[ "Brandanschlag" - Gegenwind Extra ]
 
Editoral
Selbstreinigungs-Prozess oder: Flüchtlinge sind schuldig
Die Brandnacht
Kurze Chronologie eines Anschlags
Der erste Prozess
Freispruch in drei Schritten
Die Ermittlungen
Rassistische Ermittlungen?
 

 

Selbstreinigungs-Prozess
oder:
Flüchtlinge sind schuldig

Als in der Nacht vom 17. auf den 18. Januar 1996 in Lübeck die Flüchtlingsunterkunft in der Hafenstraße brannte, war zunächst das öffentliche Entsetzen groß: In einer Reihe von rassistischen Gewalttaten gegen Flüchtlinge und MigrantInnen war dieser Anschlag, bei dem zehn Menschen ermordet wurden, der folgenschwerste. Bereits in den ersten Stellungnahmen von PolitikerInnen ging es jedoch in erster Linie um die Sorge um das "Ansehen der Stadt Lübeck" bzw. "Deutschlands". Dies wurde aber nicht ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen, schnell verstummte eine breiter geführte öffentliche Debatte um die Situation von Nicht-Deutschen in diesem Land, um Gewalt und Rassismus — denn wenige Tage nach dem Anschlag präsentierten Polizei und Staatsanwaltschaft einen mutmaßlichen Täter, der selbst in dem Haus in der Hafenstraße gewohnt hatte und — wie seine Familie — Opfer des Brandes war: Safwan Eid.

Seit diesem Zeitpunkt war die öffentliche Berichterstattung von der Frage geprägt, ob es der Staatsanwaltschaft gelänge, dem Flüchtling Safwan Eid eine Mittäterschaft an dem Brandanschlag nachzuweisen. Der zehnfache Mord vom Januar 1996 als Fanal für gewalttätigen deutschen Rassismus war aus den Schlagzeilen verschwunden.

1997 wurde Safwan Eid vor dem Lübecker Landgericht der Prozess gemacht. Und hier zeichnete sich mehr und mehr ab, dass die Vorwürfe gegen den Flüchtling nichts als ein haltloses Konstrukt waren, für das es nicht einmal handfeste Indizien gab. So plädierten schließlich selbst die Staatsanwälte auf Freispruch, der dann auch ausgesprochen wurde.

Doch jetzt muss das Verfahren vor dem Kieler Landgericht komplett neu aufgerollt werden, denn im vorigen Jahr gab der Bundesgerichtshof dem Revisionsantrag zweier Nebenkläger statt. Die Entscheidung des Lübecker Gerichts, Abhörprotokolle über Gespräche Safwan Eids während seiner Untersuchungshaft nicht als Beweismittel zuzulassen, sei nicht rechtmäßig gewesen. Und wegen dieses nun für legal erklärten "Lauschangriffs" — dessen Ergebnis selbst die Lübecker Anklagebehörde als so unerheblich einstufte, dass sie sich dem Revisionsbegehren nicht anschloss — muss in Kiel das Verfahren wiederholt werden: Zum zweiten Mal wird ein Flüchtling vor Gericht für einen Brandanschlag gegen Flüchtlinge verantwortlich gemacht.

Auch wenn Safwan Eid letztlich wieder freigesprochen wird: Bereits die Art und Weise der Ermittlungen, die Tatsache, dass überhaupt eine Anklage und eine Hauptverhandlung gegen Safwan zustande gekommen sind — jetzt auch noch zum zweiten Mal —, trugen und tragen dazu bei, dass die deutsche Gesellschaft und Politik sich selbst freisprechen kann vom Vorwurf, rassistische und bisweilen mörderische Ausgrenzungspolitik gegen Flüchtlinge zu betreiben.

Rechtzeitig zur Eröffnung der Hauptverhandlung vor dem Kieler Landgericht wollen die Redaktionen von Enough is enough und Gegenwind sowie das Bildungswerk anderes lernen/Heinrich Böll-Stiftung Schleswig-Holstein und das Lübecker Bündnis gegen Rassismus mit diesem Heft an den Lübecker Anschlag, die darauf folgenden Ermittlungen und ihre Begleitumstände sowie den ersten Prozess erinnern, vergessene und wenig bekannte Tatsachen und Zusammenhänge wieder ins Gedächtnis rufen.

Wir fassen zunächst kurz die Ereignisse der Brandnacht zusammen. Anschließend widmen wir uns dem ersten Verfahren in Lübeck, wobei es schwerpunkt mäßig um den Vorwurf, die Staatsanwaltschaft habe "rassistische Ermittlungen" betrieben, geht, den das Lübecker Bündnis gegen Rassismus erläutert. Mit dem sich wandelnden Medienecho im Verlaufe dieser Ermittlungen und des Prozesses befasst sich der Artikel auf Seite 12. Die Opfer des Lübecker Anschlags waren fast alle von Abschiebung in ihre Herkunftsländer bedroht — ein Brandüberlebender ist es noch; über die Bemühungen um ein Bleiberecht für die Brandopfer berichten wir auf Seite 14. Literaturhinweise beschließen das Heft.

Wir hoffen, wir können einige interessante Informationen vermitteln: Für Kritik und Anregungen sind wir dankbar, LeserInnenbriefe und Diskussionsbeiträge können in den folgenden regulären Ausgaben der Zeitschriften Gegenwind und Enough is enough veröffentlicht werden.

die Redaktion

 
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Kurze Chronologie eines Anschlags

Vorgeschichte

Oktober 1995: Maik Evers und André Brade, zwei jugendliche Rechtsextremisten aus Lübeck, versuchen das Auto der Familie Eid zu stehlen. Mohammed und Safwan Eid bemerken die beiden Autoknacker im Skinhead-Outfit, können einen der beiden stellen und ihn der Polizei übergeben, der andere wird von der Besatzung eines Streifenwagens festgenommen.

Anfang Januar 1996: Maik Wotenow erzählt seinem Kumpel Marcel Rux, er wolle demnächst nach Lübeck, um dort etwas anzuzünden.

Die Nacht auf den 18. Januar 1996

Ca. 1.00 Uhr: Techentin, Wotenow, Burmeister und Patynowski erreichen Lübeck aus Grevesmühlen kommend, sie fahren einen beigen Wartburg mit dem auffälligen Schriftzug "Dr. med. Bummi Bärmeister" auf der Heckscheibe.

Ca. 2.00 Uhr: Die vier Grevesmühlener trennen sich; im Wartburg fahren Burmeister, Wotenow und Patynowski, Techentin fährt einen schwarzen Golf GTI, den sie zuvor in einer Tiefgarage beim Einkaufszentrum Buntekuh gestohlen haben.

Ca. 3.00 Uhr: Die BGS-Beamten Baumann und Svoboda, die das Hafengelände bestreiften, haben kein Feuer im oder am Flüchtlingsheim bemerkt.

3.17 Uhr: Der Wartburg mit drei Personen wird an der Shell-Tankstelle Paddelügger Weg in Lübeck-Moisling gesehen, u.a. von der Besatzung des Streifenwagens Trave 2/12.

Ca. 3.20 Uhr: Der Eisenbahnarbeiter E. sieht einen dunkelgekleideten, hellhäutigen Fußgänger in der Hafenstraße und ca. 5 Minuten später einen am Hafengelände parkenden PKW, der in Richtung Travemünder Allee zweimal Lichthupensignale gibt.

Kurz vor 3.30 Uhr: Der Zivildienstleistende Ronny B. ist der erste nicht im Heim lebende Zeuge, der das Feuer sieht. Feuer hat er nur im und am hölzernen Vorbau gesehen ("ein Flammenwall"), die Flammen züngelten teilweise bis zum Dach hoch.Ebenfalls zu diesem Zeitpunkt müssen Monique Bunga und ihre kleine Tochter Nsuzanna vom Dach des Hauses gesprungen sein. Sie erliegen ihren schweren Verletzungen.

Ca. 3.30 Uhr: Die BGS-Streife passiert erneut das Heim, es ist das erste Einsatzfahrzeug vor Ort. Die Aussagen der Beamten sind widersprüchlich: geben sie in ihrer polizeilichen Vernehmung noch an, Funken und Flammen am bzw. im Vorbau gesehen zu haben, bestreiten sie dies im Prozess. Nun wollen sie lediglich Flammen im ersten Obergeschoss gesehen haben.Zwei Mitarbeiter der Firma Brüggen, direkt neben dem Brandhaus gelegen, wollen vor dem Eintreffen der Einsatzfahrzeuge einen beigen Wartburg gesehen haben. Drei Männer standen nach ihrer Aussage am Wagen, der gegenüber des Firmengeländes Brüggen geparkt habe.

Zwischen 3.30 Uhr und 3.45 Uhr: Diverse ZeugInnen beobachten das Feuer: bis auf die BGS-Beamten sehen alle ZeugInnen, die den Vorbau überhaupt im Blickfeld hatten, dort auch eine (starke) Brandentwicklung. Zudem ist Feuerschein hinter den links gelegenen Fenstern des ersten Obergeschosses, später aus den zerborstenen Scheiben herausschlagende Flammen zu beobachten. Viele BewohnerInnen fliehen vor den Flammen, einige auf das Hausdach, andere springen aus den Fenstern. Mehrere irren auf dem Flur des ersten Obergeschosses herum, um in Richtung Hauseingang zu flüchten. Sie bemerken keinen Brand auf dem Flur, dafür starkes Feuer im Vorbau.

3.42 Uhr: Die Notrufe gehen bei der Polizei ein. Als erste meldet Françoise Makodila per Handy den Brand, bereits in Todesangst ("Mein Gott, kommen sie schnell, wir werden hier im Haus von den Nazis angegriffen"). Wenig später sterben sie und ihre Kinder im zweiten Obergeschoss an Rauchgasvergiftung.

3.47 Uhr: Die Feuerwehr trifft am Brandhaus ein. Feuerwehrmann Bernd L. sieht zu diesem Zeitpunkt starken weißen Qualm aus dem Vorbau dringen, nach seiner Erfahrung ein Zeichen für eine heiße Brandquelle. Feuerwehrmann Reiner S. dringt sogar zu Löscharbeiten in den Vorbau ein, muss dafür erst Flammen im Eingangsbereich herunterlöschen; nach seinen Beobachtungen habe es schon länger im Vorbau stark gebrannt, die Flammen seien bereits wieder zurückgegangen. Er gelangt bis ins erste Obergeschoss, wo es sehr stark gebrannt habe. Teile der hölzernen Treppe zum zweiten Obergeschoss seien aber noch nicht heruntergefallen (das LKA-Brandgutachten gibt an, dass solche Treppenteile für den Brandausbruch im Vorbau verantwortlich gewesen seien).Die Polizeistreife Trave 2/12 will einen beigen Wartburg mit Grevesmühlener Kennzeichen Höhe Hubbrücke überholt haben. Es sei der gleiche Wagen gewesen, den sie zuvor in Moisling beobachtet hätten.

Ab 3.47: Per Leiterwagen werden Flüchtlinge aus dem Haus bzw. vom Dach des Hauses gerettet. Dabei stürzt der zuerst eingesetzte Leiterwagen um. Die Rettung der Kinder Makodila aus dem zweiten Obergeschoss misslingt. Eine Durchzündung der Räume, in denen sich noch lebende Kinder befanden, tritt vor den Bergungsmaßnahmen ein. Safwan Eid wird als letzter Heimbewohner vom Dach des Hauses geborgen.Marwan Eid berichtet über ein Quietschen der Gartentür, dann ein Glassplittern gefolgt von einem Explosionsgeräusch. Als er aus dem Fenster sah, habe er Flammen im Eingangsbereich gesehen. Sein Sohn Safwan übersetzt diese Beobachtung mehreren Personen, auch einem Beamten der Kripo. Die Überlebenden mit leichteren Verletzungen werden erst in einem Bus der Stadtwerke versorgt. Dort kommt es zum Kontakt zwischen Safwan Eid und dem Rettungssanitäter Jens Leonhardt, der später behauptet, Safwan habe ihm die Tat gestanden.Einem Polizeibeamten fallen drei junge Männer im Skinhead-Outfit in der Nähe des Brandhauses auf. Deren Personalien werden kontrolliert, Maik Wotenow gibt den falschen Nachnamen Müller an.Das Haus ist erst am Vormittag des 18. Januar endgültig gelöscht. Sylvio Amossou, Rabia El Omari, Monique und Nsuzanna Bunga und Françoise Makodila mit ihren Kindern Legrand, Jean-Daniel Kosi, Christelle, Christine und Miya überleben nicht.

HPW(Lübecker Bündnis gegen Rassismus)

 
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Freispruch in drei Schritten

Zwei Tage nach dem Brand wurde der 20jährige libanesische Hausbewohner Safwan Eid verhaftet, nachdem die zuvor festgenommen vier Nazis aus Grevesmühlen öffentlich für unschuldig erklärt und freigelassen worden waren. Täterwissen soll Safwan Eid im angeblichen Geständnis gegenüber dem Sanitäter Leonhardt offenbart haben. Ein Amtsrichter bestätigte den dringenden Tatverdacht: Safwan Eid habe vom ersten Stock als Brandausbruchsort gesprochen – Wissen, das zu diesem Zeitpunkt nur der Brandstifter hätte haben können. Tatsächlich findet sich in keiner Aussage des Rettungssanitäters, dass Safwan Eid vom ersten Stock gesprochen haben soll. Lediglich von der Tür eines Familienvaters war laut Leonhardt die Rede – der Begriff "erster Stock" wurde vom Amtsrichter hinzugedichtet...

Safwan Eidblieb fast sechs Monate in Untersuchungshaft — obwohl in diesem Zeitraum neue Indizien gegen die Nazis auftauchten, der Rettungssanitäter immer unglaubwürdiger wurde, vom unabhängigen Brandgutachter Prof. Dr. Ernst Achilles ein möglicher Brandausbruch im Vorbau nachgewiesen und der vom LKA bzw. BKA diagnostizierte Brandherd im ersten Obergeschoss stark in Zweifel gezogen wurde.

Am 16. September 1996 begann der Prozess gegen Safwan Eid vor dem Lübecker Landgericht. Er lief fast ein Jahr, bis zum Juli 1997. Die Kammer unter ihrem Vorsitzenden Richter Rolf Wilcken hörte über 100 ZeugInnen und GutachterInnen.

Wo brach das Feuer aus?

Die Anklage der Staatsanwälte beruhte zentral auf der These, das Feuer sei im ersten Stock des Flüchtlingsheimes ausgebrochen. Dem hatten insbesondere die Brandopfer selber immer energisch widersprochen, passierten doch einige von ihnen auf der Flucht vor dem erstickendem Qualm genau die Stelle, die die Gutachter der Staatsanwälte als Entstehungsort ausgemacht haben wollen. Ihre Aussagen, die Beobachtungen von AnwohnerInnen und Feuerwehrleuten, schließlich physikalische Gesetze (dass sich Feuer naturgemäß nach oben ausbreitet) ließen alle darauf schließen, dass der eigentliche Ort des Brandausbruches im hölzernen Eingangsvorbau des Hauses zu suchen ist. Die RichterInnen machten es sich einfach, als sie in ihrem Urteil von zwei Brandherden ausgingen, sowohl an der vom LKA bezeichneten Stelle, wo es eine Schwelbrandphase ohne genaue zeitliche Parameter gegeben haben soll, als auch im Vorbau.

Ein weiteres Rätsel des Vorbaus sah sich die Kammer zu lösen nicht imstande: der tot im Vorbau gefundene Sylvio Amoussou, dessen Leiche mit einem Draht umwunden war und der nachweislich nicht (wie alle anderen Todesopfer) an Rauchgasvergiftung starb. Seine genaue Todesursache bleibt unklar, die medizinischen Sachverständigen konnten nur Vermutungen anstellen, ob er an einem Schock durch plötzliches großflächiges Entflammen des Körpers erlegen ist. Vorhergehende Gewalt von außen, z.B. Schläge auf (später vollständig verkohlte) Muskel-/Weichbereiche können nicht ausgeschlossen werden. Korrespondierend dazu stellt das LKA fest, dass der Draht, der um Sylvios Körper gewunden war, nicht zu den anderen im Haus gefundenen Drähten und Kabeln passt.

Spurenvernichtung statt Beweissicherung

Die Frage von Sylvios Todesursache, aber auch viele andere Komplexe in der Hauptverhandlung wurden durch die später auch vom Gericht gerügten skandalösen Ermittlungspannen wesentlich erschwert. Statt Spurensicherung muss eher von Beweisvernichtung gesprochen werden. Einige (wenige) Beispiele:

  • Die Spanplatte, auf der laut LKA Brandlegungsmittel ausgebracht und angezündet worden sein soll, sprich der angebliche Tatort, wird von LKA-Gutachter Dr. Herdejürgen wegen "Bedeutungslosigkeit" (sic!) weggeworfen.

  • Der wahrscheinlich tatsächliche Tatort im Vorbau wurde eingeebnet.

  • Bei der Leichenbergung von Sylvio war nicht einmal ein Kriminaltechniker anwesend, der die genaue Lage der Leiche dokumentieren konnte, oder auch nur Ruß- und Schuttproben hätte nehmen können. So gibt es auch weder über die Länge noch die genaue Position des Drahtes um Sylvios Leiche eine Dokumentation! Ein Kriminalobermeister, der für die Spurensicherung im Vorbau zuständig war, hat am Fundort der Leiche eine "Ausnehmung" gesehen. Doch statt diese zu sichern, wenigstens zu fotografieren, wird der Schutt einfach beiseite geräumt und später, vermengt mit Schutt von ganz anderen Fundorten, ausgesiebt.

  • Weiter ist ein Glasklumpen, noch im Bericht als "im Original gesichert"  bezeichnet, verschwunden! Da es sich um den Rest der Eingangstür gehandelt haben dürfte, wäre diese Spur von erheblicher Bedeutung gewesen.

  • Keine systematische Spurensuche hat im 2. Stock stattgefunden, von der Treppe, die vom Vorbau in den 1. Stock führt, sind keine Proben zwecks Untersuchung auf Brandbeschleuniger genommen worden.

  • Obwohl ZeugInnen Personen auf dem Dach des Vorbaus gesehen haben wollen, wurde dieses Dach nicht auf Fußspuren untersucht.

  • Genauso wenig wurde das Auto der Grevesmühlener Nazis untersucht. Lediglich eine "In-Augenscheinnahme"  gab es. Ein Stadtplan von Lübeck wurde nicht einmal auf Fingerabdrücke bzw. deren mögliche Konzentration an bestimmten Stellen untersucht.

Täter ohne Motiv?

Trotz intensiver Nachfrage gelingt es der Staatsanwaltschaft nicht, Indizien für das von ihr angenommene Motiv Safwan Eids zu finden. Die in der Presse ausgeschlachteten "ethnischen Konflikte" zwischen AraberInnen und AfrikanerInnen – die Betroffenen wussten davon nichts. Selbst die Angehörigen der Familie El Omari (laut eigenen Angaben gehen sie von der Täterschaft Safwans aus, weil Polizei, Staatsanwälte und Medien ihn für den Täter halten) sprachen entweder von einem "normalen" Verhältnis im Haus (Assia El Omari) oder von einem "ganz guten" Verhältnis, gerade zur Familie Eid (Assias 15jährige Tochter).

Die Befragungen der Flüchtlinge nährten den Verdacht einer Voreingenommenheit: Das Verhalten der Polizei gegenüber den Opfern wurde von Kibolo Katuta mit den Worten "Das erinnert mich an unsere afrikanische Polizei" kommentiert. Er führte als Beispiel dafür, dass die Polizei von Anfang an die Opfer wie Täter behandelte, auf, wie die Kripo unangemeldet in den Notunterkünften erschien und barsch zum Vernehmungsgespräch aufforderte: "Kriminalpolizei, komm!" Zeit zum Umziehen oder Zähneputzen habe man ihm nicht gelassen.

Kate Davidson schilderte, wie sie im Krankenhaus von Polizeibeamten ohne DolmetscherIn befragt wurde, noch am Tropf hängend, unter Schmerzen, ohne Nachfrage, ob sie denn überhaupt vernehmungsfähig sei.

Die Staatsanwaltschaft war bei ihren Befragungen während der Verhandlung nicht viel zivilisierter: mehrmals stocherten sie bei verschiedenen Flüchtlingen aggressiv in der Asylbegründung herum, wollten durch Befragungen über "häufige Männerbesuche" eine Zeugin als Prostituierte hinstellen. "Das sind sexistische Denkmuster", stellte Rechtsanwältin Ehrhardt fest. Im späteren Verlauf des Prozesses ging es den Anklägern nicht mehr um die aussichtslos gewordenen Beweissuche gegen Safwan Eid, statt dessen streuten sie einen "multifaktoriellen Verdacht" (aus einer Erklärung der Verteidigerinnen Gabriele Heinecke und Barbara Klawitter), der allein öffentlichkeitswirksam die Täterschaft irgendeines Hausbewohners suggerierte.

Revision einer Farce

Der Freispruch erfolgte in drei Schritten: Am 53. Prozesstag im April 1997 trug Richter Wilcken eine vorläufige Einschätzung der Kammer vor: Selbst wenn man in Verkehrung juristischer Prinzipien "im Zweifel gegen den Angeklagten" werte, komme die Kammer zu dem Schluss, dass eine Belastung Safwan Eids nicht zu sehen sei. Ob denn weitere Beweisanträge noch Relevanz entfalten  könnten, erging die Frage an Anklage und Verteidigung...

Die Staatsanwaltschaft verabschiedete sich aus dem Prozess mit dem Antrag, den Angeklagten freizusprechen, die Tat sei ihm nicht nachzuweisen. Die Begründung dieses Antrages war eine einzige Drecksschleuder gegen die HeimbewohnerInnen, sie hätten ihre Aussagen zum Schutz Safwan Eids abgesprochen, zwischen den Zeilen beschuldigten Staatsanwalt Dr. Böckenhauer und Staatsanwalt Axel Bieler Safwan Eid weiter der Tat.

Am 30. Juni 1997 erfolgte dann der offizielle Freispruch. Die mündliche Urteilsbegründung enttäuschte, die Kammer brachte nicht den Mut auf, mit der Anklage abzurechnen: So wurde der wichtigste Belastungszeuge Leonhardt unter Ignoranz aller Widersprüche in seinen Aussagen für uneingeschränkt glaubwürdig befunden, seine Verstrickungen in rechtsextreme Kreise dementiert, den HeimbewohnerInnen wurde vorgeworfen, ihre Aussagen nachträglich zumindest gefärbt  zu haben, der Komplex Grevesmühlen wurde mit keiner Silbe erwähnt. Schritt drei, die schriftliche Urteilsbegründung, setzte dann noch einen drauf: Aus dem Angeklagten, bei dem noch im April nichts Belastendes zu sehen sei, wurde ein der Tat Verdächtiger, dem die Ausführung bloß nicht nachzuweisen sei.

Rechtsanwalt Haage und Rechtsanwalt Dr. Clausen legten für ihre Mandantschaft, die Familie El Omari, Revision beim Bundesgerichtshof ein. Zentrale Begründung: Die Entscheidung der Lübecker Kammer, Protokolle der Abhörmaßnahmen während Safwan Eids Untersuchungshaft nicht als Beweismittel zuzulassen, sei rechtswidrig gewesen. Das Lübecker Landgericht hatte Safwan Eids Zelle als eine Art Wohnraum, der durch das Grundgesetz damals noch vor Bespitzelung geschützt war, angesehen, weiterhin auch darauf verwiesen, dass in den Protokollen nichts zu erkennen sei, was den Angeklagten belasten könne.

Die Karlsruher Richter entschieden im September 1998, dass ein U-Häftling kein Hausrecht besäße, damit das Grundgesetz seine Privatsphäre auch nicht schützen könne. Überraschenderweise kamen sie auch zu dem Schluss, es sei nicht auszuschließen, dass die Protokolle eventuell Einfluss auf die Urteilsfindung hätten haben können. Der BGH verwies den Fall zu Neubehandlung an die II. Kammer des Kieler Landgerichtes.

Die Verteidigung reagierte auf diese Entwicklung kämpferisch-optimistisch: Zwar sei der Prozess überflüssig, er böte aber Gelegenheit, die falsche Beurteilung des Lübecker Gerichts, der Brand sei im   ersten Stock ausgebrochen, zu revidieren, und die Glaubwürdigkeit des Rettungssanitäters Leonhardt noch einmal zu prüfen.

HPW(Lübecker Bündnis gegen Rassismus)

 
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Rassistische Ermittlungen?

"Stoppt die rassistischen Ermittlungen!" zierte etliche Plakate, Flugblattüberschriften, Artikel und Transparente. Nicht immer stieß diese Forderung auf Zustimmung, sie war Anlass, das Büro des Lübecker Bündnis gegen Rassismus zu durchsuchen und Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung einzuleiten. Aber auch fortschrittliche Menschen, die an Safwan Eids Unschuld glaubten, wollten der Parole nicht durchweg folgen: Da meinten die einen, ein Staatsanwalt (Dr. Böckenhauer), der aus Protest gegen die sozialdemokratische Zustimmung zur faktischen Abschaffung des Asylrechts aus der SPD austrat, sei die falsche Adresse für einen Rassismusvorwurf, die anderen dachten gar, ideologische Scheuklappen hinderten die antirassistischen UnterstützerInnnen daran, sich mit dem Tatverdacht gegen einen Flüchtling abzufinden.Wir wollen an dieser Stelle detailliert den Komplex untersuchen und erklären.

Um ein (manchmal bewusstes) Missverständnis gleich am Anfang beiseite zu räumen: Das Lübecker Bündnis gegen Rassismus hat nicht ein einziges Mal den Staatsanwälten unterstellt, sie seien Rassisten. Insbesondere bei Dr. Böckenhauer ist sehr deutlich, dass er nicht in ein einfaches Freund-Feind-Schema passt. Der gesamte Komplex der Ermittlungen und des Prozesses wäre eklatant fehlanalysiert, gingen wir von irgendeiner plumpen ausländerfeindlichen Ideologie der ermittelnden Verantwortlichen aus. Gleichwohl — und nur davon wurde gesprochen — verdienen die Täterermittlungen das Adjektiv "rassistisch".

Rassismus ist — vereinfacht ausgedrückt — eine Weltanschauung, die den Humanismus ignorierend bzw. bekämpfend davon ausgeht, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft/"Rasse" ungleich zu werten sind bzw. in eine hierarchische Ordnung gehören. Nichts deutet darauf hin, dass Personen, die mit den Ermittlungen beauftragt waren, diese Weltanschauung bewusst vertreten.

Rassistisch handelt jedoch auch, wer Menschen unterschiedlicher Herkunft ungleich oder einseitig behandelt. Im konkreten Fall Hafenstraße ist der direkte Vergleich möglich: Auf der einen Seite der junge Libanese, auf der anderen Seite vier junge Deutsche.

Was belastet Safwan Eid?

Safwan Eid wurde aufgrund der Aussage des Rettungssanitäters Jens Leonhardt verhaftet. Leonhardt behauptet, er habe Safwan Eid in der Brandnacht im Verletztenbus betreut, der Libanese sei ihm aufgefallen, weil er erstaunlich ruhig in einer der hinteren Sitzbankreihen gesessen habe. Der Sanitäter vermutete einen Schock, sprach Safwan Eid an und behandelte dessen verbrannte Ohren. Bei dieser Gelegenheit soll Safwan Eid gestanden haben "Wir warn’s". Leonhardt will weiter vernommen haben, wie Safwan Eid den Tathergang schilderte. Danach haben er und andere (wer genau, konnte Leonhardt nicht sagen) sich an einem Familienvater rächen wollen (warum, blieb im Dunklen), Benzin an dessen Wohnungstür gegossen und angezündet. Das brennende Benzin sei dann die Treppe hinunter geflossen, bald habe das ganze Haus in Flammen gestanden.

Brandsachverständige Beamte von LKA und BKA haben das Haus nach dem Ort des Brandausbruches untersucht. Sie kommen zu dem Schluss (der ja im Prozess heftig umstritten war), das Feuer sei im Flur des ersten Obergeschosses einige Meter von der Treppe zum Hausausgang und zwischen zwei Wohnungstüren ausgebrochen. Darin sehen die Staatsanwälte eine Bestätigung der Aussage von Leonhardt und gleichzeitig den Gegenbeweis zur These, das Feuer sei von außen gelegt worden.

Safwan Eid wurde während seiner Untersuchungshaft abgehört. Auf Tonbändern wurden seine Gebete (zur Zeit des islamischen Fastenmonats Ramadan) und Gespräche mit seiner ihn besuchenden Familie mitgeschnitten. Die Anklagebehörde will auf diesen Bändern Passagen gefunden haben, die Safwan belasten sollen. So soll er beispielsweise Gott um Verzeihung für seine Sünden gebeten haben.

Als Motiv benennt die Staatsanwaltschaft nicht näher bezeichnete Konflikte im Flüchtlingsheim. Die "Rache an einem Familienvater" konnte nicht konkretisiert werden, der anfangs von den Ermittlern benannte Gustave Sossou hat bereits im Januar 1996 öffentlich erklärt, weder Familienvater zu sein noch jemals mit Safwan Eid oder anderen im Haus im Streit gelegen zu haben.

Wie stichhaltig sind die Indizien gegen Safwan Eid?

In Leonhardts Aussage gibt es eine Fülle von Ungereimtheiten. Allein schon seine gerichtliche Aussage bietet ein "Potpourri von Möglichkeiten" (Verteidigung). Safwan Eid soll Benzin oder eine andere brennbare Flüssigkeit aus einer Flasche oder einem Becher oder einem anderen Gefäß an die Tür eines Familienvaters oder eines anderen Hausbewohners geschüttet haben. Weiterhin bleibt unklar, warum Safwan Eid Leonhardt gegenüber ein Geständnis abgelegt haben soll, allen anderen Personen (darunter auch einem Polizeibeamten) in dieser Nacht aber stets identisch die Beobachtungen und Schlussfolgerungen seines Vaters wiedergegeben hat. Nach diesen Zeugenaussagen berichtete Safwan wie sein Vater Marwan Eid ein "Bumm" hörte, aus dem Fenster schaute und Flammen an der Haustür gesehen hat: "Sie haben die Treppe angezündet, damit wir nicht mehr raus können."

Auffallend die Übereinstimmung von Schlüsselwörtern (Vater, Treppe, angezündet). Leonhardt gibt zu, selber den Begriff Flasche (er wollte Safwan Eid erklären, was ein Molotowcocktail ist) verwendet zu haben. Die wichtigste Zeugenaussage der Anklage als Ergebnis eines einfachen Missverständnisses? Das Gericht ging nicht auf Leonhardts Kontakte in den Rechtsextremismus ein. Sein (nach eigenen Angaben) bester Freund, Matthias Hamann, fiel als Vorsitzender eines "Paintball"-Clubs auf, dessen Vereinssatzung auf Hamann persönlich zugeschnitten ist bzw. war, und in dessen Spint durch eine Durchsuchung wegen Diebstahlsverdacht rechtsextremes Propagandamaterial gefunden wurde.

Alle Prozesszeugen, die in einer frühen Brandphase den hölzernen Vorbau des Eingangsbereiches im Blickfeld hatten, sahen dort starkes Feuer. Auch ein Feuerwehrmann, der dort eingedrungen ist, sagte aus, er hatte den Eindruck, dass es dort schon länger stark gebrannt haben muss. Hingegen haben HausbewohnerInnen an der von LKA und BKA genannten Brandausbruchsstelle während ihrer Flucht keine Flammen gesehen, sich auch nicht verbrannt (der Flur war ca. 80 Zentimeter breit, mehrere Personen haben den angeblichen Brandausbruchsort barfuß passiert). Wie sich von dieser Stelle sehr schnell das Feuer nach unten ausgebreitet haben soll, konnte keiner der Sachverständigen überzeugend darlegen.

Im Lübecker Prozess wurden die Protokolle der Abhörmaßnahme als illegal erworben eingestuft und damit als Beweismittel abgelehnt. Zudem haben zwei Übersetzer höchst unterschiedliche Interpretationen der abgehörten Gespräche und Gebete abgegeben. Der kommende Kieler Prozess wird nur durch die Behandlung eben dieser Abhörmaßnahme Neues im Vergleich zum Lübecker Prozess erbringen können. Wir wollen deshalb hier nur darauf hinweisen, dass rituelle Gebete, in denen Allah um Verzeihung der Sünden gebeten wird, von Millionen Moslems während des Ramadan gesprochen werden — durchaus vergleichbar mit dem Vater Unser ("... vergib uns unsere Schuld...") des Christentums.

Keiner der überlebenden Flüchtlinge hat von ernsthaften Streitigkeiten im Haus bericht