(Gegenwind 410, November 2022)

Kundgebung für Frauenrechte vor dem Landta
Fotos von der Kundgebung für Frauenrechte
vor dem Landtag in Kiel, 28. September 2022

Putins Krieg gegen die Ukraine:

Vergesst den Iran nicht!

Massenproteste gegen die Regierung - und das System?

Der Krieg von Russland gegen die Ukraine beherrscht die Schlagzeilen. Aber im Iran, dem Verbündeten Russlands, ist plötzlich eine aktive Massenbewegung gegen die Diktatur entstanden. Anlass war der Tod einer jungen Frau, die von der Polizei festgenommen worden war, um sie über das richtige Binden eines Kopftuches zu belehren.

Die 22-jährige Mahsa Jina Amiri war Mitte September, wenige Tage vor ihrem 23. Geburtstag, von der Sittenpolizei festgenommen worden. Nach einer paar Stunden wurde sie ins Krankenhaus eingeliefert, wo sie starb. Die Polizei gab einen epileptischen Anfall als Ursache an, wahrscheinlicher ist aufgrund ihrer Gesundheit allerdings die bei der Polizei übliche Misshandlung.

Die Proteste vor allem in den Universitätsstädten explodierten förmlich. Die Regierung sperrte das Internet, um zu verhindern, dass Informationen nach außen dringen. Doch weltweit wurden Iranerinnen und Iraner aktiv und organisierten Protestkundgebungen, vor allem in den USA, in der EU und in der Türkei. Symbolisch zeigten die viele ihre Solidarität, indem sie sich eine Haarsträhne abschnitten - bei Kurdinnen und Kurden ein Zeichen der Trauer, oft legen Töchter dort einen Zopf in das Grab des verstorbenen Vaters. Jetzt ist es aber vor allem ein Protest gegen die iranische Regierung, denn schnell griff die Geste von Kundgebungen auf das Internet über. Bekannte und unbekannte Frauen nutzen vor allem Instagram, um mit einem kurzen Film und einem Schnitt mit der Schere ihre Solidarität zu zeigen.

Mehr als 40 Jahre religiöse Diktatur

Die Islamische Republik wurde 1979 gegründet. Damals gelang es den islamistischen Kräfte, die Proteste gegen die Diktatur des Schah zu dominieren und statt der gewünschten Demokratie eine neue Diktatur zu errichten.

Die Schah-Herrschaft existierte seit 1925. Allerdings hatte sie nichts mit dem traditionellen Schah von Persien zu tun, sondern 1925 gab es einen Militärputsch. Der Anführer der Putschisten machte sich selbst zum Schah. Er wollte das Land als Diktatur führen, aber gleichzeitig modernisieren. Dabei folgte er Atatürk, führte europäische Kleidung ein, verbot den Schleier und versuchte, sein Land zu einem europäischen Land zu machen. In Europa wurde er zum Bewunderer von Mussolino und Hitler, weshalb die Alliierten ihn während des Zweiten Weltkrieges zum Rücktritt zwangen. Nachfolger wurde sein Sohn Mohammad Reza Pahlevi, der bis 1979 regierte.

Der Iran war unter Schah Pahlevi ein treuer Verbündeter der USA, garantierte gemeinsam mit Saudi-Arabien die Vorherrschaft des Westens. Die Sowjetunion setzte auf Irak, Syrien und Ägypten. Im Iran gab es 1953 Auseinandersetzungen, als Premierminister Mohammad Mosaddegh die Erdölindustrie teilweise verstaatlichen wollte. In der Zeit gab es in Mexiko, Venezuela, Saudi-Arabien und anderen Staaten ähnliche Bestrebungen. Im Iran verließ der Schah das Land, aber den USA gelang es, das iranische Militär zu einem Putsch zu ermuntern. Der Schah kehrte zurück und regierte bis 1979 als Diktator.

Die Zahl der politischen Gefangenen ging in die Zehntausende, die Zahl der hingerichteten politischen Gegner ging in die Tausende. Die Modernisierung wurde aber auch vorangetrieben, indem Abiturientinnen und Abiturienten ein Studium im westlichen Ausland ermöglicht wurde. Viele kehrten mit demokratischen Ideen zurück, die Proteste nahmen zu. 1977/78 wurde sie so stark, dass der Schah im Januar 1979 floh.

Nach einem halben Jahr Demokratie ergriffen die Geistlichen rund um Khomeini die Macht. Anfangs war das Programm, sich zu Anführern des Islam zu machen und diese Führerschaft weltweit auszuüben. Allerdings ergaben sich bald ganz praktische Probleme: Die Verhaftung der meisten Armee-Offiziere nutzte der Irak, um das viel größere Nachbarland anzugreifen. Doch das vermutete Machtvakuum gab es nicht wirklich, denn viele der verhafteten Schah-Offiziere meldeten sich aus dem Gefängnis als Freiwillige, um ihr Land zu verteidigen. Der Krieg wurde sehr verlustreich, drei Viertel der Getöteten waren Iranerinnen und Iraner.

Doch der Krieg führte auch zu einer Veränderung der Ideologie. Kurz vor dem Ende des Krieges verkündete Khomeini die neuen Staatsdoktrien, wonach der Islam nur in einem Land regieren sollte. Zeitgleich wurden Tausende von verhafteten Oppositionellen im Gefängnis hingerichtet, diese Hinrichtungswelle 1988 wurde geleitet von dem jungen Ebrahim Raisi, der 2021 zum Präsidenten gewählt wurde.

Kundgebung für Frauenrechte vor dem Landta
Fotos von der Kundgebung für Frauenrechte
vor dem Landtag in Kiel, 28. September 2022

Vorgetäuschte Demokratie

Im Iran finden regelmäßig Wahlen für das Parlament und den Präsidenten statt. Allerdings werden die Kandidatinnen und Kandidaten vorher auf ihre religiösen Überzeugungen hin überprüft und zum großen Teil von der Kandidatur ausgeschlossen, bei der Wahl zum Präsidenten werden generell Frauen ausgeschlossen, aber auch die allermeisten Männer.

Die Aufsicht der religiösen Gremien, an der Spitze der „Oberste Rechtsgelehrte“, bestimmt das gesamte System. Der Oberste Rechtsgelehrte wird von einem speziellen Gremium auf Lebenszeit ernannt und kommandiert auch Armee, Revolutionsgarden und alle Gerichte. Richter sind weisungsgebunden, sie bekommen die Urteile vorgegeben.

Diese beaufsichtigte Demokratie, bei der nicht gewählte Geistliche immer das letzte Wort haben, hat in den vergangenen Jahren zu einer immer geringeren Wahlbeteiligung geführt. Die letzten großen Proteste gegen Wahlfälschungen gab es 2009, inzwischen hat man sich - ähnlich wie in Russland - daran gewöhnt, dass Wahlen und Wahlergebnisse nichts miteinander zu tun haben.

Die Proteste der letzten Jahre richteten sich vor allem gegen die wirtschaftliche Lage, wobei die Probleme größtenteils von der Regierung verschuldet sind. Ein großer Teil der Wirtschaftsbetriebe ist in der Hand religiöser Stiftungen oder der Revolutionsgarden, dort herrschen Korruption und Vetternwirtschaft. Außerdem führt die Regierung teure Kriege in Syrien (vgl. Gegenwind 406, Seite 7) und dem Irak (vgl. Gegenwind 409, Seite 29), unterstützt zudem die Hisbollah im Libanon und die Huthi-Miliz im Jemen (vgl. Gegenwind 408, Seite 23), das entzieht dem Land viele Ressourcen. Inzwischen werden auch Mitglieder der Al-Quds-Brigaden, der internationalen Truppen der Revolutionsgarden, in die Ostukraine geschickt, um dort die russischen Truppen auszubilden.

Im Iran sinken die Löhne, außerdem wird die Versorgung mit Trinkwasser oder Benzin immer schlechter. Die Regierung versucht zwar, die Sanktionen der USA und anderer dafür verantwortlich zu machen, das wird aber von großen Teilen der Bevölkerung nicht mehr akzeptiert. Einerseits hat die Regierung die Sanktionen verursacht, andererseits ist die Korruption so allgegenwärtig, so dass die Ursache für die verheerende wirtschaftliche Lage deutlich sichtbar ist.

Protest wird gnadenlos verfolgt, Verhaftungen sind an der Tagesordnung. In den Gefängnissen wird gefoltert und vergewaltigt, Prügelstrafen sind legal. Iran ist das Land mit den meisten Hinrichtungen in der Welt (in Relation zur Bevölkerung), wobei die Zahl selbst geheim gehalten wird und nur geschätzt werden kann. Für 2021 konnte „amnesty international“ 314 Hinrichtungen dokumentieren, für das erste Halbjahr 2022 bereits 251 Hinrichtungen. Männer werden inzwischen wieder öffentlich hingerichtet, Frauen in der Regel im Gefängnis.

Kundgebung für Frauenrechte vor dem Landta
Fotos von der Kundgebung für Frauenrechte
vor dem Landtag in Kiel, 28. September 2022

Flucht und Auswanderung

Viele Menschen verlassen den Iran, um im Ausland zu studieren oder zu arbeiten. Andere müssen aufgrund von Verfolgung fliehen und beantragen Asyl. Oft überkreuzt sich das auch. Wer als Studentin oder Student durch politische Aktivitäten auffällt, bekommt oft nach dem Studium keinen Arbeitsplatz, weil viele Firmen zur Holding einer religiösen Stiftung gehören. Fliehen sie dann ins Ausland und beantragen Asyl, wird ihnen regelmäßig unterstellt, das Land wegen „Arbeitslosigkeit“ verlassen zu haben - die ist aber auch oft politisch begründet.

Im Januar bis August 2022, also in acht Monaten, beantragten in Deutschland 3.523 Menschen aus dem Iran Asyl. Im gleichen Zeitraum wurden 3.098 Asylverfahren entschieden, oft noch Anträge aus 2021.

946 Anträge (30,5 %) wurden positiv entschieden: 61 mal Asyl, 767 mal Flüchtlings-Anerkennung, 80 mal subsidiärer Schutz und 38 mal Abschiebungsschutz. 1.100 Anträge wurden abgelehnt, das sind 35,5 Prozent. Und 1.052 Anträge blieben ohne Entscheidung, vor allem diejenigen, die als „unzulässig“ eingestuft wurde. Das bedeutet meistens, dass ein anderes europäisches Land über den Asylantrag entscheiden soll, dorthin wird dann eine Abschiebung organisiert. Am 1. September warteten noch 3.144 Asylanträge auf eine Entscheidung, also so viele, wie in sieben Monaten bearbeitet werden können.

Viele Iranerinnen und Iraner verlassen noch im Iran oder nach der Ankunft in Deutschland den Islam und lassen sich taufen. Das „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ unterstellt ihnen oft, das aus taktischen Gründen zu tun, um leichter Asyl zu bekommen - im Iran droht ihnen die Todesstrafe. Die Iraner:innen selbst geben an, dass die spezielle Ausprägung des Islam in der Interpretation der iranischen Regierung den Ausschlag gab.

Abschiebung?

Es gibt einzelne Abschiebungen in den Iran. Im Jahre 2021 waren es 28, im ersten Halbjahr 2022 schon 25. Allerdings leben fast 10.000 Iraner:innen mit Duldung in Deutschland, über 800 sind es in Schleswig-Holstein. Abschiebungen sind also relativ selten.

Allerdings fordern jetzt viele Bundesländer einen offiziellen Abschiebestopp, über den am 30. November die Innenministerkonferenz entscheiden muss. Niedersachsen hat ihn beantragt, in Kraft tritt er nur bei Einstimmigkeit. Für die Zeit bis dahin haben Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen schon eine befristeten Abschiebestopp für ihr Bundesland verhängt.

Reinhard Pohl

Zur Startseite Hinweise zu Haftung, Urheberrecht und Datenschutz Kontakt/Impressum