonders umweltbewusst. Den Kohleausstieg vor 2038 schreiben sie sich auf die Fahne. Dies soll allerdings durch den Wechsel auf Erdgas realisiert werden! Wieder einmal werden wachstumsorientierte Investitionen in einen fossilen Brennstoff als grüne Alternative verkauft. Aber Gas ist keine Alternative! Während die Verbrennung zwar zu weniger CO2-Emissionen führt, bleibt die Struktur aus Förderung, Transport und Verarbeitung äußerst energieintensiv. Außerdem ist selbstverständlich auch das keine langfristige Perspektive, auch Gas wird ausgehen. Dann ist es mit der vielbeschworenen Versorgungssicherheit auch wieder vorbei. Wir fordern einen tatsächlichen Strukturwandel in der Energiebranche: Weg von den fossilen Brennstoffen, hin zu dezentralen, erneuerbaren Alternativen!

Bei dem Anprangern der lokalen Situation in Flensburg kann aber nicht stehenbleiben, wer ernsthaft nach den Ursachen der Zerstörung fragt. Flensburgs Situation ist eingebettet in unser globales Wirtschaftssystem, innerhalb dessen auch die Stadtwerke unter „Sachzwängen“ stehen. Das Kapitalverhältnis verspricht unendliches Wachstum, das an keiner Bedarfsgrenze halt macht - das steht in unmittelbarem Widerspruch zu den Bedürfnissen und Kapazitäten von Mensch und Natur! So zwingt es auch zur stetigen Suche nach neuen Absatzmärkten, wie sie historisch im Kolonialismus in voller Brutalität zu sehen war. Gerade der Steinkohlemarkt ist immer noch von derselben Struktur: Die schmutzige Primärproduktion der Kohle samt irreparabler Schäden an Mensch und Natur wurde ausgelagert - u.a. nach Russland und Kolumbien -, während die Profite weiter in die sogenannten Industrienationen fließen. Wir fordern dagegen Klimagerechtigkeit! Also das ernsthafte Übernehmen von Verantwortung für die von unserer Lebensweise verursachte Zerstörung. Gerade jene Umweltzerstörung ist es auch, die immer häufiger zum Fluchtgrund wird - wie unter anderem eine Oxfam-Studie von 2017 zeigt. Deshalb ist es für uns völlig selbstverständlich, dass wir Teil desselben Kampfes sind, den auch die Seebrücke-Bewegung für sichere Fluchtwege mit einer Demonstration in der Flensburger Innenstadt am selben Tag führte. Gemeinsam für eine lebenswerte Zukunft, in der niemand mehr vor Überschwemmungen fliehen muss!

Nun noch ein paar Worte zum konkreten Aktionsverlauf und der Reaktion der Stadtwerke. Nachdem wir direkt nach Aktionsstart von einem wütenden Arbeiter mit seinem Radlader attackiert und fast vom Kohleberg gestoßen wurden, blieb die Situation tagsüber relativ entspannt. Recht früh kamen wir mit dem Geschäftsführer Maik Render ins Gespräch, wobei wir uns zunächst über die Aufgeschlossenheit seinerseits freuten. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass er mit dieser Offenheit eine recht simple Taktik verfolgte: Die Vereinnahmung und Entschärfung unseres Protestes. Während er zwar immer wieder beteuerte, unser Anliegen zu verstehen und uns den Raum zu gewähren, verriet er sein wahres Motiv durch einige Bemerkungen - Die shz wäre schon hier gewesen und sonst käme ohnehin keine Presse, wir könnten also nun unbehelligt gehen und das obwohl es eine dpa-Meldung gab, der NDR mit einem Kamerateam da war und selbst russische Medien berichteten. Es ging ihm also darum, uns möglichst schnell loszuwerden und so wenig Presseresonanz wie möglich zu erzeugen. Dafür erschien ihm die offensive „Umarmungstaktik“ am effektivsten.

Und das Kalkül geht auf: Nun steht tatsächlich in vielen Presseberichten, wie verständnisvoll die Stadtwerke unseren Protest duldeten. Auch wenn die Stadtwerke als individuelle Akteure ebenso Systemzwängen des kapitalistischen Marktes ausgesetzt sind wie wir alle, kann niemand wirklich verständnisvoll sein, der von Kohle auf Erdgas umsteigt und sich dafür als Klimaretter feiern lassen möchte. Die Gesprächstaktik mit uns fügt sich in dieselbe Linie des „Greenwashing“ und hat mit einer ernsthaften, inhaltlichen Auseinandersetzung auf Augenhöhe nichts zu tun!

Als wir uns dazu entschieden, die Aktion zu beenden, kam Herr Render nochmals auf uns zu. Verunsichert von immer größer werdender Polizeipräsenz verließen wir uns trotz großer Skepsis auf sein Versprechen, dass wir hier demonstrieren und uns nun dementsprechend auch unbehelligt entfernen dürften. Er bekräftigte das noch einmal und sicherte uns schriftlich zu, dass wir uns ohne Personalienfeststellungen vom Gelände bewegen dürften. Am Werkstor angekommen hielten uns die Beamt*innen jedoch auf und verlangten die Personalien von drei Personen zur Strafverfolgung, die sich aber nach Aussage von Einsatzleiter Fuge nicht identifizieren ließen. So war der Deal de facto also folgender: Ihr liefert willkürlich drei Menschen ans Messer und wir lassen den Rest laufen. Auf so einen unsinnigen Tauschhandel konnten wir uns natürlich nicht einlassen und so setzte sich die Gruppe geschlossen hin, um klar zu machen: Wir stehen solidarisch zusammen.

Zunächst begann die Polizei die drei Menschen, die sie sich spontan rausgepickt hatten, gewaltsam aus der Gruppe herauszuziehen und die Personalienfeststellung anzufangen. Zwei der Menschen verweigerten sich der - aus Sicht aller Beteiligten - willkürlichen Maßnahme und behielten ihre Personalien für sich. Nun verwies Herr Render uns plötzlich doch des Geländes und kündigte weitere Strafverfolgung an, um die Räumung der übrigen Gruppe durchzusetzen, obwohl er uns vorher sogar noch zum Bleiben einlud. Die Polizei schien diese Gelegenheit dankend anzunehmen und begann sehr bald mit der Räumung, die allerdings nicht primär durchs Wegtragen durchgeführt wurde, sondern durch den Einsatz von drei Polizeihunden. Die Hunde wurden auf die sitzenden Menschen losgelassen und sprangen ihnen in den Rücken, wobei die Polizist*innen damit drohten, die Metallmaulkörbe abzunehmen, „damit es richtig wehtut“. Menschen, die sich von den Hunden wegdrehten wurden mit Schmerzgriffen und an den Haaren weggezogen und anschließend aufs Polizeirevier verfrachtet. Gegen Mitternacht waren alle Aktivist*innen wieder frei.

Die Aktion sehen wir aber trotz der billigen Vereinnahmungsmasche der Stadtwerke und der unnötigen Gewalt als vollen Erfolg. Es gab eine große Presseresonanz, insbesondere auch international. Außerdem gab es im Rahmen der „deCOALonize!“-Kampagne Aktionen in Hamburg, Bremen, Dortmund, Salzgitter, Berlin und Lünen mit denen wir uns nochmal ausdrücklich solidarisch zeigen. Kohleausstieg ist Handarbeit! Das begreifen immer mehr Menschen. Dennoch bleibt die politisch-ökonomische Situation katastrophal und wir müssen weitermachen.

Das Klimapaket der Bundesregierung ist ebenso heuchlerisch wie der Klimapakt der Stadt Flensburg und reiht sich ein in eine lange Reihe an bloßen Absichtsbekundungen und Pseudomaßnahmen, die tatsächliches Handeln suggerieren sollen, um die Debatte einzudämmen. Unter diesen Umständen bleibt entschlosseneres Handeln notwendig! Es reicht nicht mehr, an „die da oben“ zu appellieren und zu hoffen, dass irgendwer die nötigen Veränderungen schon einleiten wird - das müssen wir selbst machen!

Aktivist*innen von „Kohle kapern!“

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