(Gegenwind 382, Juli 2020)

Meldeauflagen und Fussfesseln klauen unsere Freiheit #NoPolSSH
Protest vor einer Polizeiwache in Kiel

Auf den Weg zu mehr „Sicherheit“?

Das neue Polizeigesetz in Schleswig-Holstein

Wie in den meisten anderen Bundesländern auch, soll es in Schleswig-Holstein ein neues Polizeigesetz geben. Es reiht sich ein in die schon beschlossenen Verschärfungen der anderen Länder und ist somit in der Sache nichts komplett neues, wir möchten es an dieser Stelle trotzdem einmal vorstellen und unsere Kritik daran erklären.

Der Kabinettsentwurf ist zwar schon dem Landtag vorgelegt worden, dieser hat ihn allerdings noch nicht verabschiedet. Vielleicht können wir durch öffentlichkeitswirksamen Protest noch einige der ätzendsten Regelungen verhindern.

Es soll eine Mischung aus Kompetenzerweiterung, neuen Waffen, Datenspeicherungsmöglichkeiten und faktischer Abschaffung der Unschuldsvermutung geben. So weit, so schlecht, ein Grund sich das ganze mal genauer anzuschauen.

Die Eingriffsschwelle polizeilichen Handelns wird ins Vorfeld von tatsächlich stattgefundenen, strafrechtlich relevanten Handlungen geschoben und so die Unschuldsvermutung untergraben. Durch das Einführen von Begriffen wie dem der „dringenden Gefahr“, oder Umschreibungen wie „individuelles Verhalten, welches eine konkrete Wahrscheinlichkeit begründet“, die Person könnte „terroristische Straftaten“ oder auch nur „Vorbereitungshandlungen“ dazu begehen, werden schwammige Einsatzgrundlagen geschaffen. Der deutsche Anwaltsverein des Landesverbandes Schleswig-Holstein schreibt dazu in einer Stellungnahme: „Mit dem Gesetzesentwurf wird an mehreren Stellen [...] eine Eingriffsschwelle definiert, die gemeinhin als drohende (terroristische) Gefahr bezeichnet wird. Dabei verzichtet der Gesetzesentwurf auf die Bezeichnung als drohende Gefahr und setzt die Voraussetzungen teilweise denen der dringenden Gefahr gleich. Diese Annahme schlägt fehl und wäre damit zu vergleichen, wenn ein dringender Tatverdacht mit den Voraussetzungen eines Anfangsverdachts begründet würde.“

Das heißt mit anderen Worten, dass allein schon ein bestimmtes Verhalten dazu führen kann, dass Menschen ins Visier polizeilicher Ermittlungen geraten. Dies kommt fast schon einem Generalverdacht gleich, weil niemand von uns genau nachvollziehen kann, warum Beamtin XY der Meinung seien könnte, dies oder jenes Verhalten sei ein Indiz für die Vorbereitung einer Straftat.

Mehr Kontrollen

Schauen wir nun zuerst einmal auf die Erweiterungen im Bereich der Kontrollmöglichkeiten. Es sollen Identitätsfeststellungen in öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs, also auf Autobahnen, Europastraßen und für den Grenzverkehr wichtigen Straßen ermöglicht werden. Und das nicht nur durch die Polizei, sondern auch gleich durch den Zoll, ausländischen Polizist*innen und nach unserem Verständnis des Gesetzestextes auch durch alle anderen Menschen, die das Innenministerium dazu befähigen möchte. Diese Menschen dürfen dann auch unmittelbaren Zwang ausüben und Polizeitätigkeiten und Amtshandlungen vornehmen.

Besonders höhnisch daran ist, dass in der Gesetzesbegründung drinsteht, das Gesetz sei „diskriminierungsarm“. Nur leider wird ein Gesetzt nicht automatisch dadurch nicht rassistisch, weil Menschen es hineinschreiben. Wen die Polizei wann anhält, wird oft durch rassistische Stereotype oder Vorurteile beeinflusst. Dieses Phänomen wird als „racial profiling“ bezeichnet und in dem Begründungstext nicht mal benannt. Leider müssen wir die Polizei an dieser Stelle enttäuschen: Ein Problem verschwindet nicht durch Leugnen oder Schönreden. Rassistisch motivierte Kontrollen und Übergriffe an People of Color durch die Polizei sind in Deutschland keine Seltenheit. Laut „Death in Custody“ sind seit 1990 mindestens 159 Menschen an den Folgen rassistisch motivierter Polizeigewalt gestorben, und die Initiative „KOP Berlin“ (Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt) dokumentiert allein für Berlin über 250 Fälle rassistischer Polizeigewalt seit dem Jahr 2000.

Mehr Überwachung

Neben den Möglichkeiten mehr zu kontrollieren, sollen auch die Möglichkeiten zur Überwachung erweitert werden. Im Folgenden einige Beispiele aus dem Entwurf:

Menschen die bei gefährdeten Veranstaltungen arbeiten möchten oder sicherheitsrelevante Dokumente (zum Beispiel Baupläne von Gefängnissen oder Polizeistationen) zu sehen bekommen, sollen sich in Zukunft einer Zuverlässigkeitsüberprüfung unterziehen müssen. Das heißt, dass die Polizei in allen möglichen Datenbanken nach Informationen über diese Personen suchen darf. Damit gemeint sind alle möglichen polizeilichen Datenbanken mit willkürlichen Speicherungen, die Datenbanken des Verfassungsschutzes oder Justizunterlagen. Hier sollen am Bundeszentralregister (also der Stelle in Deutschland, an der Verurteilungen stehen) vorbei, Menschen sicherheitsrelevant überprüft werden, was unserem strafrechtlichen Prinzip der Unschuldsvermutung stark widerspricht.

Mit Meldeauflagen und Aufenthaltsge-, sowie -verboten, sollen Maßnahmen eingeführt werden, mit denen die Polizei Menschen vorschreiben kann, wo sie sich wann (nicht) aufhalten. Dies geht zum Teil auch mit der bisherigen Rechtslage (Platzverweise und Aufenthaltsverbote), mit der Änderung werden die Befugnisse jedoch zeitlich verlängert und es kommen neue Maßnahmen hinzu (Meldeauflagen und Aufenthaltsgebote), welche die Bewegungsfreiheit von Menschen einschränken. Nun kann die Polizei, ohne richterlichen Beschluss, Menschen bis zu 14 Tagen vorschreiben, wo sie sich aufhalten sollen. Mit richterlichem Beschluss ist diese Anordnung nach 3 Monaten immer wieder verlängerbar - nur zum Vergleich: bisher waren 3 Monate das absolute Maximum.

Zu den unterschiedlichen Möglichkeiten, den Aufenthaltsort von Personen festzuschreiben, soll auch die Möglichkeit hinzukommen, Personen präventiv eine elektronische Fußfessel zur Standortüberwachung anzulegen. Präventiv heißt, dass die Person keine Handlung begangen hat, die als Straftat gewertet wird, sondern „allein ihr Handeln, die Wahrscheinlichkeit begründet“, sie könnte. Das hat mit Rechtsstaat nichts zu tun und öffnet mit so viel „wenn“ und „aber“ einer Vielzahl von Missbrauchsmöglichkeiten Tür und Tor.

Die Polizei soll mit Bodycams ausgestattet werden. Das heißt das die Beamt*innen eine Kamera mit sich tragen, die ständig aufnimmt und auf Knopfdruck das Aufgenommene speichert. Dies soll „von der Bevölkerung positiv bewertet worden“ sein und eine deeskalierende Wirkung haben. Dem widersprechen sogar polizeiliche Studien, die das Gegenteil behaupten, und wie die Ausstattung mit Kameras mehr Bürgernähe hervorrufen soll, sei dahingestellt.

Mehr Waffen, mehr Gewalt (?)

Neben Bodycams soll die Polizei euch noch ein weiteres neues Hilfsmittel bekommen: Distanz-Elektroimpulsgeräte, sogenannte Taser. Diese werden in der Gesetzesbegründung als harmlose Alternative zur Schusswaffe beworben. Die „Kontaktperson [sei] sofort ansprechbar, aufnahmefähig und kann mit Unterstützung aufstehen“. Das genau das ziemlich häufig nicht der Fall ist, belegen Studien aus den USA, denen zufolge 1081 Menschen nach einem Tasereinsatz ums Leben gekommen sind, und auch in Deutschland gibt es die ersten Toten nach Tasereinsätzen. Für Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen (z.B. Herzrhythmusstörungen) oder Personen unter Drogeneinfluss kann ein Tasereinsatz tödlich enden. Vom anfänglichen Versprechungen, Taser nur für Spezialkräfte zuzulassen, ist in dem Entwurf nichts mehr zu finden.

Um auf die (wie auch immer begründete) aktuelle Gefahrenlage reagieren zu können, wurde von der Polizei gewünscht, auch auf unter 14-jährige Kinder tödlich schießen zu dürfen. Sie wolle damit auf die „um sich greifenden Radikalisierung gerade auch junger Menschen“ reagieren, die zum Ausführen eines Terroranschlages missbraucht werden könnten. Außerdem werden Amokläufe an Schulen als Beispiel herangezogen. Allerdings gab es in Deutschland noch nie einen Amoklauf von einem unter 14-jährigen Kind.

Auch der Kinderschutzbund sieht die geplante Änderung kritisch: „Hierbei handelt es sich um eine sehr spezielle, bisher nicht dagewesene Ausnahmesituation, die natürlich überaus ernst zu nehmen ist - aber die polizeirechtliche Reform beinhaltet darüber hinaus, soweit uns bekannt ist, deutlich weitreichendere Handlungsbefugnisse. Unsere Sorge ist, dass hier gesellschaftlich gesetzte Grenzen verschoben werden. Das Kindeswohl muss immer an erster Stelle stehen. Wir sollten nicht vergessen, dass diese Kinder Opfer sind und nicht Täter“, schreibt Irene Johns in einer Pressemitteilung des Kinderschutzbundes.

Mit derselben Begründung, also einer nicht konkretisierten Terrorgefahr, möchte die Polizei Sprengmittel gegen Menschen einsetzten und Schüsse in Menschenmengen abgeben können. Auch die explizite Legalisierung des sogenannten „finalen Rettungsschusses“ soll den Weg in das Gesetz finden. Das ist problematisch, denn schon jetzt dürfen Polizist*innen (und theoretisch alle anderen Menschen auch) Personen in einer Notwehr, bzw. Nothilfe-Situation verletzen und auch töten. Das was da rein soll ist also nichts Neues, sondern die explizite Legalisierung polizeilichen Mordens als „[ausdrückliches] Bekennen des Staates [...] zum Handeln seiner Organwalter“.

Noch kurz zur Begründung

An vielen Stellen steht explizit in der Begründung, dass sich die Polizei das genau so gewünscht habe, bzw. das es sich um eine „Anpassung an Einsatzerfordernisse[n]“ handelt. Warum genau sich die Polizei wünscht, auf Kinder schießen und medizinische Untersuchungen gegen den Willen der Betroffenen durchführen zu dürfen, ist schleierhaft, und die Tendenz, die darin zu erkennen ist, wirkt vor dem Hintergrund polizeilicher Gewalt mehr als fragwürdig.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte in Minneapolis, über die Abschaffung der derzeitigen Polizeistrukturen und einer kompletten Umstrukturierung, wirkt dieses Gesetz wie ein Gespenst aus alten Zeiten.

Solidarität statt Angst

Es mag übertrieben klingen, wenn wir hier in Deutschland von einem Polizeistaat sprechen, allerdings stellt die Gesetzesänderung eine Entwicklung in eine gefährliche Richtung dar. Es soll mehr überwacht, an mehr Stellen kontrolliert, einfacher gespeichert und gewalttätiges Handeln von „Organträger*innen“ legitimiert werden.

In der Begründung werden wiederholt terroristische Szenarien herangezogen, die mit der realen Situation vor Ort (also in Schleswig Holstein) nichts zu tun haben. Die Kriminalitätsrate sinkt oder stagniert, die Gewaltkriminalität sinkt ebenfalls laut der eigenen Statistik des Landes. Eine Verschärfung an dieser Stelle stellt also eine Antwort auf eine künstlich geschürte Angst vor Szenarien dar, die mit der Realität nichts zu tun haben.

Anstelle dieser ganzen neuen Befugnisse brauchen wir mehr Menschen mit Konfliktlösungs- und Deeskalationsfähigkeiten, keine gewalttätigen Eskalatoren, mehr Berater und Psychologinnen für psychisch erkrankte Menschen anstatt bewaffneter Schützen. Wir brauchen mehr Geld für Schutzeinrichtungen für Frauen, Kinder und schutzbedürftige Menschen anstatt für die Bewaffnung der Polizei. Mit anderen Worten, wir brauchen weniger Polizei, mit weniger Waffen und weniger Befugnissen... Leider das genaue Gegenteil von dem neuen Gesetzesentwurf.

Ein Bündnis versucht auf die Situation rund um das Polizeigesetz aufmerksam zu machen. Auf der Homepage https://polizeigesetz-sh.de" findet sich eine ausführliche Kritik und aktuelle Aktionen rund um das Thema.

ABC Flensburg

Alle Zitate die nicht gesondert zugeordnet werden stammen aus der Begründung für diesen Gesetzesentwurf der als Unterrichtung 19/189 am 07.11.19 der Landesregierung vorgelegt worden ist.

Anmerkungen:

  1. Florian Krahmer: „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt - Die Bodycam-Studie der sächsischen Polizeihochschule“, in: CILIP 120, November 2019
  2. https://www.reuters.com/investigates/special-report/usa-taser-tracker/
  3. https://www.kinderschutzbund-sh.de/pressemitteilung/neues-polizeigesetz-fuer-sh.html
  4. https://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/POLIZEI/DasSindWir/LKA/Ermittlungen_Auswertung/kriminalstatistik/kriminalstatistik.html
  5. Zum weiterlesen: Crimethinctext
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